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Amnestie, Amnesie, Apathie

Amnestie, Amnesie, Apathie

Nicht die Zeit heilt die Wunden des erfahrenen Corona-Unrechts, sondern dessen konsequente Aufarbeitung.

Ziehen wir also einen Schlussstrich und alles ist wieder gut?

Am 28. Oktober 2022 erklärte Thomas Mertens, Chef der Ständigen Impfkommission (STIKO), die Pandemie aus Sicht seines Hauses für beendet (1). Vier Bundesländer — Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Schleswig-Holstein, heben die Isolationspflicht nach einem positiven Coronatest auf (2). Daniel Günther, Ministerpräsident Schlewig-Holsteins, und Markus Söder, Ministerpräsident Bayerns, überlegen laut, die Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr spätestens zum neuen Jahr aufzuheben (3). Selbst das Infektionsschutzgesetz, das im Sommer noch zur regelmäßigen „Auffrischungsimpfung“ alle drei Monate aufrief, wurde nun dahingehend verändert, dass dreimaliges Impfen reicht (4). Der Bundesbürger, so hat es den Anschein, ist impfmüde und hat das Maßnahmenkarussel satt.

Schon seit Sommer 2022 ist festzustellen, dass die große Mehrheit der Bevölkerung nichts lieber will als eine Rückkehr zur Normalität, worunter man gemeinhin den gesellschaftlichen Zustand vor März 2020 versteht. Die Stühle der Straßencafés und Restaurants sind vollbesetzt, Kinos, Theater und andere kulturelle Veranstaltungen finden erneut großen Zulauf, man reist wieder und bringt sein Geld in den Einkaufsstraßen der Städte unter die Leute. Schulen und Universitäten öffneten maßnahmenfrei, lediglich der Besuch einer Arztpraxis oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel erinnern die Menschen daran, dass sie sich vorgeblich nach wie vor in der schlimmsten Pandemie der Neuzeit befinden.

„Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ Betitelt nach seinem weithin bekannten Zitat von April 2020 hat der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nun im September ein Buch veröffentlicht, in welchem er Kinder und Familien für ihnen zugefügte Zumutungen um Verzeihung bittet und im übrigen der Politikkaste einen dreistufigen Verhaltenskodex für Krisenzeiten anempfiehlt (5). Besonders selbstkritisch geht er dabei nicht vor, an Einsicht oder gar Aufarbeitung scheint ihm nicht im Geringsten gelegen. Dessen ungeachtet stellt sein Werk insofern eine erstaunliche Anomalie dar, als — zumindest in der Bundesrepublik — sonst kein ehemaliger oder aktueller Verantwortungsträger kritisch oder sogar selbstkritisch auf die politischen Maßnahmen der jüngsten Vergangenheit zurückblickt.

Auf der Suche nach einem positiven Gegenmodell wird man leider erst in der fernen kanadischen Provinz Alberta fündig, wo die neugewählte Premierministerin Danielle Smith sich bei der Bevölkerung für das von ihrer Vorgängerregierung veranlasste Unrecht förmlich entschuldigte (6).

Ganz im Gegenteil scheint die Berliner Ampelkoalition geradezu verbissen am Narrativ der Alternativlosigkeit zu den Coronamaßnahmen festhalten zu wollen, wie jüngst die neueste Impfwerbekampagne des amtierenden Gesundheitsministers, Karl Lauterbach, aufs Nachdrücklichste unterstreicht. Für diese präsentieren sich 84 angeblich wahllos aus der „Mitte der Gesellschaft“ herbeigeeilte Bürger und Bürgerinnen unter dem Slogan „Ich schütze mich“. Dumm nur, dass entgegen den vollmundigen Ankündigungen des Ministers sich inzwischen so einige aus dieser gesellschaftlichen Mitte als professionell gecastete Schauspieler herausgestellt haben (7). Was übrigens weder den ertappten Minister noch die Regierungskoalition, der er angehört, keineswegs in die Bredouille oder gar Gewissensnöte zu bringen scheint.

