Zum Inhalt:
Unterstützen Sie Manova mit einer Spende
Unterstützen Sie Manova
Zeit für Zärtlichkeit

Zeit für Zärtlichkeit

Die Annahme, es brauche Leid, um in der Entwicklung voranzukommen, führt dazu, dass wir Probleme erst erschaffen.

Wer einmal einen Schmetterling dabei beobachtet hat, wie er sich aus seiner Verpuppung löst, der hat vor Augen, dass Entwicklung mit Anstrengung verbunden sein kann. Ein Kind auf die Welt zu bringen, kann beschwerlich sein. Geburt kann lange dauern und Mutter und Kind an ihre Grenzen bringen. Doch muss sie mit Schmerz verbunden sein? Ist es nicht vielmehr ein Ammenmärchen, das unserer Kultur in die Wiege gelegt wurde, ein uralter Fluch gewissermaßen, der besagt, dass die Frauen künftig ihre Kinder unter Schmerzen gebären müssen?

Offensichtlich war es einmal anders gewesen. Es hätte keine Verdammnis gebraucht, mit der wir aus dem Paradies vertrieben wurden, wenn der Schmerz schon immer dazugehört hätte. Bis heute wirkt der Fluch nach. Die meisten Menschen in den industrialisierten Ländern können sich heute nicht einmal mehr vorstellen, dass Kinder ohne Schmerz auf die Welt kommen können. Immer und immer wieder sehen wir es über unsere Bildschirme, wie leidvoll Gebären ist. Schwangerschaft gleicht einer Krankheit, und Gebären scheint unmöglich ohne Ultraschall, ohne Kreißsaal, ohne Kaiserschnitt, ohne eine intrusive Medizin.

Bevor es sie gab, so heißt es, starben viele Frauen während der Geburt, und viele Kinder überlebten die ersten Jahre nicht. Doch woran sind sie gestorben? War es wirklich der Geburtsprozess oder waren es die jeweiligen Lebensumstände, die durch Kriege, Kolonialisierung oder Industrialisierung herbeigeführten miserablen und hygienisch katastrophalen Verhältnisse, in denen die Menschen lebten?

Was meinen wir, wenn wir behaupten, „früher“ waren die Mütter- und Säuglingssterblichkeit höher? Auf welches „früher“ beziehen wir uns? Welche Studien haben wir zu dem Thema gelesen, welche Statistiken gesehen, um vergleichen zu können? Wo haben wir uns informiert? Was wissen wir von den Geburtsriten der Naturvölker, die wir so gerne als „arme Wilde“ bezeichnen, die den Segen der modernen Medizin noch nicht kennenlernen durften?

Nicht notwendig

Die Majapriesterin Alicia Kusumitra bezeugt, dass es bei den heute noch lebenden Naturvölkern so gut wie keine Mütter- und Säuglingssterblichkeit gibt (1). Was haben wir dem entgegenzusetzen außer unseren Glauben, Gebären sei ein gefährlicher und schmerzhafter Prozess, der ohne die moderne Medizin, ohne technisches Gerät, ohne Pharmazeutika und ohne Spezialisten praktisch nicht zu bewältigen ist?

Sicher: Eine Geburt ist ein gewaltiger Prozess. Es geht ums Ganze. Es gibt Risiken.

Leben ist immer lebensgefährlich. Doch das bedeutet nicht, dass Schmerz und Leid dazugehören müssen. Um welches Lebensereignis es sich auch handelt: Nichts muss weh tun.

Für keine Entwicklung ist es notwendig, dass wir Schmerz erdulden müssen. Wenn es dennoch geschieht, dann aufgrund der Widerstände, die wir den Ereignissen entgegenbringen.

Wohl jeder hat die Erfahrung gemacht, dass es vor allem dann weh tut, wenn wir uns verkrampfen. Eine Spritze in einen angespannten Muskel tut weh. Doch wenn wir uns entspannen, merken wir sie kaum. Alles, was starr macht, unbeweglich, steif, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es unangenehm wird. Angst und Stress intensivieren den Schmerz. Wenn wir uns hingegen vertrauensvoll hingeben, ist es vielleicht gar nicht schlimm.

Die Wellen nehmen

Auf diesem Prinzip basiert etwa die Hypnose. Wer sich mental und emotional vollkommen entspannt, kann selbst bedeutende chirurgische Eingriffe schmerzfrei überstehen. Dieselbe Kraft ist am Wirken, wenn Menschen mit bloßen Füßen über glühende Kohlen laufen, ohne sich zu verbrennen. Sie schalten jeden Gedanken daran aus, dass die Glut ihnen Schaden zufügt.

