Die Macht des Westens schwindet zusehends. Nachdem sich Russland und China mehr und mehr vom Westen abwenden und andere Bereiche der Welt wirtschaftlich fokussieren, schließt sich nun Afrika dieser Loslösung vom Westen an. Jüngstes Beispiel dafür ist der Niger. Hier hat die Leibgarde von Präsident Mohamed Bazoum diesen Ende Juli in seinem Präsidentensitz festgesetzt und öffentlich für abgesetzt erklärt. Auch die Institutionen des Staates sollen aufgelöst werden. Das Militär des Landes hat sich nicht etwa für die Rettung des Präsidenten und die Aufrechterhaltung der herrschenden Ordnung eingesetzt, sondern an die Seite der Putschisten gestellt. Nun regiert dort eine Putschregierung unter General Abdourahamane „Omar“ Tchiani. Dieser kündigte allerdings eine nur drei Jahre dauernde „Übergangsperiode“ an. Es sei nicht das Ziel des Militärs, die Macht an sich zu reißen, und es werde einen nationalen Dialog geben, um konkrete Vorschläge für eine neue Verfassung zu erarbeiten.
International gab es sofort nach dem Putsch einen großen Aufschrei. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS besteht, ebenso wie die Afrikanische Union (AU), die EU und die USA darauf, dass der kürzlich abgesetzte Präsident Mohamed Bazoum wieder eingesetzt wird. Den Plan einer dreijährigen Übergangsphase lehnte das Bündnis entschieden ab. Stattdessen drohte es sogar mit einer militärischen Intervention im Niger, wenn der Präsident nicht binnen zwei Wochen wieder eingesetzt werde. Diese Intervention soll dabei von Nigeria angeführt werden. Angedacht ist eine Truppenstärke von bis zu 25.000 Soldaten, von denen Nigeria die Hälfte stellen will. Eine Zustimmung des UN-Sicherheitsrates, so erklärten die ECOWAS-Staaten, benötigten sie dabei nicht – was einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt. Die nigrische Regierung ließ das Ultimatum verstreichen. Statt den Präsidenten wieder einzusetzen, erklärte sie, ihn wegen Hochverrats anklagen zu wollen. Am Donnerstag, den 10. August, trafen sich die ECOWAS jedoch in der Hauptstadt Nigerias, Abuja, um eine nichtmilitärische Lösung des Konflikts zu besprechen. Diese soll zunächst bevorzugt werden. Darunter versteht man auch ein Mittel, das schon gegen Russland Anwendung findet, und zwar Sanktionen.
So hat die ECOWAS eine Reihe von Sanktionen gegen Niger verhängt und unter anderem die Lebensmittel- und Medikamentenlieferungen eingestellt. Das hat zu einer humanitären Krise in dem Land geführt, dessen Einwohner nun an Hunger leiden. 3,3 Millionen Menschen, das entspricht 13 Prozent der Bevölkerung des Landes, sind stark von diesem Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten betroffen. Doch anstatt den Menschen zu helfen, verschärft der Westen die humanitäre Lage nur noch weiter. So haben die europäischen Staaten, die USA und die Weltbank Zahlungen von Hilfsgeldern eingestellt und bereiten andere Sanktionen gegen die nigrische Führung persönlich vor. Auch Nigeria, der südliche Nachbar Nigers, hat seine Energielieferungen nach Niger unterbrochen, mit der Folge von regionalen Blackouts.
Dieser Entschluss ist ein Bruch des 1963 unterzeichneten Abkommens über den Fluss Niger, das die Anrainerstaaten Guinea, Mali, Elfenbeinküste, Burkina Faso, Benin, Niger, Nigeria, Kamerun und Tschad unterzeichnet haben. Niger reagierte mit einer Schließung des Luftraumes und hat auch eine Delegation der ECOWAS nicht ins Land gelassen. Die Grenze ist geschlossen. Die Grenzschließung des Niger hat allerdings auch wirtschaftliche Folgen für den Norden Nigerias. Beispielsweise sind Preise für Vieh und andere Waren gestiegen, die zuvor aus der grenznahen Stadt Maradi bezogen worden waren.
