„Ich möchte Leuchtturm sein
in Nacht und Wind —
für Dorsch und Stint —
für jedes Boot —
und bin doch selbst
ein Schiff in Not!“
Diese sechs Verszeilen leiteten Borcherts erste Gedichtsammlung zwischen 1940 und 1945 ein, die alle um seine zerstörte Heimatstadt Hamburg kreisen (1). Sie beschreiben sein Wirken als Leuchtturm und sein Leben in Not.
Wolfgang Borchert (1921 bis 1947) war ein deutscher Schriftsteller und Dramatiker, dessen Werk von seinen Erfahrungen mit der Diktatur, seinem Dienst bei der Wehrmacht in Russland während des Zweiten Weltkriegs und den unheilbaren Kriegsverletzungen geprägt war. Mit seinen Werken nach Kriegsende gab er der um das Leben betrogenen jungen Generation eine Stimme.
Sein bekanntestes Werk ist das Drama „Draußen vor der Tür“. Darin beschreibt er Menschen mit ihren Erlebnissen im Krieg, als Heimkehrer und in den Familien, sowie die Begegnung mit der Macht und das Erleben von Tod und Vernichtung. Seine Werke sind kompromisslos in Fragen der Menschlichkeit und des Humanismus.
Der Prosatext „Dann gibt es nur eins!“ entstand als letzte Arbeit Borcherts und wurde an seinem Todestag zum ersten Mal im Rundfunk vorgetragen. In diesem Vermächtnis fordert der erst 26-Jährige seine Mitmenschen auf, die Teilnahme an künftigen Kriegen zu verweigern.
Doch Wolfgang Borcherts Aufforderung „Sag NEIN!“ findet bei keiner Generation Gehör. Das zeigen die unzähligen Kriege in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere das Verhalten der zu den Waffen gerufenen Männer und ihrer Ehefrauen und Mütter. Der Mensch ist eben zu allem fähig — außer „NEIN!“ zu sagen.
„Dann gibt es nur eins: Sag NEIN!“
„Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen — sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!“ (2).
Es folgen zwölf weitere Aufforderungen, unter anderem an den Besitzer der Fabrik, den Arzt am Krankenbett: „Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst die Männer kriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!“, den Pfarrer auf der Kanzel: „Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!“ und den Mann auf dem Dorf und in der Stadt: „Wenn sie morgen kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins: Sag NEIN!“.
Der Prosatext schließt mit der umfangreichsten Aufforderung:
„Du Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, (…) — Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins: Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!‘
Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, Mütter, dann:“ (3)
An dieser Stelle wechselt der Text in die Beschreibung eines apokalyptischen Nachkriegszustands einer Welt ohne Menschen, durch die ein letzter, tödlich verletzter Mensch irrt, dessen Frage nach dem WARUM? von niemandem mehr gehört und beantwortet wird. Der Text endet mit den Worten:
„All dieses wird eintreffen, morgen, morgen vielleicht, vielleicht heute Nacht schon, vielleicht heute Nacht, wenn — — wenn — —
Wenn ihr nicht NEIN sagt“ (4).
Der Mensch ist zu allem fähig — außer NEIN! zu sagen
So erschütternd der Prosatext ist — weder die junge noch die ältere Generation sind in der Lage, Borcherts Aufforderung „Sag NEIN!“ Folge zu leisten: Wir sagen nicht NEIN zu den US-NATO-Aggressionen gegen souveräne Staaten. Wir sagen nicht NEIN zum Einsatz karzinogener Kriegswaffen. Wir sagen nicht NEIN zu den mörderischen Kriegen im Mittleren Osten und in Afrika. Auch die Ehefrauen und Mütter der zu den Waffen gerufenen Männer sagen nicht NEIN.
Doch der Mensch ist kein Roboter, der gerne und wahllos tötet. Das entspricht nicht seiner sozialen Natur. Also müssen es andere Beweggründe sein, weshalb wir nicht NEIN sagen können.
