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Verbrecherische Justiz

Verbrecherische Justiz

Julian Assange bleibt vorerst weiter in britischer Isolationshaft. Mittlerweile hat er zwölf Jahre Freiheitsentzug nur deshalb hinter sich, weil er die Wahrheit enthüllte.

Er brachte die Wahrheit ans Licht und muss sein Dasein in Finsternis fristen: Seit 2019 sieht Julian Assange die Sonne nicht. „Sein Leben ist in ernster und unmittelbarer Gefahr“, sagt Stella Assange, seine Frau. Dem jüngsten Gerichtstermin am 20. Februar 2024 blieb Julian Assange fern. Aus gesundheitlichen Gründen. Der Journalist ist nach dem Spionagegesetz von 1917 in den USA angeklagt. Seine Anwälte kämpfen sich durch alle Instanzen, um zu verhindern, dass Assange den USA ausgeliefert wird.

Der Journalist wollte Staatsverbrechen aufdecken, damit sie nie wieder geschehen. Eines darunter ist die Ermordung von Mitarbeitern der Nachrichtenagentur Reuters in Bagdad. Sie wurden aus dem Hubschrauber beschossen unter dem Gelächter der Piloten, wie die Videoaufzeichnung „Collateral Murder“ zeigte. Das Material hatten Julian Assange und seine Mitarbeiter von dem Armeeangehörigen Bradley Manning erhalten. Für die Zusammenarbeit mit dem Informanten droht Assange lebenslange Haft.

Es ist das erste Mal, dass ein Journalist nach einem Spionagegesetz aus dem Ersten Weltkrieg verfolgt wird.

Die Anklage fällt in die Amtszeit von Donald Trump. Whistleblower wie Edward Snowden wurden schon unter Barack Obama nach dem Spionagegesetz verfolgt. Die Regierung Biden hält an der Anklage von Julian Assange fest.

Mit Wikileaks schuf Assange eine einzigartige Plattform: Geheimdienstmitarbeiter oder Armeeangehörige, die Beweise für Staatsverbrechen besaßen, mussten nicht mehr auf gut Glück Kontakte zu Journalisten herstellen. Auf der Suche bestand die Gefahr, aufzufliegen oder verraten zu werden. Mit Wikileaks konnte man über sichere, verschlüsselte Kanäle kommunizieren. Die Plattform war in der Lage, Informationen in großer Menge schnell bekannt zu machen. Wikileaks besaß Kontakte zur Presse weltweit.

Eine freie Gesellschaft braucht ein freies Zahlungsmittel

Beim Schutz von Informanten spielt auch Bargeld eine Rolle. In den 2000ern publizierte der US-Journalist James Risen zu einer CIA-Geheimdienstoperation im Iran. In den Jahren 2013, 2014 wollte man ihn zwingen, vor Gericht gegen seinen vermeintlichen Informanten auszusagen. Ihm drohte Gefängnis, falls er sich weigern würde, doch er blieb standhaft. Wie sich herausstellte, beschaffte sich die Staatsanwaltschaft Daten über Kreditkartenzahlungen und Banküberweisungen des Journalisten. Mit diesen Informationen wollte man James Risen auf die Schliche kommen, wann er sich wo mit wem getroffen haben könnte.

Bargeld hinterlässt diese Spuren nicht. Für Journalisten ist daher wichtig, überall mit Bargeld bezahlen zu können. Je schwieriger es für Informanten wird, sich in einem halbwegs sicheren Rahmen mit einem Presseangehörigen zu treffen, desto weniger erfährt die Gesellschaft über Missstände. Auch Julian Assange zahlte in London bar statt mit Kreditkarte, solange er auf freiem Fuß war. Wegen seiner Vorsicht zeichnete ein New York Times-Redakteur von ihm das Porträt einer paranoiden Persönlichkeit. Doch Assanges Sorgen waren berechtigt.

Folter und ein Mordkomplott

Nach einer Recherche von Yahoo News, gestützt auf Gespräche mit mehr als 30 US-Beamten, diskutierte die CIA 2017, Julian Assange zu entführen und umzubringen. Auslöser war eine weitere Veröffentlichung Tausender Dokumente durch Wikileaks, diesmal von der CIA. Der Informant Joshua Schulte wurde am 1. Februar 2024 zu 40 Jahren Haft verurteilt. Die Dokumente zeigten, wie sich die CIA in so manches Wohnzimmer einlud, indem sie einen Fernseher aus der Ferne in eine Wanze umfunktionierte. Es stellte sich heraus, dass der Staat für den Einbau von Hintertüren in Betriebssystemen bezahlt und dass das Wissen darum zum Teil mit ausländischen Geheimdiensten wie dem britischen Government Communications Headquarters (GCHQ) geteilt wird.

