„The revolution will not be televised“ ist ein Lied von Gil Scott Heron. Die Revolution, so die Aussage, wird nicht im Fernsehen übertragen. Mit Blick auf die prominenten Konflikte in der Welt könnte man heute hinzufügen: der Krieg jedoch sehr wohl. Egal, ob der Krieg des Westens gegen Russland in der Ukraine oder das Massaker Israels in Gaza und der Westbank — wann immer gewünscht, kann sich ein jeder von seinem Computer aus direkt ins Kriegsgeschehen hineinbegeben und sich anschauen, was vor Ort geschieht. Denn ukrainische und israelische, in geringerem Umfang russische und palästinensische Kämpfer filmen nicht nur ihre Einsätze, sondern stellen ihre Videos auch in großem Umfang online.
Um diese sehen zu können, muss man nicht in das finstere Darknet hinabsteigen; es genügt, sich auf X oder YouTube umzuschauen. Hier sieht man Patrouillenfahrten im Kampffahrzeug, Schusswechsel mit der jeweils anderen Seite, Drohnenschläge auf Panzer oder Soldaten im Schützengraben. Sogar westliche Söldner stellen ihre Einsätze in der Ukraine stolz zur Schau. So kann man auch als vollkommen Unbeteiligter tief in das Kriegsgeschehen eintauchen, kann live dabei sein, wenn die Soldaten feindliche Stellungen stürmen, vorrücken und die Front auf diese Weise verschieben.
Auch jeder Zivilist verfügt heute über ein Smartphone und kann so Raketeneinschläge und Explosionen in der Heimatstadt filmen. So finden die neuesten Ereignisse in Bild und Ton ihren Weg in die weite Welt des Internets. Im Gegensatz zu früheren Kriegen ermöglicht das eine ganz andere Anteilnahme an den Konflikten auf der Welt.
Wer erinnert sich noch an die verschwommenen Nachtaufnahmen der Bombardierung Bagdads durch die USA? Ein bisschen helles Flackern am Nachthimmel, Raketeneinschläge und Explosionen und davor ein verunsicherter Reporter, der seine höchst eingeschränkte Sicht auf die Dinge von sich gibt. So startete die Berichterstattung zum völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der USA auf den Irak. Eine Draufsicht von draußen, gewissermaßen vom Spielfeldrand. Heute jedoch kann man als Zuschauer mittendrin sein im Geschehen.
Das ermöglicht einerseits eine gute Analyse der Ereignisse. Und so gibt es einige YouTube-Kanäle, die sich die Aufnahmen zunutze machen, um darzulegen, wie sich die militärische Situation beispielsweise in der Ukraine entwickelt. Sie stellen dar, wo die Ukrainer zurückweichen müssen, wo die Russen vorrücken, welche Seite Verluste in welchem Umfang erlitten hat. Auf diese Weise kann man sich selbst aus der Ferne ein einigermaßen realistisches Bild von der Situation vor Ort machen, und es ist möglich, die Propaganda aller Seiten zu unterlaufen. Doch es kann andererseits auch zur Folge haben, dass der Krieg, das Sterben und Leiden der Soldaten und Zivilisten zu reinem Entertainment verkommen.
Viele Menschen sind es bereits gewohnt, sich Schusswechsel und Explosionen, Gewalt und Zerstörung in Filmen anzusehen. Jüngere Generationen nehmen sogar in Form von Videospielen selbst an solchen Massakern und Kämpfen teil.
Die Gewalt, die dort erlebt wird, ist, das wissen wir alle, nicht real. Doch jene der Drohnen- und Videoaufnahmen aus der Ukraine oder dem Gazastreifen ist es sehr wohl. Und dennoch wirkt es wie die logische Fortsetzung der Hypermedialisierung der Welt. Krieg, Tod und Gewalt werden zu einem Multimediaereignis, das auf diese Weise seinen Schrecken verliert.
Als Zuschauer findet man sich schnell in der Position wieder, die Erfolge der favorisierten Seite zu bejubeln, wie beim Fußball die Tore der „eigenen“ Mannschaft. Krieg wird auf diese Weise zu einem Sportereignis, bei dem man Partei ergreifen, mitfiebern und jubeln kann, wenn die „eigene“ Seite gegnerische Stellungen sprengt, Soldaten tötet oder Panzer zerstört. Dass aber auf der anderen Seite, in den Schützengräben und Panzern, echte Menschen sitzen, die ganz real ihr Leben verlieren oder schwer verwundet werden, wird dann vergessen. Auf diese Weise werden Menschen zu reinen Pixeln entmenschlicht, deren Zerstörung geradezu herbeigesehnt wird. Der Mensch, er wird zum reinen „Feind“, zu einem Hindernis, das überwunden werden muss, wenn die „eigene Mannschaft“ Erfolge erzielen und vorankommen will.
Selbst der Tod der „eigenen“ Leute geht weniger nahe, da man, anders als beim Fußball, mit den Soldaten nicht einmal einen Namen verbindet, geschweige denn ein Gesicht oder eine Persönlichkeit. Der Soldat wird zum anonymen Werkzeug der Begeisterung der Zuschauer, ganz zu schweigen vom anonymen Werkzeug der Herrschenden, die ihre Machtinteressen auf dem Rücken der einfachen Menschen durchsetzen. Durch die Medialisierung des Geschehens verliert Sterben seine Greifbarkeit, ist nicht fasslich. Da es sich nur um fremde Personen handelt, die uns das Videomaterial zeigt, berührt uns ihr Tod nicht mehr als das Massensterben in den Filmen, die wir gewohnt sind zu sehen. Die Ereignisse auf den Schlachtfeldern werden so vom ganz realen Tod seltsam entkoppelt, sie verlieren ihren Schrecken.