Am 18. August dann hat die ECOWAS verkündet, dass sie ein Datum für ihren Einmarsch in den Niger festgelegt habe, allerdings ohne dieses Datum zu nennen. Von den USA und der EU wird dieser Einmarsch unterstützt. Und die Drohung scheint ernst gemeint zu sein, denn schon am 19. August verkündete Großbritannien, sein Botschaftspersonal aus Niger abgezogen zu haben. Die nigrische Militärregierung indes warnte vor einem solchen Schritt. Tausende Menschen seien bereit, der Armee beizutreten. Auch die Staatschefs von Mali und Burkina Faso trafen sich mit der nigrischen Militärführung, um eine Verteidigungsstrategie für Niger festzulegen. Diese Länder, ebenfalls Mitglieder der ECOWAS, erklärten zuvor, dass sie bereit seien, Niger im Falle eines Krieges zu unterstützen. Es kam zu der Bildung eines Militärpaktes zwischen Niger, Burkina Faso und Mali, der es den beiden letztgenannten ermöglicht, im Falle eines Angriffes auf den Niger dem Land beizustehen. Auch Guinea schlug sich auf die Seite Nigers. In all diesen Ländern kam es in den vergangenen Jahren zu Militärputschen, was dazu führte, dass ihre Mitgliedschaft in der ECOWAS suspendiert wurde.
ECOWAS ist eine Wirtschaftsunion, die viele Parallelen zur EU aufweist und sich hauptsächlich auf ehemalige französische Kolonien erstreckt, allerdings auch einige ehemals britische und portugiesische Kolonialgebiete einschließt. Niger ist Teil dieser Gemeinschaft, die dieses Land nun bedroht. Die EU und USA unterstützen ECOWAS bei ihren militärischen Drohungen. So erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell: „Die Europäische Union unterstützt alle Maßnahmen, die die ECOWAS als Reaktion auf den Staatsstreich ergriffen hat.“
Auch der französische Verteidigungsminister Sebastien Lecornu hält das Ultimatum der ECOWAS für unterstützenswert. Es gibt also eine große westliche Unterstützung für dieses Bündnis. Obwohl die gesetzte Frist verstrichen ist, hat das Bündnis noch keine Militärintervention eingeleitet. Dennoch gibt es Vorbereitungen einer solchen.
Koloniale Ausbeutung
Die ECOWAS plant also, gegen ihr eigenes Mitglied Niger vorzugehen. Was genau ist dieses Westafrikanische Bündnis? Offiziell handelt es sich um ein Wirtschaftsbündnis, das von den postkolonialen Staaten Westafrikas gegründet wurde und der EU sehr ähnlich ist. Doch darüber hinaus ist auch die gemeinsame Verteidigung Bestandteil des Bündnisses, unter der Bezeichnung ECOWAS Monitoring Group (ECOMOG). Eigentlich haben die Staaten auch ein Nichtangriffsprotokoll unterzeichnet, was den geplanten Militäreinsatz gegen Niger besonders heikel macht.
Die ECOWAS wird allerdings von vielen Kritikern, zum Beispiel dem US-amerikanischen Journalisten Eugene Puryear, als ein korruptes Konstrukt bezeichnet, das eine direkte Verbindung zu westlichen imperialen Mächten hat, um Afrika arm zu halten. Es sei, so die Kritik, ein Werkzeug des westlichen Imperialismus, das den Kolonialismus auch nach seiner formellen Beendigung fortsetzt. Es diene in erster Linie der weiteren Ausbeutung der Staaten auch nach dem Ende des offiziellen Kolonialismus.
