Zum Inhalt:
Unterstützen Sie Manova mit einer Spende
Unterstützen Sie Manova
Tödliches Aufbegehren

Tödliches Aufbegehren

Das Schicksal des kongolesischen Ministerpräsidenten Patrice Lumumba zeigt im Brennpunkt Afrikas Befreiungskampf und die Skrupellosigkeit der Kolonialmächte.

Der Kongo unter der Knute des belgischen Königs Leopold I.

Die belgische Kolonialzeit im Kongo war eine Zeit unsäglichen Leids und Schreckens für die kongolesische Bevölkerung. Nachdem sich der belgische König Leopold II. den Kongo privat angeeignet und zu einer „Ein-Mann-Kolonie“ gemacht hatte (1885 bis 1908 „Freistaat“ Kongo), wurde diese 1908 zur Kolonie Belgisch-Kongo, die bis 1960 Bestand hatte.

Bei der Berliner Konferenz 1884 wurde über die Aufteilung Afrikas zwischen den Kolonialmächten — selbstverständlich unter Ausschuss der Betroffenen — verhandelt und im Februar 1885 die „Kongo-Akte“ verabschiedet, nach der der Kongo als Kolonie Leopold II. anerkannt wurde. Die Herrschaft über zwanzig Millionen Afrikaner wurde an etwa 3.000 Weiße übertragen. Der Kongo gehörte dem „nunmehr größten Landbesitzer der Welt“, der „ein System der blanken Ausbeutung und faktischen Leibeigenschaft“ errichtete. Exportiert wurden Elfenbein und später vor allem das für die inzwischen auf Hochtouren laufende Reifenproduktion so wichtige Kautschuk, das die kongolesischen Arbeitskräfte heranschaffen mussten.

Schätzungen gehen davon aus, dass die unmenschlichen Arbeitsbedingungen zehn Millionen Menschen das Leben kosteten, manche Schätzungen liegen noch höher. Ganze Dörfer, die das Soll nicht erfüllen konnten, wurden massakriert. Eine Spezialität stellte das Abhacken von Händen dar, bei Toten und Lebenden. Die Einwohnerzahl des Kongo halbierte sich von 1880 bis zum Ersten Weltkrieg von geschätzt 29 Millionen auf nur noch um die zehn Millionen. Am Kongo-Fluss, im „Herzen der Finsternis“ (1), hatte einer der grausamsten Genozide der Weltgeschichte stattgefunden.

Als Leopold II. im Dezember 1909 starb, ging sein Privatbesitz „Kongo“ in die Verwaltung der parlamentarischen Erbmonarchie Belgien über. Die „autoritäre und brutale Ausplünderung nach rassistischen Regularien“ wurde fortgesetzt.

Das Leben des Patrice Lumumba

Lumumba wurde 1925 geboren. Einem bäuerlichen Elternhaus entstammend wurde er zunächst von katholischen, dann von evangelischen Missionsschulen geprägt. Sein Interesse galt der Aufklärung und den Schriften von Rousseau und Voltaire. Lumumba arbeitete etliche Jahre als Postbeamter und war dreimal verheiratet.

Der auch rhetorisch hochbegabte und gebildete Lumumba trat 1956 der Liberalen Partei Belgiens bei und analysierte in seinem Buch „Le Congo. Terre d’Avenir. Est-il Menacé?“ (2) das belgische Unterdrückungssystem und die gesellschaftspolitische Lage in der Kolonie. Zu dieser Zeit sah sich Lumumba noch als reformerischer „Mittler zwischen der Regierung von Belgisch-Kongo und den Massen“. Im gleichen Jahr wurde er wegen angeblicher Unterschlagung zu zwölf Monaten Gefängnis verurteilt.

Lumumba schloss sich einer heterogenen Unabhängigkeitsbewegung an, wo er Joseph Kasavubu, Joseph-Désiré Mobutu und Moise Tschombé zu seinen Freunden zählte, die später zu Handlangern des Kolonialismus mutierten. Kasavubu sollte ihn als Ministerpräsidenten absetzen, Mobutu ließ ihn einsperren und Tschombé ließ ihn auf Geheiß von USA und Belgien grausam ermorden.

Im Oktober 1958 war Lumumba Mitinitiator der Kongolesischen Nationalbewegung (MNC), die sich „gegen alle Formen von regionalem Separatismus“ wandte und für eine Afrikanisierung der Verwaltung und Regierung sowie einen afrikanischen Internationalismus eintrat.

