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Salonfähige Scharfrichter

Salonfähige Scharfrichter

Einige Newcomer innerhalb der Alternativmedienszene versuchen durch moralische Grenzverschiebungen Undenkbares zu enttabuisieren — etwa die Wiedereinführung der Todesstrafe.

„Pacing and leading“ ist eine Propagandamethode, eine Technik, die aus dem Neuro-Linguistischen Programmieren (NLP) kommt. In seinem Sammelbüchlein über die unterschiedlichsten Methoden der Meinungslenkung beschreibt Johannes Menath die Methode wie folgt:

„Bei dieser Technik (…) bringt man eine Person dazu, den eigenen Ideen zu folgen. Man hält zunächst mit der Zielperson Schritt, begibt sich also auf deren Ebene und verhält sich in einer Weise, die auf Zustimmung stößt. Nachdem man ihr Vertrauen gewonnen hat, leitet man sie in die Richtung, die man eigentlich anstrebt. (…) Dem Pacing and Leading eng verwandt ist die sogenannte Rattengift-Methode. Rattengift wird mit einem Stoff versetzt, der für die Tiere äußerst wohlschmeckend ist, so sehr, dass sie sich dafür in Gefahr begeben. Im übertragenen Sinne bedeutet das, dass man großen Einfluss ausüben kann, wenn man eine propagandistische Botschaft in ein Medium verpackt, das den Menschen Spaß macht. (…) Neben der Verknüpfung von Lockmitteln mit propagandistischen Botschaften ist auch sukzessives Heranführen an das gewünschte Denken möglich (…). Wenn man eine Gruppe an eine Sache gewöhnen möchte, die vermutlich Widerstand hervorrufen wird, so kann es sinnvoll sein, sie zunächst nur mit jenen Teilaspekten in Kontakt zu bringen, die positiv oder neutral wahrgenommen werden. Hat die Gruppe eine Vorstellung davon erhalten, kann der eigentlich gewünschte Aspekt folgen. Das Schaffen eines geistigen Grundklimas, welches eine darauffolgende Handlung vorbereitet, wird auch Priming genannt. So wird ein gedanklicher Kontext hergestellt, der Entscheidungen unterbewusst in die gewünschte Richtung lenkt (1).

Ab 2020 hat sich die Szene der freien und alternativen Medien nachhaltig und umfassend umstrukturiert. Diese Medienlandschaft wurde bis zu dem großen Umbruch von wenigen Oligopolen dominiert. Hernach drangen schlagartig viele neue, mal kleinere, mal größere Akteure hinein, brachten frisch Wind in die Szene und erfreuten sich rasch einer große Beliebtheit. Zugleich erweiterten sie die Perspektivenvielfalt.

Die vormals tendenziell links und sozial-marktwirtschaftlich ausgerichtete Alternativmedienszene wurde um liberale, libertäre, rechte, spirituelle oder auch konservative Positionen erweitert.

Das geschah in einer bis heute andauernden Phase der Umkehrung aller Werte, die selbstredend eine kollektive Orientierungsschwierigkeit mit sich brachte. Es war nicht mehr einfach, den eigenen Wertekompass zu kalibrieren, wenn im Außen die ganze Welt auf dem Kopf stand, das Böse sich im Gewand des Guten präsentierte, orwellscher Neusprech aus allen Lautsprechern klang, der Erdboden der Wirklichkeit aufgeweicht wurde und sich nun auch Menschen als alles Erdenkliche identifizieren konnten.

Entsprechend braucht es in dieser Zeit Sinne, die geschärfter sein müssen denn je. Gerade dann, wenn man in der Hochphase einer Krise wie etwa dem Corona-Faschismus auf der Basis eines gemeinsamen Nenners — Verteidigung der Grundrechte — zusammengerückt ist, um sich für die gleiche Sache zu engagieren. Bei einer solcherart erwachsenen Verbrüderung besteht die Gefahr einer nicht nur falschen, sondern auch gefährlichen Nibelungentreue gegenüber Tonangebern, die sich während der Coronazeit durch wertvolle Arbeit verdient gemacht haben. Wie in jeder Art von Beziehung kristallisieren sich die gesamten Facetten — und damit auch die Schattenseiten — erst nach einer gewissen Zeit heraus. Die in der Vergangenheit gewonnene Sympathie kann für ebendiese Schattenseiten blind machen.