Tatsächlich nimmt die bundesdeutsche Mehrheitsgesellschaft solch freche Lügen höchstens noch achselzuckend zur Kenntnis, haben sich so viele regierungsamtliche Verlautbarungen, ob nun blumiger oder apokalyptischer Natur, als Halbwahrheiten, Unwahrheiten oder sonstwie Scheinwahrheiten herausgestellt. Man denke nur an die „Impfung“ genannte experimentelle Gentherapie, der das gesamte Volk sich hätte unterziehen sollen. Schützte diese eingangs gegen alles und vor allem Möglichen, so versprach sie wenig später zumindest einen Schutz vor „schweren Verläufen“, bis sich auch diese von jeglicher solider Evidenz befreite Mär nicht mehr an den Bürger bringen ließ. Ähnliches gibt es von allen weiteren „Schutzmaßnahmen“ zu berichten, 3G, 2G, gar 1G, Ausgangssperren, Schulschließungen, der ewigen Maskerade. All dies hat nachweislich gar nichts gebracht (8).

Folgsamkeit als Normalität

Umso befremdlicher mutet die endemische gesellschaftliche Ruhe bis Indifferenz bezüglich dieser an sich aufrüttelnden Erkenntnisse an. Gewiss zeigen tapfere Montagsspaziergänger und unermüdliche Demonstranten weiterhin ihren Unmut, geißeln fortbestehende Maßnahmen wie die „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ und den Maskenzwang im ÖPNV, und fordern unter anderem die vollständige Wiederherstellung des Rechtsstaats.

Doch die ganz überwiegende Mehrheit der Deutschen ficht das überhaupt nicht an, ganz so, als wäre sie immun gegen die skandalösen Lügen und Zumutungen. Apathisch bis amnesisch geht sie durch den Alltag, setzt folgsam überall dort Masken auf, wo man sie dazu auffordert und zeigt ihren „Impfstatus“, wann immer die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben das erfordert.

Dieser ebenso irre wie bestürzende Zustand wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht mehr ändern, denn er ist gewollt und wurde gerade durch die medial geschürten Ängste und absurden Verhaltensvorschriften bewusst herbeigeführt. So gibt es keine Rückkehr mehr in die verklärte Normalität „vor Corona“. Durch Corona wurde eine Neue Normalität („New Normal“) etabliert, in der das, was einige noch als kognitive Dissonanzen oder dreiste Lügengeschichten erkennen, für die große Mehrheit unhinterfragbare Tatsachen sind, die einfach zum Alltag dazu gehören. Man macht das jetzt halt so, dann hat man seine Ruhe und kann „normal“ weiterleben. So betrachtet ist nun alles vorbei, alles wieder gut, normal eben.

Mit etwas Distanz jedoch begreift ein unvoreingenommener Betrachter, dass die Gesellschaft da soeben einen Meilenstein passiert hat, eine zentrale Wegmarke auf dem Marsch in eine totalitäre, technokratische Gesellschaft, in der der Staat vorgibt, was Gesundheit heißen soll, und wie sich die Untertanen selbst in ihren eigenen vier Wänden zu verhalten haben.

Mitbestimmung und Eigenverantwortung stören da natürlich nur und müssen Expertengremien und Kanzler-Ministerpräsidenten-Runden oder dem Geheiß „undemokratisch legitimierter“ supranationaler Organe wie der Europäischen Kommission weichen. Wer dabei nicht mitmachen will, der positioniert sich außerhalb der Norm und ist schlicht nicht normal. Ein Abweichler (9) und sonstwie Unangepasster, für den in den vergangenen zweieinhalb Jahren eine Fülle von diffamierenden Namen gefunden wurden.

Als solcher wundert er sich zweifellos, dass just in diesem November noch 86 Prozent der Deutschen die Maskenpflicht beibehalten und immerhin noch vier Fünftel am Abstandsgebot festhalten wollen (10). Diese Menschen leben aber in einer anderen, neuen Realität, in welche sie all die grotesken Unzumutbarkeiten der abflauenden „Pandemie“ integriert haben und als solche einfach nicht mehr wahrnehmen.

