Die Frage lag mir auf der Zunge, noch ehe ich das erste Wort mit der pensionierten Lehrerin gewechselt hatte, die mir neulich bei einer Veranstaltung gegenübersaß. Sport und Mathematik hatte sie jahrelang an einem bayerischen Gymnasium unterrichtet, noch immer gibt sie dort Tanzunterricht — sonst fand sich niemand.
Sie hat schon immer viel gearbeitet. Ein Wochenpensum von 50 Stunden in ruhigen Zeiten, ständige Fort- und Weiterbildungen, zunehmende Schulbürokratie, stetige Unterrichtsvor- und -nachbereitung, Korrekturen. Sie hat vieles miterlebt: die G8-Reformen, Inklusionsversuche mit eingeschränkten Schülern, die Flüchtlingskrise ab 2015. Aber sie will es nicht anders, denn sie liebt ihren Beruf. Sie lebt für ihn, er hält sie jung. Ich stelle ihr also die Frage, die ich jeder Lehrkraft mit einigen Jahrzehnten Berufserfahrung stelle: Ist das schulische Bildungsniveau im Laufe deiner Karriere eher gestiegen oder gesunken?
Die Antwort fällt immer gleich aus: gesunken, und zwar enorm.
Der Istzustand
Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Von unsinnigen Bildungsinitiativen über immer „schlankere“ Lehrpläne bis zu einer altbackenen Lehrerausbildung finden sich einige Erklärungen, die auf schlechte Steuerungspolitik zurückgehen und in diesem Sinne „systemimmanent“ sind. Aber auch außerhalb des Klassenzimmers liegen Gründe für den Bildungsverfall vor, die eigentlich von den Eltern abgefangen werden sollten. Dazu zählt eine erheblich verkürzte Aufmerksamkeitsspanne durch unkontrollierten Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen oder der Umstand, dass bereits 2018 nur noch die Hälfte der deutschen Haushalte neue Bücher kaufte.
Und gerade die heimische Bibliothek kristallisiert sich in sozialwissenschaftlichen Studien immer wieder als zentraler Faktor für die Lesebereitschaft und Lesefähigkeit von Kindern heraus, auf der alle weiteren schulischen Bildungsziele aufbauen. So wird die Herkunft des Kindes, der sozioökonomische Status des Elternhauses, in Deutschland immer wichtiger für den Bildungserfolg.
Bis auf fremdsprachlichen Unterricht — der vom Handy in der Hosentasche jedes Schülers enorm profitiert — sind die vergangenen drei Jahrzehnte von einem massiven Bildungsverfall gekennzeichnet. So fällt beispielsweise das heutige Mathematik-Abitur leichter aus als die deutschen Realschulabschlussprüfungen der 1970er Jahre — im Vergleich zu indischen Examen sind die aktuellen deutschen Abiture ein Witz. Laut der IGLU-Studie (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) von 2021 verfügen 25 Prozent der deutschen Viertklässler nicht über die nötigen Fähigkeiten, um Texte in einfachster Sprache sinnhaft zu durchdringen. Mit anderen Worten: Jeder vierte Grundschüler kann nicht mehr richtig lesen. Das zieht sich durch nahezu alle Schulfächer; die Wechselwirkungen sind katastrophal.
Viele Probleme, kaum Lösungen
Dementsprechend wäre zu erwarten, dass es im Wahlkampf ans Eingemachte geht. Gefragt ist eine Bildungspolitik, die sich der aktuellen Probleme ganzheitlich bewusst ist und sie nicht beschönigen, sondern vernünftig lösen will. Drei akute Probleme, die in diesem Sinne politisch den Ton angeben könnten, lauten beispielsweise:
- Es herrscht Lehrermangel. Weil das Kultusministerium partout keine offiziellen Daten erheben will, sind Umfragen etwa des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV) der nächstbeste Indikator. Laut diesen Umfragen geht der Lehrermangel in die Tausende – das deckt sich mit dem Eindruck, der an den meisten Schulen vor Ort aufkommt.
- Eine klassische pädagogische Ausbildung hat enorm an Bedeutung verloren. Der Lehrermangel lädt dazu ein, offene Stellen mit den Erstbesten zu besetzen, die eine fachliche Qualifikation nachweisen können. Die pädagogische Eignung steht dahinter in der Regel zurück. Die Praxis, sogenannte „Quereinsteiger“ einzustellen, ist schon lange kein Notbehelf mehr, sondern Alltag. Auch die Lehrerausbildung müsste in dieser Hinsicht verbessert werden. Wer sich in Erinnerung rufen möchte, welche Bedeutung guter Pädagogik zukommt, der lese diesen Aufsatz (Download) des Hochschullehrers Peter Euler.
- Deutsch ist Amtssprache — aber nicht in den Schulen. Als Nachhilfelehrer für Grundschulkinder mit Migrationshintergrund habe ich selbst erlebt, dass viele nicht ausreichend Deutsch sprechen, um im Unterricht mitzukommen. Ihnen fehlt die Grundlage, um Lesen und Schreiben zu lernen — zusammen mit Rechnen sind das die Kernaufgaben der Grundschule. Ohne verbindliche Sprachvorbereitungskurse verschleppt sich die Ausbildung dieser Grundfertigkeiten oft bis in die weiterführenden Schulen — eine katastrophale Abwärtsspirale, die letztlich alle betrifft.
Diese Probleme werden leider nur peripher in den Wahlprogrammen aufgegriffen. Sicher ist stellenweise vom Lehrermangel die Rede. Frühkindliche Sprachförderung spielt mal eine größere, mal eine kleinere Rolle – je nach parteipolitischer Couleur. Das Wort „Pädagogik“ kommt in den Programmen als Kompositum à la „Sonderpädagogik“ vor, mehr aber auch nicht.
Der eigentliche Skandal ist, dass kaum eine Partei bereit ist, den Bildungsnotstand als solchen zu benennen. Der systemische Charakter vieler Probleme wird ausgeblendet; man arbeitet sich an Trendbegriffen wie „Digitalisierung“, „Inklusion“ oder „politische Bildung“ ab, statt die Grundlagen anzugehen.
