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Schreiben in Zeiten der Zensur

Schreiben in Zeiten der Zensur

Das repressive Meinungsklima im Land zwingt viele Autoren, es unseren Vorfahren nachzutun. Hochkonjunktur hat wieder die Kunst der indirekten Ausdrucksweise.

Seit Menschen Texte verfassen, haben die Zeiten überwogen, in denen es keine Fakten- und Meinungsfreiheit gab. Dementsprechend kann man davon ausgehen, dass die ungeschriebenen, vernichteten oder weggesperrten Texte die veröffentlichten Schriften um einiges übersteigen. Von den deklarierten Autoren war längst nicht jeder auffindbar — Pseudonyme waren eine Fixposition bei lieferbaren Titeln. Aber was kann man tun, um trotzdem unter dem eigenen Namen einen Text unter seine Mitmenschen zu bringen, wenn Strafverfolgung droht?

Wir hatten wohl fast alle gedacht, dass wir einfach so durchkommen. Den drohenden finanziellen Zusammenbruch hätte man 2020 sicherlich auch anders lösen können als mit einem „Reset“ unter dem Vorwand einer weltweiten Seuche. Aber man wollte nicht. 75 Jahre halbwegs liberale Zeiten — das war in den letzten 1.000 Jahren ohnehin keiner Generation vergönnt. Skeptiker und Pessimisten hatten schon seit der Jahrtausendwende ein zunehmendes Unbehagen verspürt.

Da hierzulande keine kritische Masse entschieden gegen die COVID-Zumutungen opponierte, werden wir wohl in die Fußstapfen unserer Vorfahren treten müssen, die wussten, welche Lebensäußerungen möglich sind, wenn Feinde mitlesen.

Einen dieser Vorfahren kennt kaum noch jemand. Der Coburger Amtmann und Rat Georg Paul Hönn (1662 bis 1747) schrieb das wahrscheinlich einzige Betrugslexikon hierzulande. Ihm war klarer als uns Heutigen, dass die wenigsten sozialen Interaktionen auf Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit beruhen. „Der Welt Wagen und Pflug ist nur Lug und Betrug“, stellte er seinen am Ende auf 362 Seiten angewachsenem Werk als Motto voran. Von der Schicksalhaftigkeit des unredlichen und verbrecherischen Treibens war er überzeugt: „Die eine Hälft‘ im Jahr treibt man Betrügerey, die andere Hälft‘ übt man sie wieder auf das neu.“ Dennoch hat er am Ende seiner nach Berufs- und Personengruppen gegliederten „Betrügereyen“ „Mittel“ genannt, um „den Betrügern die Karte zu vermischen“.

Es war also ein riskantes Unterfangen, wenn man möglichst wenige Berufszweige aussparen wollte. Schließlich umfassen seine „Betrügereyen“ schwere Straftaten, die Oberschicht und sakrosankte Berufsgruppen wie Mönche und Nonnen. Außerdem war Hönn als „Hofadvocat“, Archivar und Amtmann Staatsbediensteter im autoritären Fürstentum Sachsen-Coburg tätig. Dass man dort um unerwünschte Aussagen von Untertanen wenig Federlesens machte, zeigt die nachstehende Verlautbarung noch eine Generation nach Hönns Tod:

„Bey denen im deutschen Reich sich wieder ereigneten neuen bedenklichen Zeitläuften, zu befürchten stehet, daß sich verwegene Leute finden möchten, die darüber allerhand unziemliche Urtheile, und unbedachtsame Reden von sich hören, auch wol unwahre Zeitungen [=Neuigkeiten; Anmerkung der Autoren] und Nachrichten erdichten und solche auszubreiten, sich beygehen lassen, und dadurch vielen Unfug anrichten dürften; solchen verwegenen Unternehmen und boshafter Ungebühr aber, in Zeiten vorzubeugen und zu steuren die Nothwendigkeit erfordert; als wird allen und jeden Unterthanen, weß Standes sie seyen, besonders aber dem gemeinen Mann, auf das ernstlichste hiermit geboten, nicht nur unter sich, sondern auch hauptsächlich in denen Wirthshäusern, Bierschenken, und anderen Zusammenkünften, in der Stadt und auf dem Lande, sich alles unfertigen und verwegenen Raisonnirens, Urtheilens und boshafter Verbreitung falscher Zeitungen und Nachrichten, bey empfindlicher Geld= und nach Befinden Leibesstrafe, sich gäntzlich zu enthalten.“

Trotz dieses geistigen Klimas war Hönns „Betrugs-Lexicon“ ein voller Erfolg. Es erlebte vier Auflagen und mehrere Nachdrucke über sein langes Leben hinaus. Er konnte seine Dienstpflichten bis zum 77. Lebensjahr ausüben. Da Hönns alphabetisch gegliederte „Betrügereyen in allen Ständen, nebst darwieder guten Theil dienenden Mitteln“ nie verboten waren, muss er als Jurist gewusst haben, wie er sich einer Verfolgung entzieht. Es verwundert nicht, dass der erste moderne Nachdruck 1981 vom Zentralantiquariat der Deutschen Demokratischen Republik erfolgte.

