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Verschleierte Werte

Verschleierte Werte

Es gibt keine per se teuflische Kultur, der Teufel steckt in jeder Kultur nur in jeweils unterschiedlichen Details.

Meine Mutter liebte Youssef, im Paris der Fünfziger Jahre! Das Bild des sehr attraktiven Algeriers, der nicht mein Vater wurde, hängt heute noch in ihrer kleinen Wohnung und begleitete mich durch meine Kindheit. Immer fragte ich sie nach ihm und lauschte gespannt ihren Erzählungen. Er studierte Politikwissenschaften, war hochintellektuell, liebte Camus und meine Mutter, eine junge, schöne Studentin an der Sorbonne — die mit 21 Jahren ihr Dorf in der Pfalz verließ, um das Leben zu lernen.

Die Liebe währte ein paar Jahre, bis mein Vater kam. Youssef gab meine Mutter ungerne auf und äußerte seine Verzweiflung und seinen Unmut, indem er meinem Vater die Autoreifen zerschnitt. Und bevor ich die Unken rufen höre, möchte ich vorwegnehmen, dass er, der arabische, orientalische Mann ausschließlich Gegenstände beschädigte, niemals aber Hand anlegte. Das war eher eine Vorliebe meines deutschen Vaters.

Ich bin mir bewusst darüber, dass das vorherig Erwähnte ein Fass öffnen könnte und oder auch wird — werde aber dennoch diese meine Realität später noch ein wenig mehr ausführen, trotz der großen Polarisierungsgefahr.

Zunächst einmal zurück zu Youssef und den liebevollen Erzählungen meiner Mutter. Sie erweckten in mir schon früh Neugierde auf andere Kulturen und Menschen; das Ganze wurde dann noch stärker, als ich mit 12 Jahren das erste Mal nach Tunesien und mit 13 Jahren nach Marokko reiste.

Was ich dort an Eindrücken gewann, ist sicher maßgeblich dafür verantwortlich, dass ich mich mein ganzes Leben zu islamischen, orientalischen und arabischen Menschen und Kulturen hingezogen gefühlt habe. Nie werde ich den Klang des Muezzins vergessen, oft habe ich ihn in meiner Musik imitiert. Nie werde ich die Altstadt/Souk und ihre Farben und die wunderbaren, verschiedenen Gerüche der unglaublich schönen marokkanischen Stadt Fès vergessen.

Als ich dann Jahre später selbst noch für ein halbes Jahr in Paris lebte, war es sicher kein Zufall, dass ich viel Zeit mit maghrebinischen Menschen verbrachte. Nochmals verstärkt wurde diese meine Affinität dadurch, dass meine Cousinen und mein Onkel zu dem Derwisch-Orden Dscherrahi-Tariqa unter Muzaffer Ozak konvertierten.

Ich war von da an Beobachterin und Hörerin von Gebetsritualen und mystischen Geschichten. Als junge, feministische, politische und allem voran atheistisch erzogene Frau entstanden allerdings, trotz aller Faszination, Zweifel in mir. So sah ich meine Cousinen, wie sie in zweiter Reihe beten mussten, da die erste immer von Männern belegt war. Ich sah sie ihren Kopf bedecken, während der männliche Kollege keinerlei Einschränkungen hatte. Ich verstand überhaupt nicht, warum es vor Allah so viele Unterschiede zwischen Frau und Mann geben soll.

Ich nahm mir eine Übersetzung des Qur-ans und versuchte es in der Schrift nachzuvollziehen, denn diese sagt, Frauen sollen mit ihren körperlichen Reizen bescheiden umgehen und „draw their veils over their bosoms“ (Sure 24:31), was wörtlich heißt, den Busen zu bedecken, nicht aber den Kopf.

Ich fing an zu vergleichen und fand Ähnliches oder gar noch Befremdlicheres in der Bibel:

„Eine Frau aber entehrt ihr Haupt, wenn sie prophetisch redet und dabei ihr Haupt nicht verhüllt (…), denn der Mann darf sein Haupt nicht verhüllen, weil er Abbild und Abglanz Gottes ist, die Frau aber ist der Abglanz des Mannes“ (Erster Brief an die Korinther, Kapitel 11).

