Das Haus aufräumen
Es ist schwer, sich angesichts der überbordenden Probleme und Bedrohungen nicht sofort konkreten politischen Lösungsansätzen zuzuwenden. Wenn ich auch weiter oben von Russland und Amerika als souveränen Nationen gesprochen habe, sollte man die wahren Machtverhältnisse nicht aus den Augen verlieren. Amerika wird nicht allein vom Weißen Haus regiert und Russland nicht allein aus dem Kreml. Der Umgang mit den derzeit drängendsten Themen, Corona und Ukrainekrieg, steht exemplarisch für die Entdemokratisierung westlicher Gesellschaften. Der „mündige Bürger“ hat sich das Heft des Handelns aus den Händen nehmen lassen. Hinter der Erosion westlicher, freier Gesellschaften, steht eine unselige Trias aus Infantilisierung der Bürger, Propaganda seitens oligarchischer Netzwerke und dem Verlust weltanschaulicher Werte. Um den Weg in eine freie und mündige Gesellschaft zurückzufinden, wären demzufolge drei Dinge nötig:
- Nachreifung des Individuums,
- Aufdeckung manipulativer Lobby-Netzwerke,
- Bewusstmachung eines weltanschaulichen Kulturkampfes.
Um ebendiese drei Aspekte wird es im weiteren Verlauf dieses Buches gehen. Wenn ich die vielen Zuschriften und Reaktionen auf meine bisherige Arbeit zusammenfasse, verbergen sich im Subtext vieler Leseranfragen konkrete, politische Lösungsvorschläge. So wird die Gründung neuer Parteien empfohlen, etwas zwischen CDU und AfD soll es sein, meinen die einen, etwas zwischen SPD und Die Linke, meinen die anderen. Wieder andere wollen erkannt haben, dass vor neuen politischen Ansätzen zunächst die Reform der Medien stehen müsste. Das Konzept des zwangsfinanzierten öffentlichen Rundfunks sei ebenso infrage zu stellen wie die Nähe der Intendanten zu den Parteien. Außerdem müsse die einseitige politische Positionierung der Medien-, besser Meinungsmacher wieder repräsentativer werden. Untersuchungen zufolge sind derzeit tatsächlich 90 Prozent der Journalisten linksgrün orientiert. Ehemalige journalistische Werte wie die Trennung zwischen Meinung und Sachinformation seien wiederzubeleben, oder, anders gesagt, investigativer Journalismus sei Haltungsjournalismus vorzuziehen. Und schließlich gab es Lösungsvorschläge, die betonten, man solle konservative Institutionen stärken, allen voran die klassische Familie mit Mutter und Vater, ebenso die Kirchen. Wieder andere Leser stellen klar, dass Deutschland mehr echte Basisdemokratie nach Schweizer Muster bräuchte. Das aufgeblasene Parlament sei zu verschlanken, Verfilzungen mit Lobbyisten, Parteienfinanzierungen und Nebenverdienste der Parlamentarier seien schonungslos offenzulegen.
Natürlich würde ich diese und viele weitere politische Lösungen ebenfalls begrüßen. Dass ich mit meinen psychologischen Ansätzen dennoch Denkern wie Jordan B. Peterson folge — erst das Haus aufräumen, dann politisch werden —, hat natürlich mit meiner persönlichen Vita und meinen Kompetenzen zu tun. Abgesehen davon greift eine simple Tatsache:
Unreife Individuen bleiben unreife Individuen, auch wenn sie sich zu einer Gruppe zusammenschließen und sich eine politische Agenda geben.
