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Selektive Solidarität

Selektive Solidarität

Im Westen wird um die Opfer des Anschlags von Moskau kein Aufheben gemacht. Das routinierte Ritual bleibt im Fall Russlands aus und entlarvt sich damit selbst.

Solidarität auf Sparflamme

Selbstverständlich können Staatsmänner und -frauen zu den Anschlägen von Moskau nicht nichts sagen. So bekundeten etwa Annelena Baerbock, Olaf Scholz, Nancy Faeser und auch das Auswärtige Amt auf X (vormals Twitter) in einem knappen Post ihr Beileid für die Hinterbliebenen. Zwei bis drei Zeilen, mehr war nicht drin. Da zeigte man sich bei der Solidaritätsbekundung mit Israel und der Ukraine schon etwas beherzter.

Nancy Faeser instrumentalisierte bei ihrer Bekundung den Vorfall, um die Notwendigkeit für die Terrorismusbekämpfung hervorzuheben. Davon abgesehen wirkten die übrigen Kondolenz-Postings wie das zähneknirschende Ableisten einer lästigen Verpflichtung. Zwischen den Zeilen dringt hervor, dass sie mit der Widerwilligkeit verfasst wurden, die manch einer hat, wenn er seine garstige Tante zum Geburtstag anrufen muss — weil es sich eben so gehört. Es muss halt gemacht werden.

Letztendlich verkommen die Bekundungen zur Makulatur, noch ehe sie zu Ende getippt wurden. Den hinterbliebenen Russen ein Beileid auszusprechen und gleichzeitig den Export von Waffen zu befürworten, die potenziell ebendiese Russen töten können, ist blanker Zynismus.

Farbe bekennen! ...aber bitte nicht jede!

Das Brandenburger Tor erstrahlte des Nachts schon in den unterschiedlichsten Nationalfarben – den französischen, belgischen, britischen, türkischen, ukrainischen und israelischen. Immer dann, wenn sich in diesen Ländern schwere Terroranschläge ereigneten. Oder auch, wenn eine Monarchin das Zeitliche segnet. So geschehen, als Queen Elisabeth II. verstarb. Das Beleuchten westlicher Wahrzeichen mit Landesfahnen ist seit Mitte der 2010er Jahren ein fester Bestandteil der Theatralisierung der Politik (1). Sie gilt als Ausdrucksform gelebter Werte der westlichen Hemisphäre, die sich über selbige definiert.

Für kritische Beobachter des Zeitgeschehens war der doppelzüngige Charakter dieser Chose schon immer ersichtlich. Es beginnt bereits mit der geografisch-kulturellen Einzäunung dieser Symbolpolitik. Anlass zur Illumination der Wahrzeichen bieten ausschließlich Katastrophen innerhalb der eigenen Sphäre. Wer sich durch die Listen der jährlich verübten Terroranschläge wühlt, wird schnell feststellen, dass einem die meisten Vorfälle unbekannt sein dürften. Häufig, häufiger und schwerer als westliche Länder von Terroranschlägen gebeutelte Nationen sind — etwa mit Blick auf 2023 – Pakistan, oder in den Terrorjahren 2015 und 2016 Nigeria, Irak oder Syrien. In den Farben der eben genannten Länder erschien noch kein westliches Wahrzeichen.

Dieses ganze Blendwerk ist letztlich nicht mehr als eine westzentrierte Nabelschau, bei der das Interesse nur der eigenen Sphäre gilt.

In der viel beschworenen Welt der Globalisierung und ihren Herausforderungen gelten die von der Symbolpolitik ignorierten Regionen lediglich als auszubeutendes Rohstofflager, aus denen unter anderem die digitalen Endgeräte hergestellt werden, mit denen sich die hiesigen „Guten“ (Trademark) als ebensolche inszenieren können.