Diese Gefahr soll im Nachfolgenden skizziert werden an einem konkreten Beispiel: der Schaffung des „geistigen Grundklimas“ für die Wiedereinführung der Todesstrafe. Dabei analysieren wir die Ausführungen zweier Podcast-Formate, die eine derartige Stimmungsmache in diese Richtung betrieben haben. Das ist zum einen der von Kiarash Hossainpour und Philip Hopf betriebene Podcast Hoss & Hopf, ein erfolgreicher, wenn nicht sogar der erfolgreichste Podcast Deutschlands. Und zum anderen finden wir die geistigen Steigbügelhalter für die Wiedereinführung der Todesstrafe in dem neuen Podcast-Format Kulturelle Bereicherung. Dieser wird gehostet von dem Comedian Nikolai Binner, dessen Markenkern es ist, Tabus öfter zu brechen als das täglich Brot. So sehr das in einem komödiantischen Kontext von der Kunstfreiheit gedeckt ist, stellt sich der Tabubruch jedoch umso problematischer dar, wenn er dann ausnahmsweise explizit als „ernst gemeint“ deklariert wird.

Der erstgenannte Podcast trägt durch seine Reichweitenstärke eine besondere Verantwortung. Wird dort der mentale Nährboden für Todesstrafen bestellt, dann ist das mehr als alarmierend. Entsprechend beginnen wir auch mit Hoss & Hopf.

Hoss & Hopf

Anlässlich der Einführung der Todesstrafe für Kindervergewaltiger im US-Bundesstaat Florida veröffentlichten Hoss & Hopf am 26. Mai 2023 eine Folge mit dem Titel „Die Todesstrafe für Kindervergewaltiger ist da!“. Wie für das dialektische Tandem der beiden üblich, gibt Kiarash Hossainpour den jungen, naiven, abwägenden Gesprächsteilnehmer, während Philip Hopf bereits eine glasklare Meinung hat und diese auch sturbockig vertritt.

Sein „Take“ auf die Todesstrafe für Kindervergewaltiger, die sich Hopf auch für Deutschland wünscht, lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Bei einer Todesstrafe für Kindervergewaltiger würde es sich gar nicht um eine Strafe als solche handeln. Die Maßnahme diene nämlich gar nicht dazu, den Täter zu sanktionieren. Vielmehr gehe es einzig darum, dessen „verwirktem Leben“ ein Ende zu setzen und damit die Gesellschaft von der Last und der Gefahr, die von diesem nicht lebenswürdigen Menschen ausgehe, zu befreien.

Er bemüht dabei einen bildhaften Vergleich, wonach sich eine Gesellschaft nur gesund erhalten könne, wenn sie regelmäßig den Müll – also die Täter – entsorge. Zudem sei es den Opfern nicht zu vermitteln, dass sie im weiteren Verlauf ihres Lebens mit ihren Steuerzahlungen die Inhaftierung ihrer Peiniger mitfinanzieren müssten.

Darüber hinaus unterfüttert er seine Position mit einem haarsträubenden „Whataboutism“ („Was-ist-mit“-Taktik), bei dem er alle als blöd bezeichnet, die diesen „Widerspruch“ nicht sehen würden. So könne er nicht verstehen, dass es Menschen auf der einen Seite befürworten, dass in Krisengebiete Waffen geliefert werden, mit denen man naturgemäß Menschen tötet, während sie sich dann auf der anderen Seite gegen die Todesstrafe aussprechen. In einer aktuelleren Folge vom 30. September diesen Jahres, über den Fall P. Diddy, bekräftigt Hopf seine Antipathie gegenüber Menschen, die sich gegen die Todesstrafe für Kinderschänder aussprechen.

Wie auch schon bei dem Waffenlieferungs-Whataboutism macht er dabei eine nullsummenspielerische Opposition auf, die da lautet: „Wer nicht dafür ist, dass Kinderschänder zu Tode verurteilt werden, der ist automatisch für Kinderschänder oder zumindest für deren Behandlung mit Samthandschuhen.“ Die andere Opposition lautet: „Wer für Waffenlieferungen ist, der kann nicht gegen die Todesstrafe für Kinderschänder sein.“

Aber fangen wir mal von vorn mit der Dekonstruktion der Todesstrafen-Befürwortung des Philip Hopf an.

