Die Anti-AfD-Demonstranten haben recht. Zumindest ist ihr Tun legitim. Man kann gegen die AfD sein. Warum? Oskar Lafontaine gab in seinem jüngsten Artikel auf den Nachdenkseiten nützliche Hinweise dazu, die vor allem auf das Thema „Krieg und Frieden“ Bezug nahmen: Die AfD ist für die NATO wie auch für eine NATO-Erweiterung. Die AfD ist für weitere Aufrüstung und fordert mehr Geld für die Bundeswehr. Die AfD ist für Interventionskriege, sofern diese dem Interesse Deutschlands dienen. Und — in der momentanen Lage besonders brisant —: Die AfD unterstützt das Massaker der israelischen Regierung an mittlerweile mehr als 26.000 Bewohnern des Gazastreifens.
Natürlich gibt es weitere Programmpunkte bei der AfD, die uns erschaudern lassen könnten. Vor allem betrifft dies die soziale Frage, in der die Partei vor allem eine „Arbeit muss sich wieder lohnen“-Haltung einnimmt. Im Rahmen einer „aktivierenden Grundsicherung“, die das bisherige Bürgergeld ersetzen soll, fordert die AfD „Bürgerarbeit“ für Langzeitarbeitslose. Was eine besondere Härte in Zeiten darstellt, in denen zumutbare Arbeit an vielen Stellen schlicht fehlt und man auf dem Arbeitsmarkt chancenlosen Menschen nicht einfach sagen kann, sie sollten sich doch einfach einen Job suchen. Die AfD unterstützt die neoliberale Grundphilosophie des „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“. Ebenso vertritt sie ein insgesamt sehr autoritäres Staatsverständnis, unterstützt also zum Beispiel eher Polizei und Ordnungskräfte gegen Regelverletzer als aufmüpfige Bürger gegen Polizeigewalt.
Der Artikel Oskar Lafontaines, der — wie eben gezeigt — um weiteres belastendes Material gegen die rechtspopulistische Partei ergänzt werden könnte, zeigt vor allem zweierlei: Als Erstes, dass man sich mit der AfD durchaus inhaltlich auseinandersetzen kann, ohne unfair zu bolzen und zu suggerieren, dass mit den Deutschalternativen quasi ein Viertes Reich unmittelbar vor der Tür stünde. Es ist zum Beispiel weder notwendig noch angemessen, zu suggerieren, die AfD hätte im November 2023 eine zweite Wannseekonferenz abgehalten. Diese Aussage von Nancy Faeser unterstellt, man habe im November in Potsdam über industriellen Massenmord an Millionen Menschen diskutiert und nicht über die Abschiebung krimineller und illegal anwesender Ausländer. Sogar die viel gescholtene „Jana aus Kassel“, die sich 2020 bei einer Querdenkerdemo mit Sophie Scholl verglich, bewies daran gemessen noch ein Gefühl für Angemessenheit. Das Problem ist vor allem: Im Gegensatz zu der unbeholfenen Jana hat Nancy aus Bad Soden Macht über uns alle.
Damals bei der Münchner Lichterkette
Diejetzigen Gegen-rechts-Demonstranten kann ich im Übrigen gut verstehen. Ich kann mir vorstellen, was gerade in ihnen vorgeht, da ich im Laufe von drei Jahrzehnten an vielen vergleichbaren Demonstrationen teilgenommen habe. Eine der spektakulärsten war die Münchner Lichterkette von 1992, die eine Reaktion auf brennende Asylbewerberheime nach der Wiedervereinigung Deutschland 1990 darstellte.
Die mit 400.000 Menschen gut besuchte Veranstaltung war wegen der unzähligen, in Linien aufgereihten Kerzen, die in der Dunkelheit leuchteten, sehr eindrucksvoll und erzeugten unter den Teilnehmern ein großes Solidaritätsgefühl, ja Euphorie. Das Gefühl, in der Masse stark zu sein, war ebenso vorhanden wie das Bewusstsein, in einer historischen Bewährungssituation zu stehen wie unsere Vorväter 1933. Ich ließ mich auch keineswegs davon stören, dass die etablierte Politik und die Medien die Lichterkette unterstützten, obwohl auch damals Kritik an diesen Kräften angebracht gewesen war. Im Kampf gegen Rechtsextreme, die den Frieden im Land durch zuvor nicht bekannte Akte der Barbarei gefährdeten, zählte es vor allem, dass die demokratischen Kräfte zusammenhielten.
