Nur wenige Stunden nachdem Michail Saakaschwili am Dienstag auf dem Dach seines Hauses – wohin er sich geflüchtet hatte – von einer Spezialeinheit der ukrainischen Sicherheitskräfte verhaftet worden war, stand er schon wieder auf einer Tribüne vor dem ukrainischen Parlament und hielt eine Rede gegen „die korrupte Regierung“.
Was war passiert? Am Dienstagmorgen hatte die Spezialeinheit Alpha die Tür zu der Wohnung des Oppositionspolitikers aufgebrochen. Mitarbeiter des Geheimdienstes und der Staatsanwaltschaft hatten die Wohnung durchsucht. Derweil war Saakaschwili auf das Dach des Hauses geflüchtet. Von dort hielt er Reden gegen „das Regime“ und drohte, bei seiner Verhaftung, in die Tiefe zu springen. Von unten riefen ihm nationalistische Anhänger zu, er solle durchhalten.
Eine halbe Stunde hielt der ehemalige Gouverneur von Odessa (2015 bis 2016) auf dem Dach Reden. Dann wurde er dort verhaftet und in einem Mini-Autobus weggebracht. Doch schon dieses Manöver erwies sich als schwierig, da Anhänger des ehemaligen georgischen Präsidenten (2004 bis 2013) den Mini-Bus der Sicherheitskräfte blockiert hatten. Schließlich gelang es, den widerspenstigen Oppositions-Politiker in den Bus zu verfrachten. Der Bus fuhr ein Stück, wurde dann aber wieder von Anhängern des Verhafteten umringt. Scheiben des Busses wurden zerschlagen. Demonstranten öffneten die Seitentür und Saakaschwili sprang mit hochgereckten Armen ins Freie.
Bis auf einen kurzen Einsatz von Pfefferspray war nicht zu erkennen, dass die Polizei, die massiv aufmarschiert war, gegen die Kaperung des Mini-Busses einschritt.
Sehr merkwürdig ist, dass das Innenministerium der Ukraine – das um das militante Potential der Saakaschwili-Anhänger weiß – keinen professionelleren Abtransport des ehemaligen Gouverneurs von Odessa organisiert hat. Es drängt sich der Eindruck auf, Kräfte innerhalb der Regierung hätten sich gegenseitig blockiert.
Angebliche Verschwörung mit Janukowitsch-Vertrauten
Die Verhaftung von Saakaschwili wurde von der ukrainischen Staatsanwaltschaft begründet mit der angeblichen Teilnahme an „einer verbrecherischen Vereinigung“. Doch ukrainische oppositionelle Medien sehen die Verhaftung mehr im Zusammenhang mit dem Versuch von Saakaschwili, einen neuen Maidan gegen die Korruption zu organisieren. Für Mittwoch hatte der ehemalige Gouverneur von Odessa angekündigt, er wolle beim Nationalen Ukrainischen Anti-Korruptions-Büro Klagen gegen den Generalstaatsanwalt Juri Luzenko und den Geheimdienstchef Wasili Grizak wegen Überschreitung der Amtsvollmachten erheben.
Am Dienstagmittag behauptete der ukrainische Generalstaatsanwalt, Juri Luzenko, bei einem Presse-Briefing in der Werchowna Rada dem ukrainischen Parlament, Michail Saakaschiwili habe zusammen mit Sergej Kurtschenko, einem angeblichen Berater des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, eine Verschwörung geplant. Mit dem Geld des Oligarchen Kurtschenko habe man geplant, „die Macht in der Ukraine zu ergreifen“. Saakaschwili habe „von der russischen Seite“ eine halbe Million Dollar erhalten. Die Übergabe des Geldes sei in Moskau erfolgt und von Mitarbeitern des ukrainischen Geheimdienstes beobachtet worden. Luzenko versprach die Veröffentlichung eines Videos von der Geldübergabe.
Asarow: „Poroschenko hat keine Kontrolle über die Situation“
Kritik an dem Polizei-Einsatz gegen Saakaschwili kam von Julia Timoschenko, der Chefin der Vaterlandspartei. Das sei eine „gewalttätige Abrechnung“, sagte Timoschenko. Anders könne man das nicht nennen.
Der ehemalige Ministerpräsident der Ukraine, Nikolai Asarow, der jetzt als politischer Flüchtling in Moskau lebt, erklärte gegenüber dem russischen Fernsehkanal Rossija 24, wahrscheinlich sei Poroschenko von der US-Botschaft in Kiew zurückgerufen worden. Wenn es einen „echten Befehl“ an die Polizei gegeben hätte, den ehemaligen Gouverneur zu verhaften, dann sei dies auch geschehen. Asarow meinte, der Vorfall mit der gescheiterten Verhaftung sei ein Zeichen, dass es in der Ukraine Änderungen geben werde. „Das Regime“ sei in einer Sackgasse. Das Volk erkenne, dass Poroschenko keine Kontrolle über die Situation hat.
Und tatsächlich. Der Konflikt zwischen Michail Saakaschwili und Petro Poroschenko zeigt deutlich, welchen tiefen Riss es im Lager der Maidan-Politiker gibt. Dabei eint Poroschenko und Saakaschwili ihr Hass auf Russland und ihre tiefe Verehrung für die USA. Beide denken aber auch viel an die persönliche Bereicherung. Beide sind durch Korruptions-Skandal geschwächt. Gegen Saakaschwili läuft ein Korruptionsverfahren in Georgien, gegen Poroschenko gibt es Anschuldigungen in Zusammenhang mit den Panama-Papers. Beide Politiker haben Kriege angezettelt. Saakaschwili (Präsident von Georgien 2004 bis 2013) im August 2008 gegen Südossetien, in dem seit 1992 eine zwischen den Präsidenten von Russland und Georgien vereinbarte russische Friedenstruppe stationiert war. Poroschenko startete 2014 eine „Anti-Terror-Operation“ gegen die ostukrainischen Gebiete Donezk und Lugansk.
