Krähwinkels Schreckenstage
Auch in Krähwinkel herrschte nicht immer eitel Sonnenschein. In seiner langen Geschichte hat auch diese Gemeinde durchaus schon finstere Zeiten gesehen. Bevor hinter den sieben Bergen Weisheit, Milde und Besonnenheit einzogen, war der gewöhnliche Krähwinkler eher klein im Kopf, wie man so sagt, und der Ton der Obrigkeit war durchaus ruppig.
In seiner „Erinnerung an Krähwinkels Schreckenstage“ schrieb schon Heinrich Heine davon. Denkwürdig heißt es da zum Schluss:
Vertrauet Eurem Magistrat,
Der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweises Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten!
Feudalismus kann so einfach sein ...
Doch welch erstaunliches Geheimnis wird mit diesen Zeilen nebenbei gelüftet! Manch ein Bewohner des 21sten Jahrhunderts hatte bisher vielleicht gedacht, das www des allgegenwärtigen Internets stehe für World Wide Web — doch weit gefehlt! Und wie geht uns nun allen dieses Licht auf: www steht und stand schon immer, wie könnte es anders sein, für:
WohlWeisesWalten!
Und für nichts anderes. Und wenn ihr da draußen das nächste Mal an eurem Laptop www youtube eingebt, denkt immer daran, einzig das wohlweise Walten des großen Bruders Google hat KenFM das Licht ausgeknipst.
Und wenn ihr das nächste Mal www correctiv oder www faktenfinder eingebt, denkt immer daran: Einzig und allein wohlweises Walten steuert die Redaktionen im Wahrheitsministerium. Und wenn ihr beim Youtube-Action-Trash-Kanal eurer Wahl das nächste Mal die GLOCKE aktiviert, denkt wenigstens daran:
Wo rohe Kräfte sinnlos walten, da lässt sich kein Gebild gestalten ...
Und ansonsten — na, ihr wisst schon, sonst schreibt es euch jetzt ein für alle mal hinter die Ohren: Euch ziemt es, stets das Maul zu halten ...!
Das Jahr 0002 n. Cr.
Krähwinkel liegt ziemlich abgeschieden. In Krähwinkel steht die Zeit praktisch still, was eine gute Sache ist, denn — und das sollte sich mittlerweile doch einigermaßen herum gesprochen haben — es entspricht der Wirklichkeit. Es gibt die Zeit schließlich nicht wirklich. Sie ist eine relative Sache. Sie ist Teil unserer relativen Existenz, wie die Buddhisten sagen.
Ohne einen Menschen, der sie erfährt — wo soll da die Zeit sein ...?
Und wir sind doch so aus auf die objektive Wirklichkeit. Wir beschwören doch voll Inbrunst das Destillat des Faktischen. Hoch lebe die heilige Wissenschaft! Machen wir uns also ehrlich: Es ist immer JETZT! Vom nächsten Moment bis zur fernsten Zukunft — wenn du sie erfährst, ist es JETZT. Niemand kann das abstreiten. Niemand kann dagegen argumentieren. Ein Gruß an Eckhart Tolle an dieser Stelle, von dem man in diesen Zeiten auch etwas mehr erwartet hätte. Na ja — Schwamm drüber ...
Worauf ich hinaus will: Wir schreiben das Jahr des Herrn 2022, bald 2023 gar — OMG!!! Wiegen diese Worte, diese Riesenzahlen nicht schwer auf den Schultern? Sind sie nicht eine regelrechte Bürde? Wie müssen wir Hightech, wie müssen wir Future sein mit diesen raumfahrtschwangeren Ziffern im Genick! Und welche Last an finsterer Geschichte, samt zweier Weltkriege, ziehen wir mühsam hinter uns her ...
Lasst uns also einen Schnitt machen. Die Zeit ist reif dafür, würde ich sagen. 2000 Jahre sind mehr als genug an HISTORY, um den Ballast abzuwerfen und mit einem RESET auf null neu durchzustarten. Corona kam gerade recht! Ab sofort leben wir im Jahr 02, bald im Jahr 03 n. Cr. — also nach Corona. Fühlt sich das nicht federleicht an? 03, 04, 05 ... In solchen Jahren ist alles möglich! Jeder Tag ist jungfräulich fast, und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne — juhu, so sei es!