Seit den Forschungsergebnissen der modernen Psychologie wissen wir, dass der Charakter des Menschen das schöpferische Produkt des Kindes ist, das in der Auseinandersetzung mit den frühkindlichen Lebensumständen entsteht — den Erziehungseinflüssen von Eltern und Lehrkräften. Bereits von frühester Kindheit an lernen wir, in Familie und Schule zu gehorchen. Ob es sich um den strengen Vater oder Lehrer oder die verwöhnende Mutter handelt. Wir haben als Kinder keine andere Wahl, als zu gehorchen, und tun es als Erwachsene ebenso.
Sind es in der Kindheit die Erziehungspersonen, sind es im späteren Leben die sogenannten Autoritäten wie Politiker, denen wir gehorchen. Immer wieder fallen wir auf ihre Lockrufe herein. Wenn sie zu den Waffen rufen, lassen Männer ihre Frauen und Kinder im Stich und ziehen in den Krieg. Die deutsche Bevölkerung unter Adolf Hitler sollte ein warnendes Beispiel sein. Das „Volk der Dichter und Denker“ jubelte ihm ausnahmslos zu: Arbeiter, Gelehrte, Philosophen, Psychologen — alle sind mit ihm mitgegangen und haben sich in den Tod führen lassen.
In der Psychologie weiß man, dass wir Menschen bereits in unserer Kindheit durch die Erziehung so manipuliert werden, dass wir auf alles eingehen. Als Erwachsene werden wir durch den Staat und seine Institutionen manipuliert. Wir sind schlussendlich zu allem fähig. Es gibt kaum jemanden, der heil davongekommen ist. Wir werden so manipuliert, dass wir nicht fähig sind, uns klare Gedanken zu machen. Wir sind so erzogen, dass wir nicht NEIN sagen können.
Eine friedliche Welt entsteht aber nicht von selbst, sondern einzig und allein durch menschliche Entschlüsse. Dafür müssen wir Menschen den Mut aufbringen, uns des eigenen Verstandes zu bedienen (Kant) — und NEIN sagen können.
Das NEIN-Sagen bezieht sich nicht nur auf die Verweigerung des Kriegsdienstes. Es gibt weitere Beispiele, bei denen sich jeder Einzelne fragen sollte, ob er in der Lage war oder sein würde, NEIN zu sagen.
Sagen zum Beispiel Vorstände von Unternehmen NEIN, wenn krisengeschüttelte Industriekonzerne Arbeiter und Angestellte in die Arbeitslosigkeit entlassen, weil sie neue Profite wittern, wenn sie ins Rüstungsgeschäft einsteigen? Oder sind wir in der Lage, NEIN zu sagen, um eine unmögliche Forderung eines Vorgesetzten nicht zu befolgen? Oder sagen wir NEIN gegen jegliche Art von Korruption in Form von „Geldgeschenken“ oder anderen Vergünstigungen? Und so weiter und so fort.
Abschließend sollten wir Bürger uns fragen, unter welchen Bedingungen Borcherts Aufforderung „Dann gibt es nur eins: Sag NEIN!“ bei Jung und Alt Gehör fände.
Wie bereits angedeutet, können wir dies durch bessere, das heißt psychologische Erziehungsmethoden erreichen. Indem die Pädagogik in Elternhaus und Schule auf Autorität, die unbedingten Gehorsam fordert, auf Gewaltanwendung und übertriebene Verwöhnung verzichtet und sich mit wahrem Verständnis dem kindlichen Seelenleben anpasst, können wir die Hoffnung hegen, dass diese Art der Erziehung einen Menschentypus hervorbringt, der nicht unbedingt gehorcht, sondern auch NEIN! sagen kann.

Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.
Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Borchert, Wolfgang: Laterne, Nacht und Sterne. Gedichte um Hamburg. In: Das Gesamtwerk (2007), Seite 7. Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg.
(2) Borchert, Wolfgang (2007): Dann gibt es nur eins! In: Das Gesamtwerk. Seite 528. Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg.
(3) Am angegebenen Ort.
(4) Am angegebenen Ort.