Sie haben sich gewissermaßen da geradlinig weiterentwickelt, wo eine verblüffte, erschrockene Minderheit stehengeblieben und allmählich in eine andere Richtung abgebogen ist. Das Ergebnis ist eine zutiefst gespaltene Gesellschaft, die tatsächlich in unterschiedlichen Realitäten, also aneinander vorbei lebt.

Wächter der neuen Wirklichkeit

Sollte es jemand aus der Minderheit wagen, die vermeintliche Wirklichkeit der großen Mehrheit anhand von Belegen, Beweisen, Tatsachen infrage zu stellen, so fallen sogleich die als Faktenchecker getarnten Wächter der Neuen Wirklichkeit über ihn her und brandmarken ihn als unverbesserlichen Abweichler oder Schlimmeres, für den in der schönen neuen Welt leider kein Platz ist. Die regelkonforme Mehrheit nickt dazu stumm oder schreit ihre Zustimmung heraus. Es gibt schließlich Wichtigeres zu tun, Fußball-WM schauen, auf den gänzlich zugangsunbeschränkten Weihnachtsmarkt gehen, sich gegen die Grippe impfen lassen, sicher ist sicher.

Kommt dann jemand aus ihrer Mitte mit einem Amnestieangebot für all jene, die sich in der zurückliegenden „Pandemie“ Verfehlungen haben zuschulden kommen lassen — schließlich war man ja gezwungen, gewichtige Entscheidungen unter Bedingungen enormer Unsicherheit zu fällen — „(...) important choices we had to make under conditions of tremendous uncertainty“ — , so zumindest argumentiert Emily Oster in The Atlantic (11) — dann kann er sich des Beifalls der vielen sicher sein. Vergeben und vergessen ist das Motto der anbrechenden Post-Corona-Zeit, eine Amnestie für die unschuldig schuldig Gewordenen, die es nun einmal leider nicht besser wissen konnten. Jetzt schnell voran, den Blick nach vorn, die nächste Krise hat uns ja schon fest im Griff, Ukraine, Klima, Inflation.

Aufarbeitung statt Amnestie

Doch halt! Selbst wenn die Karawane weiterzieht, selbst wenn man dafür als Abweichler etikettiert wird, gerade wenn Medien und Politik „Marsch marsch“ und „Dalli dalli“ brüllen, wir müssen dringend innehalten, uns nicht abspeisen lassen mit Gerede von Amnestie oder abweisen lassen von realitätsvergessenen, abgestumpften Mehrheiten — nicht Amnestie, Amnesie, Apathie, sondern ein anderes A, ein A wie Aufarbeitung ist der einzig wahre Weg, will man nicht alle Hoffnung, die gesellschaftliche Spaltung doch noch zu überwinden, fahren lassen.

Ein Gedächtnisverlust und eine tiefe Gleichgültigkeit zeugen von schweren Traumatisierungen der Bevölkerung, die nicht von allein verschwinden werden und für die es Aussicht auf Heilung nur bei gründlicher Aufarbeitung und Konfrontation mit den traumatischen Erlebnissen geben kann.

Dies ist, wie Doktor Naomi Kleins einfühlsamer Essay A Lost Small Town. Running Errands in the Wake of Emotional Violence, USA unmissverständlich herausstellt (12), für die fassungslose, als Abweichler beschimpfte Minderheit genauso wichtig wie für die ungerührte Mehrheit. Sollte es wirklich erneut notwendig werden, dass Deutschland, unser Land, abermals nur durch rettende Impulse und Vorgaben von jenseits des Atlantiks aus dem selbst gebauten gesellschaftlichen Betonbunker wieder herausfindet? Unser Land, das sich völlig im Coronawahn verrannt hat und dessen Institutionen korrumpierte, willfährige Mitläufer geworden sind, Wer da noch Zweifel hat, befasse sich mit den willkürlichen Festnahmen von beispielsweise Michael Ballweg oder Oliver Janich und dem eklatanten Fehlurteil des Landgerichts Ellwangen in der causa „Lauterbachs Lügen sind lediglich Meinungsäußerungen“ (13).