Besonders exemplarisch zeigt sich das bei der Digitalisierung. Ich möchte diesen Bildungs-Trend im Folgenden so ausführen, wie es eigentlich für jedes Thema im Wahlkampf angemessen wäre. Das würde jedoch den Rahmen des vorliegenden Artikels sprengen. Deshalb folgt im Anschluss ein kompakter Vergleich der Stärken und Schwächen der einzelnen Bildungsprogramme. Vertreten sind die Positionen von AfD, CSU, Freie Wähler, FDP, SPD, Die Grünen, Die LINKE, dieBasis und ÖDP. Die Quellenangaben in runden Klammern beziehen sich auf die Seite im jeweiligen Parteiprogramm.
Digitalisierung — ein grundlegendes Missverständnis
Unter dem Trendwort „Digitalisierung“ sollte eigentlich die Frage verhandelt werden, welchen Beitrag digitale Hard- und Software zu einer ganzheitlichen, humanistischen Bildung leisten kann. An erster Stelle muss dabei der didaktische Nutzen stehen. Außerdem geht es um Fragen der Schulorganisation und des Kindeswohls. Wie gleich ersichtlich wird, läuft die politische Debatte jedoch völlig an diesen Grundfragen vorbei.
Zunächst sind sich fast alle Parteien einig darin, dass jeder Schüler und Lehrer ein digitales Endgerät braucht. Tech-Giganten wie Apple freut’s, denn die stellen einen Großteil der digitalen Infrastruktur — teils, weil sie dafür direkt bezahlt werden, teils, weil sich Schüler und Lehrer so sehr an den digitalen Kosmos des Herstellers gewöhnen, dass sie ihn auch privat nutzen. Und alle paar Jahre muss eine neue Produktgeneration her. Die Digitalisierung der Bildung ist ein Milliardengeschäft. Wie bei jedem Geschäft geht es primär um Profitinteressen — ob die Bildung ebenfalls profitiert, ist aus Sicht der Unternehmen zweitrangig.
Diese milliardenschwere Umstellung zeigt bereits: Digitalisierung wird in Deutschland grundlegend missverstanden. Der gängige Ansatz lautet, das bisherige Schulsystem — mit all seinen analogen Inhalten, analogen Materialien, analogen Lehrern — einfach zu digitalisieren. Texte sollen jetzt auf dem Tablet gelesen und bearbeitet werden, Informationsrecherchen online stattfinden, Lernprogramme den Kontakt mit der pädagogischen Bezugsperson ersetzen. Dieser Ansatz ist weder klug noch zeitgemäß.
Viel entscheidender wäre es, Fächer wie Informatik zu einem eigenen Zweig auszuweiten, der an jeder Schule gewählt werden kann. Eine frühere Spezialisierung auf dem Zukunftsfeld IT käme Schülerinteressen ebenso entgegen wie denen der Wirtschaft. Denn gerade auf diesem Feld hinkt Deutschland meilenweit hinterher: Ingenieure und Programmierer kommen zunehmend aus dem Ausland nach Deutschland oder arbeiten vom Ausland aus für deutsche Unternehmen, was wiederum bedeutet, dass ihre Steuern und Ausgaben nichts zur hiesigen Wirtschaft beitragen.
Das liegt keineswegs daran, dass ausländische IT-Kräfte durchweg billiger wären, sondern an der grottenschlechten deutschen Vorbereitung in diesem Bereich. Es wäre durchaus in unserem Interesse, digitale Medien besonders in Form eines berufsvorbereitenden Schulzweigs zu etablieren. Der momentane Ansatz ist stattdessen, jedes Schulfach über denselben digitalen Kamm zu scheren.
Und somit fällt einiges unter den Tisch. Schüler fordern immer wieder selbst, dass man ihnen Programme wie Microsoft Word näherbringt oder sie lehrt, wie man eine sinnvolle Ordnerstruktur aufbaut. Fähigkeiten eben, die im Studium oder in der Arbeitswelt gefragt und nützlich sind. Doch all diese Themen spielen im Wahlkampf keine Rolle.
Keine der digitalisierungsfreudigen Parteien kann erstens erläutern, was sie konkret unter Digitalisierung versteht und zweitens, aus welchen Gründen sie Schule machen muss. Digitale Medien treten in den Wahlprogrammen fast immer als Selbstzweck auf.
Die FDP etwa will „das ganze Schulsystem von Grund auf digital (…) denken“ (17) — mit Medienkompetenzförderung bereits in der KiTa (13). Die Ansprüche an Grundschulkinder muten geradezu aberwitzig an: „ein Verständnis für die Funktionsweise von Algorithmen, Desinformation, Deepfakes, der Manipulation von Statistiken, kognitiven Verzerrungen, Propaganda und Werbung“ (23). Das alles in einer Schulform, die vorrangig die Grundfähigkeiten Lesen, Schreiben, Rechnen vermitteln soll. Eine didaktische Begründung für diesen Sermon bleibt die FDP schuldig. Ganz im Sinne ihres ironiefreien Spruchs zur Bundestagswahl 2021: „Digitalisierung first, Bedenken second“.
Auch die Freien Wähler halten „digitale Bildung von der Grundschule bis ins Studium“ für nötig (29). Tatsächlich ist auffällig, wie häufig dieses Thema im Wahlprogramm zur Sprache kommt, ohne näher erläutert zu werden. Schon im Vorwort ist von der Digitalisierung der Schulen die Rede (5). Zwei weitere Erwähnungen folgen im bildungspolitischen Teil, der außerdem durch das Kapitel „Digitale Bildung etablieren“ ergänzt wird. Damit ist das Thema am prominentesten vertreten. Ausgerechnet jene Partei, die im Vorwort Ideologiefreiheit propagiert (4), sitzt in der Bildungspolitik der Digitalisierungsideologie auf. Als einzige Begründung fungiert der Satz: „Digitalisierung führt uns in die Zukunft, erleichtert Prozesse und verbindet Menschen“ (30). Eine Parole, eine Pauschalisierung und eine Falschaussage – das didaktische Feigenblatt der Freien Wähler.