Während Belgien und seine weiße Elite unverdrossen hohe Gewinne aus der Förderung von Kobalt, Uran, Silber, Gold, Germanium, Rafium und Cadmium zogen, sicherten sich die USA das Exklusivrecht für den Bezug des kongolesischen Urans und bauten damit die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben.

Hände weg von Afrika!

Die All-African Peoples‘ Conference, die Ende 1958 in Accra unter dem Motto „Hände weg von Afrika! Afrika muss frei sein!“ stattfand, und die dort gehaltene Rede des ghanaischen Präsidenten Nkrumahs beeindruckten Lumumba zutiefst. Auch Sékou Touré, der Präsident Guineas, hatte in Accra die Welt zur Solidarität mit dem Wunsch des afrikanischen Kontinents nach Souveränität aufgerufen. Die Konferenz von Accra gilt als Meilenstein auf den Weg zum „Jahr Afrikas“, als 1960 siebzehn postkoloniale afrikanische Staaten entstanden.

Proteste im Kongo entwickelten sich zu einer Massenbewegung, die auch in Brüssel nicht mehr ignoriert werden konnte. Obwohl Lumumba verhaftet und zu sechs Monaten Zwangsarbeit verurteilt wurde, gewann seine Partei MNC bei Kommunalwahlen die Mehrheit.

Brüssel sah sich veranlasst, einen Runden Tisch einzuberufen, um mit einer kongolesischen Delegation Verhandlungen zu führen. Der Forderung, Lumumba freizulassen, wurde nachgegeben und der 30. Juni 1960 als Tag der Unabhängigkeitswerdung mit Nationalwahlen festgelegt. Angeblich sah Belgien „die Notwendigkeit zur Versöhnung und zur Zusammenarbeit von Schwarz und Weiß“ ein, schmiedete aber mit den USA heimlich Pläne, um die alte Ordnung gewaltsam aufrechtzuerhalten.

Lumumba wurde im Westen öffentlichkeitswirksam als „ein Hitler“ aufgebaut und die verschiedenen Stämme des Kongo nach dem alten Motto „Spalte und herrsche!“ gegeneinander aufgehetzt. Daneben wurden belgische Soldaten in den Kongo verlegt und es gelang Brüssel, „den Zugriff der multinationalen Konzerne und der belgischen Kapitalisten auf das kongolesische Portfolio völlig abzusichern“.

Der Kongo feierte seine Unabhängigkeit — zwei Reden, die das Land erschütterten

Bei den Wahlen am 22. Mai 1960 errang Lumumbas Partei 33 und somit die meisten Sitze, doch den Auftrag zur Regierungsbildung erhielt Kasavubu, dessen Partei nur zwölf Mandate erhalten hatte. Lumumba reagierte mit der Drohung, eine „Volksregierung“ zu bilden. Ein ausgehandelter Kompromiss bestand darin, dass Lumumba Ministerpräsident und Kasavubu Präsident werden sollte.

Mit dem Auftritt des neuen belgischen Königs, Baudouin I., beim Festakt zur kongolesischen Unabhängigkeit am 30. Juni 1960 verscherzte es sich Belgien endgültig mit dem nach Unabhängigkeit strebenden Kongo. Hunderttausende Kongolesen vor den Radioapparaten trauten ihren Ohren nicht, als Baudouin I. die Kolonisierung ebenso wie seinen Vorfahren Leopold II. verherrlichte und mit keinem Wort auf die Millionen von Menschen einging, denen die Herrschaft Leopolds Leid und Tod gebracht hatte.

Im Gegensatz zu Kasavubu, der sich vor Baudouin verbal verneigte, ergriff Lumumba das Mikrofon und hielt eine improvisierte, zutiefst aufrüttelnde, von den Kongolesen bejubelte Rede, die im vollen Wortlaut von Gerd Schumann wiedergegeben und von ihm als „Glanzstück des Antikolonialismus“ bezeichnet wird. Lumumba ging in seiner Rede zunächst auf die unsäglichen Leiden des kongolesischen Volkes ein, auf die Raubzüge der Weißen, auf Unterdrückung und Diskriminierung, bevor er ein Zukunftsszenario für den Kongo und Afrika entwarf:

„Nach innen wie nach außen wird der neue Kongo, unsere geschätzte Republik, die meine Regierung errichten wird, ein reiches, freies und prosperierendes Land sein. (…) Die Unabhängigkeit des Kongo markiert einen entscheidenden Schritt zur Befreiung des gesamten afrikanischen Kontinents.“

Hierzu bemerkte der Journalist Peter Scholl-Latour:

„Weil seine Gegner die Zündkraft seiner Rede fürchteten, sahen sie keinen Ausweg als seine Beseitigung. Sie machten ihn im wahrsten Sinne des Wortes ‚mundtot‘“ (3).