Nun aber zurück zu Oskar Lafontaines Artikel: Er zeigt vor allem auch, dass sehr vieles, was der AfD vorgeworfen wird, für die Etablierten ebenso gilt: NATO-Treue, Aufrüstung, Sozialabbau, Kapitalismus … Warum also der Anti-AfD-Furor? Ist das Ganze nur Projektion, ein Akt verstörender Eigenblindheit, mit dessen Hilfe vermeintlich Gute ihre eigenen Fehler auf einen Feind im Außen übertragen und dort stellvertretend bekämpfen? Oder haben die Etablierten schlicht Angst um ihre Pfründen und Pöstchen, weil eine andere neoliberale, bellizistische Partei ihnen nunmehr den Rang abzulaufen droht? Voraussetzung für eine starke Kontrastierung von „Gut und Böse“ wäre doch mindestens, dass zwischen beiden Kräften abgrundtiefe Unterschiede bestünden — wie etwas jene zwischen Kriegstreibern und Pazifisten oder zwischen Marktradikalen und Sozialisten. Aber nichts davon ist feststellbar.
Auch die Mitte-Parteien sind „rechts“
Es gibt nicht wenige Bereiche, die zeigen, dass gerade die Ampelparteien ausgesprochen „rechts“ sind. Sie vertreten ein staatsautoritäres und paternalistisches Grundverständnis, das notfalls nicht einmal vor dem Abbau von Grundrechten zurückschreckt, wie die Coronajahre gezeigt haben. Insofern stellt sich also die Frage: Warum regt sich die „Mitte“ über die AfD auf, die in vielem ihr Spiegelbild ist? Liegt es daran, dass die AfD in vieler Hinsicht sogar freiheitlicher argumentiert als die Etablierten, etwa in der Frage des Impfzwangs, die sich Anfang 2022 stellte?
Wirtschaftspolitisch argumentiert die AfD „liberal“ bis „libertär“, unterstützt das freie Unternehmertum, während die Ampel verstärkt auf staatliche Lenkung setzt. Bauern, Spediteure und kleine Händler fühlen sich zunehmend bevormundet. Hier empfinden viele, dass mehr „freie Wirtschaft“ gut wäre — also schlicht in Ruhe gelassen und nicht schikaniert zu werden. Rot-grüne Politik kann man zwar in diesem Punkt mit etwas Fantasie als „sozialistisch“ bezeichnen, jedoch ist sie durch ihren autoritären Habitus eher rechten Gesellschaftskonzepten verwandt. Es scheinen also eher jene recht behalten zu haben, die schon früh während der Coronaphase analysierten, die Freiheit sei nun — da man sie links nicht mehr haben wollte — nach rechts gewandert.
Der wesentliche Unterschied zwischen beiden vorherrschenden Richtungen in Deutschland — also „die demokratischen Parteien“ versus „rechts“ — besteht vor allem in deren Position in der Migrationspolitik. Dies gilt insbesondere, wenn man Grüne und AfD vergleicht. Schaut man sich SPD und Union an, so sind die Unterschiede nur marginal. Friedrich Merz sagte im September 2023: „Wir sind sehr wenig konsequent in der Zurückweisung, auch in der Abschiebung.“ Und er warnte davor, die „Integrationsfähigkeit“ des Landes zu überschätzen. Bundeskanzler Olaf Scholz ließ sich im Oktober 2023 mit grimmigem Blick auf einem Spiegel-Titel abbilden: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“
Selektive Treue zur Demokratie
Zu erwarten ist: Jede Partei, die in nächster Zeit an der Macht sein wird, wird demonstrativ eine „neue Härte“ gegen Migranten zeigen. Die an der Basis spürbaren Probleme im Land werden erheblichen Druck auf die Politik ausüben. Eine Ausnahme werden vielleicht die Grünen darstellen, die wirklich dauerhaft eine migrationsfreundliche Linie durchzuhalten scheinen. Noch vor Kurzem antwortete Ricarda Lang auf die Frage von Markus Lanz, ob in der Migrationspolitik Fehler gemacht worden seien: „Niemand hat bei keinem Thema was falsch gemacht!“ Wir sehen also: Großenteils bekämpfen die Mitte-Parteien in der AfD ihren eigenen Schatten.