Krieg erscheint auf diese Weise wie ein Abenteuer. Laufen, springen, schießen, sich in Schützengräben ducken oder über den Boden kriechen, um sich feindlichen Stellungen zu nähern, das Schlachtfeld als Spielplatz, dessen leidvolle und schmerzhafte Seite dem Zuschauer dabei vorenthalten wird. Das geschieht auch, indem die Aufnahmen oft an der Stelle unterbrochen werden, an der die Drohne in den Panzer einschlägt oder die Granaten den Feind treffen. Etwas anders allerdings stellt sich die Sache in Gaza dar, wo israelische Soldaten die Misshandlung von gefangenen Palästinensern stolz zur Schau stellen.
Durch Filme und Videospiele sind wir es längst gewöhnt, Menschen sterben zu sehen. Diese Menschen waren nur bisher nicht real, oder das Sterben war nur gestellt. In der Gesellschaft des Spektakels, in der wir leben und die Guy Debord in seinem gleichnamigen Werk beschrieb, ist es nur der nächst logische Schritt, die gestellten Schlachten und virtuellen Kämpfe durch reale zu ersetzen.
Die zerstörerische Megamaschine, die ja auch den ausufernden Unterhaltungsapparat hervorgebracht hat, strebt nach immer neuen Inhalten, nach immer neuen Darstellungsformen, und ebenso strebt das Publikum danach. Doch dadurch gewöhnen wir uns langsam an den Anblick grausamen Sterbens, an das Morden, das Staaten auslösen, wenn sie miteinander um Vorherrschaft ringen.
Nun ist es zwar richtig, dass eines der großen Probleme unserer heutigen Gesellschaft ist, dass wir den Tod mit aller Macht zu verdrängen versuchen. Besonders anschaulich war das in der Zeit der Pandemiefälschung, in der Leben mit allen Mitteln „geschützt“ werden sollte und große Teile der Bevölkerung Angst um ihr eigenes Leben und das ihrer Mitmenschen hatten. Der Tod wurde so weit aus unserer Gesellschaft ausgelagert, dass die Vorstellung davon zu schrecklichen Ängsten, geradezu Panik führt und er nicht mehr als natürlicher Teil des Lebens betrachtet wird, der er ja eigentlich ist.
Es ist also nicht die Gewöhnung an den Umstand der Sterblichkeit, der hier problematisch ist, sondern die Art und Weise, mit der dieser Tod eintritt. Denn durch die Gewöhnung an Krieg und Gewalt gewöhnen sich Menschen an die Vorstellung, dass ein Staat über die Leben der Menschen bestimmen und diese auch bereitwillig opfern dürfe, wenn es den seinen eigenen Interessen dient. Noch dazu finden diese Opfer auf grausame, zerstörerische Art und Weise statt, in denen Körper durchlöchert, zerfetzt, verbrannt oder mit chemischen Kampfstoffen verätzt und erstickt werden. Der natürliche Tod kann friedvoll und fröhlich eintreten — der Tod im Krieg ist ein grausamer, barbarischer Akt, in dem Menschen über andere Menschen die Macht ergreifen und diese dazu nutzen, ihn physisch auszulöschen. Im Krieg wird der Mensch entmenschlicht, zu einem Instrument, einem Werkzeug. Dadurch wird das Leben selbst entwertet und der grausame Tod auf Geheiß des eigenen oder eines anderen Staates zur Normalität verklärt, an welche die Menschen sich gewöhnen, bis jede andere Vorstellung vergessen ist.
Deswegen gilt es, sich nicht an diese Darstellung von Krieg zu gewöhnen. Sie leistet der eigenen Opferung Vorschub, der eigenen Entmenschlichung durch den Staat oder durch Mitmenschen. Denn was den Soldaten der Ukraine oder Russlands, Israels oder Palästinas geschehen kann, das kann jederzeit auch jedem anderen Menschen auf der Welt geschehen. Die Gewalt des Krieges und der Krieg selbst werden den Menschen dadurch schmackhaft gemacht, nahegebracht, und so steigert sich am Ende die Bereitschaft, selbst in den Krieg zu ziehen, einen Krieg, der von den herrschenden Mächten längst schon in Planung ist, ihre Kassen füllen und ihren Machtbereich erweitern soll.
Wissen zu wollen , was in den Kriegsgebieten geschieht, ist vollkommen legitim. Wer sich informieren will, was vor Ort geschieht, der kommt kaum darum herum, sich das Videomaterial anzuschauen, und es liefert ja auch gute Beweise für die Kriegsverbrechen, die stattfinden. Kein Genozid wurde jemals so gut dokumentiert und gefilmt wie jener in Gaza, und für eventuelle spätere Gerichtsverfahren sind die Aufnahmen Beweise, was die Verfolgung der Verbrechen erleichtern kann.
Doch sollte man sich stets daran erinnern, dass dieses Material echte Menschen und echte Gewalt zeigt. Es sind ganz reale Menschen, die irgendwo der Welt sterben oder gestorben sind, die an schweren Verletzungen leiden.
Es sind Söhne und Väter, Töchter und Mütter, Brüder und Schwestern, die hier ihr Leben lassen für die Machenschaften verbrecherischer Kriegskasten. Diese sind in Regierungen und Konzernen, Hedgefonds, Banken und Kapitalsammelstellen vertreten; sie opfern andere Menschen bereitwillig für ihren eigenen Profit, die Ausweitung ihrer eigenen Machtbasis und formen über diesen Krieg die Welt nach ihren eigenen Interessen um.
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