Und Jean-Paul Sartre bemerkte 1963:

„Er wurde nicht der Held des Panafrikanismus und konnte es nicht werden, er wurde sein Märtyrer.“

Der Kongo versinkt im Chaos

Der erst 2001 veröffentlichte Untersuchungsbericht einer belgischen Kommission zum Tod Lumumbas enthüllte, dass Belgien einen „Geheimetat“ in Höhe von 6,69 Millionen Euro eingerichtet hatte, mit dem sowohl eine „Destabilisierungskampagne“ als auch Waffenlieferungen und Attentatsvorbereitungen finanziert werden sollten, um Lumumba „unschädlich zu machen“ — wie sich der damalige belgische Außenminister Pierre Wigny ausdrückte — und den Kongo zu übernehmen.

Schumann schreibt von einer „Tragödie von historischer Dimension, in deren Zentrum das Scheitern von Lumumbas Versuch, die Kolonialgeschichte zu beenden“ steht.

Aufkommende Gerüchte über Verrat und dass Mobutu Verbindungen zu US-amerikanischen und belgischen Geheimdiensten habe, wurden von Lumumba nicht ernst genommen. Die Strategie Brüssels, „die Lage im Land so weit wie irgend möglich zu chaotisieren und es in eine instabile, nicht mehr beherrschbare Situation zu manövrieren, um den Raum beispielsweise für separatistische Lösungen zum eigenen Machterhalt zu öffnen“, ging auf. Es gab erste weiße Tote und die Europäer verbarrikadierten sich, worauf 10.000 belgische Soldaten zu ihrem Schutz eingesetzt wurden und Fallschirmjäger landeten. Die Marine bombardierte die Hafenstadt Matadi und belgische Truppen übernahmen wieder die Kontrolle über große Teile des Landes. Eine Sezession der rohstoffreichen Provinzen wurde angezettelt.

Am 11. Juli 1960 spaltete sich Katanga von der Republik Kongo ab und verbündete sich mit der Diamantenprovinz Süd-Kasai zu einer Föderation. Lumumba wurde damit die Kontrolle über die Kupfer-, Uran- und Goldminen entzogen. Der Separatist Tschombé war der von den USA unterstützte Präsident von Katanga und sollte die Profite der Bergbaumonopole sichern.

Lumumbas Kampf um Einheit und Souveränität des Kongo

Die Regierung Kongos bat am 12. Juli bei den Vereinten Nationen um Hilfe gegen die belgische Militärintervention und um die Entsendung einer internationalen Friedenstruppe. Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete die Resolution 143, die ersten Blauhelmsoldaten trafen am 15. Juli ein. Doch die Unruhen gingen weiter und es folgte „ein hohes Maß an Tatenlosigkeit“. Es schien, als „hintergehe die UNO bewusst die eigene Resolution“, während belgische Truppen weiterhin kongolesische Soldaten angriffen. Daraufhin brachen Lumumba und Kasavubu die Beziehungen zu Belgien ab und Lumumba bat die Sowjetunion um Hilfe, die zehn Flugzeuge mit Waffen und Lebensmitteln schickte.

Lumumba reiste nach New York und legte dem damaligen UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld persönlich seine Position dar. In Washington weigerte sich der damalige Präsident Dwight D. Eisenhower, ein Gespräch mit Lumumba zu führen, sondern sandte seinen stellvertretenden Außenminister, der Lumumba nach dem Gespräch als „fast psychotische Persönlichkeit“ verleugnete. Eisenhower selbst soll anschließend die CIA angewiesen haben, Lumumba zu eliminieren. Der folgende im Kongo ausgeübte Giftanschlag auf Lumumba schlug fehl, weitere Mordversuche wurden nach einiger Zeit eingestellt. Die Beteiligung der CIA an den Mordversuchen und am Mord an Lumumba geht aus den später veröffentlichten Kongo Cables hervor.