Politische Programme werden so lange von Projektionen und Übertragungen kontaminiert, bis die Akteure diese als persönlich und innerpsychisch erkannt haben. Und dieses Erkennen ist eben kein politischer, sondern ein individualpsychologischer Vorgang, der im vorpolitischen Raum stattfindet. Wer seine wahren Motive, Ängste und seinen psychologischen „Schatten“ nicht kennt, agiert sich auf politischer Bühne lediglich aus, um seinen Schmerz und seine Angst zu befrieden. Seit 1945 hat es vermutlich keine Zeit gegeben, in der sich dieses Ausagieren so mustergültig abgebildet hat wie auf den Regierungsbänken der derzeitigen Ampelkoalition. Dass ausgewiesen neurotische und fachlich völlig ungeeignete Charaktere in die höchsten Ämter des Staates und an die Parteispitzen gewählt werden, um fortan auf politischer Bühne hemmungslos ihre eigenen Ängste auszuagieren, ist symptomatisch für den Zustand der deutschen Gesellschaft.
Der Begründer der Existenzpsychologie und Logotherapie, Viktor E. Frankl (1905 bis 1997), hielt 1988 im Gedenkjahr zum „Anschluss“ Österreichs an Nazideutschland eine viel beachtete Rede. Der jüdische Psychiater Frankl überlebte als Einziger seiner Familie vier Jahre Konzentrationslager — dennoch widersprach er der Kollektivschuld-These vehement. Frankl ist für meine Arbeit und für dieses Buch von zentraler Bedeutung, da er als Philosoph und Analytiker vorweggenommen hat, wohin sich eine Gesellschaft entwickelt, wenn ein Großteil der Bürger ihre Wurzeln, ihre Werte und ihren Lebenssinn verloren haben. Das Vakuum des Werteverlustes bewirkt eine politische Negativauslese, die früher oder später in die Totalität führt:
„Der Nationalsozialismus hat den Rassenwahn aufgebracht. In Wirklichkeit gibt es aber nur zwei Menschenrassen, nämlich die ‚Rasse‘ der anständigen Menschen und die ‚Rasse‘ der unanständigen Menschen. Und die ‚Rassentrennung‘ verläuft quer durch die Nationen und innerhalb jeder einzelnen Nation quer durch alle Parteien. (…) Dass die anständigen Menschen in der Minorität gewesen sind und voraussichtlich auch bleiben werden — damit müssen wir uns abfinden. Gefahr droht erst dann, wenn ein politisches System die Unanständigen, also die negative Auslese einer Nation, an die Oberfläche schwemmt“ (1).
Sind die „Unanständigen“ erst einmal oben, stehen sie als vermeintliche Ursache der Misere im Fokus. Dennoch führt diese Fokussierung zu einer Täuschung über die wahren Hintergründe der Gesellschaftskrise:
Nicht unfähige Politiker sind das Problem, sondern infantile und gleichgültige Bürger, die derartige „Eliten“ tolerieren.
Der Jurist, Journalist und Autor Milosz Matuschek, langjähriger Kolumnist der Neuen Zürcher Zeitung, bringt das Problem auf den Punkt:
„Wir leben in einer Zeit, in der nicht mehr nur hin und wieder Böcke zum Gärtner gemacht werden. Vielmehr ist Bockseigenschaft das Qualifikationsmerkmal für den Gärtnerjob geworden. Die fachlich oder charakterlich am wenigsten Geeigneten werden verlässlich nach oben durchgereicht. (…) Kritik an der Unfähigkeit der Eliten ist nicht neu und zu einem gewissen Grad auch wohlfeil, gewiss. Der springende Punkt ist gar nicht die personelle Negativauswahl und allgemeine Verlottertheit der Politik. Die große Frage ist vielmehr, warum der Bürger das zulässt. (…) Der Schlüssel zur Veränderung sind nicht bessere Politiker. Es sind bessere Bürger. Der primäre Feind ist nicht der Politiker, der sich an die Spitze mauschelt. Sondern der Bürger, der ihn gewähren lässt. (…) Der Schriftsteller John Fowles hat in seinem Buch ‚Aristos‘ den Grund für diese Unfähigkeit zum Besseren unter anderem in dem Mangel gesehen, sich selbst als erwachsen und fähig zu begreifen. Im Stadium des ewigen Kindes gibt es keine Verantwortlichkeit. Erwachsensein ist dabei für ihn keine Altersfrage sondern eine Frage der Fähigkeit zur Selbsterkenntnis. Welchen Anspruch haben wir an uns selbst? Erst mit der Sehnsucht nach Verwirklichung des besten Zustands entsteht eine gemeinsame Welt und damit ein echtes Gemeinwesen“ (2).