Die SPD will „die Digitalisierung der Schulen vorantreiben“ (17) und digitale Kompetenzen „bereits früh“ vermittelt sehen (41); die CSU fordert schlicht „mehr Digitalisierung“ (12). Weiter ausgeführt wird das nicht.
Digitale Risiken
Während der didaktische Nutzen digitaler Medien in der Breite noch lange nicht erwiesen ist, sind ihre Risiken in der Forschung längst bekannt. Eine lesenswerte Stellungnahme des schwedischen Karolinska-Instituts fasste kürzlich einige Bedenken zusammen. So nimmt beispielsweise die Erinnerung an das Gelesene am Bildschirm um mehr als dreißig Prozent ab, verglichen mit der Leseleistung auf Papier. Das hat spürbare Auswirkungen auf jede Art von schulischer Textarbeit.
Doch die Risiken der Digitalisierung reichen viel weiter. In seiner Stellungnahme zitiert das Karolinska-Institut einige Studien, die verheerende Zusammenhänge zwischen der Bildschirmzeit und der körperlichen sowie psychischen Gesundheit nachweisen. Dazu gehören „Fettleibigkeit, Kurzsichtigkeit, schlechtere motorische Fähigkeiten“ einerseits und „Depressionen, Angstzustände, Konzentrationsprobleme, geringes Selbstwertgefühl, Essstörungen, Schlafprobleme“ andererseits. Während der medizinisch unwirksamen Corona-Lockdowns, die mit digitalem Distanzunterricht einhergingen, stieg auch die offiziell gemessene Depressionsrate unter Jugendlichen um 75 Prozent an. Dies ist nur die Spitze des Eisbergs.
Bereits jetzt verbringen Jugendliche ab 12 Jahren durchschnittlich vier Stunden pro Tag online, also vor einem Bildschirm. Die Dunkelziffer ist höher. Schon ab zwei Stunden Bildschirmzeit nehmen psychische Probleme statistisch signifikant zu. Die Schulzeit ist hierbei nicht eingerechnet. Wer die Volldigitalisierung der Schulen herbeisehnt, verdoppelt diese Datensätze.
Außerdem ist zu bedenken: Egal, wann die Digitalisierung in den Schulen einsetzt — im Elternhaus setzt sie meist früher ein. Schon während der Grundschulzeit erhalten rund 20 Prozent der deutschen Kinder ein Smartphone, ab dem 10. Lebensjahr sind es fast 90 Prozent. Diese Kinder betrachten Smartphones und Tablets in erster Linie als Entertainment-Maschinen. Als solche werden sie nämlich zu Hause genutzt.
Jeder Schüler, der am Tablet arbeiten soll, kämpft gegen einen jahrelang gefestigten Gewöhnungseffekt an. „Das Medium ist die Message“; die Message der digitalen Medien lautet: Zerstreuung. Die Unterrichtsqualität leidet massiv darunter.
Als Faustregel aus der Forschung gilt, dass digitale Medien dann zweckmäßig sind, wenn sie ergänzend zu analogen Materialien eingesetzt werden — oder eben, weil sie in IT-Fächern die Arbeitsgrundlage bilden. Sobald analoge Arbeitsmethoden allerdings flächendeckend durch digitale verdrängt werden, gehen die Probleme los. Kaum zu glauben, doch die Kreidetafel hat entscheidende Vorteile gegenüber dem Smartboard.
Sinnvolle Digitalisierung heißt, digitale Medien als Werkzeuge zu begreifen, die vom Nutzer kontrolliert werden statt andersherum. Digitalisierung ist kein Allgemeinrezept für gute Bildung, sondern eine Support-Technologie für bestimmte Anwendungsfälle. Dazu gehört auch, dass digitale Arbeitsmethoden in der Breite erst dann zur Regel werden sollten, wenn die Schüler alt genug sind, um sie verantwortungsbewusst zu nutzen. Das bedeutet im Schnitt: nach der Pubertät.
Wer Digitalisierung „ab der Grundschule“ fordert, wie CSU, Freie Wähler, SPD und FDP es tun, nimmt die oben genannten Gesundheitsrisiken willentlich in Kauf. Nur dieBasis (8) und die ÖDP (37) sprechen sich deutlich gegen die willkürliche Digitalisierung der Schulen aus. Erstere schreibt unter der Überschrift „Digitalisierung begrenzen“ (8):
„Der Nutzungsgrad von IT und Bildschirmzeit soll sich nach modernen Erkenntnissen der Psychologie und Neurologie richten. Vor allem muss die gesunde Entwicklung unserer Kinder im Vordergrund stehen. Das bedeutet auch, dass eine Entdigitalisierung – wo förderlich – notwendig sein kann. Die Vorteile und Gefahren von digitalen Medien müssen in diesem Zusammenhang gerade jungen Menschen frühzeitig vermittelt werden. Wir wollen daher die Medienkompetenz (…) ab der Oberstufe stärken, auch bezüglich Datenschutz und Gefahren von sozialen Medien.“
Die ÖDP führt aus (37):
„‚Herz und Verstand‘ auszubilden, ist die wichtigste Aufgabe der Schulen, wie es wortwörtlich in der bayerischen Verfassung steht. Der verfrühte oder übermäßige Einsatz digitaler Medien, wie er neuerdings propagiert wird, lenkt genau davon ab und stört die Entwicklung anstatt sie zu fördern. Die Kinder brauchen motorische und sinnliche Erfahrung und Teamarbeit mit echten Menschen, nicht mit Computern.“
Die ÖDP fordert außerdem „ein verstärktes Gewicht auf lebenspraktische Fächer“ (37), keine Smartphones im Unterricht, „in höheren Jahrgangsstufen einen wohldosierten Einsatz“ und generell einen „kritischen Umgang mit Informationen und Medien“ (38). ÖDP und dieBasis sind somit einzigen bayerischen Parteien, die ihre Position zur Digitalisierung überhaupt begründen.