Handlanger und Verantwortliche müssen klar benannt und zur Rechenschaft gezogen werden. Hoffnung auf eine gesellschaftlich selbst verantwortete, eigenständige deutsche Aufarbeitung liefern Marcus Klöckner und Jens Wernicke mit ihrem Spiegel-Bestseller „Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen“ (14). Trotzdem, Bestseller hin oder her, an dieser Aufarbeitung müssen alle gesellschaftlichen Kräfte und Gruppen teilhaben, nicht bloß die ohnehin selbständig denkenden, kritischen Bürger.

Einem jeden muss zu Bewusstsein kommen, welcher unerhörten Machtanmaßung sich Regierung und Staatsapparat schuldig gemacht haben, wie sie aktiv und wissentlich das Fundament unseres freien und selbstbestimmten Landes in einen löchrigen Käse verwandelt haben. Jeder muss auch begreifen, dass er selbst per Eigenverantwortung und Selbstbestimmung seinen eigenen Anteil an der Aufarbeitung und Überwindung dieser erschütternden Krise haben muss. Bewusst hinschauen und hineinfühlen, das eigene Tun unvoreingenommen betrachten, den Schmerz, die Scham, die eigenen Verfehlungen benennen und zulassen. Im Kleinen wie im Großen.

Nur dann, wenn nichts im Verborgenen bleibt, jeder wachen Geistes mit anpackt und ebenso aufrichtig wie demütig an einem gesellschaftlichen Neustart mitarbeiten will, können wir gemeinsam den Geist der totalitären Umgestaltung unserer Gesellschaft bändigen und zurück in seine Flasche zwingen.


Hier können Sie das Buch bestellen: als Taschenbuch, E-Book oder Hörbuch.

Quellen und Anmerkungen:

(1) https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2022/stiko-chef-mertens-die-pandemie-ist-beendet/
(2) https://www.mdr.de/brisant/isolationspflicht-aufgehoben-106.html
(3) https://www.merkur.de/politik/corona-regeln-bayern-maskenpflicht-bus-bahn-zug-lauterbach-markus-soeder-freiwillig-exklusiv-news-zr-91916176.html
(4) Für genauere Details siehe: https://www.mdr.de/brisant/corona-auffrischungsimpfung-158.html
(5) https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/spahn-hat-ein-buch-geschrieben-ueber-eigene-fehler-und-lehren-aus-der-pandemie-li.269553
(6) https://www.breitbart.com/tech/2022/10/25/we-are-not-qr-codes-alberta-premier-apologizes-for-canadian-vaccine-passports-promises-purge-of-database/
(7) https://transition-news.org/lauterbachs-schicksale-entpuppen-sich-als-schauspieler
(8) https://www.focus.de/gesundheit/news/haben-wir-es-geschafft-kein-covid-19-mehr-nur-noch-omikronitis-erklaert-arzt_id_125547038.html
(9) Ich folge hier der hellsichtigen Unterscheidung, die C.J. Hopkins im verlinkten Essay vornimmt: https://cjhopkins.substack.com/p/the-road-to-totalitarianism-revisited?utm_source=substack&utm_medium=email
(10) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1240653/umfrage/umfrage-zur-pandemiebedingten-abstandsregelung-und-maskenpflicht-in-deutschland/
(11) https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2022/10/covid-response-forgiveness/671879/
(12) https://www.globalresearch.ca/lost-small-town-running-errands-wake-emotional-violence-usa/5798327
(13) https://tkp.at/2022/10/01/staatliche-willkuer-michael-ballweg-weiter-in-haft/, https://19vierundachtzig.com/politik/deutschland/medien-zensur/publizist-oliver-janich-widerrechtlich-in-haft-uebereifriger-staatsanwalt-taeuscht-richter/, https://19vierundachtzig.com/politik/deutschland/medien-zensur/publizist-oliver-janich-widerrechtlich-in-haft-uebereifriger-staatsanwalt-taeuscht-richter/
(14) Klöckner, Marcus, Wernicke, Jens: Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie Zeigen. Rubikon 2022.


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