Kurzum:
Erst Nachreifung und Selbstentwicklung der Bürger schaffen die Grundvoraussetzungen zugunsten einer gesünderen Gesellschaft.
Dabei geht es um den persönlichen Prozess der Selbsterkenntnis eines jeden Einzelnen. Ungeachtet meiner letzten Bücher, in denen ich als gesellschaftskritischer und politischer Autor wahrgenommen werde, verorte ich mich selbst als selbstkonfrontativer Künstler und Therapeut. Ich habe meine politischen Betrachtungen daher nie als abstrakte Predigten von der Kanzel verstanden, sondern immer in Bezug zu meinen persönlichen Erfahrungen als selbst von Transtrauma betroffener Babyboomer gestellt. Ohne das Anerkennen meiner eigenen Verletzungen und der Suche nach Abhilfe wäre ich weder Therapeut noch Künstler geworden und später auch kein „politischer“ Autor. Dass sich bei der Art meines Kunst- und Therapieverständnisses letztendlich dennoch politische und gesellschaftsreformatorische Konsequenzen ergeben, ist dabei weder neu noch originell.
Ganzheitliche Künstler wie Joseph Beuys, Therapeuten wie John Bradshaw und Philosophen wie Bazon Brock haben dies lange vor mir formuliert. Ebenso treffen Freidenker und Psychologen wie Jordan B. Peterson den Nagel auf den Kopf, wenn sie die Persönlichkeitsentwicklung vor das politische Engagement stellen. Was Peterson seinen Lesern als Erstes mit auf den Weg gibt, ist die Feststellung, dass die Veränderung der Welt damit beginnt, das eigene Haus in Ordnung zu halten. Und wie bei einer realen Reise, so muss auch der Held, bevor er in das große Abenteuer eines authentischen Lebens starten kann, zunächst sein persönliches „Haus“ aufräumen. Dieses Aufräumen besteht in einer schonungslosen und ehrlichen Lebensbilanz, die jedoch kaum über bloßes „Nachdenken“ oder rein intellektuelle Prozesse erfolgen kann. Kreative und therapeutische Prozesse, die darauf abzielen, erst die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, bevor man sich daranmacht, die Welt zu verändern, erzeugen schlussendlich aber einen Politiker- und Bürgertypus mit Weitsicht, Gelassenheit und hoher Resilienz gegen Manipulationen jedweder Art. Das am Anfang dieses Buches stehende Zitat des Philosophen Matthias Burchardt, „eine Demokratie bedarf des gebildeten Staatsbürgers“, würde ich daher ergänzen wollen in „eine Demokratie bedarf des erwachsenen Staatsbürgers“. Denn das Hauptmerkmal des neurotischen, leicht zu manipulierenden Bürgers und Politikers ist seine persönliche Infantilität.
Monomythos
Bekanntlich wird man ganz von allein älter — wie aber wird man wirklich erwachsen? In „Die Wiedergutmacher“ hatte ich den Prozess der „misslungenen Triangulierung“ beschrieben, der bei Jungen zum sogenannten Puer-aeternus-Komplex führen kann. In Ermangelung einer starken Vaterfigur kommt es zur Überidentifizierung mit femininen Werten, vermittelt durch eine überpräsente Mutter. Was dabei herauskommt, ist ein lebenslang verweichlichter Mann, der eng an seine leibliche Mutter gebunden bleibt. Alternativ kann es aber auch zu Übertragungen auf andere Mutterfiguren kommen. Entweder der Mann sucht sich in seiner Partnerin eine „Ersatzmutti“, oder Politikerinnen wie Angela Merkel werden zur „Mutti“ verklärt, die es stets gut mit einem meint.