Teil dieser Ausbeutung ist die Kolonialwährung CFA-Franc, die in acht dieser Länder die offizielle Währung ist. Sie wurde von Frankreich eingeführt und war mit einem festen Wechselkurs mit der französischen Währung, dem Franc, verbunden. Einem Franc entsprachen dabei 50 CFA. Mit der Einführung des Euro wurde der CFA mit einem festen Wechselkurs mit diesem verbunden, zu 655,957 CFA-Franc je Euro. Dabei hat die französische Zentralbank die Kontrolle über die Zentralbanken der afrikanischen Länder. Zudem hält Frankreich 50 Prozent der Goldreserven der CFA-Länder.
Die Währungsunion bedeutete auch, dass Importe und Exporte nach und aus Frankreich, und später der Eurozone, sehr günstig waren, in andere Regionen der Welt aber sehr teuer. So hält Frankreich diese Länder in Abhängigkeit von sich selbst.
Afrikanische Eliten wiederum profitieren von diesem System, da sie auf diese Weise günstig an europäische Luxusgüter gelangen und ihr Geld ins Ausland transferieren, wo sie es sicher unterbringen und anlegen können. Sie haben damit ein Interesse daran, dass dieser Status Quo aufrechterhalten wird, was sie zu Erfüllungsgehilfen der französischen Kolonialherrscher macht. Nicht umsonst wird die Region auch Franceafrique genannt. Andere Länder wie Liberia verwenden als Währung den Dollar, was sie in ähnliche Abhängigkeit mit den USA bringt.
Damit ist aber auch das Gerede von Demokratie nichts als eine hohle Farce. Denn die Präsidenten sind aufgrund der Abhängigkeit machtlos, tatsächliche Reformen durchzusetzen. An die Macht gelangt dabei meistens ohnehin der Kandidat, der den Kolonialmächten am meisten nützt. Die Wahlen sind hochgradig undemokratisch und werden oft durch Bestechung beeinflusst. Auch verstoßen die Präsidenten immer wieder gegen die Verfassungen, verlängern ihre Amtsperioden oder lassen sich illegitimerweise wiederwählen. So hat sich der Präsident der Elfenbeinküste, Alassane Ouattara, entgegen der Amtszeitbegrenzung zum dritten Mal zur Wahl aufstellen lassen. Proteste gegen seine Machtergreifung wurden gewaltsam niedergeschlagen, wobei dutzende Menschen starben. Ein Protest der ECOWAS oder des Westens blieb aus. Interessanterweise ist die Elfenbeinküste eines der Länder, die eine militärische Intervention im Niger befürworten und sich dafür einsetzen.
Afrikanische NATO
Nichtsdestotrotz wird die ECOWAS offen von den USA unterstützt. So erklärten die USA ihre Unterstützung für die Reaktion der ECOWAS auf Putsche in Mali, Guinea und Burkina Faso. Der Vorsitzende der ECOWAS, der nigerianische Präsident Bola Tinubu ist zudem bekannt für erhebliche Verstrickungen mit westlichen Machteliten und hat eine zutiefst kriminelle Vergangenheit. So hat er lange Jahre in Chicago Geld für Drogendealer gewaschen und ist immer wieder durch Korruption aufgefallen. Erst in diesem Jahr wurde er zum Präsidenten Nigerias gewählt und hat sofort ein Regime aus ökonomischen Reformen durchgeführt, die vom US-gesteuerten Internationalen Währungsfonds (IWF) unterstützt wurden.
Tinubu hat, wie viele afrikanische Staatschefs, in den USA studiert und verfügt über einen Abschluss in Wirtschaft der Universität von Chicago. In den darauffolgenden Jahren war er bei einer Reihe internationaler Konzerne tätig, darunter Nigeria Oil und die Beratungsfirmen Deloitte und GTE, die zu dieser Zeit die größten US-amerikanischen Beratungsfirmen waren. Auch wurden während seiner Zeit als Drogenschmuggler und Geldwäscher von Konten, die auf seinen Namen laufen, immer wieder große Geldbeträge an US-amerikanische Politiker überwiesen. Es gibt zudem Berichte, die eine Zusammenarbeit Tinubus mit dem US-amerikanischen Geheimdienst nahelegen.
