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Aus Jung wird Alt

Aus Jung wird Alt

Das natürliche Verhältnis zwischen den Generationen steht einer vernünftigen Entwicklung in die Zukunft nicht im Wege.

Der erste deutsche Bundeskanzler, Konrad Adenauer, wurde 1949, im Alter von 73 Jahren zum Kanzler gewählt. Adolf Hitler, der deutsche Reichskanzler vor ihm, war 43 Jahre alt, als er 1933 an die Macht kam. Hitler wurde 1945 mit der Eroberung Berlins durch die Sowjetarmee in den Selbstmord getrieben. Viele damalige Nazis und offenbar einige ihrer Enkelkinder haben das den Russen nicht vergessen. Hitler wurde 56 Jahre alt, er war also in seiner verhängnisvollen Regierungszeit sehr viel jünger als Adenauer, der bis zum Alter von 87 Jahren regierte.

Die Tatsache, dass nach dem Nazireich ein Politiker der älteren Generation die Macht übernahm, war ein Glückstreffer für die junge BRD. Adenauer wusste, wie die Geschichte gelaufen war; er hatte wegen seiner politischen Tätigkeit seit dem Ersten Weltkrieg den historischen Überblick über den Untergang der Weimarer Republik, den Aufstieg der Nazis und die verheerende Kriegspolitik Hitlers, mitsamt der Verbrechen, an denen Millionen Deutsche beteiligt waren.

Adenauer ist kein Sonderfall. In Naturvölkern, bei denen es keine Parteien und politischen Karrieren gibt, entscheidet ein Rat der ältesten Frauen und/oder Männer über die Fragen, die alle betreffen, an erster Stelle über Krieg und Frieden und bei den Nomaden über die Richtung, wohin man die Herden treibt. Das ist natürlich und sinnvoll. Diese Rolle der Ältesten wird auch von höheren Säugetieren, zum Beispiel den Elefantenherden, praktiziert.

Die politische Partei — ein Auslaufmodell

In den meisten politischen Parteien funktioniert die Auswahl der Entscheidungsträger anders — wie beispielsweise in der ältesten Partei Deutschlands, der SPD: Man tritt mit 16 bei den Jusos ein. Warum? In der Regel, weil der Vater auch schon SPD-Mitglied war oder ist. Man schaut sich an, was da läuft, wer das Sagen hat und wie die Partei die Jungsozialisten beeinflusst oder umgekehrt. Langsam kann man nach oben steigen und kleine Ämter übernehmen, bis zum Juso-Vorsitz.

Das ist das Sprungbrett für eine steile SPD-Karriere, und etwas weniger reicht auch schon für ein Mandat in den zahlreichen Gremien. Irgendwann, vielleicht mit 35, wird man nach der eigenen Meinung gefragt und kann seine Gedanken äußern. Diese veröffentlichten Meinungen von jungen Politikerinnen und Politikern finden Beachtung in den Medien: neue Gesichter, neue Stimmen, Verjüngung der Partei, Bewegung auf dem Parkett der Politik. Wie beim Militär werden die jungen Kämpfer an die Front geschickt und in die Schlacht geworfen, denn die repräsentative Parteiendemokratie ist ein Kampf um die Macht der Parteiführer.

Freiheit und Konflikte ohne Ideologie

Der Autor hier ist ein „alter weißer Mann“ und seit 1968 einer von den Rebellen, die bis heute rebellisch geblieben sind. Dazu ein paar Fakten aus meinem Leben: Im Alter von neun Jahren bin ich vom katholischen Glauben abgefallen und habe mich nie wieder einer Religion oder Ideologie angeschlossen, mich immer mehr der Realität zugewandt und deshalb Physik studiert, bis zum Diplom. Dann wurde ich aber nicht Physiker, sondern erst wissenschaftlicher Journalist beim WDR-Fernsehen, und nach meinem Rauswurf dort wurde ich selbstständiger Medienkaufmann. Mehr braucht man nicht zu wissen, um meinen Standpunkt und diesen Essay einzuordnen.

Jeder, ob alt, ob jung, sollte von der Position aus urteilen, wo er steht. Und für alle, die Orientierung suchen, gilt der Satz: Reality rules — die Realität entscheidet. Was Realität ist, lässt sich jedoch nicht immer so einfach definieren, weil wir neben der direkten Erfahrung die Welt überwiegend über Medien wahrnehmen.

Es beginnt mit der Sprache, dem ersten Medium, das Menschen entwickelt haben. Die Sprache enthält Nachrichten und Anweisungen oder Befehle.