Bei den meisten Teilnehmern an der momentanen Demonstrationswelle dürfte die Besorgnis vor Massenabschiebungen unter einer möglichen AfD-Regierung zwar ehrlich sein, sie verhalten sich jedoch inkonsequent und erweisen sich als nur selektiv demokratietreu. Viele der „Gegen rechts“-Demonstranten haben nichts getan, als in Zeiten der Coronahysterie Ausgangssperren verhängt wurden, als man Menschen in Altenheimen isolierte, Kinder mit Masken und Abstand quälte, als man Ungeimpfte demütigte und aus dem gesellschaftlichen Leben ausgrenzte, als Grundrechte geschleift, unbotmäßige Richter kriminalisiert und Dissidenten mit Hausdurchsuchungen eingeschüchtert wurden. Wo war das antifaschistische Frühwarnsystem damals, wo war das „Nie wieder ist jetzt“-Pathos?
Der Unterschied zwischen beiden Situationen ist ja dieser: Damals hätte sich Protest gegen die Regierung, also gegen die Macht richten müssen, heute rebelliert man mit der Regierung und quasi in ihrem Auftrag. Die Mehrheitsmeinung richtet sich nach der Macht. Das ist an sich nicht neu; ich hätte mir angesichts der kurz zuvor noch aufflammenden sehr regierungskritischen Stimmung während der Bauernproteste jedoch gewünscht, dass sich nicht so viele von einem offensichtlichen Manöver des Typs „Diskursverschiebung“ hätten beindrucken lassen.
Die Formierbarkeit der Masse
Wieder zeigt sich ein hohes Maß an Formierbarkeit der Mehrheitsgesellschaft. Es zeigt sich, dass durch die Aktivierung von Schlüsselreizen quasi auf Knopfdruck eine Volkstimmung erzeugt und eigentlich wichtigere Themen in den Hintergrund gedrängt werden können. Dass es möglich ist, Menschen derart schnell und zahlreich aufzuwiegeln, was eine Volksstimmung rasch „von Null auf Hundert“ bringen kann, hat mich erschreckt, nicht weil es gegen die AfD geht, sondern weil so etwas einer Phalanx aus Mitte-Parteien, Medien und eingebetteter Zivilgesellschaft überhaupt möglich ist. Nach Corona wirkt dergleichen auf mich etwas anders als noch zu Zeiten der Münchner Lichterkette 1992.
Ich unterstütze das Ziel, die AfD zurechtzustutzen, damit sie nicht früher oder später das ganze Land „übernimmt“. Gleichzeitig machen mir bestimmte Phänomene Angst, etwa der allenthalben erzeugte Druck, sich zu bekennen, wodurch Menschen sich dann entweder genötigt sehen, Selbstverständlichkeiten abzusondern — „Ich bin gegen Massenabschiebungen von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund“ — oder unehrliche Lippenbekenntnisse abzugeben. Unangenehm ist für mich das mediale Dauerbombardement, unterstützt durch alle möglichen Plattformen im öffentlichen Raum — etwa die Deutsche Bundesbahn —, sodass der Eindruck entsteht, nur Verrückte oder Unmenschen würden sich weigern, „mitzumachen“.