Doch der Horizont dieser Symbolpolitik verläuft nicht nur geografisch. Das zeigt sich nun nach den Terroranschlägen von Moskau vom 22. März 2024 in aller Deutlichkeit. Zum Zeitpunkt dieser Niederschrift ist es Samstag, der 23. März, 12 Uhr, und es ist auch ohne Glaskugel absehbar, dass kein westliches Wahrzeichen im Weiß, Blau und Rot der russischen Landesfahnen leuchten wird. Das wäre dann nämlich die falsche Solidarität zur falschen Zeit. Wer wie die Außen-High-Heel-Ministerin Annalena Baerbock in der „Ostkokaine“ einen „War against Russia“ führen und Russland ruinieren, wie Emmanuel Macron Bodentruppen entsenden, oder wie Roderich Kiesewetter „den Krieg nach Russland tragen“ möchte, kann so etwas einfach nicht zulassen. Gerade Letztgenannter dürfte vielleicht in ebendiesem Blutbad seinen Wunsch in Erfüllung gegangen sehen. Was, wenn nicht das, würde es bedeuten, wenn ein Krieg in ein Land getragen wird?

Fest steht: Die russischen Landesfarben auf dem Brandenburger Tor oder auf dem Eiffelturm — das geht gar nicht.

Aber worum geht es und worum ging es denn jemals, als zu „Solidaritätszwecken“ die Landesfarben politisch nahestehender Länder projiziert wurden? Ging es um die ermordeten und verletzten Menschen und ihre Hinterbliebenen? Wäre dem so, dann sollten politische Differenzen keine Rolle spielen. Doch offenkundig ist es eine Frage der politischen Beziehung zwischen den Ländern, die über die Beleuchtung entscheidet. Ermordete Franzosen, Belgier und Israelis sind es wohl wert, mit einem Lichtspiel bedacht zu werden — Russen eher nicht so.

Dabei ist der Boykott russischer Solidaritätsbeleuchtung nichts Neues. Schon 2017 – als die Stimmung hierzulande noch nicht einmal im Ansatz so russophob war wie heute — sah man in Berlin nach den Anschlägen in der Sankt Petersburger Metro im April 2017 davon ab, das Brandenburger Tor in den russischen Farben zu beleuchten. Begründet wurde dies damit, man habe mit Sankt Petersburg keine Städtepartnerschaft. Dieses Argument entlarvte sich nur wenige Wochen später als faule Ausrede: Am 24. Mai verübte der IS in Jakarta einen Selbstmordanschlag, bei dem – inklusive dem Selbstmordattentäter — fünf Menschen ums Leben kamen und elf weitere verletzt wurden.

Das Brandenburger Tor erschien nicht im indonesischen Rot-Weiß — dabei hat Berlin seit 1993 eine Städtepartnerschaft mit Jakarta. Aber hier greift dann wohl wieder der geografische Horizont der Symbolpolitik. Die nicht vorhandene Städtepartnerschaft mit an den Gazastreifen grenzenden Orten hielt Berlin im Übrigen nicht davon ab, das Brandenburger Tor in den israelischen Farben erscheinen zu lassen.

Die symbolische Funkstille infolge der Moskau-Anschläge haben den Solidaritätskult endgültig entlarvt. Farbe zu bekennen gilt es wohl nur dann, wenn es die richtigen Farben sind, beziehungsweise diese in der richtigen Reihenfolge angeordnet sind.

Derweil ist man in Berlin im Zusammenhang mit Farbe noch ganz anderweitig beschäftigt: Heute findet nämlich am Amtsgericht Tiergarten der Prozess gegen die Klima-Extremisten von der „Letzten Generation“ statt. Diese hatten im September des Vorjahres das Berliner Wahrzeichen mit schwer abtragbarer Farbe beschädigt und dabei Reinigungskosten im fünfstelligen und einen Gesamtschaden im sechsstelligen Bereich verursacht.

Wird eines Tages das Brandenburger Tor einfach wieder das Brandenburger Tor sein dürfen, ohne dass es als politische Projektionsfläche missbraucht wird?


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Quellen und Anmerkungen:

(1) Münkler, Herfried: Theatralisierung der Politik, in Josef Früchtl, Jörg Zimmermann (Herausgeber): Ästhetik der Inszenierung — Dimensionen eines künstlerischen, kulturellen und gesellschaftlichen Phänomens, Frankfurt am Main, 2013, Seite 144 bis 159.

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