Lumumba suchte Unterstützung, wo immer er sie hoffte zu bekommen. Er fuhr nach Kanada, traf sich mit dem sowjetischen Botschafter, besuchte die afrikanischen Staaten Tunesien, Marokko, Guinea, Ghana und Liberia. Die Abspaltung des rohstoffreichen Katangas sollte rückgängig gemacht werden, die UNO war verpflichtet, die Einheit des Kongo zu unterstützen.

Zurück im Kongo rief Lumumba den Ausnahmezustand aus und setzte Mitte August ein Régime militaire spécial ein. Anfang September wurde Lumumba mit großer Mehrheit vom Parlament bestätigt, der Senat sprach ihm das Vertrauen aus und das Parlament beschloss, Lumumba Notstandsvollmachten zu erteilen.

Mit Hilfe der CIA putschte nur einen Tag später Oberst Mobutu und Lumumba wurde unter Hausarrest gestellt.

Lumumba weigerte sich, zurückzutreten, gab weiterhin öffentliche Erklärungen ab und wurde von weiten Teilen der Bevölkerung unterstützt.
Peter Scholl-Latour traf sich mehrmals mit Lumumba, der in seinem letzten Interview mit dem Journalisten erklärte:

„Es sieht schlecht für mich aus. Vielleicht werde ich für die Einheit und Unabhängigkeit meines Landes sterben müssen. Vielleicht muss ich dem Kongo durch meinen Opfertod den größten Dienst erweisen.“

Die UNO spielte im Kongo eine unrühmliche Rolle. Sie erkannte die Putschregierung unter Kasavubu und Mobutu an und beteiligte sich am Kesseltreiben gegen Lumumba.

Die Ermordung Lumumbas und seiner Gefährten

Lumumba gelang die Flucht. Er errichtete eine Gegenregierung, versuchte mit Familie und Getreuen die Stadt Stanleyville (heute Kisangani) zu erreichen, wurde verhaftet, in die Hauptstadt Leopoldville (heute Kinshasa) überführt, misshandelt, auf einem Lastwagen durch die Stadt gefahren und demütigend zur Schau gestellt. Russland forderte vor der UNO seine Freilassung und Wiedereinsetzung und benannte die US-Botschaft in Leopoldville als federführend für die Umtriebe gegen die „rechtmäßige Regierung“.

Hinter Gittern landeten auch Lumumbas engste Verbündete Joseph Okito und Maurice Mpolo. Es erhob sich das Volk, in den Kasernen meuterten die Soldaten, und die Lumumbisten erzielten auch militärisch Erfolg auf Erfolg. Der Beobachter Scholl-Latour bemerkte, dass die NATO-Länder befürchteten, Lumumba könne in nur vier Wochen wieder fest im Sattel sitzen.

Der belgische Kolonialminister ließ Lumumba, Okito und Mpolo nach Katanga fliegen. Auf dem Flug am 17. Januar 1961 „kam es an Bord zu untertäglichen Marterszenen“, und bei Ankunft wurde Lumumba laut Scholl-Latour als „blutiges, zuckendes Bündel auf den Beton geworfen“. Die Folterungen gingen weiter. Die Gefangenen wurden an einen abgelegenen Ort gebracht, wo drei Erschießungskommandos auf sie warteten.

Laut Schumann hatte die direkte Beteiligung an den Morden Belgien, den USA und dem britischen Auslandsgeheimdienst MI6 die Gewissheit verschafft, „dass ihre Mordpläne auch umgesetzt wurden“. Ebenfalls anwesend waren Tschombé und zwei weitere kongolesische Minister sowie drei belgische Offiziere.

„Die Leichen wurden zersägt und in einem mit konzentrierter Schwefelsäure gefüllten Fass (…) aufgelöst. Die Knochen zermahlen und verstreut.“

Der belgische Polizeioffizier Gerard Soete nahm drei abgeschnittene Finger und zwei herausgerissene Goldzähne Lumumbas als Trophäe mit nach Belgien.

Lumumba hatte die UN-Resolution, die dem Kongo das Recht auf Selbstbestimmung und Einheit zusprach, keinen Monat überlebt. Der in der Öffentlichkeit verbreiteten Nachricht, dass Lumumba auf der Flucht von wütenden Dorfbewohnern gelyncht worden sei, wurde weltweit kein Glauben geschenkt. In europäischen Städten kam es zu Massenprotesten.

Im Februar 2002 entschuldigte sich die belgische Regierung formell beim kongolesischen Volk, und erst 2022 wurde einer der von Gerard Soete entwendeten Goldzähne vom jetzigen belgischen König Philippe Lumumbas Nachkommen übergeben (4).