Gibt es eine Alternative für Poroschenko?
Der Kiewer Politologe Michail Pogrebinski meint, dass es zurzeit keine Alternative für den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko gibt. Zwar werde es für den ukrainischen Präsidenten jetzt schwieriger, alle Probleme der Ukraine auf Moskau zu schieben, aber um eine neue Führungsfigur im Land aufzubauen, brauche man „viel Geld“. Es gäbe zwar Bemühungen, den Sänger der Rock-Gruppe Okean Elsi, Swjatoslaw Wakartschuk, als neuen Präsidenten vorzubereiten. Wakartschuk wäre im politischen Geschäft ganz neu und unverbraucht. Auch hat er gute Umfragewerte und gilt nicht als zynisch, wie die meisten Politiker in Kiew. Aber die Bemühungen, den Sänger als neuen Präsidenten aufzubauen, stehen erst am Anfang.
Schon 2015 griff Saakaschwili die Regierung in Kiew als „korrupt" an
Michail Saakaschwili hatte sich als der erfahrener „Rosenrevolutionär“ von 2003 schon 2004 an der Orangenen Revolution in Kiew beteiligt. Auch 2013/14 war er mehrmals auf dem „Euro-Maidan“ in Kiew aufgetreten. Am 30. Mai 2015 wurde er von Präsident Petro Poroschenko zum Gouverneur von Odessa ernannt. Insbesondere von Seiten der Hardliner in den USA bekam Saakaschwili starke öffentliche Unterstützung. Im September 2015 hielt er zusammen mit dem Republikaner John Mc Cain eine Pressekonferenz in einem Garten von Odessa ab.
Saakaschwili fühlte die Unterstützung der Hardliner aus den USA und positionierte sich schon 2015 als politische Alternative. Ende 2015 kam es zum Zerwürfnis mit der Regierung in Kiew. Saakaschwili griff die Regierung von Jazenjuk als korrupt an und erklärte, Oligarchen hätten die Macht in Kiew ergriffen. Erbost über diese Vorwürfe warf der ukrainische Innenminister Arsen Awakow auf einer Staatsrats-Sitzung im Dezember 2015 ein Glas mit Wasser auf Saakaschwili. Zuvor hatte Ministerpräsident Arseni Jazenjuk den Gouverneur von Odessa schon einen „Gastarbeiter“ genannt, der „die Ukraine verlassen“ solle.
Im November 2016 trat Saakaschwili von seinem Posten als Gouverneur zurück. Der ehemalige Gouverneur gründete eine Anti-Korruptionsbewegung. Im Juli 2017 wurde dem ehemaligen georgischen Präsidenten von Petro Poroschenko die ukrainische Staatsbürgerschaft aberkannt. Angeblich hatte er falsche Angaben zu seiner Person gemacht. Am 10. September 2017 gelang es Saakaschwili in Begleitung von zahlreichen Anhängern, darunter auch Julia Timoschenko, die polnisch-ukrainische Grenze zu überschreiten, womit er dreist das ukrainische Grenzregime verletzte. Kurze Zeit später begann der ehemalige Gouverneur von Odessa, Demonstrationen und ein Zeltlager in Kiew zu organisieren.
Mit seinem lauten Gepolter gegen die Korruption in der Ukraine sieht sich Saakaschwili ganz im Einklang mit westlichen Beschwerden über den immer noch hohen Grad der Korruption in der Ukraine. Nach Angaben von Transparency International belegt das Land am Dnjepr Platz 131 von 176.
Im April 2015 wurde zum Kampf gegen die Korruption das „Nationale Anti-Korruptions-Büro (NABU) gegründet. Doch diese neue Einrichtung mit rund 300 Beamten, die von Experten des FBI und der EU geschult werden, kommt immer wieder in Konflikt mit der ukrainischen Staatsanwaltschaft und dem Geheimdienst SBU. Höhepunkt dieses Machtkampfes ist jetzt eine Klage des Generalstaatsanwaltes Juri Luzenko gegen den Direktor der Anti-Korruptionsbehörde.
Anlass der Klage ist, die Erklärung von NABU-Direktor Artjom Sytnik, wonach seine Behörde bei der Aufklärung von zwei Korruptions-Fällen mit dem FBI zusammenarbeitet. Konkret geht es um einen Korruptions-Fall in der Migrationsbehörde und einen Fall im Zusammenhang mit dem illegalen Berstein-Schürfen im Nordwesten der Ukraine. Ohne spezielle Genehmigung seien Ermittlungsmaßnahmen ukrainischer Behörden zusammen mit ausländischen Agenten ungesetzlich, begründete Generalstaatsanwalt Luzenko seine Klage.
Der Westen möchte die Ukraine an westliche Standards im Geschäftsleben heranführen. Doch der Westen braucht auch die oft korrupten Oligarchen in Parlament und Regierung, um die Ukraine anti-russisch auzurichten. Deshalb bleiben alle Anti-Korruptions-Bemühungen im Sande stecken.
Und die Menschen in der Ukraine? Sie sind müde von Revolutionen. Am Dienstag waren es nur 2.000 Menschen, die für den freigekämpften Saakaschwili vor der Rada in Kiew demonstrierten.
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