Seine Strategie bestand darin, die Betrugsvorwürfe gegen bestimmte Berufs- und Personengruppen in umgekehrten Konditionalsätzen zu formulieren: „Professores oder academische Lehrer betrügen, wenn ...“ Er umging damit geschickt die heutige „Hassrede“-Anklage, da er seine Anschuldigungen jeweils nur unter der Bedingung erhob, dass die nachfolgend genannten Handlungen tatsächlich stattfinden. Ob dies der Fall wäre, hatte der Leser für sich zu entscheiden. Er warnt vor A wie Abgesandte bis Z wie Zwirn-Händler.

Mit dieser Konstruktion konnte Hönn sogar Landesherren und Geistliche in seinen Katalog aufnehmen. Landesherren würden beispielsweise betrügen, „wenn sie in ihre Verschreibungen, Verträge und solcherley Documenta zweydeutige Worte, dunkele Redensarten und dergleichen setzen lassen, und solche hernach, wie sie wollen, zu ihrem Vortheil, und hingegen zu des anderen Schaden auslegen“. Für Mönche alleine listet er satte 40 Vergehen auf! Päpstliche Missionare und Nonnen noch gar nicht eingerechnet. Die Delikte beinhalten neben dem Betrug mit Reliquien, Wallfahrten und Wunderheilungen schwerste kriminelle Aktivitäten: Bestechung, Erpressung, Freiheitsberaubung und Mord.

Hönn behauptet nicht, dass die von ihm genannten Vergehen begangen würden und nennt keine konkreten Personen. Aber das Buch wäre ein Ladenhüter geblieben, wenn die genannten Straftaten abwegig wären. Nur weil kritische Leser die Erfüllung der genannten Bedingungen für plausibel hielten oder aus eigener Kenntnis davon wussten, konnte das Buch regen Absatz finden.

Zudem durchbricht Hönn sein Konzept ab und an. Für einige der von ihm vorgebrachten Anschuldigungen benennt er sich als Augenzeugen oder Schriften mit Autor, Titel und Seitenangabe. Ob er da die Vorsicht fallen ließ oder er damit den Wahrheitsgehalt unterstreichen wollte, lässt sich nicht mehr entscheiden.

Die genannten „Betrügereyen“ reichen von Tricks, über die man schmunzeln kann, bösartigen Täuschungen bis zu Kapitaldelikten:

„Nonnen betrügen, wenn sie die Mönche und andere Liebhabers in Koffern oder anderen Behältnissen in das Kloster bringen lassen.“

Allerdings werden sie auch betrogen, „wenn die Äbtissin und die älteren Nonnen den jungen das Noviziat leichte machen, bis sie ihr Gelübde getan haben“.

„Richter betrügen, wenn sie die Inquisitions-Prozesse auf lange Zeit verschieben und hinausziehen.“

„Missionarii betrügen, wenn sie diejenigen, welche ihre Lehre nicht annehmen wollen, durch Hülfe des weltlichen Arms in ihren abscheulichen Inquisitions-Gericht zu Goa [Stadt in Indien; Anmerkung der Autoren] und andern Orten auf das entsetzlichste peinigen, oder wohl gar töten lassen.“

Hönn war aber nicht nur auf die stumme Zustimmung seiner Leser aus. Er scheute den Konflikt mit ihnen nicht. Neben den Berufs- und Personengruppen gibt es ein Kapitel „Selbstbetrug“, das es auf 18 Positionen bringt, und die „Unterthanen“ mit weiteren 13 Vergehen:

„Wenn wir andere tadeln, was wir selbst an uns haben, und also nicht erst für unserer eigenen Thür kehren, sondern Splitter-Richter abgeben.“

Georg Paul Hönn hat mit seinen umgekehrten Konditionalsätzen Sozialgeschichte geschrieben, ohne sich selbst zu beschädigen. Dank seiner Auflistungen wissen wir heute noch, welche Täuschungen und Verbrechen zu seiner Zeit an der Tagesordnung waren. Gerade Angestellte der katholischen Kirche und akademische Berufe mit hohem Sozialprestige versündigten sich an ihren Mitmenschen. Tatsachenberichte, Statistiken von kriminellen Vorfällen oder eine Anklageschrift hätten es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht bis in unsere Zeit geschafft. Hönn hätte damit seine Anstellung verwirkt und sein gesegnetes Alter gefährdet.

Hönns aufklärerische Handreichungen — noch vor Beginn der offiziellen „Aufklärung“ — haben bis heute nichts an Gültigkeit verloren. Ob sie einen Schutz vor dem „Digital Information Act“ bieten können, wird man sehen müssen.


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