Es ist vor allem unsere Vorstellung, die darüber entscheidet, ob wir etwas als schmerzhaft empfinden oder nicht. Wer glaubt, es muss so richtig weh tun, um etwas zu lernen, der wird seine Schmerzerfahrungen machen.

Er selbst schafft sich diese Realität. Doch es geht auch anders. Wir können uns entspannen. Anstatt der Situation unsere Widerstände entgegenzusetzen, können wir nachgiebig werden, flexibel, weich. Anstatt uns gegen etwas zu sträuben, können wir uns hingeben.

Wie geht das spielerisch und leicht? fragt die Theologin Sabine Bobert (2). Hiermit ist nicht gemeint, zu Opportunisten zu werden, die sich in alles fügen, sondern die Ereignisse nicht so zu nehmen, als liefe man gegen eine Wand. Wir müssen uns keine Beulen zuziehen, um voranzukommen. Wir können das, was geschieht, wie Wellen nehmen. An ihrer Stärke können wir nichts ändern. Wir können sie nicht aufhalten. Doch wir können sie surfen.

Das kann anstrengend sein. Doch es kann auch Spaß machen. Oh là là, die hatte es in sich! Das bringt mich ganz schön durcheinander. Spielen wir mit den Wellen, doch identifizieren wir uns nicht mit ihnen. Nehmen wir die Gefühle, die sie in uns auslösen, beobachten wir, was passiert, doch seien wir uns darüber bewusst, dass wir mehr sind als unsere Gefühle. Sie gehen vorbei. Ganze 90 Sekunden sollen es sein, die ein Gefühl, angenehm oder unangenehm, höchstens dauert. So lange jedenfalls ist es physisch messbar. Alles danach ist Storytelling, die Geschichte, die wir um unsere Emotionen herum bauen (3).

Selbstfürsorge

Wer auf dem Surfbrett steht, auf dem Snowboard, oder im Gleitschirm hängt, weiß, dass er vorsichtig sein muss. Er muss gut aufpassen. Doch er muss sich nicht das Bein brechen, um ein guter Sportler zu werden. Es ist nicht nötig, dass er sich verletzt, um besser zu werden. Wir werden keine besseren Handwerker, wenn wir uns mit dem Hammer auf den Daumen schlagen. Es kann passieren.

Entwicklung kann durch ein Tal der Tränen führen. Schmerzhafte Ereignisse können uns weiterbringen. Doch Schmerz als Voraussetzung für Entwicklung zu sehen, rührt von einer schwarzen Pädagogik her und den dunklen Kapiteln unserer Geschichte.

Angst, Stress und Schmerz machen uns eng. Entwicklung hingegen braucht Raum und Weite, Vertrauen, Zuversicht und die Gewissheit, gehalten zu sein. Du schaffst das! Wie oft fällt ein Kind, bevor es auf sicheren Beinen steht? Wieviel Vertrauen braucht es, bis wir ohne Stützräder Fahrrad fahren und ohne Schwimmflügel schwimmen? Wieviel Lob ist nötig, bis wir uns zutrauen, etwas alleine zu machen?

Anstatt mit Härte gegen uns selbst und andere vorzugehen, werden wir sanft zueinander. Hören wir damit auf, uns Vorwürfe zu machen. Seien wir geduldig mit uns. In manche Gruben müssen wir vielleicht hundert Mal fallen. Vielleicht will die Erfahrung in jeder Nuance gemacht, in jeder Facette kennengelernt werden. Vielleicht kommen wir, ohne es zu merken, weiter, wie der Frosch, der in den Milchtopf gefallen ist und mit seinen Beinen so lange strampelt, bis aus der Milch Butter geworden ist.

Werden wir beweglich. Lösen wir die alten Programme auf, die uns unnachgiebig machen, verschlossen, verhärtet. Verlieren wir uns nicht in den Geschichten, die wir uns selbst erzählen.

Lassen wir es fließen. Seien wir uns gewiss, dass wir nichts kontrollieren als unsere innere Haltung. Und machen wir uns bewusst, dass wir das Leben nicht „haben“. Wir sind das Leben.


Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.kusumitra.de/
(2) https://www.mystik-und-coaching.de/
(3) Jill B. Taylor: Mit einem Schlag. Wie eine Hirnforscherin durch ihren Schlaganfall neue Dimensionen des Bewusstseins entdeckt, Knaur 2010

VG-Wort Zählpixel

Weiterlesen

Unverdiente Lorbeeren
Thematisch verwandter Artikel

Unverdiente Lorbeeren

Jimmy Carter mag nach seinem Ausscheiden aus dem Amt Gutes vollbracht haben; während seiner Amtszeit jedoch schürte er eine Reihe innen- sowie außenpolitischer Katastrophen.