Verdächtig erscheint mir die massive Beschimpfung und Dämonisierung des Gegners, dessen man mit fairen und moderaten Mitteln offenbar nicht mehr glaubt, Herr werden zu können; die Ausgrenzung von Kräften, die innerhalb des demokratischen Diskurses andere Positionen vertreten als außerhalb der Demokratie stehend. Dies mag auf den rechten Rand der AfD sogar zutreffen, wo es Äußerungen gibt, die die NS-Zeit verharmlosen. Momentan beobachten wir aber das besorgniserregende Phänomen, dass alles „nicht Linke“ delegitimiert wird, sodass im öffentlichen Raum eine Art Links-Sein-Pflicht etabliert zu werden scheint. Und diese betrifft nicht nur die AfD.
Eine Pflicht, links zu sein?
Hubert Aiwanger wurde, unmittelbar nach seinem Satz „Wir müssen uns unsere Demokratie zurückholen“, in eine Affäre um ein angeblich in seiner Jugend verfasstes antisemitisches Flugblatt verwickelt, das, wie sich dann herausstellte, gar nicht von ihm stammte. Ganz offenbar wollte man den populären gemäßigt Rechten „abschießen“ und von der Teilhabe an demokratisch legitimierter Macht ausschließen.
Sahra Wagenknecht wurde wegen Kontakten zum Veranstalter des berüchtigten Potsdamer Treffens, Gernot Mörig, vor das Markus-Lanz-Tribunal gezerrt. Sie gibt an, von dessen Gesinnung nichts gewusst zu haben, was angesichts ihrer politischen Gesamtausrichtung wohl auch glaubwürdig ist. Aber: Irgendetwas bleibt immer hängen.
Im Zusammenhang mit besagtem „Geheimtreffen“ geriet die neu gegründete Werteunion in Misskredit, ja sogar die Union als Ganzes, denn es macht sich einfach nicht gut, wenn es auf allen Kanälen heißt: „Auch mehrere CDU-Mitglieder haben teilgenommen.“ Wir können davon ausgehen, dass eine Mehrheit der Journalisten in öffentlich-rechtlichen Medien und bei den einflussreichsten Zeitungen und Zeitschriften mit Grünen und SPD sympathisieren. Schon eine mögliche Kanzlerschaft Armin Laschets wurde kampagnenartig torpediert.
Bei einer Demonstration „Gegen rechts“ am 21. Januar 2023 sollten Unions-Anhänger zusammen mit Vertretern der Freien Wähler ausgegrenzt werden. Die Veranstalterin Lisa Pöttinger schriebt auf „X“: „Als Versammlungsleiterin kann ich sagen, dass ich gar keinen Bock auf Rechte jeglicher Couleur habe!“ Daraufhin sagte Ludwig Spaenle, CSU-Mitglied und Antisemitismus-Beauftragter der Staatsregierung, seine Teilnahme an der Demonstration ab.
Die Würde des politischen Gegners respektieren
Warum wende ich mich gegen die Ausgrenzung gemäßigt rechter und konservativer Kräfte, obwohl viele meiner Veröffentlichungen zeigen, dass ich ihnen gegenüber kritisch bin? Weil ich zwar, was meine längerfristigen Grundüberzeugungen betrifft, gegen rechts bin, mich aber weigere, dies auf Kommando zu „müssen“. Weil ich möchte, dass auch weiterhin Menschen denken und sagen können, was sie wollen, nicht was sie nach Ansicht der Regierung sollen. Weil ich will, dass der politische Kampf mit fairen Mitteln geführt wird und die Würde des politischen Gegners gewahrt bleibt, auch dann, wenn dieser in Einzelfällen die Würde Dritter verletzt, denn wir können das „Böse“ nicht bekämpfen, indem wir ihm in den Mitteln Schritt für Schritt immer ähnlicher werden.
Auch wenn ich eine politische Kraft für fragwürdig, sogar für sehr fragwürdig halte, möchte ich nicht, dass eine entmenschlichende Sprache auf sie angewandt wird. Das Transparent mit der Aufschrift „AfDler töten“ ging entschieden zu weit. Von Voltaire wird ja überliefert, er habe sein Leben dafür geben wollen, dass Menschen Meinungen äußern dürften, mit denen er nicht übereinstimmte.