Alle Nachrichten können Lüge sein, und alle Befehle können in die Irre leiten.

Kinder und Jugendliche empfangen Nachrichten und Anweisungen meist von einer vorhergehenden Generation, Eltern, Lehrern, Priestern, Stimmen aus dem Rundfunk und sprechenden Köpfen im Fernsehen. Da entstehen Konflikte. Die Jugend darf nicht einfach glauben, was man ihr erzählt, und sie sollte nicht ohne kritisches Nachdenken das tun, was man den Jungen vorschreibt oder nahelegt. Zu viel Gehorsam und Gutgläubigkeit führen ins Unglück.

Wer zwanzig oder dreißig Jahre älter ist und mehr vom Leben weiß, hat dagegen die Verantwortung, nach bestem Wissen der Jugend die Wahrheit zu sagen, egal in welcher Position man ist. Und wenn jemand Verantwortung hat für und über Kinder, Schüler, Studenten oder Anhänger der gleichen Religion, Partei oder Mitglieder einer Organisation, dann soll man nichts befehlen oder vorschreiben, was den jüngeren Leuten schaden könnte.

Auch hier gibt es naturgemäß viele Konflikte, die offen und ergebnisoffen geklärt werden müssen. Das alles ändert sich nicht, wenn Medien im Spiel sind. Es wird nur komplizierter.

Medien, Technik und Kommerz

Wer nicht der Religion folgt, sollte auch nicht dem Fernsehen folgen, denn das ist die Kanzel und die Kirche des halben Jahrhunderts von 1950 bis 2000. Danach kam das Internet — und das war eine Medienrevolution, wie es sie nur alle paar Hundert Jahre gibt, vergleichbar mit der Revolution und Reformation durch gedruckte Schriften, durch die Etablierung des Buchdrucks. Das Internet hat in Verbindung mit der Digitaltechnik die Möglichkeiten zur Nachrichtenübertragung und -bearbeitung vertausendfacht, und ein Ende ist nicht in Sicht.

Viele sehen in der Digitaltechnik die Bruchstelle zwischen der älteren beziehungsweise viel älteren und der jüngeren Generation. Das ist im statistischen Mittel vielleicht richtig, aber oberflächlich. Es kommt bei jeder kulturellen Entwicklung und Meinungsbildung auf Einzelpersonen an.

Die Unterschiede zwischen Jung und Alt sind nicht entscheidend. Die Generationen unterscheiden sich nicht in der Kompetenz, sondern überwiegend in der Nutzung des Internets, also beim alltäglichen Gebrauch und bei der Bewertung der Informationen und Handlungsanweisungen, die über das Netz und ganz besonders über das Smartphone auf die User einstürmen.

Das interaktive Medium für Demokratie und Profit

Die Leute, die das Netz erfunden und aufgebaut haben, sind heute über 70 Jahre alt, oder sie wären es, wenn sie noch lebten. Steve Jobs starb 2011 im Alter von 56 Jahren; ähnlich erging es einem Freund von mir, der mich in die Computerwelt und ins WWW einführte, er war für Deutschland ein Pionier. So hatte ich Mitte der 1990er-Jahre schon eine eigene, selbst gestaltete Webseite, war aber als Neuling schon über 50.

Die Pioniere hatten eine Vision: ein unzerstörbares Kommunikationsnetz, an dem sich jeder beteiligen kann, weil es interaktiv ist und fast nichts kostet. Das heißt, jeder kann nicht nur Nachrichten empfangen, sondern auch senden, sodass jeder andere, auf der ganzen Welt, sie lesen und beantworten kann — oder auch nicht. Wir glaubten damals, das sei der Anfang der Gleichberechtigung und innovativen Demokratie. Und im Prinzip ist das auch richtig, aber es kam etwas dazwischen: die totale Kommerzialisierung.

Alle großen Plattformen und Kontaktmaschinen dienen an erster Stelle dem Gelderwerb der Besitzer. Ich will das hier nicht weiter ausführen; wer es nicht glaubt, soll sich an anderer Stelle schlaumachen, jedoch nicht bei denen, die den Kommerz im Netz betreiben.

Die jungen Menschen, die weltweit mit dem Smartphone in der Hand und dem Mikrolautsprecher am Ohr durch das Leben tapsen, sollten wissen, dass das oberste Ziel der Impulse, die sie bekommen, das Geldverdienen der Betreiber ist, nicht das Verbreiten von wertvollen Informationen und nicht das Verbessern von Lebensqualität, auch nicht die Steuerung durch persönliche Schwierigkeiten.