An diesem Beispiel mag deutlich werden, dass ein Großteil der Parteien nicht in der Lage ist, politische Trendfragen wie die Digitalisierung vernünftig abzuhandeln. Stattdessen füllen Parolen und Phrasen die Programme. Ein allgemeiner Parteienvergleich verrät dennoch einiges über die unterschiedlichen Schwerpunkte.
Parteienvergleich
AfD
Die AfD konstatiert zunächst einen „Niedergang des Bildungssystems“ (78). Vor diesem Hintergrund möchte sie eine „gute Allgemeinbildung für alle“ (79). „Dabei ist auch der der Einsatz von modernen Technologien sinnvoll, darf aber nicht zum Selbstzweck werden“ (79). Die Mittelschulen (Hauptschulen) sollen „wieder ertüchtigt werden, die Grundlagen für eine erfolgreiche Ausbildung zu vermitteln“ (80). Der Übertrittsanteil an Gymnasiasten, der in Bayern durchschnittlich bei 41 Prozent liegt, soll verringert werden (80). Den Schwerpunkt der Grundschule sieht die AfD in „gegenständlichem Begreifen und Textverständnis“ (79). Auch alternative Schul- und Lernformen sollen im Bildungssystem künftig als Leistungsnachweis anerkannt werden (80).
Inhaltlich setzt die Partei auf ein „natürliches Heimatgefühl“ und lehnt eine „Frühsexualisierung“ der Kinder ab (78). Außerdem soll jedes Kind schwimmen lernen. Diese Forderung findet sich ebenso bei SPD und CSU; die AfD begründet sie allerdings wie folgt: „Die freiheitseinschränkenden Corona-Maßnahmen haben ihre Spuren hinterlassen – nicht zuletzt durch den Ausfall von Schwimmunterricht an den Schulen“ (79). Die Bundeswehr an Schulen ist für die AfD eine „Selbstverständlichkeit“ (78).
Allerdings fällt auf, dass die AfD in ihrem drei Seiten kurzen Bildungsprogramm jede detaillierte Beschreibung unterlässt, wie sie ihre Forderungen umsetzen möchte. Das Programm ist schlecht strukturiert; vieles bleibt unkonkret oder wiederholt sich. Wie etwa das „natürliche Heimatgefühl“ entstehen soll, wird nicht ausgeführt. Welche alternativen Schulformen in welcher Form anerkannt werden sollen, bleibt fraglich. Zur Förderung des „gegenständlichen Begreifens“ in der Grundschule steht weiter nichts.
Und obwohl vieles getan werden könnte, um den Abschluss der Mittelschulen aufzuwerten, nennt die AfD nicht eine Handlungsoption. Reihenweise finden sich isolierte Sätze wie dieser: „Der schulische Erfolg hängt wesentlich von ausreichenden Deutschkenntnissen ab“ (79) — ohne dass darauf ein Konzept folgt, um diese Sprachkenntnisse sicherzustellen. Andere Programme fallen nicht nur deutlich umfangreicher und stringenter, sondern auch konkreter aus. So bietet die AfD letztlich keine Lösungen für drängende Probleme wie den Lehrermangel oder die Sprachförderung.
Es bleibt in der Breite bei Forderungen und Lippenbekenntnissen. Das Bildungsprogramm der AfD ist „Gefühl pur“ — konkrete Handlungsvorschläge fehlen.
CSU
Die CSU hat mit nur einer Seite das kürzeste Bildungsprogramm. Gute Vorschläge gibt es bezüglich der Sprachförderung: „Wir stehen zum Grundsatz ‚Deutsch vor der Einschulung‘ und zu verbindlichen Sprachfeststellungstests.“ Zudem will die CSU in den Grundschulen „ein besonderes Augenmerk“ auf Lesen, Schreiben und Rechnen legen. Im Einklang mit nahezu allen anderen Parteien steht die CSU dafür, Grundschullehrkräfte von Anfang an nach der Besoldungsstufe A13 zu bezahlen. Bis 2018 sollen 8.000 neue Stellen geschaffen werden (12).
Im Wesentlichen handelt es sich jedoch um „Weiter so“-Rhetorik, die zu großen Teilen aus Rückblicken auf vergangene Erfolge besteht. Ein Beispiel:
„Seit 2021 haben wir so viele Lehrkräfte wie noch nie im bayerischen Schuldienst, nämlich erstmals über 100.000 Lehrkräfte, die beim Freistaat verbeamtet bzw. unbefristet angestellt sind. Wir haben 71.000 digitale Klassenzimmer, 560.000 Laptops und Tablets, schnelles Internet und bauen eine Bayern-Cloud auf“ (12).
Natürlich sind viele dieser Lehrkräfte in Teilzeit beschäftigt, „digitale Klassenzimmer“ werden nicht näher definiert, Laptops und Tablets sind kein Selbstzweck, und „schnelles Internet“ ist an vielen Schulen nicht gegeben. Allerdings lässt sich vieles davon beziffern und deshalb als politischer Erfolg ausgeben. Ganz in diesem Sinne möchte die CSU auch „jedem Kind das Schwimmen beibringen“ (13). Die Ausführungen dazu ergeben den zweitlängsten Absatz im gesamten Bildungsprogramm. Demgegenüber bleiben die Pläne zur Bekämpfung des Lehrermangels vage.
Das Programm der CSU enthält gute Ansätze, bleibt aber insgesamt weit hinter den Anforderungen an ein besseres Bildungssystem zurück. Der Wähler sollte nicht vergessen, dass diese Partei maßgeblich für den momentanen Zustand verantwortlich ist.