Das System dieser Abhängigkeit und der Kontrolle der Staaten mittels Währung, Gold und politischer Institutionen ist für einen großen Teil der Bevölkerung von verheerendem Nachteil. Frankreich und die EU profitieren von den günstigen Bodenschätzen, beispielsweise von Uran und Gold im Niger, die in der Regel von Kinderarbeitern ausgegraben werden, mit den entsprechenden Folgen für deren Gesundheit und Leben. Der Altersmedian der Bevölkerung liegt gerade einmal bei 15,2 Jahren, was nicht allein auf die hohe Fertilitätsrate zurückzuführen ist, sondern auch auf das frühe Sterben der Kinderarbeiter, die ohne Arbeitsschutz mit radioaktivem Uran hantieren oder mit anderen giftigen Chemikalien, um Erze aus Fels zu lösen. Auch die unsachgemäße Lagerung des giftigen Abraums unter freiem Himmel führt zu Krankheiten und einem frühen Tod.
Das Land wird auf diese Weise auch in extremer Armut gehalten. Die Bevölkerung profitiert überhaupt nicht von dem Ressourcenreichtum des Landes, da dieser von dem französischen Staatskonzern Orano (ehemals Areva), der sich Mehrheitsbeteiligungen an großen Uranerzminen gesichert hat, abgebaut und verkauft wird, während die Arbeiter für einen Hungerlohn ihr Leben riskieren müssen.
Frankreich ist von diesem Uran abhängig, das etwa 32 Prozent seiner Uranversorgung stellt, wobei Frankreich 80 Prozent seines Stroms aus Atomreaktoren erhält. Vom Verkauf dieses Urans an Frankreich hat die örtliche Bevölkerung jedoch nichts. So resümierte Oxfam 2013: „In Frankreich wird jede dritte Glühbirne dank nigrischen Urans zum Leuchten gebracht. In Niger haben fast 90 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zu Strom. Diese Situation kann nicht so bleiben.“
Ein Grund für den Putsch
Das sah offenbar auch das Militär so – und setzte daher den Präsidenten Mohamed Bazoum, der als westlich-orientiert galt, ab. Die Putschregierung unter General Abdourahamane „Omar“ Tchiani, der dem neu gegründeten „Nationalen Rat für den Schutz des Vaterlandes“ vorsteht, sah das Land auf einem schlechten Weg; abhängig vom Westen, ausgebeutet und jeder Souveränität beraubt. Martin Sonneborn, Abgeordneter der PARTEI in der EU, fasste es so zusammen: „In Niger geht es auch darum, dass die Afrikaner dem Rohstoffraub und der Übervorteilung durch mafiöse Handelsverträge mit dem Westen ein Ende setzen wollen.“ Das Fass zum Überlaufen gebracht haben dürfte, dass der ehemalige Präsident Bazoum keinerlei Delegation zum Russland-Afrika-Gipfel nach Sankt Petersburg geschickt hatte. Bezeichnenderweise fand der Putsch nämlich zeitgleich mit diesem Gipfel statt, auf dem Russland seine Kooperation mit Afrika auf neue Füße stellte. Und die Einmischung Russlands ist auch ein Aspekt des massiven Widerstandes gegen den Putsch in Niger.
Die US-amerikanische Politikerin Victoria Nuland ist eilends nach Niger gereist, um mit den Putschisten zu verhandeln. Hinterher erklärte sie, dass sie der Militärjunta Angebote unterbreitet habe, welche die Möglichkeit eröffneten, von dem Putsch zurückzutreten; sie musste aber resümieren, dass sie nicht den Eindruck habe, dass sie gehört worden wäre. Also drohte sie kurzerhand ein militärisches Eingreifen an. Der Putsch, so sagte sie, entspreche nicht der Verfassung Nigers, weshalb er nicht legitim sei. Verlogenheit ist der gewöhnliche Umgang des Westens, insbesondere der USA, mit dem Rest der Welt. Denn immerhin unterstützt Victoria Nuland schon seit über 30 Jahren Putsche und Kriege in aller Welt. Der Unterschied ist, dass der Putsch im Niger den Interessen der USA widerspricht.