Es gibt viele nützliche Hilfsmittel und Ratschläge, oft von anderen Usern, aber an erster Stelle wird Aufmerksamkeit erregt, an zweiter Stelle wird Zeit gestohlen, an dritter Stelle werden Reaktionen in Form von Klicks verursacht — und das alles geschieht immer zugunsten der Betreiber und Besitzer der Kontaktmaschinen.

Das krasseste Ergebnis ist dann Realitätsverlust. Das aber ist eine Begleiterscheinung jeder Medienüberflutung. Es gibt so etwas auch auch bei Literatur, Film, Fernsehen und bei der Seelenmassage durch Religionen und Ideologie. Der berühmte Roman „Don Quijote“, 1605 veröffentlicht, beschreibt parodistisch das Ergebnis der Medienüberflutung des Helden durch Ritterromane.

Medienüberflutung ist also nichts Neues im 21. Jahrhundert, doch noch nie waren Medien so leicht zugänglich, so präsent, so intensiv genutzt, und noch nie wurden sie in solchem Überfluss angeboten. Dadurch wirken sie irritierend, und im Verhältnis zur Aufmerksamkeit, die sie erregen, und zum Zeitaufwand der User werden sie unergiebig.

Zeit ist Leben, die Zukunft beginnt sofort

Die Zeit, also jede Sekunde, ist für die User ein ganz konkreter Teil ihres Lebens. Mit jeder Sekunde Aufmerksamkeit auf den Screen wird das eigene Leben um eine andere Möglichkeit verkürzt, die Realität rückt etwas weiter weg und wird oft in die Zukunft projiziert. Für die Anbieter im Netz gilt aber das Umgekehrte: Zeit ist Geld, und jeder Blick und jeder Klick bringt ihnen Gewinn.

Das demokratiefördernde Kontaktmedium im Internet, das die Hoffnungen der Pioniere erfüllt, existiert immer noch nicht. Die Technik dazu ist vorhanden. Es fehlt nur eine demokratisch legitimierte Institution, die es betreibt. Das könnte eine öffentlich-rechtliche Organisation sein, wie idealerweise der Rundfunk es sein sollte. Mit einem Prozent des Geldes, das ARD und ZDF verschlingen — das wären satte 100 Millionen pro Jahr —, könnte man ein Meinungsmedium für alle einrichten und werbefrei betreiben, man muss es nur wollen. Das ist die gute Nachricht.

Die unangenehme Nachricht ist folgende: Es funktioniert nur, wenn anonyme Teilnahme nicht möglich ist und die Teilnahme von Organisationen ausgeschlossen wird. Jeder kann mit jedem kommunizieren, aber jeder weiß auch, wer der andere ist, und alle Teilnehmer sind natürliche Personen. Niemand kann sich verleugnen, niemand hat mehrere Identitäten, und niemand wird reich dabei.

Neben dem Privatbesitz, der rein gewinnorientiert ist, hat die Anonymität den stärksten negativen Einfluss auf die Möglichkeiten zur Verständigung im Internet. Auch das möchte ich hier nicht weiter ausführen, die Auswüchse anonymer Postings sind bekannt. Die öffentlich geäußerte Meinung von konkreten Personen darf nicht anonym bleiben, denn es soll ein politisches Medium werden.

Politik und Anonymität schließen einander aus. Nur Wahlen und Abstimmungen erfolgen anonym, weil jeder dabei sein soll. Es soll aber niemand gezwungen werden, sich in diesem Meinungsforum öffentlich zu präsentieren. So entsteht eine Plattform für Politik und Demokratie, welche über das Modell der politischen Partei weit hinausgeht. Es wäre ein Entwicklungssprung um 150 Jahre, der längst überfällig ist.

Wenn ein Projekt dieser Art von jungen Menschen angegangen wird, hat es langfristig Erfolg. Die Realisierung stößt sicher auf Schwierigkeiten, denn alle politischen Parteien sind dagegen — nicht weil sie von alten Frauen und Männern beherrscht werden, sondern weil sie kommunikationstechnisch aus der Zeit gefallen sind. Das Modell der politischen Partei ist älter als der Individualverkehr mit Verbrennungsmotor. Die Zukunft der Kommunikation im Netz liegt nicht in der immer weiteren Steigerung von Umsatz und Gewinn, sondern in der demokratischen Nutzung der vorhandenen Möglichkeiten.


Redaktionelle Anmerkung: Rob Kenius veröffentlicht seit Oktober 2024 den Podcast „9 min Denksport“, Folgen 1 bis 12 über die Finanzmacht, auf spotify und auf seiner Webseite kritlit.de kostenlos.


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