Freie Wähler
Auch die Freien Wähler sind in der Regierungsverantwortung und stellen mit Michael Piazolo den Bayerischen Staatsminister für Unterricht und Kultus. Wer ihr Programm liest, gewinnt wohl kaum den Eindruck, dass die Bildung im Argen liegt. Schon die erste Überschrift ist eigentlich euphemistisch: „Schulsystem noch besser machen“ (29). Ähnlich wie bei CSU und AfD finden sich viele Parolen statt grundlegender konzeptioneller Überlegungen.
Anders als diese beiden Parteien fordern die Freien Wähler jedoch Folgendes konkret: „Schulen in zeitgemäßen baulichen Zustand bringen, marode Schulen zügig sanieren, notwendigen Neubau von Schulen vorantreiben“ (29). Außerdem sollen „Grundlagen gesunder Ernährung“ vermittelt werden und auch das schulische Verpflegungsangebot soll, staatlich gefördert, frisch und saisonal ausfallen (29). Es soll Festanstellungen statt Zeitverträge für Lehrer geben — von neuen, heiß begehrten Beamtenstellen ist hingegen nicht die Rede.
Ansonsten verstehen die Freien Wähler unter „Bildung“ vor allem die Vorbereitung auf die Wirtschaft. Lehrer sollen „durch Praktika den Bezug zur Wirtschaft erhalten“, ab der 5. Klasse soll eine „Wirtschaftsschule“ entstehen, Lehrplaninhalte sollen zugunsten „praxisnaher“ Schulfächer gekürzt werden (29). Studien- und Prüfungskonzepte will man „für die Anforderungen des digitalen Arbeitsmarktes optimieren“ (30).
Natürlich ist nichts falsch daran, die ökonomische Bildung auszubauen, beispielsweise hinsichtlich der „Abgabe einer Steuererklärung“ (29). Die Freien Wähler hingegen opfern den Anspruch einer ganzheitlichen, humanistischen Bildung willentlich auf dem Altar der Wirtschaftstauglichkeit. Diese Tendenz der „Bildung zum Humankapital“ (Rita Casale) wurde in der Vergangenheit bereits durch Lobbyorganisationen wie die Bertelsmann Stiftung stark vorangetrieben und ist mitverantwortlich für die derzeitige Bildungsmisere. Der starre Fokus auf digitale Medien, die bereits im Vorwort als Heilsbringer angepriesen werden (5), lässt nichts Gutes ahnen.
Der geneigte Wähler darf fragen, weshalb die eingangs genannten Aspekte trotz Regierungsverantwortung bisher nicht umgesetzt wurden. Der Wert humanistischer Bildung bemisst sich weder an ihrer Wirtschaftstauglichkeit noch am Grad ihrer Digitalisierung.
FDP
Die FDP wird ihrem Ruf als „Beamtenpartei“ zweifellos gerecht, denn sie bietet mit zwölf Seiten das ausführlichste und detaillierteste Bildungsprogramm. Sie greift einige Detailfragen auf, die von Sachkenntnis zeugen und sich in keinem anderen Programm finden: schulische Gestaltungsfreiräume (14), Förderstellen für den Fall eines Umzugs (16), Schulbeginn ab neun Uhr (24) oder die Implementierung von KI-Modellen (17).
Einige Pläne würden die Attraktivität des Lehrerberufs deutlich steigern. So fordert die FDP „für Kinder ab fünf Jahren (…) flächendeckend Deutsch-Vorkurse, die bei Bedarf auch verpflichtend stattfinden“ (13). Sie geht damit einen Schritt weiter als die CSU, die nur „verbindliche Sprachfeststellungstests“ ankündigt. Ein Deutsch-Vorkurs ist im besten Interesse von Kindern mit Migrationshintergrund und entlastet die Grundschullehrkräfte. Sehr zu begrüßen ist zudem diese Forderung (14):
„Wunschschule und Wunschlehrer sollen sich in Zukunft frei finden können. Anstelle einer bayernweiten Lehrerzuteilung nach Examensnote sollen Schulen das zu ihnen passende Lehrpersonal selbst zusammenstellen können. Aus liberaler Sicht sollen direkte Bewerbungen die Regel werden, wie es in anderen Berufen üblich ist.“
Allerdings hat diese „Liberalität“ einen hohen Preis: der gesamte Schulbetrieb würde unter der Ägide der FDP nach harten Wettbewerbskriterien umgestaltet werden. Lehrkräfte müssten „endlich zu leistungsorientierten Konditionen angestellt werden können. Um das zu erreichen, sollen Schulen das Personalbudget einer unbesetzten Beamtenstelle in gleicher Höhe für ein attraktives Angestelltenverhältnis einsetzen können“ (14). „Lehrkräfte sollten nicht auf die Regelbeförderung warten müssen, sondern selbst zu Gestaltern ihres Berufswegs werden“ (25). So fallen die Vorteile der Verbeamtung weg: Regelbeförderung, Unkündbarkeit, private Krankenversicherung, hohe staatliche Pension und diverse steuerliche Vorzüge. Vielsagend ist auch, dass die FDP den „beamtenrechtlichen Rahmen zur leistungsbezogenen Bezahlung weiterentwickeln“, also auch das Beamtenverhältnis an „Leistungen“ knüpfen würde (14).
Wenn die Bezahlung eines Lehrers davon abhängt, wie die Schulleitung seine Leistung wahrnimmt, dann wird Selbstdarstellung wichtiger als Unterricht. Ein guter Lehrer ist dann einer, der sich gut zu vermarkten weiß. Das Klima im Kollegium wäre von einer Ellbogenmentalität im Kampf um Budgetzuschläge geprägt; Neid und Ärger über ungerechte Anstellungsverhältnisse sind vorprogrammiert. Natürlich ist nirgends davon die Rede, dass ein Abbau des Arbeitsschutzes üblicherweise zu Lohndumping führt und nicht zu Lohnzuwachs.
Unter dem Deckmantel der persönlichen Freiheit plädiert die FDP für die Neoliberalisierung des Lehrerberufs. Interessante Ansätze zur Verbesserung der Lehre stehen im Programm hinter der Unterwerfung der Schule unter Marktlogiken zurück.