Denn Niger ist nicht nur ein Land mit reichen Vorkommen an Uran und Gold, sondern beherbergt auch eine US-amerikanische Militärbasis, die größte in der Region. Von dieser aus wird ein Drohnenkrieg in vielen Ländern Afrikas gesteuert. Doch das größte Problem stellt für die USA wohl die Orientierung hin zu Russland dar. Daher warnte die US-Regierung die Putschisten offen vor einem solchen Bündnis. Die Putschisten im Niger haben zuvor ganz offen die Wagner-Gruppe um Unterstützung gebeten. Nur wenig später traf eine erste Einheit der Söldner in dem Land ein, um die Hauptstadt Niamey zu schützen.
Die Bevölkerung des Nigers hat große Sympathie für Russland. Bei Demonstrationen, während denen Teile der nigrischen Bevölkerung ihre Unterstützung für den Putsch zur Schau stellten, schwenkten sie russische Fahnen und bezeichneten Russland als Freund. Die französische Botschaft hingegen ging in Flammen auf, und die Menschen sprachen sich eindeutig gegen die französische Militärpräsenz aus. Frankreich und die USA wurden unter anderem als „Nazistaaten“ bezeichnet. Diese wurden von der Putschregierung dann auch hinauskomplimentiert, ebenso wie französische Medien verboten wurden. Dabei erklärte Frankreich jedoch, dass es im Niger präsent und im Einvernehmen mit der „rechtmäßigen“ Regierung bleiben würde. Auch die Forderung der Rebellen an den französischen Botschafter, binnen zwei Tagen das Land zu verlassen, hat Paris zurückgewiesen.
Neben den Rohstoffen ist die EU auch an einer Abwehr von Flüchtlingen interessiert. Denn für westafrikanische Flüchtlinge verläuft die Fluchtroute zumeist durch den Niger. Auch werden über Push-Back-Verfahren Flüchtlinge aus Libyen und dem Nahen Osten nach Niger abgeschoben. Dabei werden die Flüchtlinge in der Regel in der Wüste eingefangen, auf Lkw verladen und an die algerisch-nigrische Grenze verfrachtet, wo sie dann in Richtung des nigrischen Ortes Assamaka getrieben werden, in dem NGOs ein „Auffanglager“ betreiben. Dieses Verfahren ist Teil der europäischen Flüchtlingsabwehr, und Niger ist offizieller Partner der EU in dieser Angelegenheit.
Antiwestliche Umstürze
Niger ist das vierte Land in der Sahelzone, in dem innerhalb von nur zwei Jahren das Militär die Regierung wegputscht. Schon zuvor hatte es in Guinea, Burkina Faso und Mali Militärputsche gegeben. Die Umstürze in diesen Ländern hatten ähnliche Ursachen wie in Niger. So ist auch Mali reich an Rohstoffen und ebenso dem französischen Kolonialismus unterworfen gewesen. Seit Jahrzehnten wird es ausgebeutet und hat zudem, wie die ganze Region seit dem Sturz Gaddafis, ein Problem mit extremistischen Terroristen.
Der französische und deutsche Militäreinsatz in diesem Land, der schon seit Jahren stattfindet, wird mit diesem Terrorismus gerechtfertigt. Doch vielmehr steht die Sicherung der Rohstoffe im Vordergrund des Interesses.
Seit Wagner auch in Mali aktiv ist, nimmt die Aktivität der französischen und deutschen Soldaten in dem Land ab. Die malische Regierung verlässt sich lieber auf die russischen Söldner zur Bekämpfung des Terrors als auf die Länder, die diesen Terror überhaupt erst möglich gemacht haben. Nach dem neuesten Putsch verlangte die Regierung zudem den Abzug der französischen und deutschen Soldaten bis Ende 2023. Dieser Rückzug hätte zunächst nach Niger stattfinden sollen, wo die Soldaten der beiden Länder nun aber auch nicht mehr willkommen sind.