So beschloss ich nach langer Lektüre und Recherche, dass Frauen in allen Heiligen Schriften und/oder Spirituellen Glaubensgemeinschaften mehr oder weniger benachteiligt sind und werden, in der englischen Übersetzung des Qur-ans von A. Yusuf Ali 1975, die ich gelesen habe, aber tatsächlich eher weniger. Es gab mir zu denken, wohl bewusst, dass es auch immer eine Frage der Interpretation ist; dennoch verstand ich zum ersten Mal wirklich, wie wichtig es ist, sich tiefgründig und ausführlich zu informieren, anstatt schnell und oberflächlich zu urteilen.

Der Qur-an ist also in meiner Übersetzung weniger frauenfeindlich und kreiert ganz andere Bilder von Frau und Mann als die, die ich in der Bibel gefunden habe. Nun ist es aber so, dass kaum etwas so viel diskutiert wird wie die Stellung der Frau im Islam, und dafür gibt es sicherlich auch Gründe. Nur nehme ich mir nicht heraus, diese so zu diskutieren, als wäre ich Teil dieses Systems, denn ich bin es nicht. Wohl aber habe ich schon ein recht langes Leben als kaukasische nichtmuslimische Frau mit meist kaukasischen nichtmuslimischen Männern gelebt — hier ist meine Urteilskraft wesentlich fundierter.

Ich wage mich noch einmal zum Anfang zurück: Ich persönlich habe viele Übergriffe von Männern aus meinem Kulturkreis erfahren und weigere mich daher dagegen, vor den Türen anderer zu putzen, um vielleicht sogar noch abzulenken von den unglaublichen Straftaten, die in diesem unserem Lande, im Namen unserer Religion, von „unseren“ Männern an „unseren“ Kindern und Frauen begangen werden und zur Scham unserer ganzen Justiz und unserer Gesellschaft nicht einmal geahndet werden. Jüngstes Beispiel: Schauspieler Florian Teichtmeister, der im Besitz von sechsundsiebzigtausend kinderpornografischen Dateien war, diese zum Teil mit höchst sadistischen Kommentaren versehen hat und damit sozusagen unzählige Neuauflagen kreiert hat, kommt mit zwei Jahren Bewährung auf freien Fuß (Anmerkung aus gegebenem Anlass siehe unten).

Ich möchte hier gar nicht erst anfangen von sexueller Gewalt in der Kirche — es gab kaum Strafverfahren gegen die vielen Kleriker, die sich brutalst an Kindern vergangen haben, und vieles mehr.

Ich schließe diese Einleitung mit einem Gedanken, von dem ich fest überzeugt bin:

Gewalt hat keine Nationalität und keine Ethnie und grundsätzlich auch kein Geschlecht. Sie wird ausgeübt von Männern und Frauen in verschiedenster Façon — am Ende bleiben immer Opfer zurück, die Anerkennung brauchen und denen geholfen werden muss, vor allem, damit sie nicht selbst wieder Täter werden.

Diese endlos scheinende Spirale kann nur durch strukturelle Veränderungen gebrochen werden — vor allem aber durch ein offenes, differenziertes und achtsames Miteinander. Die Akzeptanz und Wahrung der Grenzen des Gegenübers, des Partners und des eigenen Kindes sind dabei mehr als essenziell.

So handeln auch die folgenden Texte meiner sehr geschätzten Kollegin Nina Maleika, die mich zu dieser langen Einleitung inspiriert haben, von Ambivalenzen: Sie beschreibt in ihrem ersten Text „Fragmente“ unter anderem ihre Gedanken zu der Stellung der Frau in Ägypten, besonders weil in ihrer Brust zwei Herzen schlagen: ein deutsches von mütterlicher Seite, und von väterlicher Seite ein ägyptisches.

Ihre Beschreibung ist kurz, stark und nachklingend, gerade weil sie so transparent über ihre Zweifel spricht.

Sie beschreibt Ägypten als ein Land mit viel struktureller Gewalt, aber eben auch starken kulturell-religiösen Werten. Ihr zweiter Text spricht über weitere eigene Erfahrungen, wie zum Beispiel in Afghanistan ein Kopftuch zu tragen, und hinterfragt auch hier konsequent ihre eigenen Vorurteile.