SPD
Das Bildungsprogramm der SPD ist kurz, um nicht zu sagen: dürftig. An prominenter Stelle stehen Forderungen, die andere Parteien ebenso erheben, beispielsweise die einheitliche Besoldung nach A13 oder dass jedes Kind schwimmen lernen soll. Positiv zu erwähnen ist, dass sich die SPD für „individuelle Lernfortschrittsgespräche“ (17) einsetzt, die in der Erziehungswissenschaft als besonders motivierend und förderlich eingeschätzt werden.
Außerdem soll die Klassengröße „mittelfristig auf 20 Kinder pro Klasse“ reduziert werden (17). Das liest sich gut, doch ein durchdachtes Konzept für die Umsetzung geht aus dem SPD-Programm nicht hervor. Der einzige (durchaus sinnvolle) Vorschlag zur Entlastung lautet, „mehr Verwaltungsstellen und eine bessere Betreuung der IT-Infrastruktur“ zu schaffen (17).
Wie auch in vielen anderen Wahlprogrammen, etwa dem der Grünen, ist ständig von „multiprofessionellen Teams“ die Rede, also Schulpsychologen, Sozialpädagogen, Heilpädagogen und Erziehern, die jedem Kind zu jeder Zeit zur Seite stehen sollen. Außerdem soll jedes Kind Anrecht auf einen Ganztagsschulplatz haben (18). Der Personalbedarf für diese Vorhaben ist geradezu gigantisch. Die entsprechenden Programme enthalten keinerlei Konzepte, um das erforderliche Personal auszubilden oder anzuwerben. Diese Stellen, die noch nicht existieren, werden allerdings bereits politisch korrekt mit Sternchen gegendert.
Die SPD will außerdem das Übertrittszeugnis abschaffen, das am Ende der vierten Klasse bindend über die weiterführende Schulart entscheidet, es durch ein „verpflichtendes Schullaufbahngespräch“ ersetzen und die Entscheidung über die nächste Schulform „in die Hände von Eltern und Lehrkräften“ geben (18). In Bundesländern wie Hessen, in denen dies bereits gilt, ist zu beobachten, dass viele Eltern sich bedenkenlos über die Empfehlungen der Lehrer hinwegsetzen und ihre Kinder auch dann auf die Realschule oder das Gymnasium schicken, wenn deren gegenwärtiger Entwicklungsstand dies nicht rechtfertigt. Unglückliche Kinder, schlechte Noten und Bildungsverdruss sind oft die Folge. Demgegenüber steht ein sehr durchlässiges Bildungssystem in Bayern, das auch fleißigen Mittelschülern den Bildungsaufstieg bis zur Universität erlaubt. Eine Abschaffung des Übertrittszeugnisses ist kontraproduktiv, das zeigt der Ländervergleich.
In einem recht konturlosen Programm fordert die SPD wenig, das sie von anderen Parteien unterscheidet. Um die drängendsten Probleme des Bildungssystems anzugehen, fehlen durchdachte Konzepte.
Die Grünen
„Dasselbe in Grün“, gilt für die positiven Anteile des Wahlprogramms. Auch die Grünen wollen die Besoldung nach A13, individuelle Formen der Leistungserhebung sowie Arbeitsverträge, die das ganze Jahr über gelten — letzteres fordern ebenso die Freien Wähler und die ÖDP. Originell und wünschenswert ist eine Gehaltserhöhung für Referendare, Fach- und Förderlehrer (58).
Weite Teile des Programms sind in einem seltsam utopischen „Alles-ist-gut-Duktus“ verfasst, ganz so, als seien die Forderungen der Grünen längst Realität geworden. Dass solche Schönrednerei bereits im Wahlprogramm steht, lässt nichts Gutes für die politische Praxis ahnen. Der Wahlkampf gerät zum Wunschkonzert:
„Sprachhelfer:innen an allen deutschen Schulen sorgen für eine rasch gelingende Integration von Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache“ (55); Lehrer „treten Mobbing entschieden entgegen“ (55); „In gemeinsamen Projekten gehen die Schüler:innen gegen Queerfeindlichkeit, insbesondere gegenüber trans Personen, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung vor“ (57); „Allen Lehrkräften steht zu jeder Zeit fachlicher Beistand einer Systemadministration zur Verfügung“ (56-57). (Anm. d. V.: Auch die Grünen „gendern“ mit Sternchen, die aus technischen Gründen durch Doppelpunkte ersetzt wurden.)
Widersprüchlich sind die grünen Vorhaben zur frühkindlichen Sprachförderung. Zwei bestehende Programme sollen erhalten, aber weder ausgebaut noch verpflichtend werden. Gleichzeitig plant man ein „Konzept zur Förderung von Kompetenzen in Herkunftssprachen“ (55). Das heißt: Nicht die Schüler sollen Deutsch lernen, weil das die Amtssprache ist, sondern die Schulen müssen Angebote in Fremdsprachen für Kinder bereitstellen, weil diese kein Deutsch sprechen. Besonders verräterisch ist allerdings dieser Absatz (56):
„Wir wollen zwei- und mehrsprachige junge Menschen stärken und die Chancengerechtigkeit erhöhen. Deshalb schaffen wir die Möglichkeit, die zweite Fremdsprache an allen weiterführenden Schulen durch die Herkunftssprache zu ersetzen.“
Im Subtext steht hier: Weil man migrantische Kinder prinzipiell für benachteiligt hält und ihnen nicht zutraut, dass sie eine zweite Fremdsprache ähnlich gut lernen könnten wie ihre deutschen Mitschüler, sollen sie stattdessen Bestnoten in ihrer Muttersprache erzielen, die sie bereits fließend sprechen. Es handelt sich eben nicht um Förderung, sondern um politisch motivierte Unterforderung. Zieht man nun noch in Betracht, dass auch die Grünen das Übertrittszeugnis abschaffen wollen, kann das Fazit nur lauten: Gut gemeint ist nicht gut gemacht.