Das Grundsatzproblem liegt darin, dass es in der Denke von Philip Hopf diesen einen blinden Fleck gibt, der sich wie ein roter Faden auch durch andere Themenbereiche seines Podcasts zieht. Das ist die Unfähigkeit, gewisse Übel als das zu erkennen, was sie sind: systemisch immanente Probleme. Es sind Probleme, die fester Bestandteil des Systems sind und keine sektoral beschränkten Fehlentwicklungen, die sich durch punktuelle Korrekturen beheben lassen könnten. So beklagt er beispielsweise in der Folge vom 20. November zum Thema „Stehen wir kurz vor dem dritten Weltkrieg?“ ab Minute 30:53: „Hier geht's nicht darum, sich auf die russische Seite zu positionieren; es geht darum, dass wir in Frieden leben wollen, wir wollen prosperieren, wir wollen wirtschaften, wir wollen für unsere Familien eine Zukunft schaffen, für unsere Kinder eine Zukunft schaffen, wo wir nicht Angst haben müssen.“ Er sieht nicht, wenn er sagt, „wir wollen wirtschaften“, dass das Kriegerische in unserer Art zu wirtschaften, der DNA unserer Ökonomie tief innewohnt. Mit Jean Jaurès gesprochen: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.“ Das eine gibt es nicht ohne das andere.

Analog verhält es sich mit seinem bemühten Bildnis von der Gesellschaft, die sich zwecks ihrer Gesunderhaltung des Mülls entledigen muss. Wobei der Müll in diesem Bild konkrete Menschen sind, die zweifelsohne Unmenschliches verbrochen haben.

Doch hier macht Hopf den gleichen Denkfehler: Er betrachtet die Gesellschaft als einen grundsätzlich gesunden Organismus, in welchem nur wenige Zellen „verdorben“ sind und vom Organismus entsprechend abgetötet werden müssen, um den Gesamtkörper als solchen nicht zu gefährden.

Ob sich Hopf, wenn er solche Vergleiche bringt, darüber im Klaren ist, welch gedanklich enge Verwandtschaft er damit eingeht? Eine gesunde Gesellschaft, metaphorisch als Gesamtkörper betrachtet, der von schädlichen Bestandteilen — Müll — bereinigt werden muss? Klingelt da nicht irgendwas im historischen Gedächtnis? Nicht nur, aber gerade in Deutschland? Man muss sich darüber im Klaren sein, wo solche unachtsam geäußerten Gedanken ihre Wurzeln haben und welche Formen sie annehmen können, wenn sie sich im Handeln manifestieren.

Schließen wir diese wichtige Klammer und kehren zu der Argumentationsweise von Philip Hopf zurück. Das Phänomen der Kindesmisshandlung, dessen sich Hopf per Todesstrafe entledigen möchte, ist eben nicht punktuell, sondern strukturell bedingt (2). Es handelt sich hierbei nicht um wenige vereinzelte Täter, die unabhängig voneinander ihren perversen Trieben nachgehen. Auch handelt es sich nicht um einen kleinen, überschaubaren Kreis von Pädokriminellen. Diese falsche Vorstellung wird durch die Diskurse um die Jeffrey-Epstein- und P.-Diddy-Fälle befeuert. Dieses Verbrechen ist tief, tiefer, als es sich die meisten vorstellen können und möchten, in unserer Gesellschaft verankert und durchdringt sämtliche Institutionen, Familien und sonstige Gesellschaftsverbände. Weiter im Bildnis von Hopf bleibend, müsste sich die Gesellschaft weitestgehend selbst in die Mülltonne werfen, was sie selbstredend nie tun wird.

Elementar ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf den Täter-Opfer-Kreislauf. Die häufig auftretende Dynamik, dass die heutigen Opfer der Täter morgen selbst zu Tätern werden können, um ihr Opfer-Dasein nicht mehr spüren zu müssen, ist gut belegt (3). Auf dem Zeitstrahl in die andere Richtung gedacht bedeutet das nichts anderes, als dass die Täter von heute die Opfer von gestern waren. Niemand kommt als Täter auf die Welt. Was bedeutet das konkret im Zusammenhang mit Hopfs Wunsch nach Todesstrafe?