An einem Beispiel gesagt: Ich würde keine Umerziehungslager für Rechtsextreme befürworten, weil solche Methode per se inhuman sind, auch wenn ich von Rechtsextremen niemals regiert werden möchte. Nichts, was in den letzten Wochen gesagt wurde, ist übrigens kruder und zugleich undemokratischer als die Äußerung von Marie-Agnes Strack-Zimmermann: „Je größer der Haufen Scheiße, desto mehr Fliegen sitzen drauf.“ Sie definiert damit großen Wählerzulauf als Beweis für die Nichtswürdigkeit besagter demokratischer Mehrheit.
Die Mittel im politischen Kampf müssen mit ihrem Zweck zur Deckung kommen, und die Kämpfenden müssen ihre Motive ehrlich prüfen. Hinter manchen Auswüchsen der Anti-AfD-Kampagne steht neben einem Kern richtiger Vorwürfe gegen diese Partei auch ein Gutteil Selbsterhöhung durch Erniedrigung anderer, die Lust am Verachten und Verächtlichmachen, solange ein solches Verhalten gesellschaftlich erwünscht erscheint. Wir sollten uns von einer eventuellen persönlichen Abneigung gegen die AfD nicht davon abbringen lassen, in der Frage der Humanität gegen jedermann konsequent zu sein. Es impliziert keine Sympathie, wenn man darauf besteht, dass Rechte wie Menschen behandelt werden, weil sie Menschen sind. Ja, gerade in der Anwendung brutaler und entwürdigender Mittel gegen „Rechte“ machen sich die so Handelnden selbst zu Rechten im allerunangenehmsten Sinne. Natürlich gibt es Pöbeleien und Verbalradikalismus auch in AfD-Kreisen. Aber gerade deshalb sollte, wer „Güte“ für sich in Anspruch nimmt, sich positiv davon abheben.
Eine Erzählung mit beträchtlichen Lücken
Unbedingt muss bei der Einschätzung der neuen Demonstrationswelle aber noch Folgendes bedacht werden: Das Gedankengebäude der Gegen-rechts-Agenda ruht auf einem brüchigen Fundament: der Erzählung eines „Geheimtreffens“ im Hotel Adlon, bei dem „Deportationen“ beschlossen worden sein sollen. Hier fällt zunächst das Timing der Ereignisse auf: Das Treffen fand schon im 25. November 2023 statt, die Enthüllung erfolgte jedoch erst Mitte Januar. Gleich danach war ein „Theaterstück“ zum Thema zur Aufführung bereit. Das sieht nach einer bewussten Verzögerung der Enthüllung aus, um einerseits ein Gegengewicht gegen die Bauernproteste zu schaffen, andererseits vor allem der Parteigründung „WerteUnion“ in die Parade zu fahren. Beides ist teilweise gelungen.
Zwar haben weder die Bauern noch die WerteUnion aufgegeben, doch gelang es den Medien, insofern den öffentlichen Diskurs zu manipulieren, als in den einschlägigen Talkshows jetzt nicht mehr die Probleme der Landwirte und der deutschen Wirtschaft dominieren, sondern der „Kampf gegen rechts“. Vom Bösewicht in der Erzählung eines Aufstands der Unterdrückten gegen eine tyrannische Obrigkeit mutierte die Ampel nun von heute auf morgen zum Weißen Ritter, der gegen den Drachen „Rechts“ zu Felde zieht.
Im Fall des angeblichen Sturms von Bauern auf die Fähre Robert Habecks, der vermutlich so gar nicht stattgefunden hat, reagierten die Mächtigen mit einer Mischung aus Wehleidigkeit, Repressionsdrohungen und der Inszenierung eines Wir-Gefühls, das Täter und Opfer der wirtschaftlichen Fehlentscheidungen zu einer künstlichen Entrüstungsgemeinschaft „gegen rechts“ zusammenschweißen sollte. Ähnliches geschieht nun auch in den veröffentlichten Reaktionen auf „Adlon-Gate“. Wenn dann nach dem Rausch der gemeinschaftlichen Demo der Kater folgt und die nächste überhöhte Heizrechnung auf dem Tisch liegt, werden viele Menschen erkennen, dass man mit einer Mitte-Links-Gesinnung allein seine Wohnung nicht warm bekommt. Dann sind wertvolle Wochen verstrichen, und der öffentliche Meinungskorridor hat sich womöglich so verengt, dass Regierungskritik kaum mehr möglich ist, ohne dass sie sogleich als gegen die Demokratie selbst gerichtet abgekanzelt wird.