Die Grünen heben sich in der Sache nicht von anderen Parteien ab. Hinter einer Maske des guten Willens verbergen sich Maßnahmen, die den Bildungsnotstand eher verschärfen.
Die LINKE
Die LINKE fordert einige sinnvolle und konkrete Maßnahmen zur Verbesserung des Schulalltags. Schulgebäude sollen saniert, das Verpflegungsangebot kostenlos werden (26); über einen Landessozialindex sollen Fördermittel dorthin geleitet werden, wo sie am nötigsten sind (29). Zur Entlastung der Lehrkräfte schlägt die LINKE neue Stellen für Assistenz- und Verwaltungspositionen vor (27), außerdem IT-Administration durch Fachkräfte (35). Distanzunterricht wird zugunsten von Präsenzunterricht abgelehnt (36), die Klassen sollen nicht mehr als 25 Schüler umfassen (29).
Außerdem fordert die LINKE Lehr- und Lernmittelfreiheit und lehnt die Privatisierung von Bildungsaufgaben ab (26). Unter Digitalisierung wird nicht die pauschale Einführung digitaler Arbeitstechniken in allen Fächern verstanden, sondern primär die Auseinandersetzung mit den Risiken digitaler Medien: „Medienkritik, Medienkunde, Mediengestaltung, Datenschutz, Privatsphäre, Cyber-Mobbing, Netiquette, digitale Rechte der Menschen und die Demokratie in Zeiten des Internets“ (35). Lernfortschritte sollen individuell beurteilt werden „statt Notendruck“ (29) — auch wenn eine Klassenstärke von 25 Schülern dafür noch zu hoch ist. Die Bundeswehr an Schulen lehnt die LINKE ab.
Unrealistisch und schlecht durchdacht erscheint dagegen der Plan, das mehrgliedrige Schulsystem (Mittelschule, Realschule, Förderschule, Gymnasium) durch eine „Schule für alle“, eine Einheitsschule, zu ersetzen. Dies fordert die LINKE als einzige. Ein Gedankenexperiment: Wollte man tatsächlich eine Einheitsschule einführen, so müsste diese mindestens dem Standard des heutigen Gymnasiums entsprechen, wenn nicht mindestens ein Drittel der Schüler fortan unterfordert werden soll. International betrachtet ist das deutsche Abitur ohnehin ein eher niedriger Abschluss; langfristig müsste das Niveau also noch steigen.
Das setzt bereits in der Theorie eine um Welten bessere Grundschulbildung voraus, die nicht jeden vierten Schüler als Analphabeten entlässt. Da die sozialen Unterschiede aber nicht über Nacht verschwinden, wird es weiterhin Kinder geben, die mit diesem Niveau deutlich überfordert wären. Wenn diese Einheitsschule nicht zerbrechen soll, hätten die Lehrer nur eine Wahl: Standards senken und gute Noten für schlechte Leistungen vergeben. Die Folge wäre eine allgemeine Absenkung des Bildungsstandards.
Die LINKE fordert einige weitere Maßnahmen, die nett gemeint sind, aber die Situation verschlechtern, beispielsweise eine „Abschaffung der Hausaufgaben“ (29) oder Jahrgangswiederholungen „nur auf Antrag“ der Schüler (29). Auch hier gilt: Gut gemeint ist nicht gut gemacht.
Die LINKE legt mehrere konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung des Lehrermangels und zur Verbesserung der Lehrqualität vor. Getrübt wird das Programm durch traumtänzerische Anteile, die Gleichmacherei mit Chancengleichheit verwechseln.
dieBasis
„Wir kommen auf ganz unterschiedlichen Wegen und in unterschiedlichen Geschwindigkeiten zu unseren Erkenntnissen. Unsere Bildungspolitik gründet auf einem ganzheitlichen Menschenbild.“ Es gehe „um Achtsamkeit gegenüber allen Beteiligten und um größtmögliche Eigenverantwortung und Persönlichkeitsentfaltung“ (24). So lautet der grundlegende Anspruch an Bildung, den dieBasis formuliert. Die Schule solle „die Freiheit des Denkens“ fördern — das schließe „auch die Freiheit zu Spiritualität und Liebe“ mit ein (25). dieBasis nimmt den Lehrermangel und den baulichen Zustand vieler Schulen als Probleme wahr und gelobt, Abhilfe zu schaffen. Sie schlägt mehrere Strukturveränderungen vor, die den Schulalltag demokratisieren sollen; für ein bayerisches Bildungsministerium sieht die Partei „keinen Bedarf“ mehr (25).
Das Programm leidet an zwei Schwächen. Zum einen präsentiert auch dieBasis keine Maßnahmen, die in Summe geeignet wären, den Lehrermangel effektiv zu bekämpfen; hier haben die LINKE und die ÖDP die Nase vorn. All das, was dieBasis für das Lehramtsstudium fordert, ist an vielen Universitäten längst integriert. Die Partei skizziert eine andere Bildungskultur, doch realpolitische Vorschläge fehlen.
Zum anderen sitzt dieBasis einem bildungswissenschaftlichen Trend auf, den der Philosoph Christoph Türcke treffend „neue Lernkultur“ getauft hat. Auf das Wesentliche heruntergebrochen besagt diese, dass die Zeit des Lehrers als zentralem Wissensvermittler, der es versteht, die Aufmerksamkeit auf sich zu konzentrieren und fachliche Inhalte für alle Schüler gleichermaßen aufzubereiten, passé ist. Stattdessen sieht diese Lernkultur den Lehrer als „Lernbegleiter“, der keine Inhalte mehr vorgibt, sondern die Schüler moderierend und nur auf Nachfrage dabei unterstützt, ihren persönlichen Lernweg völlig flexibel in Eigenregie zu gestalten.
Im Kern dieser Kultur steht die Annahme, dass Kinder am besten wüssten, was, wie, wann und weshalb sie zu lernen hätten. Der Lehrer wird nicht länger als pädagogische Fachkraft verstanden, die den Kindern diese Entscheidungen didaktisch wohlüberlegt abnimmt, sondern als Störfaktor — und wird deshalb zum Coach degradiert.