Er fordert damit langfristig nicht nur die Hinrichtung der heutigen Täter und vormaligen Opfer. Nein: Er fordert potenziell auch den Tod der heutigen Opfer, die möglicherweise morgen zu den Tätern werden, die neuen Opfern genau das antun, was ihnen selbst widerfahren ist. Damit entpuppt sich die Forderung nach Todesstrafen als der hilflose Verzweiflungsversuch, ein gesellschaftlich inhärentes Problem auf der oberflächlichen Symptomebene zu bekämpfen.

Von einem Finanzanalysten, der Philip Hopf ist, hätte man erwarten können, dass er sein Vorhaben auch einmal in Zahlen durchdenkt. Doch wenn Hopf nicht zum Taschenrechner greift, dann machen wir das hier an dieser Stelle. Konkret stellt sich nämlich die — zynische — Frage, was es denn bedeuten würde, wären sämtliche Pädophile potenzielle Todesstrafen-Kandidaten? In einem 2021 veröffentlichten Paper des Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“ heißt es auf Seite 172 | PDF-Seite 2:

„Die Prävalenz der Pädophilie bzw. pädophilen Störung in der Allgemeinbevölkerung ist unbekannt (Cohen & Galynker, 2002; Seto, 2008), wird aber — ersten epidemiologischen Daten zufolge — auf ca. ein Prozent der männlichen Bevölkerung geschätzt (Beier et al., 2005). Legt man nicht die Kriterien einer pädophilen Störung an, sondern fragt nur nach sexuellen Fantasien mit Kindern, fallen die Zahlen deutlich höher aus. So gaben in etwa 4,1 %–9,5 % der Befragten in nicht-klinischen/-forensischen Stichproben der Allgemeinbevölkerung an, sexuelle Fantasien mit Kindern gehabt zu haben. Zwischen 3,2 % — 3,8 % der Befragten berichteten sogar, sexuelles Verhalten mit Kindern ausgeübt zu haben (Ahlers et al., 2011; Dombert et al.,2015).“

Was sagen uns diese Zahlen in Bezug auf die potenzielle Todesliste im Falle einer wiedereingeführten Todesstrafe? Wenn wir die deutsche Einwohnerzahl — 84,6 Millionen — rechnerisch (!) grob um die Menschen „bereinigen“, die als Täter wegfallen — Babys, Kinder, Senile — und ebenso grob 80 Millionen veranschlagen, dann kommen wir auf folgende Zahlen:

  • Bei dem geschätzten einen Prozent der männlichen Bevölkerung – und damit knapp der Hälfte — wären das mindestens 400.000 potenziell zu Tode Verurteilte.
  • Bei den 3,2 bis 3,8 Prozent der Gesamtbevölkerung, die angaben, sexuelles Verhalten mit Kindern ausgeübt zu haben, wären wir bei immerhin schon zwischen 2,5 bis 3 Millionen Menschen.
  • Würden auch jene auf die potenzielle Todesliste kommen, die „allein“ solcherart sexueller Fantasien hatten, würde die Liste auf 3,3 bis 7,6 Millionen Menschen anwachsen.

Um mittels der Todesstrafe sämtliche Kinderschänder zu exekutieren, wäre es mindestens notwendig, eine Menschenmenge in der Einwohneranzahl von etwas mehr als Bochum hinzurichten. Würden die 3,2 bis 3,8 Prozent veranschlagt werden, dann wäre es sogar die Einwohnerzahl von Hamburg und Köln zusammengenommen.

Die Forderung nach einer Todesstrafe für Pädokriminelle würde bei ihrer konsequenten Durchsetzung in den Bereich des Völkermords hineinragen.

Wer sich diese Konsequenzen vor Augen führt, kann im Grunde genommen nur davon ablassen, weiterhin die Todesstrafe zu fordern. Andernfalls fällt die Gesellschaft in längst für überwunden geglaubte Barbarei aus den dunkelsten Geschichtskapiteln zurück. Das Problem muss an der Wurzel und nicht auf der Symptomebene angepackt werden.

Damit kommen wir zum nächsten Todesstrafen-Befürworter.