Die Ankläger bleiben den Beweis schuldig
Mindestens so wichtig wie das merkwürdige Timing ist aber natürlich die Tatsache, dass die Correctiv-Geschichte nicht oder nur marginal belegt ist. Das beste mir hierzu bekannte Video hat Markus Langemann vom „Club der klaren Worte“ produziert. Offenbar wurde von Correctiv ein Lauschangriff gestartet, der nach herkömmlichem Rechtsempfinden gar nicht legal war. Und — einmal angenommen, die Tonbandmitschnitte sind echt —: Warum veröffentlicht sie Correctiv nicht? Enthalten sie etwa nicht, was unterstellt wurde: nämlich einen Plan zur Massendeportation von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund?
Solange nur „Mitschriften“ und Hörensagen-Protokolle herbeizitiert werden, bleibt der Wahrheitsgehalt der Geschichte zumindest unklar. Man muss sogar mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, dass sie nicht stimmt, denn es wäre für Correctiv doch wunderbar, wenn sich alles, was behauptet wurde, Wort für Wort durch Aussagen der Rechtsextremen selbst belegen ließe. Gewiss ist manchem AfD-Politiker und sogar Unions-Politikern dergleichen grundsätzlich zuzutrauen. Aber es ist eben nicht erwiesen, dass es so geschehen ist. Es ist ein Armutszeugnis für unsere Presselandschaft, dass so viele Medien auf diesen Zug aufgesprungen sind, Behauptungen ungeprüft übernahmen und sie sogar noch rhetorisch aufgebauscht haben, insbesondere durch die Verwendung des Begriffs „Deportation“.
Träfen alle Vorwürfe zu, so wäre das, was in den „Geheimplänen“ besprochen wurde, wirklich schlimm und menschenverachtend. Es müsste und dürfte alles mit dem Grundgesetz Vereinbare getan werden, damit dergleichen nie in reale Politik umgesetzt wird. AfD-Politiker sagen, wenn sie mit den Vorwürfen konfrontiert werden, einhellig, mit „Remigration“ sei nur die Ausschaffung krimineller Migranten und solcher, die sich illegal in Deutschland aufhalten, gemeint gewesen. Auch legale Abschiebungen sind in ihrem konkreten Ablauf und ihren Folgen mit beträchtlichen Härten für die Betroffenen verbunden, wie ein Artikel im Gewerkschaftsforum zeigt. Aber sie wären nicht vergleichbar mit dem, was „Rechten“ unterstellt wird.
Den Surfern auf der derzeitigen Welle der Aktionen „gegen rechts“ kann zumindest ein Desinteresse an der vollen Wahrheit vorgeworfen werden. Gegen die AfD kann man immer demonstrieren; auf die Straße zu gehen „wegen Adlon-Gate“ erscheint aber zumindest dann fragwürdig, wenn man es sonst nicht getan hätte.
Der Strohhalm, nach dem die Ampel greift
Der Grund für die Inszenierung ist aus Sicht der Regierungsparteien nicht allzu schwer zu erraten. Da SPD, Grüne und FDP eine bessere Politik offenbar weder machen können noch wollen, müssen sie einen Grund dafür liefern, warum man sie überhaupt noch wählen sollte. Als einziges Werbeargument für das Schlimme wird nun die Angst vor Schlimmerem geschürt. Statt einer positiven Motivation — „Ich finde Grüne/SPD/FDP gut“ — wird uns eine negative aufgedrängt: „Die AfD darf es auf keinen Fall werden, egal, was anderenfalls geschieht.“
Die Ampel dient sich der Bevölkerung als kleineres Übel an und gibt damit implizit zu, ein Übel zu sein. Übrigens wird die Rechnung schon deshalb nicht aufgehen, weil es da noch die Union als Ausweichlösung gibt. Für eine kleinere Gruppe von Unzufriedenen bieten sich nunmehr auch noch Wagenknecht-Partei und die WerteUnion an. Alle drei könnten zu Gewinnern der neueren Entwicklung werden. Sofern die Anti-AfD-Kampagne überhaupt verfängt, was bis jetzt nur in geringem Umfang spürbar ist.