So spricht dieBasis nicht mehr von Lehrern, sondern nur noch von „Lernbegleitern“. „Lernbegleiter sind Angestellte ihrer jeweiligen Bildungsinstitution“. Sie „weisen nicht an (…), sondern sind (…) Unterstützer auf den ganz unterschiedlichen Wegen der selbstbestimmten Bildung“ (24). Ich möchte gar nicht in Abrede stellen, dass Bildung auf diesem Wege unter bestimmten Umständen möglich ist. Es gibt Kinder, die ihren Lernweg erfolgreich selbst gestalten können — vorausgesetzt, sie haben die häusliche Geborgenheit, die finanziellen Mittel und das nötige Selbstbewusstsein dafür. Deshalb funktionieren solche Lernmethoden gut an alternativen oder Privatschulen, die sich über die Beiträge wohlhabender Eltern finanzieren. In der Breite läuft diese Lernkultur jedoch auf eine Negierung der Pädagogik hinaus (griechisch paidagōgikḗ: „Führung eines Knaben“).
dieBasis traut sich, Schule grundlegend anders zu denken als andere Parteien, legt aber keine schlagkräftigen Konzepte zur Umsetzung vor. Die Idee des „Lernbegleiters“ ist eine Sackgasse für die Regelschule.
ÖDP
Die ÖDP findet bei vielen Bildungsproblemen einen vernünftigen Mittelweg. Eine Schule für alle strebt sie nicht an, das Problem des Leistungsdrucks in den Grundschulen ist ihr dennoch bewusst. Als Kompromiss schlägt die Partei eine gemeinsame Schulzeit bis zur sechsten Jahrgangsstufe vor (35). Statt Heimatverbundenheit nur zu fordern, spricht sie sich für den Erhalt und Ausbau von „Schulen im Dorf“ aus (37).
Ebenso wie andere Parteien fordert die ÖDP A13 als Einstiegsgehalt, mehr Verwaltungskräfte und Angestelltenverträge, welche die Ferienzeit abdecken (39). Sie geht weiter als andere Parteien, wenn sie auf Grundlage dieser Maßnahmen eine Reduzierung der Klassenstärke auf durchschnittlich 20 Schüler fordert und außerdem eine Höchstzahl von 1.000 Schülern pro Schule (36). Jahrgangsgemischte Klassen erscheinen der Partei sinnvoll, damit jüngere Schüler von älteren lernen – auch das könnte Lehrer entlasten.
In Grundschulklassen soll eine zweite pädagogische Kraft etabliert werden, ebenso in Mittelschulen in sozialen Brennpunkten (36). Offenbar macht man sich keine Illusionen darüber, dass dies in allen Schulen zeitgleich umsetzbar wäre, sondern priorisiert zunächst die Schulformen, die Unterstützung am nötigsten haben. Während Parteien wie die LINKE oder die Grünen fantasieren, man könne und müsse in allen Regelschulen „Inklusion“ leisten, also die zusätzliche Betreuung von Kindern mit psychischen oder physischen Einschränkungen, schreibt die ÖDP: „Förderschulen sind zu erhalten. Inklusion in Regelschulen erfordert entsprechendes zusätzliches Personal“ (37).
Unter der Überschrift „Integration fördern heißt Sprachbarrieren abbauen“ wird einerseits die „positive Wirkung der Integration in die Regelklasse“ benannt, andererseits soll die Sprachförderung bereits im Kindergarten durch „geschultes Fachpersonal“ ausgebaut werden (38). Wünschenswert wäre noch ein verbindlicher Test vor dem Übergang in die Grundschule, um die Wirksamkeit dieser Sprachförderung zu erfassen. Wie oben beschrieben, stellt die ÖDP auch das sinnvollste Digitalisierungskonzept. Statt wie CSU, SPD und AfD jedem Kind das Schwimmen beibringen zu wollen, setzt die ÖDP auf Kochen: „Dabei geht es vor allem um die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Genuss“ (38). Eine bessere Bezahlung von Erzieherinnen und Erziehern generell steht ebenfalls im Programm (39).
Die ÖDP positioniert sich zu allen drängenden Bildungsthemen und findet sinnvolle Kompromisse. In Summe wirkt das Programm überzeugend, da es weder große blinde Flecken aufweist, noch didaktische Holzwege ebnet.
Fazit
Auch wenn recht wahrscheinlich ist, dass CSU und Freie Wähler erneut eine Mehrheit der Parlamentssitze erlangen und in Regierungsverantwortung gehen werden, zeigt der Vergleich aller Parteien: Maßnahmen, die lediglich den Erhalt des Status quo anvisieren, reichen nicht aus. Leider haben CSU und Freie Wähler in dieser Hinsicht wenig zu bieten. Zu erwarten ist eine aggressiv vorangetriebene Pauschaldigitalisierung, eine verstärkte Ausrichtung der Bildungsinhalte an Forderungen aus der Wirtschaft und, natürlich, ein flächendeckendes Schwimmprogramm.
Das wird der momentanen Situation der Schulen nicht gerecht. Die gesamte Bildungspolitik müsste jetzt auf das Ziel ausgerichtet werden, den Bildungsstandard erheblich zu steigern – und zwar durch alle Schulformen hindurch. Denn eines ist klar: Wenn es weitergeht wie bisher, bleiben von „Bildung“ nur die letzten vier Buchstaben übrig.
Quellen und Anmerkungen:
Hier können Sie die jeweiligen Parteiprogramme herunterladen:
- AfD-Wahlprogramm (Download)
- CSU-Wahlprogramm (Download)
- Freie Wähler-Wahlprogramm (Download)
- FDP-Wahlprogramm (Download)
- SPD-Wahlprogramm (Download)
- Die Grünen-Wahlprogramm (Download)
- Die LINKE-Wahlprogramm (Download)
- dieBasis-Wahlprogramm (Download)
- ÖDP-Wahlprogramm (Download)
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