Nikolai Binner

Die Live-Tour des systemkritischen Comedians aus Berlin hieß nicht ohne Grund „Grenzgänger“. Nichts tut Nikolai Binner bei seiner Comedy lieber, als Tabus zu brechen und nicht nur eine Prise Salz, sondern gleich den Inhalt eines ganzen Salzstreuers in die Wunden zu schütten. Das muss nicht jedem gefallen, man kann es durchaus für geschmacklos erachten — von der Kunstfreiheit ist es allemal gedeckt.

Binner war einer der Kulturschaffenden, die sich in der Coronazeit durch „Rückgratzeigen“ verdient gemacht hatten und der als komödiantische und rhetorische Abrissbirne die Herrschaftsnarrative angriff. All das verdient Respekt und Anerkennung. Umso wichtiger ist es, auf gefährliche Tendenzen hinweisen, wenn solche sich bei einem Künstler abzeichnen.

Seit September betreibt der Comedian mit drei weiteren Kollegen seiner Zunft den Podcast „Kulturelle Bereicherung“. Zuvor machte er für kurze Zeit mit Leonard Jäger — „Ketzer der Neuzeit“ —, den Podcast mit dem für das vorliegende Thema sehr passenden Titel „Salonfähig“. Denn genau darum geht es: Welche Themen werden durch die Verschiebung des Overton-Fensters „salonfähig“ gemacht? Beide Podcast-Formate waren beziehungsweise sind dazu geeignet, das Overton-Fenster in den Angeln zu lockern und dadurch leichter hin- und herwackeln zu lassen. Der Podcast „Kulturelle Bereicherung“ besteht aus einer Kaskade von politisch maximal unkorrekten, tabubrechenden, provokanten Witzen und Unterhaltungen, was auf den Hörer logischerweise eine abstumpfende Wirkung hat.

Nach unzähligen, mal mehr, mal weniger gelungenen Sexismus-, Hitler- oder Woke-Witzen werden Tabubrüche als solche kaum oder gar nicht mehr bewusst wahrgenommen. Das wäre kein sonderliches Problem, würden zwischendurch nicht Bemerkungen gemacht, die dann explizit als „ernst gemeint“ gekennzeichnet werden.

Benebelt durch die vorangegangenen Mehrfach-Tabubrüche braucht es als Rezipient einen wachsamen Geist, um dann den ausnahmsweise ernst gemeinten Tabubruch nicht unkritisch runterzuschlucken. Und bei diesem Tabubruch handelt es sich wie schon bei Hoss & Hopf um die Wiedereinführung der Todesstrafe.

In der zweiten Folge mit dem Titel „Spiele, Spaß, Solingen“ vom 26. September spricht sich Nikolai Binner ab Minute 40:40 folgendermaßen für die Todesstrafe aus:

„Nein, wirklich, (...) ich bin dafür, dass wir Todesstrafe einführen. Bei so Fällen – safe digga! (…) Wir sind ja nicht die USA. Hier ist das ja ein bisschen anders, und ich glaube, hier ist es in in unserer Justiz noch — noch — deutlich schwieriger, jemandem eine richtig harte Haftstrafe (aufzubrummen). Ich mein, selbst Vergewaltiger, bei denen es rausgefunden, also bei denen gesichert ist, dass sie Vergewaltiger sind, kriegen hier teilweise die lapidarsten Strafen. (…) Deswegen glaube ich schon, dass es sehr möglich ist, eine Todesstrafe einzuführen, aber sie halt wirklich nur in (bestimmten) Fällen einzusetzen, dass halt wirklich um diese Todesstrafe auch ein großer Respekt herrscht, dass man sagt, okay, die setzt man wirklich erst dann ein, wenn man wirklich genau gesichert weiß, dass diese Person wirklich diese Taten begangen hat und dass es einfach keine Zweifel mehr gibt. (…) Ganz ehrlich, weil ich will nicht, dass wir solche Leute bezahlen und durchfüttern, dass die im Knast sitzen; ich will nicht deutsches Steuergeld für irgendwelche Gruppenvergewaltiger ausgeben. Ich würde sagen: ‚Jo, (...) leg den um. Fertig! Leg ihn um!“

Dankenswerterweise gibt es in dieser Runde eine besonnene Gegenstimme vom Comedy-Kompagnion Dimitry Selsky, der Nikolai Binner widerspricht:

„(Man) muss irgendwie Exempel statuieren. Aber man muss nicht gleich (...) zur Todesstrafe greifen. Man kann nicht unzivilisiertes Verhalten mit noch unzivilisierterem Verhalten kontern. Ich finde, das Abschaffen der Todesstrafe ist schon ein richtiger Schritt (...) für eine zivilisierte Gesellschaft.“

Die Argumentationsweise von Nikolai Binner ähnelt der von Philip Hopf, weswegen sich eine erneute Widerlegung und Dekonstruktion erübrigt. Anstelle dessen wäre hinzuzufügen, dass es doch bemerkenswert ist, dass ausgerechnet Binner die Wiedereinführung der Todesstrafe fordert. Er fordert sie, obwohl er bekennender Christ und Jesus-Sympathisant ist. Darüber hinaus hat er mit bewusstseinserweiternden Substanzen schon so viele Trips hinter sich, dass er sich als spiritueller Vielflieger bezeichnen könnte. Vielfliegermeilen in Form von Erkenntnis scheint er dabei jedoch nicht sonderlich reichlich gesammelt zu haben.

Erfährt man als Mensch auf Substanzen wie LSD oder Pilzen nicht das Gefühl des All-eins-Seins, die Auflösung der eigenen Persönlichkeit, die Transzendenz des Tropfen-Daseins in der Welle des großen Ganzen? So ähnlich berichtet es Binner zumindest an anderer Stelle im gleichen Podcast-Format. Ist demzufolge die Forderung nach einer neu ins „Leben“ gerufenen Todesstrafe nicht ein Mordaufruf an sich selbst, wenn alle eins sind? Und zum anderen — wäre es denkbar, dass ein Jesus Christus, auf den sich Binner so häufig bezieht, die Todesstrafe fordert? Wohl kaum!

Die gerufenen Geister im Overton-Fenster

Neben dieser Frage stellt sich eine noch viel größere, nämlich die, was Nikolai Binner und auch Hoss & Hopf in den letzten Jahren gelernt haben? Beide, Nikolai Binner mehr als Hoss & Hopf, erlebten ihren Auftrieb durch einen Widerstand gegen politische Repressionen und eine Verengung des Meinungskorridors ab 2020. Binner tat sich im Widerstand gegen die Corona-Repressionen und mit der Verteidigung der Grundrechte hervor, wurde dafür gecancelt und aus dem Comedy-Mainstream verbannt. Hoss & Hopf boten der Political Correctness und der Woke-Ideologie Paroli. Als sie in einer Podcast-Folge einen biologischen, sich aber als Frau identifizierenden Mann mehrfach als solchen bezeichneten, wurde sie gerichtlich zur Löschung der Podcast-Folge gezwungen, unter Androhung eines Ordnungsgeldes von 250.000 Euro bei Zuwiderhandlung.

Beide Podcaster haben seit 2020 am eigenen Leibe erfahren, was es bedeutet, von einem enthemmten Staat unterdrückt zu werden und den Mund verboten zu bekommen. Und genau diesem Staat wollen sie nun das Recht einräumen, per Strafe über Leben und Tod entscheiden zu dürfen? Das ist schwer begreiflich!

Fehlt es Nikolai Binner und Philip Hopf wirklich an der nötigen Fantasie und der Vorrauschau, um auch nur erahnen zu können, was es bedeuten würde, den Geist der Todesstrafe wieder und unwiderruflich aus der Flasche zu entlassen? Man muss sich nur einmal vorstellen, was es hätte bedeuten können, hätte es in Deutschland der Jahre 2020 und 2021 die Todesstrafe gegeben. Solch grausige Vorstellung soll an dieser Stelle nicht weiter ausbuchstabiert werden. Doch stellen wir uns einmal vor, dass der geistig bestellte Acker in naher Zukunft, vielleicht in fünf Jahren, tatsächlich Früchte trägt und wir wirklich zu einer Todesstrafe zurückkehren.