Die Entwicklung läuft darauf hinaus, dass bis auf Weiteres in den Länderparlamenten und im Bund eine AfD-Regierung nur noch dann verhindert werden kann, wenn sich alle anderen Parteien, einschließlich der Linken, zusammentun. Das ergäbe nicht nur chaotische, kaum handlungsfähige Zusammenschlüsse, es würde die AfD auch mehr als zuvor als die einzige wirkliche Opposition inszenieren. Dadurch könnte sie in Zeiten von Wirtschaftsschrumpfung und Wokeness-Wahn auch für Menschen attraktiv erscheinen könnte, die ihr sonst nicht zuneigen.
Es wäre gut, wenn diese noch immer unsoziale, bellizistische Partei, die es mit der Abgrenzung gegenüber Rechtsradikalen nicht so genau nimmt, nicht in den Himmel wachsen würde. Als größter Bremsklotz einer Anti-AfD-Kampagne dürften sich aber gerade jene Parteien erweisen, die die Kampagne anführen. Diese planen, Oppositionsparteien zu verbieten und Oppositionspolitikern die Grundrechte zu entziehen. Sie bezeichnen Gegner als einen Haufen Scheiße, unterstützen das Bombardement des Gazastreifens durch die israelische Armee und stehen „Seit‘ an Seit‘“ mit dem faschistisch unterwanderten ukrainischen Establishment. Antifaschismus ist gut, Antifaschisten habe ich mir früher aber immer anders vorgestellt.
„Rechts“ bekämpfen — aber richtig
Wie könnte man „rechts“ wirksam bekämpfen? Durch bessere Politik und überzeugende Argumente. Das sollte in der Demokratie ohnehin selbstverständlich sein. Nicht überall dort, wo man fast schon autosuggestiv „unsere Demokratie“ beschwört, ist aber auch Demokratie drin. Von der Regierung initiierte Demos gegen die Opposition gibt es sonst nur in totalitären Staaten. Das abstufungslose Abkanzeln aller nicht dem eigenen Spektrum zugehörigen Menschen als „rechts“ — womit dann alle von gemäßigten CDU-Anhängern bis hin zu Holocaust-Leugnern oder -Befürwortern gemeint sind — ist in hohem Maße unseriös. Die Regierung spekuliert aber darauf, dass sie bei einer bekanntermaßen anspruchslosen Medienlandschaft und einer ebensolchen Bevölkerungsmehrheit damit würde landen können. Und sie behielt recht.
Der Kanzler versteht sich heute nicht mehr als Kanzler aller Deutschen, sondern nur noch als Kanzler der „anständigeren“ zwei Drittel oder drei Viertel. Die wachsensende Anzahl der radikal kritischen Menschen, die kaum alle überzeugte Nazis sein können, wird nicht zum Anlass genommen, diesen zuzuhören, ihre Sorgen ernst zu nehmen und eigene Fehler einzuräumen. Immer mehr von ihnen wandern deshalb aus dem Gehege der Anständigkeit in die Wildnis der Dissidenz aus. Das mögliche Kippen der Mehrheitsverhältnisse macht den Mächtigen Angst.