Auch der Putsch in Burkina Faso hatte eine antikoloniale Ursache. Denn die Putschisten sehen sich in der Tradition des orthodoxen Marxisten Thomas Sankara, einem Revolutionär, der sich vor 40 Jahren in dem Land an die Macht putschte. Er war ein Militär, sah jedoch das Not und Elend des Landes und strebte an, es aus den neokolonialen Klauen zu lösen. Unter Sankara steigerte das Land, das vor dem Putsch noch Obervolta hieß, binnen weniger Jahre die Alphabetisierungsrate von 13 auf 73 Prozent. Ohne ausländische Hilfsgelder setzte Sankara Infrastrukturprojekte durch und ließ zehn Millionen Bäume pflanzen, um die Wüstenbildung zu stoppen. Feudalherren wurden unter seiner Herrschaft enteignet und das Land den Bauern übergeben. Innerhalb von drei Jahren stieg die Weizenproduktion von 1.700 kg pro Hektar auf 3.800 kg pro Hektar. Nur fünf Jahre blieb er an der Macht, bis er von seinem späteren Nachfolger President Blaise Compaoré mit Unterstützung französischer und US-amerikanischer Geheimdienste ermordet wurde, woraufhin Burkina Faso zu einem der ärmsten Länder der Welt absank, in dem beinahe die Hälfte der Bevölkerung unterhalb der Armutsschwelle lebt.
Der aktuelle Präsident Burkina Fasos, Ibrahim Traoré, sieht sich in der Tradition Sankaras und als antikolonialen Kämpfer. Er hat kurz nach seiner Machtübernahme den Westen offen verdammt, beruft sich unter anderem auf Che Guevara und stellt sich auch auf die Seite von Venezuela und Kuba. In der Bevölkerung ist er überaus beliebt. Auf dem Russland-Afrika-Gipfel sprach er in einer Rede davon, dass Russland der natürliche Verbündete Afrikas sei und sparte nicht mit Kritik an seinen Amtskollegen anderer afrikanischer Länder:
„Unsere Vorgänger haben uns eines gelehrt: Ein Sklave, der nicht in der Lage ist, seine eigene Revolte zu führen, verdient es nicht, bemitleidet zu werden. Wir bemitleiden uns nicht selbst, wir bitten niemanden, uns zu bemitleiden. (…) Das Problem sind die afrikanischen Staatsoberhäupter, die nichts zu den Kämpfen der Menschen beitragen, aber das gleiche Lied wie die Imperialisten singen, uns als Milizen bezeichnen und uns als Menschen bezeichnen, die die Menschenrechte nicht achten. Von welchen Menschenrechten ist die Rede? Wir sind beleidigt, es ist beschämend. Wir afrikanischen Staatschefs müssen aufhören, uns wie Marionetten zu verhalten, die jedes Mal tanzen, wenn die Imperialisten an den Fäden ziehen.“
Traoré hatte sich an die Macht geputscht, neun Monate nachdem sein Vorgänger, Damiba, sich durch einen Putsch an die Macht befördert hatte. Damibas Herrschaft währte nur kurz, da es ihm nicht gelang, die Situation des Landes zu verbessern. So war das Land mit massiven Angriffen von Terroristen konfrontiert, die bis zum Ende von Damibas Herrschaft 40 Prozent des Landes in ihren Besitz gebracht hatten. Daher ergriff Traoré die Macht und ordnete eine allgemeine Mobilmachung an. Er ist explizit antiwestlich ausgerichtet, im Gegensatz zu seinem in Paris ausgebildeten Vorgänger. Traoré ernannte einen panafrikanischen Marxisten, Apollinaire Joachim Kyélem de Tambèla, zu seinem Premierminister, der kurz darauf die Gehälter von Politikern senkte und erklärte, Burkina Faso könne nicht außerhalb des Weges von Thomas Sankara entwickelt werden.
