Seit ich denken kann, war ich ein politischer Mensch. Meine Politisierung war das Ergebnis meiner Jugend und kann als direkte Reaktion auf mein Umfeld angesehen werden. So wie der Sohn eines Bergführers, quasi nebenher, alles über Berge, wie man sie besteigt und wann sie gefährlich werden können, lernt, ohne dies als Unterricht in Bergsteigen zu empfinden, habe ich gelernt, einen Blick für das zu entwickeln, was man unfaire Verhältnisse oder Klassenunterschiede nennt. Meiner späteren Ausbildung als Journalist ging eine deutlich längere Ausbildung in Straßen-Soziologie voraus.
Ich habe immer beobachtet und dabei die Fähigkeit entwickelt, mich wie ein Chamäleon den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten anzupassen. Ich fiel nie als Fremdkörper auf, sah mich aber auch nie als Teil einer bestimmten Gruppe. Der treffendste Begriff könnte lauten: „Human-Inventar“. Ich war wie ein Gegenstand, in dessen Umgebung die Leute vergaßen, dass ihnen ein Mensch, der nicht wirklich dazugehörte, zuhörte.
So konnte ich meine ganze Jugend lang Personen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten und in den unterschiedlichsten Positionen aus nächster Nähe beobachten, ohne dass diese sich beobachtet fühlten. Sie gaben sich, wie Politiker sich geben, nachdem man ihnen gesagte hatte, dass Kameras und Mikrofone jetzt ausgeschaltet seien, dass das Interview beendet sei.
„Die gewählt werden, haben nichts zu sagen und die etwas zu sagen haben, wurden nicht gewählt.“ Dieser Satz des Politikers Horst Seehofer wurde beim ZDF aufgezeichnet, nachdem die eigentliche Sendung schon im Kasten war.
Seehofer hatte nach dem Interview nicht nur eine völlig andere Sprache, sein Duktus war auch vollkommen frei von künstlicher Wichtigkeit und der Inhalt war frei von politischer Taktik und Um-den-heißen-Brei-reden.
Den größten Teil meiner vor-journalistischen Laufbahn erlebte ich — im übertragenen Sinne — einen Seehofer-Moment nach dem anderen. Sie alle hatten etwas gemeinsam. Menschen, die sich unbeobachtet wähnen, zeigen ihr wahres Gesicht, ihre tatsächliche Einstellung und offenbaren dabei stets ihr Menschenbild. Der größte Teil der Menschen, die ich später als Reporter erlebte, öffentliche Personen, Personen mit einer gesellschaftlichen Stellung, sind, wenn sie Off-the-Record sprechen, von einem selbstherrlichen Klassenbewusstsein durchdrungen. Sie urteilen am häufigsten aus einer höheren Position, die sie sich selber zugewiesen haben. Sie beurteilen und urteilen über Dritte von oben herab.
Rassismus, Dünkel und gelebte Arroganz sind die Hauptwerkzeuge dieser Menschen. Man wähnt sich als auserwählt und spricht Menschen, die nicht der eigenen Kaste angehören, offen das ab, was man das Recht auf Selbstbestimmung nennt.
„Wer unten ist, ist unten, weil er dort hingehört“, ist die tiefe Überzeugung großer Teile der sogenannten Elite. Sie selber würden diese Form des Rassismus aber nie als Rassismus bezeichnen, sondern als Pragmatismus.
Dumme Menschen muss man vor sich selber schützen. Punkt.
Diese Einstellung ist in der sogenannten Mittelschicht, beim sogenannten Bildungsbürger extrem verbreitet. Sie gehört gewissermaßen zum guten Ton. Man hält sich für politisch gebildet, da man sich täglich ab 21 Uhr von den Nachrichten-Flaggschiffen von ARD und ZDF auf den neuesten Stand bringen lässt. Zudem hat man Die Zeit, die FAZ, die Süddeutsche Zeitung und den Spiegel abonniert und findet sich in seinem Weltbild bestätigt.