Che Guevara im Kongo

In einem weiteren Kapitel beschreibt Gerd Schumann, wie Che Guevara neun Monate lang versuchte, mit einer kubanischen Guerillagruppe am Kongo-Strom Fuß zu fassen, und damit scheiterte. Im November 1965 zogen etwa zweihundert Kubaner aus dem Kongo ab.

Kongos gewalttätiger Weg in die Gegenwart

Die USA und ihre Verbündeten hatten und haben kein Problem damit, korrupte und terroristische Machthaber zu unterstützen, wenn diese ihren geopolitischen und Kapitalinteressen dienen. So bereicherte sich Mobutu Sese Seko in den Jahren von 1971 bis 1997 in dem in Zaire unbenannten Land schamlos und häufte vier Milliarden US-Dollar Privatguthaben auf Schweizer Konten. Dem Land selbst hinterließ er einen Schuldenberg von 13 Milliarden. Mit der Machtübernahme von Laurent-Désiré Kabila 1997 erschütterten weitere Kriege um die Provinzen mit den wertvollen Rohstoffen das Land.

Bis zum Tod Kabilas 2001 hatte der Krieg 1,7 Millionen Menschenleben gefordert. Es übernahm der Adoptivsohn, Joseph Kabila, wozu Jean Ziegler bemerkte, dass gemäß UNO-Berichten Joseph Kabila und seine politischen Handlanger im Verdacht stehen, „jährlich Millionen Euro an gestohlenem oder von den Minengesellschaften überwiesenen Korruptionsgeld auf ihre Schweizer Privatkonten verschoben zu haben“ (5).

Heute noch wird nicht nur das begehrte Coltan unter erbärmlichen Sklavenbedingungen abgebaut, es hält auch seit den 90er Jahren der Krieg von bewaffneten Banden im ressourcenreichen Osten des Landes an. Schumann stellt die berechtigte Frage:

„Warum gehört eines der reichsten Länder der Erde zu den weltweit zwölf ärmsten? Warum hat das wasserreichste Land Afrikas kaum Wasser?“

Inzwischen wendet sich die Demokratische Republik Kongo vom Westen ab und China, Russland und auch der Türkei zu — Länder, die Rohstoffe gegen Know-how und Infrastruktur anbieten, während die Entwicklungskonzepte des Westens unter dem Primat der Profitmaximierung kläglich gescheitert sind.

Trotzdem liegen bei Investitionen die USA, Großbritannien, Frankreich und die Niederlande im Ranking immer noch vorne, und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) gelingt es nach wie vor, das Land zu knebeln. Schumann endet:

„Der globale Süden ist das Opfer einer untragbaren Weltordnung. (…) Lumumbas Gedanken sind aktueller denn je.“

Schumann zeigt in seinem Buch nicht nur die menschenverachtende, grausame Kolonialpolitik des monarchischen Belgiens auf, in dessen Fußstapfen sich heute der Neokolonismus bewegt. Er zeigt auch, wie Widerstand und die Wünsche der Völker nach Souveränität und Selbstbestimmung mit allen Mitteln bekämpft wurden, und wie die westliche Politik nicht vor Mord an führenden Politikern zurückschreckte, wenn sie keine andere Möglichkeit sah, diese zum Verstummen zu bringen. Ob es den Afrikanern ein Trost ist, dass die CIA in Europa zu den gleichen Mitteln griff und greift? Man denke an das 1963 geplante, aber missglückte Attentat der CIA auf den eigensinnigen französischen Präsidenten Charles de Gaulle, in „Der Schakal“ von Frederick Forsyth als Roman verarbeitet (6). Beachtenswert ist auch das wiederkehrende Muster, dass nicht die CIA selbst tötet, sondern über die Verbindungen zu befreundeten ausländischen Mächten Killer schickt. Das Morden findet über drei Ecken statt (7).

Nein, es handelt sich nicht um dunkle Zeiten, der Vergangenheit zugehörig. Man denke beispielsweise an die brutale Ermordung von Muammar al-Gaddafi, seines Sohnes Mutassim und seiner Gefährten im Libyen des Jahres 2011. Oberst al-Gaddafi wurde auf abscheuliche Weise misshandelt und anschließend gepfählt. Seinen entstellten Leichnam stellte man tagelang in der libyschen Stadt Misrata zur Schau, um ihn anschließend an einem unbekannten Ort in der Wüste zu verscharren — Verbrechen, ausgeführt von „Aufständischen“, die sich mit dem Westen und der NATO gegen das eigene Land verbündet hatten und es seither bis aufs Blut gierig aussaugen.