Von 2012 bis 2019 hielt sich Julian Assange in der Botschaft von Ecuador in London auf. Nach einem Machtwechsel in dem südamerikanischen Land gewährte die Regierung Assange kein Asyl mehr. Der Journalist wurde der Polizei überstellt und befindet sich seither in Isolationshaft.

Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, kam zu dem Schluss, dass Julian Assange Opfer psychischer Folter ist. Er sieht in ihm einen politischen Gefangenen.

Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Melzer, wir hätten es mit einem mächtigen Staat, den USA, zu tun, „der in verschiedene Kriege involviert ist und dann konfrontiert ist mit einer Organisation wie Wikileaks, die anfängt, geheime, neue Beweise für Missverhalten — also nicht einfach nur irgendwelches Missverhalten, sondern Kriegsverbrechen und Folter, also von den schlimmsten Verbrechen — Beweise zu veröffentlichen“. Das bedrohe „das Businessmodell dieser Regierung“.

Auswärtiges Amt schweigt

Das deutsche Außenministerium konnte sich zu keinem Zeitpunkt dazu durchringen, Assanges Freilassung öffentlich einzufordern. Nils Melzer hatte am 26. November 2019 das Außenministerium aufgesucht und seine Erkenntnisse mitgeteilt, was ohne Folgen blieb. Im Wahlkampf 2021 sprach Annalena Baerbock von schwerwiegenden Verstößen gegen die Freiheitsrechte von Julian Assange, „allen voran gegen das Verbot von Folter“, und schloss sich einem Appell von Nils Melzer zu seiner Freilassung an.

Doch als Baerbock Außenministerin geworden war, hatte die Bundesregierung weiterhin „keinen Anlass, an der Rechtsstaatlichkeit des britischen Justizsystems und der Achtung der Menschenrechte in Großbritannien zu zweifeln“. Mehr noch: Die Linken-Fraktion im Bundestag erkundigte sich bei der Bundesregierung, ob Assange ein faires Verfahren in den USA erwarten kann im Falle seiner Auslieferung, und sprach die Tötungspläne der CIA an. Die Antwort:

„Es besteht aus Sicht der Bundesregierung kein Anlass dazu, an der Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz in den USA zu zweifeln. Im Übrigen kommentiert die Bundesregierung spekulative Presseberichterstattung nicht.“

Der Deutsche Journalistenverband reagierte empört.

Die Frankfurter Rundschau schrieb am 15. Februar 2024, dass die Bitte um ein Interview mit der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung vergeblich blieb. Nach Darstellung der Zeitung bat Luise Amtsberg (Grüne) sogar darum, Schweigen über das abgelehnte Gespräch zu wahren. Auf meine Presseanfrage hin begründet die Menschenrechtsbeauftragte ihr Handeln mit terminlichen Schwierigkeiten. Die Berichte der UN-Sonderberichterstatter seien eine wichtige Quelle für sie.

„Im vergangenen Jahr konnte ich mich auch mit Julian Assanges Ehefrau, Stella Assange, austauschen. Dabei haben wir über den sehr besorgniserregenden Gesundheitszustand ihres Mannes gesprochen.“

Jüngste Entwicklungen

Mitte Februar appellierten zwei Drittel des australischen Parlaments und Regierungschef Albany dafür, Assange die Möglichkeit zu gewähren, nach Australien zurückzukehren. In dem Appell heißt es, Assange drohe an die USA ausgeliefert zu werden, weil er Material veröffentlicht habe, das „schockierende Beweise für Fehlverhalten der Vereinigten Staaten aufdeckte“. 75 Bundestagsabgeordnete der Ampel-Parteien fordern in einem Brief seine Freilassung. Ebenso Amnesty International, Reporter ohne Grenzen, die Internationale Journalisten-Föderation, der Deutsche Journalistenverband und die Deutsche Journalistenunion.

Und dennoch ging die jüngste Gerichtsverhandlung in London ohne Ergebnis zu Ende. Die Richter baten stattdessen Assanges Verteidigung und die amerikanische Staatsanwaltschaft, Informationen nachzureichen. In einigen Wochen dürfte aber mit ihrer Entscheidung zu rechnen sein, ob Julian Assange in Berufung gehen kann. Wenn nein, dann bleibt es beim Beschluss des High Courts vom 10. Dezember 2021, und Assange kann jederzeit den USA überstellt werden. Das hatte die britische Innenministerin bereits im Juni 2022 angeordnet.

Der letzte Ausweg wäre der Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Doch Stella Assange befürchtet, dass ihr Mann schon vorher in ein Flugzeug in die Vereinigten Staaten gesetzt werden könnte.

Im Interview mit dem Freitag sagte sie:

„Als ich Julian kennenlernte, waren die westlichen Demokratien offener und setzten sich stärker für bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte ein. Die westliche Welt hat sich ruckartig in Richtung Autoritarismus entwickelt.“


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