Ähnlich wie in Mali, Niger und Burkina Faso war die Situation in Guinea vor dem Putsch 2021. Bittere Armut beherrschte weite Teile des Landes, während sich eine reiche Elite an den Rohstoffexporten bediente, die dem Westen zugutekamen. Man kann also eine Reihe von antiwestlichen und antikolonialen Bewegungen in Afrika erkennen, sodass die Zeitung Welt feststellen musste, dass Mali, Burkina Faso und Niger offen mit dem Westen gebrochen haben. So hat Mali kurze Zeit nach dem Putsch in Niger den Luftraum für französische Flugzeuge gesperrt.
Instabiler Sahel
Dabei ist, das sollte man hinzufügen, nicht alles eitel Sonnenschein. Große Teile der Sahelzone sind von Krisen und Konflikten geprägt, viele der Staaten sehr fragil. Die Länder beherbergen viele ethnische Gruppen, die teilweise in Konkurrenz zueinander stehen. So war der Präsident Nigers, Mohamed Bazoum, Teil einer arabischen Minderheit. Auch gibt es große Probleme mit radikalislamischen Gruppen wie Boko Haram oder Ablegern von Al Quaida und dem Islamischen Staat, die mit Gewalt um Macht und Einfluss kämpfen. Eine große Volksgruppe stellen auch die Tuareg, bei denen es sich um Nomaden handelt, die nach dem Sturz Gaddafis aus Libyen vertrieben wurden, da sie Gaddafi unterstützt hatten. Ihre Weideflächen nehmen schon seit Jahren ab, und das nicht allein aufgrund von Vertreibung, westlich gelenkter Plantagen oder Bergbau, sondern auch aufgrund der Ausdehnung der Sahara, die sich immer weiter nach Süden ausbreitet, in jedem Jahr um circa 20 Kilometer.
Die multiethnische Zusammensetzung der Länder ist Teil der kolonialen Teile-und-Herrsche-Strategie. Ohne jede Rücksicht auf die Ethnien wurden die Landesgrenzen in Afrika gezogen und damit unterschiedliche Volksgruppen zusammengefasst, andere auf unterschiedliche Länder verteilt, indem die Grenze durch ihre Gebiete gezogen wurde.
Auf diese Weise gibt es immer kulturelle Spannungen, die auch bewusst geschürt werden können. So sichern sich die Kolonialstaaten die Herrschaft, indem sie Volksstämme gegeneinander ausspielen.
Mali, Niger und Burkina Faso sind Binnenstaaten, die keinen Zugang zum Meer haben. Dabei bestehen Mali und Niger zu großen Teilen aus Wüste. Beides stellt für diese Länder eine schlechte Ausgangsposition dar, zumal die Ausdehnung der Wüste Menschen zur Migration in den Süden der Länder zwingt. Ethnische Konflikte sind vorprogrammiert, die mitunter auch zu Gewalt führen können. Es ist also durchaus möglich, dass es hier noch zu Kriegen kommt, und das ganz ohne Eingreifen des Westens oder der ECOWAS. Doch auch wenn solche Konflikte propagandistisch vom Westen ausgenutzt werden, so sind sie doch nicht der eigentliche Grund für die Opposition der EU, Frankreichs und der USA. Diese erleben einen sich beschleunigenden Machtverlust in Afrika, das sich mit russischer und chinesischer Hilfe aus den westlichen Klauen befreit.
Nicht nur der Russland-Afrika-Gipfel ist ein Zeichen dafür. Beinahe jeder afrikanische Staat hat eine Delegation nach Sankt Petersburg entsandt, während nur 4 von 55 afrikanischen Staatschefs sich mit Wolodymyr Selenskyj getroffen haben.