Wer, wie ich, sowohl in diesen Kreisen als auch bei Menschen, die als Baggerfahrer, Reifenverkäufer oder Putzhilfe ihre Brötchen verdienen, ein- und ausging, wird ganz automatisch Zeuge, mit welchem sozialen Rassismus die Elite den sogenannten bildungsfernen Schichten begegnet.
Dieses Auf-Menschen-Herabblicken hat mich, seit ich denken kann, angeekelt und fasziniert zugleich, denn immer, wenn man über „die da unten“ sprach, sprach man über mich und das oft, während ich daneben stand. Ich war ja unsichtbar.
Über die Jahre entwickelte ich ein Herz für Underdogs und Menschen, die sich vom Establishment den gesellschaftlichen Aufstieg nicht verbieten lassen wollten, nur weil sie zum Beispiel die falsche Religion, die falsche Nationalität oder die falsche Hautfarbe besaßen.
Die Situation der Juden im Dritten Reich oder die der Schwarzen in den USA wurde zu meinem Hauptaugenmerk und ich las alles zu diesen Themen, was ich in die Finger bekommen konnte. Natürlich auch die Biografie von Malcom X, die mich maßgeblich politisierte. Der praktische Widerstand einer Rosa Parks. Der scharfe Verstand eines Thomas Sankara oder eines James Arthur Baldwin. Die Entschlossenheit eines Muhammad Ali. Das Vertrauen in die symbolische Tat als effektivstes Instrument, um eine Veränderung herbeizuführen, eines Abie Nathan.
Wer den gesellschaftlichen Umgang mit Rassismus, Rassentrennung und nicht zugestandenen Bürgerrechten genauer studiert, kommt zu dem Schluss, dass die letzten Endes mit Gewalt aufrechterhaltenen künstlichen Klassenunterschiede nur durchgesetzt werden können, da sie mittels Propaganda als „natürlich“ verkauft werden. Um sie über Jahre in der Bevölkerung zu implantieren, bedarf es Massenmedien und diese Massenmedien haben sich von Anwälten der Massen in Komplizen der Elite verwandelt.
Vor allem ihre Form der ideologisch frisierten Darstellung der politischen und gesellschaftlichen Realität macht den vom System praktizierten Rassismus für die Betroffen, die Opfer, nahezu unsichtbar. Im Sinne der Eliten publizierende Massenmedien verteidigen den alltäglichen Klassenrassismus, indem sie behaupten, es gäbe ihn gar nicht. Wer etwas anderes behauptet und seine Behauptungen auch noch bereit ist vorzulegen, wird auch 2020 wieder zu einem von Moskau aus gesteuerten Agenten und Propagandisten erklärt. Wir leben in einer Zeit, die massiv an McCarthy der 1950er-Jahre erinnert.
Massenmedien beschreiben die Realität nicht, sie erzeugen sie. Zu diesem Schluss muss jeder selbständig denkende Mensch automatisch kommen, wenn er die erlebte Realität mit dem abgleicht, was in der Zeitung steht.
Dass den meisten Journalisten dieser Abgleich nicht gelingt, ist dem simplen Umstand geschuldet, dass Journalisten heute kaum noch Zeit haben, autark zu recherchieren. Sie schreiben in der Regel voneinander ab, holen 80 Prozent ihres Weltbildes aus dem Ticker privater Nachrichtenagenturen und bewegen sich außerhalb der eigenen Nachrichtenblase nur, wenn sie den eigenen Kindern beim Surfen im Netz zusehen.
Kaum eine Berufsgruppe lebt so konsequent in einem Elfenbeinturm wie Journalisten. Je höher die Position bei Sender oder Gazette X, je unwahrscheinlicher ist es, dass diese Menschen auch nur den Hauch von einer Ahnung haben, wie die Welt außerhalb ihrer Blase wirklich aussieht. Journalisten sind in der Regel Menschen, die ihre politische Bildung aus einer Zeitung beziehen, für die sie selber schreiben. Sie sind im Kern Fans der eigenen Meinung, die sie von Dritten ungeprüft übernommen haben und für Fakten halten.