Sprung in die Gegenwart: Putschversuch im Mai 2024

Von der Ermordung Lumumbas weist eine direkte Spur in die Gegenwart der Demokratischen Republik Kongo (DRK), die erst am 20. Mai 2024 mit dem jüngsten, diesmal gescheiterten Putsch Schlagzeilen machte. In Kinshasa (8) waren Angreifer in Militäruniform in den Palais de la Nation eingedrungen, hatten dort die ehemalige Zaire-Flagge gezeigt und die Amtsenthebung des Präsidenten der DRK, Felix Tshisekedi, gefordert. Angeführt wurde der Putsch von Christian Malanga, einem kongolesischen Politiker aus den USA, der in die DRK eingebürgert worden war.

Bei der Niederschlagung des Putsches wurden drei Personen getötet, Christian Malanga selbst und zwei Polizisten, weitere vierzig Beteiligte verhaftet. Unter den Angreifern sollen sich vier Ausländer befunden haben, US-Amerikaner und Briten, namentlich genannt wurde der US-Bürger Taylor Thomson. Da sich Malanga immer wieder mit amerikanischen Abgeordneten hatte ablichten lassen, denen gegenüber er sich als angeblicher Türöffner für Subsahara-Afrika inszenierte, wurde schnell eine Verbindung zwischen Malanga und der CIA gewittert. Präsident Tshisekedi war Ende Dezember mit mehr als 70 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt worden (9).



[Hier] können Sie das Buch bestellen: Thalia


Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Joseph Conrad, „Herz der Finsternis“, 1899
(2) „Der Kongo. Land der Zukunft. Ist er bedroht?“
(3) Überaus informativ und lesenswert zum Thema „Kongo“ sind die beiden Bücher von Peter Scholl-Latour: „Matata am Kongo“ (1961) und „Mord am großen Fluß. Ein Vierteljahrhundert afrikanische Unabhängigkeit“ (1986)
(4) https://brf.be/national/1615517/
(5) Jean Ziegler in „Mbolela“, 2015, nach: Gerd Schumann „Patrice Lumumba“
(6) Es gab zwei Verfilmungen dieses Romans, der monatelang die Bestsellerlisten anführte. Die erste stammt aus dem Jahr 1973, Regie Fred Zinnemann. Dieser Thriller hält sich recht genau an die Buchvorlage von Frederick Forsyth, nach der der Profikiller Schakal ein Söldner aus dem Algerienkrieg ist, der General de Gaulle erschießen soll, weil dieser den Algerienkrieg beenden will. 1997 entstand ein US-amerikanisches Remake, Regie Michael Caton-Jones, mit einer komplett verfremdeten Handlung. Im Film von 1997 geht es plötzlich um den versuchten Mord eines US-Repräsentanten durch die russische Mafia und der Schakal ist ein ehemaliger IRA-Kämpfer. Der Film ist hochkarätig mit Bruce Willis, Richard Gere und Sidney Poitier besetzt. Googelt man „Der Schakal“, erhält man in erster Linie Hinweise auf diesen Film.
(7) Ähnlichkeiten mit aktuellen Vorgängen und noch heute lebenden Personen wie Präsident Fico in Slowenien sind nicht rein zufällig.
(8) Kinshasa ist heute mit über 16 Millionen Einwohnern die größte Stadt Afrikas.
(9) https://orinocotribune.com/attempted-coup-in-kinshasa-suppressed-and-situation-under-control-drc-army/
https://freede.tech/afrika/206376-kongolesisches-militaer-us-amerikaner-und/
https://anti-spiegel.ru/2024/wer-steckt-hinter-dem-putsch-in-der-demokratischen-republik-kongo/

Weiterlesen

Ein ungeliebter Waffenbruder
Thematisch verwandter Artikel

Ein ungeliebter Waffenbruder

Obwohl er harsche Kritik an Israel übte, wird der türkische Präsident Erdoğan vom Westen mit Samthandschuhen angefasst. Der mögliche Grund: Man braucht ihn noch.

Bildungsferne Schulen
Aktueller Artikel

Bildungsferne Schulen

Bei der Suche nach einem Ausweg aus der Bildungsfalle setzt Sozialwissenschaftler Tim Engartner in seinem neuen Buch auf den starken Staat.