Viel Spaß beim Lesen wünschen wir euch, liebe Leser und Leserinnen.

Love and peace von Alexa Rodrian und Nina Maleika

Nina Maleika Textfragmente 1:

Zwei Herzen in meiner Brust. Oder wo Gott mit dem Teufel kämpft.
In Deutschland geboren. Woanders zu Hause?!
Das sagt mir zumindest mein Herz.
Manchmal.

Wie kann es also sein, dass eine freiheitsliebende Frau, die vor ihrer Ehe mit mehr Männern geschlafen hat als ihre beiden Hände Finger haben, eine bei uns zu Lande genannte emanzipierte Frau sich in einem muslimisch geprägten Land so wohl fühlt?!
Ein Teil der Wahrheit ist verklärte Romantik, die mir Gott sei Dank bewusst ist.

Ein anderer Aspekt ist der, dass ich als Europäerin natürlich eine andere Position dort genieße als Fatma und Ayse.

Ich war kürzlich wieder in Ägypten, und es fühlt sich für mich in diesem Land so an: Gott und der Teufel kämpfen um die Vorherrschaft.

Der Teufel wird dort allerdings sehr stark versteckt, Gott hingegen ist vermeintlich allgegenwärtig.

Es ist dort nicht besser als bei uns zu Lande, es ist anders, die Leichen im Keller der Gesellschaft sind andere. Und in einigen wenigen Aspekten ähneln sie sich mit den unseren.

Sie riechen ähnlich, aber du musst schon sehr nah rangehen, um die Ähnlichkeit zu erkennen.

Doppelmoral und Heuchlertum finden sich auch dort zu Lande.
Sie finden sich ÜBERALL dort, wo Menschen um ihre (emotionale) Existenz und kulturelle Identität kämpfen.

Gräueltaten werden gesellschaftlich strukturell gedeckt, es scheint, als hätte man keinerlei Möglichkeiten, Dinge aufzuarbeiten und zu reflektieren, weil die historisch-moralische Zwangsjacke ähnlich eng sitzt wie bei uns!

Es gibt aber auch viele gesellschaftliche Aspekte in den arabisch-muslimischen Staaten, die ich kennenlernen durfte, sehr schätze und unseren vorziehe.

Man lässt sich durch staatliche Gewalt nicht an der Nase herumführen, der Staat war immer schon der Aggressor, der Zustand ist also Gewohnheit, warum ihn also naiv für einen Retter halten?!

Der Zusammenhalt in Bluts- und Freundschaftsstrukturen. Nur wenn du ganz nah ran zoomst, siehst du, dass auch diese Fassade Risse in sich trägt.

Was mich allerdings am meisten beeindruckt, liebe arabische Gemeinde, ist das Einzige, was ihr nie wirklich verratet: eure kulturell-religiösen Werte.

Diese sind wie eine Festung, durch die kein Durchdringen ist. Und die oft verschleiern, wie schlimm es wirklich um euch steht.

Sie geben Halt. Orientierung. Wahrheit. Und Kraft.

Das schützt euch gegen jegliche Angriffe auf die Grundfesten eurer Existenz und gleichzeitig lähmt es euch und zerstört euch von innen, da so keine Entwicklung möglich ist.

Eure Festung. Seit Jahren auch meine Festung.

Ein Verharren in der Vergangenheit scheint nötig, um sich den Verlockungen und Bedrohungen einer neuen Welt zu widersetzen!

Oh, geliebtes Land, du bist erkrankt an Wahnsinn (Deutschland).
Oh, geliebtes Land, du erstickst an deiner Widersetzung zur Reform.
Gott und der Teufel ringen um die Vorherrschaft.

Und der einzige Grund warum ich mich in einem letzten, alles beendenden Krieg zu EUCH begeben würde, geliebtes Abendland, ist der, dass eure letzte Zuflucht immer Gott ist.

Selbst wenn alles längst verloren wäre, habt ihr eure rettende und veredelnde Stütze, auf die ihr baut.

Und das ist Gott.

Und wir in Deutschland sind ein gottloses Land, und es ist skurril, aber euer Gott ist es, der mich rettet, der durch eure Hände auf mich wirkt, wenn in meiner Heimat alles verloren scheint, indem ihr mich aufnehmt wie ein mutterloses Kind.