Das ist so, als ob die Fans von Bayern München sich ausschließlich Spiele ihres Vereins ansehen würden, aber nur die, bei denen die Mannschaft gewonnen hätte. Diese Fans würden zudem jede andere Sportart leugnen. Für sie gibt es nur Fußball, was sie glauben damit beweisen zu können, indem sie nur Fußball sehen. Fertig.
Diese Art von Menschen hat einen immensen Einfluss auf ihr Umfeld, wenn man sie als Meinungsmacher und Experten in Massenmedien einsetzt. An den richtigen Schlüsselpositionen eingesetzt, benötigt man zahlenmäßig nur eine recht übersichtliche Zahl von Personen, um flächendeckende Propaganda, also Fake-News des Staates, zu jedem Thema so massiv durchzudrücken, dass die Bevölkerung sie als unumstößliche Wahrheit akzeptiert.
Das geschah am effektivsten am 11. September 2001. Die sogenannten Anschläge auf das Word Trade Center in New York wurden nie wirklich aufgeklärt, sondern im Gegenteil unternahm die US-Regierung alles, um dieses gigantische Verbrechen nicht bis in Detail zu untersuchen. Man wollte die Wahrheit nicht sehen und entschied sich darüber hinaus, jeden anzugreifen, der sich nicht abhalten lassen wollte, diese selber zu suchen.
Das von den Massenmedien zum 11. September 2001 erzählte Narrativ ist die dreisteste Lüge der Neuzeit und konnte bis heute nur als offizielle Wahrheit behauptet werden, weil vor allem Massenmedien und die dort arbeitende Berufsgruppe den Journalismus verraten haben. Sie haben sich in den meisten Fällen zu Werkzeugen der Propaganda machen lassen. Mitläufer, die die öffentliche Meinung im Auftrag der Politik und der Geheimdienste manipulieren und im Anschluss die eigenen Lügen so oft konsumieren, dass sie sie selber glauben. Politisch maximal sensibilisiert hat der 11. September mich vor allem, nachdem ich mich mit den Recherchen dazu von Mathias Bröckers beschäftigte.
Weit früher wurde ich von Günter Gaus, Klaus Bednarz und Joachim Friedrichs geprägt. Diese Journalisten hatten eine Haltung und diese hätte es ihnen unmöglich gemacht zu akzeptieren, dass das Grundgesetz, wie aktuell geschehen, zu weiten Teilen außer Kraft gesetzt wird, weil die Politik dies so beschlossen hat. Die Kollegen von damals wären auf die Barrikaden gegangen. Dass wir es heute mit einer geschlossenen Mainstream-Pressewand zu tun haben, ist dem Umstand geschuldet, dass jeder, der es wagt, sich gegen die Mainstream-Meinung im eigenen Haus zu positionieren oder einer abweichenden Meinung eine Stimme zu geben versucht, im Anschluss extreme Probleme bekommt, die leicht zum Ausschluss aus dem Unternehmen führen können.
Die innere Pressefreiheit wurde über Jahre konsequent abgeschafft. Wer heute frei publizieren möchte, muss ins Internet ausweichen und benötigt eine eigene Homepage und am besten einen eigenen Server. Publiziert er ausschließlich über soziale Medien mit amerikanischen Besitzern, wird er abgeschaltet, wenn er vom Mainstream abweicht. Zu den Personen, die mich in den letzten Jahren am meisten beeindruckt haben, da sie trotz massivem Gegenwind nicht aufhören zu veröffentlichen, was sie für richtig und wahr halten, gehören Julian Assange, Edward Snowden und Noam Chomsky.
Bild: Zeichnung von Björn Gschwendtner
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