Hier braucht niemand damit zu kommen, dass das „unvorstellbar“ sei. Fünf Jahre zuvor hätte sich auch niemand Maskenpflichten, Lockdowns, Impfungen im Puff, demente US-Präsidenten, sprechende Waffen in Kindersendungen, das Baerbocken, die Strafbarkeit von falscher Anrede und die Schwachkopf-Affäre vorstellen können. Und doch wurde all das Wirklichkeit. Es wäre vor diesem Hintergrund geradezu einfältig, sich in der falschen Sicherheit zu wiegen, eine Todesstrafe sei heute nicht mehr denkbar.

Man muss wirklich nicht viel Hirnschmalz aufwenden, um sich vorzustellen, was das bedeuten könnte.

Würde fatalerweise die Todesstrafe einmal wieder eingeführt, sich auf die von den Podcastern angeführten Delikte beschränken und in erster Linie als Abschreckung fungieren, so wäre es keinesfalls gesichert, dass es dabei bleibt.

Den Sperrklinken-Effekt haben Denker wie Rainer Mausfeld gut beschrieben. Ist eine politische Maßnahme erst einmal eingeführt worden, dann bewegt sie sich im Erich Honecker’schen Sinne nur noch „vorwärts immer, rückwärts nimmer“. Will heißen, dass sich die Todesstrafe naturgemäß irgendwann auch zur Ahndung anderer Delikte ausweiten würde: klimaschädliches Verhalten, Ablehnung von Pharmapräparaten oder Kriegsdienstverweigerung. Oder auch, wenn man, wie Hoss & Hopf, wiederholt das falsche Pronomen verwendet. Radikalen und hasserfüllten Woken wäre das mitunter zuzutrauen. Der Strafbarkeit der falschen Anrede liegt nämlich das Argument zugrunde, dass damit den genderfluiden oder queeren Menschen die Identität, gar ihr Daseinsrecht abgesprochen würde. In deren Weltbild sicherlich schlimm genug, um den elektrischen Stuhl zu rechtfertigen.

Heute, im Jahr 2024, mag das noch unvorstellbar sein.

Doch ausgerechnet repressionserfahrene Podcaster wie Nikolai Binner und Hoss & Hopf verschieben durch ihre Forderung die gedanklichen „Base Lines“ — wie Gunnar Kaiser zu sagen pflegte — und schaufeln sich potenziell wortwörtlich das eigene Grab, wenn sie der Wiedereinführung der Todesstrafe das Wort reden.

Der totalitäre Staat lacht sich derweil ins Fäustchen, wenn seine „Oppositionellen“ sich argumentativ den eigenen Galgen stricken. Gerade Nikolai Binner setzt sich hierbei für die Aufhebung dessen ein, was er zu Coronazeiten noch verteidigte: das Grundgesetz. Der wohl kürzeste Artikel in diesem, nämlich der 102., hält kurz und knapp in vier Worten fest: „Die Todesstrafe ist abgeschafft.“

Fazit

Es ist zweifelsohne eine Bereicherung, dass die freie, alternative Medienlandschaft mit Corona vielfältiger und weltanschaulich weitwinkeliger wurde. Rezipienten kamen leichter und schneller mit neuen, anregenden Gedanken in Berührung. Doch wie es sich mit Gedanken verhält, legte Christopher Nolan seinem Hauptcharakter in „Inception“ bereits in den Mund: „Ein Gedanke ist wie ein Virus, resistent, hochansteckend, und die kleinste Saat eines Gedanken kann wachsen. Er kann dich aufbauen oder zerstören.“

Wenn wir nun durch eine vielfältigere Medienlandschaft surfen, braucht es eben auch ein gut funktionierendes geistiges Immunsystem. Vielfach ist zu beobachten, dass dieses entweder schlecht funktioniert oder im anderen Falle überreagiert. Letzteres lässt sich dann beobachten, wenn Rezipienten in einem ihnen vertrauten Format oder einer Publikation einmal mit einer anderen, weltbildfremden Sichtweise konfrontiert werden. Dann reagieren manche darauf prompt mit Empörung und einem „Deabo!“. Im anderen Falle wird alles kritiklos übernommen, was die liebgewonnenen Meinungs- und Medienmacher oder Influencer von sich geben. Auf die „Pace and leading“-Methode wurde weiter oben schon verwiesen.