Das Demonstrationsrecht war als Selbstverteidigungsrecht des Volkes gegen die Regierung konzipiert worden. Nun soll es umgekehrt der Regierung dienen, um Teile der Opposition einzuschüchtern. Wer weder der Ampel noch der AfD zuneigt, sollte sich sehr gut überlegen, ob er der Regierung derart unfaire Manöver durchgehen lässt. „Als sie die AfD-Wähler beschimpften und verfolgten, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein AfD-Wähler.“
Ein großes Problem ist, dass vielen Menschen mittlerweile unvorstellbar erscheint, dass eine Regierung schlechter sein könnte als die jetzige. Wovor sollte man heutzutage noch Angst haben? Vor der Aushöhlung von Grundrechten? Vor Militarismus und Kriegstreiberei? Vor sozialer Härte gegenüber den Schwächeren der Gesellschaften? All das gab und gibt es in Deutschland, auch ganz ohne AfD. Viele Menschen waren in den letzten Jahren in der Hölle zu Hause, die schreckt nichts mehr. Dabei ist durchaus Schlimmeres denkbar, vor allem auf den Gebieten Migrationspolitik und Sozialpolitik. Die etablierten Parteien in einer Demokratie dürfen es nie so weit kommen lassen, dass Menschen, wie im Märchen „Die Bremer Stadtmusikanten“, denken: „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall.“ Übertragen auf die aktuelle Situation: „Etwas Besseres als die Ampel finden wir überall.“
Spalten statt versöhnen
Die Rechtsregierung von Giorgia Meloni in Italien schaffte Ende 2023 das Bürgergeld ab. Die von den Regierungen Merkel und Scholz merklich geleerten öffentlichen Kassen könnten eine Regierung Merz oder eine Regierung Weidel zu ähnlichen Maßnahmen zwingen. Nicht wenige Bürger in sozial noch stabilen Verhältnissen denken vielleicht: „Ich bin weder arbeitslos noch Migrant. Was immer eine rechte Regierung Menschen antun würde — sie würden es nicht mir antun.“
In offiziellen Verlautbarungen wirken viele Äußerungen der AfD „halb so wild“. Selbstverständlich könnte die Partei nach einer gewonnen Wahl schlimme Dinge tun, die vor der Wahl nicht absehbar waren. Aber war dies bei der Großen Koalition sowie der Ampelkoalition nicht ebenso? Hat jemand sich den Generalangriff auf unsere Freiheit unter dem Stichwort „Corona“ vorher vorstellen können? Die Menschen haben kein Vertrauen mehr, weshalb sie gezwungen sind, ihre Wahlentscheidung als eine Art Glückspiel zu betrachten — als Wette darauf, wem sie als Nächstes hilflos unterworfen sein werden und wer in einem solchen Fall weniger Schaden anrichten dürfte. Damit wir zwischen Wahlen nicht weiterhin fast ohne eine reale Chance zur Gegenwehr bleiben, braucht es nicht weniger Demokratie, sondern mehr.
Viele könnten statt der Verstetigung einer vertrauten Hölle auf die Verlockung des radikal Neuen setzen. Die Gefahr, dass die AfD das Land „übernimmt“, ist real. Aber niemand hätte so viele Mittel in der Hand, um diese Gefahr abzuwenden als gerade die „Altparteien“ — und in zweiter Linie auch die Linke, die sich in den letzten Jahren als Opposition quasi selbst ausgeschaltet hat. Niemand hat zugleich so viel Anteil an der Misere wie eben diese politischen Kräfte.
Das Establishment lässt gegen die Ergebnisse der eigenen Politik demonstrieren. SPD und Grüne versuchen, Zweifelnde und politisch heimatlos Gewordene gleichsam ins eigene Lager hinein zu beleidigen. Nach rechts Tendierende werden so lange beschimpft, bis ihnen nur noch die Rückkehr in den Schoß von Mutter Establishment zu bleiben scheint, um der permanenten Drangsalierung zu entkommen — nicht überzeugt, aber gebrochen und resigniert. In Umkehrung eines alten Wahlkampfslogans von Johannes Rau heißt das Motto: „Spalten statt versöhnen“.
Aus Demütigung und einer bedrängenden Einengung des Meinungsspektrums kann jedoch im Zusammenhang mit sich verschärfender sozialer Not ein explosives Gebräu entstehen. Wird dieses von einem zündenden Funken getroffen, so könnte uns unsere lange Zeit eher bieder-behaglich anmutendes Gemeinwesen um die Ohren fliegen.
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