„Wir verurteilen die illegale russische Invasion in der Ukraine.“ Mit diesen Worten beginnt der Aufruf zum Wiener Friedensappell und setzt dann fort:
„Wir sind uns der Mitverantwortung der NATO für diesen Langzeitkonflikt als eines von vielen Beispielen für Verstöße gegen das Völkerrecht voll bewusst.“
Das war für den ÖGB bereits zuviel der diplomatischen Formulierung und zu wenig Selenskij-Verehrung. Dem Druck seitens der ukrainischen Botschaft und kriegsgeiler österreichischer Medien hielten die Gewerkschafter nicht stand und setzten die vorgesehenen Referenten vor die Tür. Und das, obwohl bei der Auswahl der Hauptredner ohnedies darauf geachtet worden war, dass sich keine Aktivistinnen und Aktivisten darunter mischten, die von einschlägigen transatlantischen Medien schon eine pro-russische Punze aufgedrückt bekommen hatten.
Mit der Ausladung durch den ÖGB und der damit verbreiteten ukrainischen Propaganda haben die Teilnehmer eine solche allerdings nachträglich erhalten. Der US-Ökonom Jeffrey Sachs, der bolivianische Vizepräsident David Choquehuanca und die Dekanin der indischen Nehru-Universität Anuradha Chenoy wurden in der Folge — mit indirekter Hilfe durch den ÖGB — medial als pro-russisch gebrandmarkt.
Die die ukrainische Waffenbrüderschaft am meisten verherrlichende Tageszeitung Der Standard lieferte dafür auch die nötige Kontaktschuld-These. Jeffrey Sachs und Anuradha Chenoy „haben dem TV-Sender Russia Today Interviews gegeben“, meldet die in Cancel Culture-Methoden versierte Redakteurin Irene Brickner. Soll heißen: Wer mit dem Feindsender spricht, der soll hier nichts mehr zu sagen haben. Wie die Friedenskonferenz insgesamt einzuschätzen ist, lässt der Standard dann die ehemalige Skirennläuferin Nicola Spieß-Werdenigg sagen — offensichtlich war sonst niemand für eine rasche Diffamierung zur Stelle: Der „Summit for Peace“ sei, so die Ex-Abfahrerin, „einfach russische Propaganda, die hier unter dem Deckmantel der Friedensförderung verbreitet wird“.
Den Auftakt zum Rausschmiss der Friedenskonferenz aus den Räumen des ÖGB machte der ukrainische Botschafter in Wien, Vasyl Khymynets. Ohne vorherigen vollständigen Rückzug russischer Truppen aus ukrainischen Gebieten brauche man über einen Frieden gar nicht zu reden, so der Mann, der von Verhandlungen offensichtlich nichts wissen will. Kurz darauf gab es laut Auskunft eines Gewerkschafters eine Bombendrohung gegen das ÖGB-Haus, von der seltsamerweise aber die Polizei nichts wusste.
Wer dann österreichischerseits die Initiative ergriff, die internationale Friedenskonferenz zu canceln, darüber darf spekuliert werden. Dass es der ÖGB im Alleingang war, darf bezweifelt werden. In der Woche vor der großen Friedenskonferenz wählte die SPÖ — nach Chaos-Auszählungen — einen neuen Parteichef, Andreas Babler. Er war vor Jahren vom Stamokap-Flügel der jungen Sozialisten aus in die Politik gestartet, gibt sich auch heute noch fallweise als Marxist, revidiert dies allerdings, wenn es ihm nicht opportun erscheint.
Zum Krieg in der Ukraine durfte beziehungsweise musste er den transatlantischen Stehsatz wiederholen, wonach alle wie ein Mann hinter Kiew stünden; sogar für Waffenlieferungen nach Kiew sprach sich der neue Vorsitzende der SPÖ aus, und das als Parteichef eines neutralen Landes, das solche bislang nicht tätigt.
Eine Friedenskonferenz unter der Schirmherrschaft der Gewerkschaft, die einen sofortigen Waffenstillstand und Verhandlungen über die staatliche Zugehörigkeit des Donbass fordert, kann so jemand nicht gebrauchen.
Die Reaktionen auf den Rausschmiss der Friedenskonferenz aus den Räumen des ÖGB waren dann für einen langjährigen Beobachter der Szene nicht mehr überraschend. Attac-Österreich kündigte seinen Rückzug vom Summit mit der vagen Bemerkung an, weiter einen gerechten Frieden für die Ukraine anstreben zu wollen; und die einzige grüne Abgeordnete, die sich per Video-Botschaft an die internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmer hätte wenden wollen, wollte das plötzlich auch nicht mehr. Solange solches Personal in unseren Parlamenten und Gewerkschaften sitzt, muss der Frieden eben warten, bis es keine Soldaten und keine intakten Siedlungen mehr gibt.