Es tut also Not, sich als Medienrezipient die Kompetenz anzueignen, das Gehörte, Gesehene und Gelesene für sich selbst daraufhin zu prüfen, ob man das noch mit seinen Grundwerten mittragen kann. Oder ob man sich von Sympathieträgern auf ein gedankliches und moralisches Sperrgebiet hat führen lassen, welches man von sich aus nie betreten hätte.

An der sich langsam neue entflammenden Debatte über eine Rückkehr zur Todesstrafe lässt sich die unheilvolle Entwicklung besonders eindrücklich ablesen.

Als persönliche Randbemerkung möchte ich hinzufügen, dass in meiner Wahrnehmung die gedankliche und emotionale Saat für diese Art der Strafe schon vor 2020 in der Gesellschaft keimte. Wenngleich meine Erfahrung natürlich nicht repräsentativ ist. Häufig fand ich mich in den 2010er-Jahren in hitzigen Diskussionen, in denen die Wiedereinführung der Todesstrafe für Kinderschänder ernsthaft diskutiert wurde. Dabei wurde mit teils sehr unfairen Mitteln um das „bessere Argument“ gerungen. So wurde mir als Einzelkind öfter die Befugnis und Fähigkeit abgesprochen, in dieser Frage überhaupt nur mitreden zu können, da ich es ja nicht nachempfinden könne, wie es sich anfühlt, wenn die eigenen Geschwister vergewaltigt werden.

Mit dem „Argument“, dass ich zu gewissen Rachegefühlen nicht fähig sei, wollte man mich in dieser Angelegenheit mundtot machen. Allein das zeigte, dass die Todesstrafen-Frage auf rein emotionalen und nicht rationalen Argumenten aufbaut. In einer anderen Diskussion zu diesem Thema wurde umgekehrt jemand als besonders kompetent in dieser Frage eingeschätzt, weil er angab, er habe an der Berufsschule kürzlich ein 15-minütiges Sozialkunde-Referat über Todesstrafen gehalten. Die Frage, ob man auch erst ein Referat über Vergewaltigungen halte müsse, um das moralisch beurteilen zu können, verkniff ich mir an der Stelle.

Abschließend ist festzuhalten, dass es nicht allein die Leitmedien, der Mainstream, sind, die moralisch undiskutierbare Fragen in den Bereich des Diskussionswürdigen verlagern. Auch oder gerade einzelne Akteure der freien, alternativen Medien tun das. Dabei soll den beiden Podcastern, die hier als Beispiel aufgeführt wurden, gar nicht mal eine manipulative oder böse Absicht unterstellt werden. Mit Gewissheit vertreten sie diese Sichtweisen aus einer inneren Überzeugung heraus, dass dies moralisch richtig und geboten wäre.

Dabei ist von außen zu beobachten, dass das Verfechten dieses Tabubruchs fast ausschließlich aus einer emotionalen Getriebenheit heraus erwächst, aus Hass- und Rachegefühlen, die menschlich, nur allzu menschlich sind.

Dem Hass — gemeint ist nicht der Hass, von dem heute inflationär gesprochen wird – ist es zu eigen, dass er blind macht. Und genauso blind steuern die von ihm geleiteten Verfechter der Todesstrafe auf eine desaströse Verschlimmbesserung und Intensivierung der Gewaltspirale zu, die sie ja eigentlich aufhalten möchten.

Was Nikolai Binners Podcast-Kollege Dimitry Selsky der Todesstrafen-Befürwortung schon entgegensetzte, hat Nietzsche in sehr treffende Worte gepackt, mit denen dieser Beitrag dann auch geschlossen werden soll:

„Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein“ (4).


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Quellen und Anmerkungen:

(1) Siehe Menath, Johannes: „Moderne Propaganda: 80 Methoden der Meinungslenkung“, Höhr-Grenzhausen, 2022, Seite 31 und folgende.
(2) Vergleiche hierzu den sehr gut strukturierten, fundierten, mit vielen Quellen angereicherten „Grundsätzlich-Podcast“ zum Thema „Pädokriminalität & Pädosexualität“.
Vergleiche auch Tom-Oliver Regenauers Text „Mord ist ihr Hobby“.
(3) Vergleiche Ruppert, Franz: „Liebe, Lust & Trauma“, München, 2019, Kösel.
(4) Siehe Nietzsche, Friedrich: „Jenseits von Gut und Böse“, 1886, Seite 71.

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