„Viele Psychologen, die sich mit der Reife meiner Generation beschäftigen, halten 80 Prozent der deutschen Babyboomer-Männer für ‚mangelhaft trianguliert‘. Was nichts anderes bedeutet als ‚Kind geblieben‘. Gabriele Baring, eine Berliner Therapeutin und Autorin, folgt dieser These. In ihrem Cicero-Artikel ‚Wir müssen gegensteuern — sind die Deutschen ein Volk der Angsthasen?‘ schreibt sie über Angela Merkel und ihre männlichen Getreuen: ‚Als ich im Bundestag die Kanzlerin zwischen ihren Ministern Peter Altmaier und Sigmar Gabriel sitzen sah, sah ich zwei Kindergesichter auf gewaltigen Körpern, die uns zeigen, dass sie zur Welt einen gewissen Abstand halten.‘“ (3).
In diesem Zusammenhang zitierte ich den Schriftsteller Robert Bly, der in seinem Grundlagenwerk „Eisenhans“ die Problematik der zeitgenössischen Männerpsychologie beleuchtet. Bly beklagt sowohl das Fehlen einer männlichen wie auch einer weiblichen Initiation in der Neuzeit. Blys Analyse des Märchens „Eisenhans“ ist dabei nichts Geringeres als die Aufarbeitung des besagten Heldenmythos zum Zwecke der Initiation.
Neben Robert Bly und Eugen Drewermann hat der amerikanische Mythenforscher Professor Joseph Campbell (1904 bis 1987) wie kein anderer Gelehrter das Grundmotiv und die Stationen dieser Heldenreise erforscht. Campbell erkannte in allen Volksmärchen und Mythen rund um den Globus ein Grundmuster, um nicht zu sagen ein Drehbuch bezüglich der Handlung. Die Charaktere der Figuren in allen großen Erzählungen ähneln sich. Außerdem sind die verschiedenen Situationen, in die der Protagonist der Geschichte gerät, vergleichbar. Campbell, bewandert in der analytischen Psychologie C. G. Jungs, erkannte in den Ur-Geschichten der Völker archetypische Grundstrukturen der menschlichen Seele wieder. Das Leitmotiv des so erkannten „Monomythos“ besteht aus drei Hauptstationen, die der Held durchlaufen muss:
- Separation
- Initiation
- Rückkehr und Dienst.
Campbell war überzeugt davon, dass die alten Geschichten ein Licht auf die dem Menschen eingeborene, tiefe Struktur der Seele verraten. Bezüglich der Initiation in die Welt der Erwachsenen dienen die alten Mythen als wichtige Orientierung.
Dass alle Menschen vom Monomythos gleichermaßen fasziniert sind, ist aufgrund seiner archetypischen Konzeption kein Zufall, denn die universelle Gültigkeit bezieht der Mythos aus den Gegebenheiten der menschlichen Psyche. Projiziert ins Außen erzählt das Abenteuer in Wirklichkeit von inneren psychischen Wandlungs- und Wachstumsprozessen, die zu jedem Menschsein gehören. Es ist die zutiefst menschliche Erfahrung, über Einsamkeit in der Krise — Separation — alte Lebensabschnitte abzulösen, um sich entwickeln zu können. Psychologen und Philosophen sehen deshalb im „Sieg über den Drachen“ und im „Finden des Heiligen Grals“ Metaphern für den Sieg über den eigenen Schatten und das Finden des wahren Selbst. Der Heldenmythos erzählt letztlich von der Erfahrung des wirklichen Erwachsenwerdens oder auch von der Einweihung in eine tiefere Lebensweisheit. Inhärent ist dem Mythos immer Todesnähe, denn diese ist untrennbar mit der menschlichen Suche nach dem Lebenssinn verbunden. Der Schweizer Analytiker und Philosoph Carl Gustav Jung nannte die Heldenreise zum wahren Selbst Individuation. In meinem Künstlerbuch „Die Heldenreise des Künstlers“ beschrieb ich eine kurze Skizze des Dramas:
Der Held ist Teil eines Kollektivs, das an großem Mangel und/oder einer enormen Bedrohung leidet. Keiner kann das Problem so recht lösen, und alle darben vor sich hin. Der Held hat eine diffuse Ahnung oder vernimmt eine innere Stimme, die ihn auffordert, sein Kollektiv zu verlassen und sich auf eine gefährliche Reise zu begeben, um das Problem zu lösen. Ihm ist klar, dass seine Reise einsam und gefährlich wird und dass große Entbehrungen auf ihn warten.