Wenn nun der Weltkrieg doch kommen sollte, dann wäre es immerhin nicht der dritte, sondern einfach der erste — wenn überhaupt! Was wüssten wir denn von Weltkriegen! Jung und unbescholten, wie wir sind, hätten wir schließlich gar keine Ahnung von solchem Zeug, und erst später im Nachhinein würde vielleicht einer sagen: Mann, dieses Chaos damals in den Jahren 07 bis 12 n. Cr. — das war doch schon eine Riesenscheiße, das war doch schon ein regelrechter Krieg der Welten. Verflucht! Und:
NIE WIEDER!
BEIM TEUTATES: NIE WIEDER!
In Krähwinkel steht die Zeit ziemlich still, schon eine ganze Weile ... Wunderbar ist es, wenn die Sonne am Morgen den Horizont erhellt, und bezaubernd, wenn sie am Abend in der Ferne versinkt. Tag für Tag. Es ist alles sehr gut. Wie schön. Halleluja.
Wenn’s kräht im Winkel
Immer mittwochs kräht der Hahn in Krähwinkel. Nachmittags pünktlich so gegen drei schallt sein Geschrei etwas blechern durch die Wiesen und Gassen ums Haus. Eindringlich aufdringlich macht sich der Gemüsewagen mit dem Krähkrach bemerkbar und treibt die örtlichen Hühner, die Omis und Opis der Nachbarschaft, aus ihren Häusern und zum nahen Einkauf hin.
Der Wagen hält nur kurz, dafür spart man selbst die 300 Meter zum nächsten Supermarkt, und mit Rosinenschnecke, schon geschälten Kartoffeln, Ei und Apfelsortiment an Bord deckt der fahrende Bauer schließlich praktisch die Grundbedürfnisse ab — was braucht der Mensch schon groß zum Leben ... Im Grunde eine Art Plattformökonomie im Kleinen, was der Großbauer da betreibt, lange bevor das Wort seine unsympathische Karriere startete.
Ich will gar nicht drumherumreden, auch Krähwinkel ist kein Paradies geblieben. Die Moderne hat ihre Spuren hinterlassen. Der Hahn kräht aus dem Lautsprecher — und die Bäcker werden bald sonntags im Freilichtmuseum zu begaffen sein, beim Ausflug mit der ganzen Regenbogenfamily.
Von Zeit zu Zeit ändern sich tatsächlich die Zeiten — aber ist das je zuvor so schnell passiert?
Das deutsche Bäckerhandwerk ist ja immaterielles Weltkulturerbe (UNESCO und so), von daher: Don’t panic! Virtuell sind wir save! Das kann uns keiner wegnehmen und so oldschool echt-mäßig — da muss man eben mal das eine oder andere bittere Brötchen schlucken. Kannse machen nix. Die Energiepreise, der pöse Putin — das ham bekanntlich ja nich unsere sich ausgedacht, da ham wir ja keine Schuld dran!!! Und falls das tröstet: Bernd das Brot wird bleiben. Oder anders ausgedrückt: Blinki blinki, sagt das Teletubbi auf der Mattscheibe.
Unvergessen die Szene seinerzeit im oldschool Kinosessel von Krähwinkel, wie der amerikanische Zenkoch (Credits to Doris Dörrie! PS: Wo warst du in Sachen Corona??!) in der Klosterküche von seiner alten Mutter erzählt: Yeast makes me nervous, hatte die immer gesagt, also: Hefe macht mir Angst ...
Tja, die Hefe lebt und damit, also mit dem LEBENDIGEN, kann so mancher nich mehr so gut — und der Ami schon gar nicht ... Deswegen muss er wohl auch über den ganzen Planeten irren und wo er hinkommt, alles in Schutt und Asche legen — na ja, anderes Thema, ich schweife ab ...
Immerhin, das Eichhörnchen vorm Fenster hier in Krähwinkel ist noch echt. Mindestens einmal wöchentlich guckt es um die Ecke, rennt mit Highspeed durch die Bäume und springt seinen abenteuerlichen Sprung vom äußersten Rand des Weißdornasts rüber zum eine Etage tiefer gelegenen Tannenzweig — über die vierfache Körperlänge geht der Stuntjump sicherlich und ohne Seil und doppelten Boden — immer wieder zum Jubeln! Applaus, Applaus! Hoch lebe das echte, hoch lebe das lebendige Leben!
Und damit muss ich mich für heute auch verabschieden — der Hefeteig hat seine 30 Minuten Ruhe gehabt und muss jetzt etwas gehätschelt und in Form gebracht werden. Ein Hoch auf alle Krähwinkler da draußen!
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