Der „Summit for Peace“ fand übrigens doch noch statt, und zwar im gründerzeitlichen Prachtsaal „Loreley“, in dem vor 120 Jahren das Wiener Bürgertum tanzte und die Arbeiterbewegung nach dem Ersten Weltkrieg ihre Großveranstaltungen abhielt. Zum 180. Geburtstag der ersten weiblichen Friedensnobelpreisträgerin, der Österreicherin Bertha von Suttner, konnten sich die Organisatoren dann allerdings nicht darauf einigen, der NATO eine Mitverantwortung am Kriegsgeschehen zuzuweisen. Die Angst vor der kriegslüsternen Journaille saß zu vielen in den Knochen. Symptomatisch dafür verhielt sich Österreichs Ex-Präsident Heinz Fischer, auch er ein Sozialdemokrat. Seine vorbereitete Rede verschwand in der Schublade, bevor sie gehalten wurde.
Wohin die Friedensreise gehen sollte?
Der Aufruf zur Konferenz klang demgegenüber noch hoffnungsfroh. Darin erklärte der Friedensaktivist Reiner Braun, Mitverfasser des Krefelder Appells, der sich im Jahr 1980 gegen die Aufrüstungspläne der NATO richtete, im Namen der Organisatoren des Kongresses, wie Frieden in der Ukraine bewerkstelligt werden könnte. Sein 9-Punkte-Plan nimmt die Minsker Vereinbarung von 2015 zur Grundlage, erweitert diese aber um die am Schlachtfeld geschaffenen neuen Tatsachen.
Für den Donbass wurde nach einer fünfjährigen Frist eine Volksbefragung vorgeschlagen, die neben einer Autonomie innerhalb der Ukraine auch einen Anschluss an die Russische Föderation möglich macht. Der aktuelle Status der Krim als russisches Territorium sollte „für eine vereinbarte Zeit festgeschrieben werden“, um letztlich wohl auch so bestehen zu bleiben. Des Weiteren wurden internationale Sicherheitsgarantien für eine neutrale Ukraine angesprochen und sowohl Russland als auch die USA aufgefordert, Rüstungskontrollgespräche wieder aufzunehmen.
Parallel zu einem Abzug russischer Truppen im Rahmen eines sogenannten „Gesamtfriedensplans“ forderte Braun auch das Zurückfahren beziehungsweise die Aufhebung der antirussischen Sanktionen, ein heikler Punkt, wenn man sich die Liste der Rednerinnen und Redner ansieht. Außer der irischen EU-Abgeordneten Clare Daly finden sich darauf nur wenige, die sich bis dato in diese Richtung geäußert hatten. Was beim Wiener Friedenskongress völlig fehlte, war eine Debatte über die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen den russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin und die Kinderrechtsbeauftragte Maria Lwowa-Belowa.
Die Art der Anklage führte der Welt klar vor Augen, dass es sich dabei um eine juristische Fortführung des transatlantisch mitbetriebenen Krieges gegen Russland handelt. Putin wurde ja nicht wegen der Führung eines Angriffskrieges angeklagt — da wären sofort Vergleiche mit einem halben Dutzend US- und NATO-Kriegen in Erinnerung gerufen worden, zu denen der IStGH geschwiegen hat; nein, er soll wegen der „Verschleppung von Kindern aus der Ukraine nach Russland“ vor Gericht gestellt werden, eine skurrile Wortwahl, wenn man bedenkt, dass Waisenkinder aus Kriegsgebieten nach Verlust ihrer Eltern irgendwohin gebracht werden müssen.
Ein vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zur Festnahme ausgeschriebener Staatspräsident wird sich wohl kaum auf Verhandlungstour begeben können, insofern wäre eine Beschäftigung mit den Rechtsauffassungen und der Rolle des IStGH wichtig, der von den Großmächten USA, Russland und China ohnedies nicht anerkannt wird.
Den hehren Anspruch auf geopolitische Ausgewogenheit, gemischt mit notwendigem Realismus, konnte der Wiener Friedenskongress letztlich nicht umsetzen. Schuld daran ist die Ukraine-Hörigkeit österreichischer Gewerkschafter, Politiker und vor allem Medien, die dem als pazifistisch gestarteten Projekt — ohne sich inhaltlich damit auseinanderzusetzen — russische Propaganda vorwarfen.
Oder, wie es einer der Hauptorganisatoren, der langjährige Lateinamerika-Korrespondent Leo Gabriel nach dem Ende des Summit ausdrückte: „So wie sich der ukrainische Botschafter in innerösterreichische Angelegenheiten eingemischt hat, hätte er einen Verweis aus dem Außenministerium erhalten müssen.“ Stattdessen sind ihm ÖGB, Attac, Grüne und der frühere österreichische Präsident blind gefolgt.
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