Es ist deshalb kein Wunder, dass sich der Held dem Aufbruch zu seiner Reise verweigert. Doch der Druck und das Leid steigen so enorm, dass der Held seinen inneren Widerstand aufgibt und sich schließlich auf den Weg in ein unbekanntes Abenteuer macht.
Während seiner Odyssee muss er schwere Prüfungen oder Kämpfe bestehen, die ihn an den Rand des Todes führen. Doch obwohl der Held große Ängste, Krisen und Zweifel durchleidet, erhält er unerwartet Hilfen, Verbündete oder Wegweiser, die es ihm schließlich erlauben, sein Abenteuer zu meistern. Ja mehr noch, als Belohnung für seinen Mut erhält er am Ende einen überaus wertvollen Schatz (im Märchen ein Schwert, einen Ring, Gral, Becher oder ein goldenes Vlies). Nach schwieriger, aber geglückter Rückreise bringt der Held seinen Schatz in die Heimat, wovon das Kollektiv enorm profitiert. Fortan ist der Held ein Gewandelter, denn der Heimkehrer ist jetzt weniger der Draufgänger als vielmehr der alte weise Mann — manchmal auch der Narr — oder die weise Frau, die beziehungsweise der dem Kollektiv als Ratgeberin beziehungsweise Ratgeber dient.
In meinem früheren Künstlerbuch beschrieb ich die Krise der Kunst, die in erster Linie darin besteht, den Urgrund ihrer selbstkonfrontativen Wurzeln verloren zu haben. Dominiert von intellektueller, verklausulierter, akademischer Kunst, verkam die Postmoderne zum Insiderwitz für Eliten, klassische Kunstvorstellungen der Moderne wurden diskreditiert und lächerlich gemacht. Doch ebendieser Prozess spielte sich auch in der Gesellschaft insgesamt ab: Auch hier dominierte eine kleine Gruppe intellektueller Taktgeber, deren Hybris vor allem darin besteht, die metaphysischen Wurzen der menschlichen Seele zu negieren.
Campbell strukturierte die vielen Mythen der Welt und erkannte darin prinzipiell 17 Stationen, die der Held durchleben muss, wobei nicht alle auch in allen Kulturen eins zu eins enthalten sein müssen:
- „Der Ruf des Abenteuers (Berufung): Erfahrung eines Mangels oder plötzliches Erscheinen einer Aufgabe.
- Weigerung: Der Held zögert, dem Ruf zu folgen, beispielsweise weil es gilt, Sicherheiten aufzugeben.
- Übernatürliche Hilfe: Der Held trifft unerwartet auf einen oder mehrere Mentoren.
- Das Überschreiten der ersten Schwelle: Er überwindet sein Zögern und macht sich auf die Reise.
- Der Bauch des Walfischs: Die Probleme, die dem Helden gegenübertreten, drohen ihn zu überwältigen — zum ersten Mal wird ihm das volle Ausmaß der Aufgabe bewusst.
- Der Weg der Prüfungen: Auftreten von Problemen, die als Prüfungen interpretiert werden können (Auseinandersetzungen, die sich als Kämpfe gegen die eigenen inneren Widerstände und Illusionen erweisen können).
- Die Begegnung mit der Göttin: Dem Helden — oder der Heldin — wird die gegengeschlechtliche Macht offenbar.
- Die Frau als Versucherin: Die Alternative zum Weg des Helden kann sich auch als vermeintlich sehr angenehme Zeit an der Seite einer — verführerischen — Frau offenbaren (vergleiche Odysseus/Kirke).
