Ich arbeite in der Druckindustrie. Verlage, Institute oder Theater kommen auf mich zu und wünschen ein Kostenangebot für die verschiedensten Printprodukte. Vorrangig sind es Bücher und Broschüren. Ich hole dann meinerseits Angebote bei den Papierlieferanten, den Buchbindern und den Logistikunternehmen ein, rechne unsere Druckleistung hinzu und schreibe das finale Angebot.
Mein Beruf ist abwechslungsreich und macht mir meist viel Spaß. Leider geht es in dieser Branche zu wie in einem Raubtierkäfig. Die Druckereien, die bis jetzt den unerbittlichen Preiskampf überlebt haben, pflegen keine Freundschaften untereinander. Schier jedes Unternehmen in diesem Metier kocht ihr eigenes Süppchen und versucht, den Konkurrenten mit jedweden Mitteln auszubooten. Die „beste“ Geschäftsphilosophie, die mir einmal zugetragen wurde, lautet: „Nennen Sie mir den Angebotspreis ihrer bisherigen Druckerei und ich gehe noch einmal fünf Prozent herunter.“ Es ist frustrierend. Meines Erachtens kommt erschwerend hinzu, dass zukünftige Generationen keine Bücher mehr lesen werden.
In Zeiten der eilig fortschreitenden Digitalisierung wird es auch nicht mehr vonnöten sein — schon aus Umweltgründen. So wird man es den Menschen jedenfalls verkaufen.
Der Markt ist also klein, er ist nicht sonderlich profitabel, und zukunftsfähig scheint er auch nicht zu sein. Doch ich lebe im Hier und Jetzt. Noch ist es nicht so weit, und viel Wasser wird die Elbe hinunterlaufen, bis sich meine Dystopie in die bittere Realität verwandelt hat. Das System ist noch am Leben und ich muss meinen Job erledigen. Also versuche ich nicht nur Neukunden zu akquirieren, sondern widme mich auch den überaus nervenaufreibenden Ausschreibungen des Bundes und der Länder, um weitere Aufträge zu generieren. Sie nennen sich e-vergabe, service.bund, Vergabemarktplatz, Xvergabe oder wie unkreativ auch immer.
Schon wenn man diese Onlineplattformen ansteuert, wird einem schlecht. Billige und unübersichtliche Navigation, benutzerunfreundliche Oberflächen, Leistungsbeschreibungen, die einfach unglaublich miserabel ausgefüllt sind, und vor allem zu unterschreibende Eigenerklärungen, bis einem schwindelig wird, findet man auf diesen Plattformen. Bevor man also überhaupt ein Angebot abgeben kann, falls man herausgefunden hat, wohin man es schicken soll und was man alles dabei beachten muss, vergehen erst einmal Stunden. Doch es nützt nichts, ab und an muss ich da durch.
Erstkontakt
Heute war mal wieder so ein Tag. Es ist saure Gurkenzeit. Alle sind im Urlaub und ich bin gezwungen, mich diesem apokalyptischen Ort zu nähern. Ich gehe auf e-vergabe und finde eine öffentliche Ausschreibung für einen Rahmenvertrag „Buchbinde- und Druckarbeiten“. Die Vergabestelle ist die Fachhochschule der Sächsischen Polizei.
Gerade wollte ich anfangen und mich an der Ausschreibung beteiligen, als ich mir kurz die Augen reiben musste, da ich nicht sofort realisierte, was ich da gerade gelesen hatte. Wie betäubt starrte ich auf den Bildschirm und konnte nicht glauben, was dort geschrieben stand. Um bei dieser Ausschreibung teilnehmen zu dürfen, ist man gezwungen, eine „Eigenerklärung Sanktionen Russland“ zu unterschreiben. Ich konnte es nicht fassen und klickte auf die PDF-Datei, um zu erfahren, was genau es damit auf sich hat. Schließlich produzieren wir nur Printprodukte. Die erste Seite des dreiseitigen Dokuments reichte mir schon aus:
Unter Punkt 1 steht:
„Ich erkläre, dass ich/wir nicht zu nachfolgend aufgeführten Personen, Organisationen oder Einrichtungen zählen:
a. Russische Staatsangehörige oder in Russland niedergelassene natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen,
b. Juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, deren Anteile zu über 50 % unmittelbar oder mittelbar von einer der unter Buchstabe a genannten Organisationen gehalten werden, oder
c. Natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die im Namen oder auf Anweisung einer der unter Buchstabe a oder b genannten Organisationen handeln.“
Mir verschlug es die Sprache, und dabei bin ich nun wirklich nicht mehr sonderlich leicht zu beeindrucken.
Man muss unterschreiben, kein russischer Staatsangehöriger zu sein? Wie bitte? Diejenigen, die seit gefühlter Ewigkeit den Menschen eintrichtern, niemanden zu diskriminieren, verwenden solch ein Vokabular? Kann mich mal jemand kneifen?
Vier Stunden nach diesem schockierenden Erlebnis bin ich noch immer geplättet und frage mich, wo wir hingekommen sind. Ist dies tatsächlich der Status Quo, in dem ich lebe? Da, wo sich niemand mehr darüber aufregt und es als gegeben akzeptiert, diese Unglaublichkeit einfach wegzulächeln? Vielleicht darf man demnächst nicht einmal mehr Katja, Nadja oder Tatjana heißen oder muss nachweisen, dass man nicht mehr als zehn Prozent russisches Blut in der Abstammungslinie besitzt. Oder man muss einen Eid leisten, die Werke von Tolstoi, Tschaikowski oder Prokofjew nicht mehr zu rezipieren.
Abschwören und Distanzieren sind erst der Anfang. Was kommt als Nächstes? Unsere Druckerei beteiligt sich nicht daran, und ich hoffe, dass es kein Unternehmen tut. Wie so etwas enden kann, wissen wir aus der Geschichte. Lassen wir das nicht zu!
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