Und dafür bin ich dankbar. Und geneigt, eure Defizite zwar zu erkennen, sie aber dulden zu können.

Und mich trotz allem bei euch in Liebe zu verwandeln.

Amen.

Es sind die zwei Herzen in meiner Brust.

Nina Maleika Textfragmente 2:

Afghanistan und warum man das Leben am eigenen Leibe erfahren muss!

Ob ich es nicht als Unterdrückung empfunden habe! Das Kopftuch!
Jein!

Ich habe mich dazu entschieden. Für vier Wochen. Es war spannend. Dinge erfährt man nicht aus dem Fernsehen oder durch Überlieferungen, sondern am eigenen Leibe! 2012 reiste ich mehrere Wochen nach Afghanistan, eine Reise, die mich für immer prägte.

Positiv!

Ich konnte viele Erfahrungen machen und Vorurteile revidieren. Habe schöne Menschen getroffen, die schönsten Kinder der Welt sehen dürfen, beeindruckende Frauen erleben, atemberaubende Landschaften sehen dürfen.

Es hat sich gelohnt!

Angst hatte ich, wenn, nur sekundär!

Ich war dort für einen Verein namens Alma Terra, der vor Ort Spielplätze für Kinder baut.

Etwas das dort wenig Wert hat, Spielen, weil andere Dinge Vorrang haben!

Ich lebte die meiste Zeit in Panshir, einer Region in den Bergen, in einer Hütte mit acht Menschen auf Matratzen die ich nicht kannte, ohne Toilette, ohne Wasser zum Waschen.

Spannend. Nachts plötzlich ein Erdbeben ...

Ich erzählte den Menschen am nächsten Tag, ich hätte von einem Erdbeben geträumt. Man ließ mich in dem Glauben. Das Blau des Himmels, des Wassers, leuchtete dort in einer Art und Weise wie ich es nie wieder gesehen habe.

Die Männer redeten nicht mit mir, maximal in meiner Anwesenheit ÜBER mich, aber nicht MIT mir. Ich saß hinten im Auto und wendete mich an einen unserer Fahrer, wurde schlicht ignoriert, die nächsten Wochen musste ich erkennen, dass das üblich war, dass das nun so sein würde.

Also schwieg ich.

Wenn ich mich mitteilen wollte, musste ich mich unserem deutschen „Führer“ anvertrauen, er sprach, man antwortete ihm, er übersetzte an mich! So war das halt.

Man akzeptiert sowas. Auch ich.

Spannend wie es sich anfühlt unter dem Kopftuch. Gefühle von Wut, Aggressionen kamen in mir hoch. Aber auch das Gefühl von Aufgehen in einer Anonymität, die mich aus der permanenten Rolle der verantwortlichen, starken Frau herauskatapultierte.
Ich sprach nicht, ich guckte nicht, ich zahlte nicht.

Ich war nicht verantwortlich.
Weil es mich nicht gab.

Ich begegnete wunderschönen Frauen unter schwarzen Burkas, in Universitäten nur für Frauen, die dort studierten. Inklusive eines angeschlossenen Kindergartens.

Das erzählt einem keiner. Auch nicht die Medien. Die sowieso nicht. Darum tue ich es.

Wir saßen mit 20 Christen einer christlichen Mission in einer verbarrikadierten Villa am Stadtrand von Kabul! Wir lachten, aßen, beteten, ich auch, als Nicht-Christin, und es war schön, diese Gemeinschaft! Erfahrungen werden dir nicht im Fernsehen präsentiert. Erfahrungen musst du machen. Am eigenen Leib.
Denn sie werden zu deinem Weltbild.

Danke, dass ich all diese Erfahrungen machen darf!


Quellen und Anmerkungen:

Wer sich für den Fall Teichtmeister und vor allem für das zweifelhafte Urteil interessiert, kann sich auf Servus TV diese Sendung ansehen: Besonders wichtig sind hier die Argumente von Josefine Barbaric, die sich als Kinderschutz Aktivistin mit ihrem Verein „Nein lass das!“ unaufhörlich und kraftvoll gegen sexualisierte Gewalt an Kindern einsetzt.


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