Das zeigt deutlich die Orientierung Afrikas nach Russland und sendet auch eine klare Botschaft an die EU und USA. Russland hat zudem den ärmsten afrikanischen Ländern, darunter Mali und Burkina Faso, kostenlose Weizenlieferungen zugesagt und steht damit im Gegensatz zur westlichen „Entwicklungshilfe“, die für Hilfslieferungen stets Gegenleistungen erwartet. Westliche Entwicklungshilfe ist ohnedies in der Regel Außenwirtschaftsförderung, die westlichen Konzernen zugutekommt. Russland und China gehen dabei ganz anders vor, was sie in Afrika zu bevorzugten Partnern macht. Der Verteidigungsminister der Zentralafrikanischen Republik, Claude Biro, brachte es auf dem Punkt, indem er auf dem internationalen militärtechnischen Forum „Army-2023“ in Russland erklärte, dass Russland die unabhängige Entwicklung der einzelnen Staaten in Afrika fördere, weshalb die Zentralafrikanische Republik die Unterstützung Russlands schätze.
Auch die an sämtliche afrikanische Staatschefs ausgesprochene Einladung, am letzten Tag des Treffens der BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika Ende August in Südafrika teilzunehmen, sowie die Bewerbung für eine Aufnahme afrikanischer Staaten, wie sie Algerien bereits eingereicht hat, zeigen, dass der Westen seine Macht in dieser Region verliert. Das erklärt auch die hysterischen Reaktionen, die nicht darauf abzielen, Konflikte diplomatisch beizulegen und zu verhandeln, sondern die Putschisten abzustrafen. Sanktionen und die Drohung, militärisch einzugreifen, zeigen deutlich diese Angst des Westens vor dem eigenen Machtverlust, der zur Not mit Gewalt gestoppt werden soll. Mit dem Putsch ist eine weitere Etappe des Endes der westlichen Vorherrschaft eingeleitet worden, welche den Machtverlust des Westens in der Welt, vor allem aber in Afrika, beschleunigt.
So ist die letzte Option des Westens ein offener Krieg gegen die Putschisten in Niger, und mittelbar auch gegen Burkina Faso, Mali und Guinea. Indes, immer mehr afrikanische Staaten lehnen einen Krieg offen ab. Das zeigt sich symptomatisch in Nigeria, das als Frontstaat den Krieg führen soll. Der Senat hat einen Militäreinsatz abgelehnt. Der Präsident ist allerdings auf die Unterstützung des Senats angewiesen, wenn er einen Krieg beginnen will. Ein Krieg könnte in dieser Region zu einer verheerenden Kettenreaktion führen. Seit Gaddafi in Libyen gestürzt wurde, hat der gesamte Sahel mit terroristischen Aufständen und Destabilisierung zu kämpfen. Flucht und Vertreibung sind an der Tagesordnung und haben Hunderttausende von Flüchtlingen hervorgebracht, die auf dem Weg nach Europa nur über dreckige Deals mit den örtlichen Machthabern zurückgehalten werden. Ein größerer Krieg im Sahel bringt also nicht nur neuen Terror, neue Vertreibung und mehr Leid hervor, sondern könnte auch Flüchtlingsströme ungeahnten Ausmaßes nach Europa entfesseln, sobald die örtlichen Machthaber nicht mehr willens oder in der Lage sind, diese aufzuhalten.
Bei dem Putsch in Niger handelt es sich um mehr als eine weitere Machtergreifung einer korrupten Militärregierung in einem unbedeutenden afrikanischen Land. Es ist ein Nebenkriegsschauplatz der Konfrontation zwischen der NATO einerseits und Russland und China andererseits, die um die Vorherrschaft in der Welt ringen.
Das US-dominierte, unipolare System ist spätestens mit dem Krieg in der Ukraine ins Wanken geraten, da immer mehr Länder Afrikas und Asiens sich dem westlichen Kurs verweigern, sich stattdessen an Russland und China orientieren und die Gunst der Stunde nutzen, um sich aus der jahrzehntelangen Abhängigkeit zu lösen. Ob die Hinwendung nach Osten diesen Ländern Vorteile bringt und deren soziale und ökonomische Situation verbessert, ist indes noch nicht ausgemacht. Dennoch haben viele afrikanische Länder offenbar die Hoffnung, dass sich mithilfe Russlands und Chinas ihr Blatt zum Positiven wenden könnte.
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