- Versöhnung mit dem Vater: Die Erkenntnis steht dem Helden bevor, dass er Teil einer genealogischen Kette ist. Er trägt das Erbe seiner Vorfahren in sich, beziehungsweise sein Gegner ist in Wahrheit er selbst.
- Apotheose: In der Verwirklichung der Reise des Helden wird ihm offenbar, dass er göttliches Potenzial in sich trägt, in Märchen oft symbolisiert durch die Erkenntnis, dass er königliches Blut in sich trägt.
- Die endgültige Segnung: Empfang oder Raub eines Elixiers oder Schatzes, der die Welt des Alltags, aus der der Held aufgebrochen ist, retten könnte. Dieser Schatz kann auch aus einer inneren Erfahrung bestehen, die durch einen äußerlichen Gegenstand symbolisiert wird.
- Verweigerung der Rückkehr: Der Held zögert, in die Welt des Alltags zurückzukehren.
- Die magische Flucht: Der Held wird durch innere Beweggründe oder äußeren Zwang zur Rückkehr bewegt, die sich in einem magischen Flug oder durch Flucht vor negativen Kräften vollzieht.
- Rettung von außen: Eine Tat oder ein Gedanke des Helden auf dem Hinweg wird nun zu seiner Rettung auf dem Rückweg. Oftmals handelt es sich um eine empathische Tat einem vermeintlich ‚niederen Wesen‘ gegenüber, die sich nun auszahlt.
- Rückkehr über die Schwelle: Der Held überschreitet die Schwelle zur Alltagswelt, aus der er ursprünglich aufgebrochen war. Er trifft auf Unglauben oder Unverständnis und muss das auf der Heldenreise Gefundene oder Errungene in das Alltagsleben integrieren (im Märchen: das Gold, das plötzlich zur Asche wird).
- Herr der zwei Welten: Der Held vereint Alltagsleben mit seinem neu gefundenen Wissen und damit die Welt seines Inneren mit den äußeren Anforderungen.
- Freiheit zum Leben: Das Elixier des Helden hat die ‚normale Welt‘ verändert; indem er sie an seinen Erfahrungen teilhaben lässt, hat er sie zu einer neuen Freiheit des Lebens geführt“ (4).
Die recht komplexen Stationen, die Campbell im Monomythos der Heldenreise aufgelistet hatte, wurden später von dem bereits im Vorwort erwähnten Drehbuchautor und Publizisten Christopher Vogler modifiziert. Vogler hatte erkannt, dass die größten Kino- und Romanerfolge, wie „Krieg der Sterne“ und „Herr der Ringe“, unbewusst den Mythos nacherzählen — oftmals ohne sich über die tatsächliche Stringenz der Archetypen bewusst zu sein. Vogler systematisierte und vereinfachte den Ablauf und schrieb eine Anleitung, wie man spannende Drehbücher schreibt. Herausgekommen ist der Weltbestseller „The Writer's Journey“ (Die Odyssee des Drehbuchschreibers), eine Art „Bibel“ für Drehbuch- und Romanautoren. Ebenso wie Vogler den Mythos für Hollywood auf wesentliche Stationen heruntergebrochen hatte, nehme auch ich mir im Kapitel „Abenteuer“ die Freiheit, in einer eigenen Struktur die mir wichtig erscheinenden Stationen der Reise nachzuzeichnen.
Raymund Unger: „Die Heldenreise des Bürgers: Vom Untertan zum Souverän“
Quellen und Anmerkungen:
(1) Rede Viktor Frankl, Rathausplatz Wien 1988, Gedenkjahr zum „Anschluss“ Österreichs an Nazideutschland, diverse Aufzeichnungen; YouTube.
(2) Milosz Matuschek: „Kakistokratie: Warum haben die Unfähigsten noch das Sagen?“, freischwebende-intelligenz.org, April 2021.
(3) Raymond Unger: „Die Wiedergutmacher“, Europa 2018.
(4) Joseph Campbell: „Der Heros in tausend Gestalten“, Insel 1999. Liste zitiert aus Wikipedia: Heldenreise.
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