Vor dem Bildschirm, der mich von meiner Umgebung trennt, döse ich vor mich hin. Ich habe es bequem, tief versunken in meinem gemütlichen Sessel. Neben mir steht eine Kommode. Wie von selbst sortieren sich die unzähligen vorbeiflimmernden Bilder in ihre Schubladen ein, um nicht mehr herausgeholt zu werden. Was einmal seine Ordnung hat, soll nicht wieder durcheinandergebracht werden.
Ich brauche das Gewohnte, das Was-Immer-War und das Was-Alle-So-Machen. Hier fühle ich mich sicher. Hier weiß ich, woran ich bin. Während die Bilder vorbeifunkeln und ich bespielt werde, bleibe ich unbeweglich. Auch wenn mir mein Sessel bisweilen eng erscheint und sich die Schubladen meiner Kommode immer schwieriger zuschieben lassen — sie geben mir die Gewissheit, dass ich mich auf etwas verlassen kann.
Ich brauche die Absicherung, die Garantie, dass, wenn ich A mache, B dabei herauskommt. In diesem Sinne sorge ich vor. Ich antizipiere, organisiere, kontrolliere. In meinem Alltag gibt es keine Überraschungen. Wie viele meiner Artgenossen stelle ich mich morgens auf ein Rollband, um bis zum Abend die Etappen meines Alltags hintereinander abzuhaken. Erledigt. Ich gehe auf Nummer sicher.
Unter Kontrolle
Sicherheit ist die Karte, auf die unsere Zivilisation setzt. Schon vor unserer Geburt lassen wir unsere Anlagen bestimmen und sind wir erst auf der Welt angekommen, können wir uns sicherheitshalber ein paar Stammzellen zurücklegen lassen. Für alle Fälle lassen wir uns durchimpfen, durchleuchten, durchchecken und zur Früherkennung schicken, die Vorsorge heißt, um unsere Probleme so früh wie möglich behandeln zu lassen.
Sind wir erwachsen, schließen wir jede Menge Versicherungen und Verträge ab, horten unser Erspartes, verschanzen uns hinter unseren Gartenzäunen und Alarmanlagen und lassen uns bereitwillig überall filmen, abhören und abspeichern. Wir desinfizieren, sterilisieren, immunisieren, desensibilisieren, eliminieren, wählen unsere Partner nach bestimmten Algorithmen aus und vermählen uns schließlich mit einer künstlichen Intelligenz, die unsere perfektionierten Körper zu beliebig austauschbaren Ersatzteillagern macht. Und schließlich träumen wir davon, dem Tod ein Schnäppchen zu schlagen und im Sinne des transhumanistischen Ideals demnächst 1.000 Jahre alt zu werden.
Alles ist unter Kontrolle. Das Lebendige wird überwacht, bis in seine kleinsten Einzelteile seziert, analysiert und manipuliert. Wir haben die Ereignisse im Griff. Die da oben werden sich schon was einfallen lassen. Die Forschung wird uns schon wieder aus dem Schlamassel rausholen, den wir auf unserem Planeten angerichtet haben. Die Medizin wird unsere Körper, die trotz schärfster Gesetze und ausgeklügeltster Behandlungen immer kränker werden, schon wieder auf Vordermann bringen.
An alte Gewissheiten klammern
Wehe dem, der an diesem Glauben rüttelt! Wir werden doch heute immer älter, oder? Daran sieht man doch, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche, der wir unsere Seelen anvertrauten, bevor ans Licht kam, was im Dämmer der Sakristeien und Beichtstühle auch geschieht. Doch auch wenn alle Institutionen nach und nach ihre Glaubwürdigkeit verlieren: die der Wissenschaft ist unantastbar. Was wissenschaftlich bewiesen ist, das stimmt.
Natürlich kenne ich mich da nicht besonders gut aus. Ich bin kein Spezialist. Also suche ich mir die Forschungsergebnisse heraus, die sich in meine Schubladen einsortieren lassen und in mein Weltbild passen. Dabei ignoriere ich, dass unabhängige Forschung heute kaum noch möglich ist, sondern Forschung hauptsächlich von den großen Laboren finanziert wird und so gut wie immer interessenorientiert abläuft. Dass auch Wissenschaftler eitel sein können und mainstreamabweichende Ergebnisse ausgefiltert werden. Dass laut Richard Horton, dem Herausgeber des renommierten Magazins The Lancet und Marcia Angell, der ehemaligen Chefredakteurin des New England Journal of Medicine, mehr als die Hälfte aller wissenschaftlichen Studien schlicht gefälscht sind (1).
Auch wenn es heute immer schwieriger wird zu wissen, wem man noch vertrauen kann, und welche Nachricht die richtige ist — eines steht fest: Das, was ich glaube, das stimmt. Auf irgendetwas muss ich mich ja verlassen können. Ich lasse mich nicht so schnell aus meinem Sessel aufscheuchen. Wenn nicht mehr wahr ist, was ich denke, würde meine Welt im Chaos versinken. Und so klammere ich mich an meine alten Gewissheiten und halte die Schubladen meiner Kommode fest verschlossen. Denn sind sie einmal geöffnet, riskiere ich, ins Bodenlose zu stürzen
Mitläufer im Mainstream
Ich habe große Angst davor, keinen Halt mehr zu haben. Nicht auszumalen was passiert, wenn sich herausstellt, dass ich mich geirrt habe! Dass die Dinge gar nicht so sind, wie ich sie mir bisher vorgestellt habe! Dass ich an etwas Wesentlichem einfach vorbeigesehen habe! Das darf nicht sein! Also blecke ich die Zähne und wetze die Säbel vor dem, der meine Überzeugungen in Frage stellt. Bis aufs Blut verteidige ich, was ich immer schon geglaubt habe, was in meiner Familie geglaubt wird, was die meisten um mich herum glauben.
Alle können sich nicht irren. Alle können nicht in eine falsche Richtung unterwegs sein. Ich schwimme mit dem Strom, obwohl ich weiß, was das anrichten kann. Ich laufe dennoch mit und will nicht wahrhaben, dass in einer Zivilisation, die dabei ist, sich selbst zu vernichten, etwas Wesentliches schiefläuft.
Ich kann nicht sehen, dass das, was hier grundsätzlich schiefläuft, auch mit meiner eigenen Weigerung zu tun hat, mich zu öffnen. Es zu erkennen würde bedeuten, dass ich alles hinter mir lassen müsste: meinen Sessel, meine Kommode, meine Abschirmungen. Ich hätte nichts mehr, an dem ich mich festhalten und hinter dem ich mich verstecken könnte. Ich stünde da ganz allein mit meiner Verantwortung, nackt und verletzlich, so, wie ich auf die Welt gekommen bin und so, wie ich von ihr gehen werde.
Belächelt, verfolgt, offensichtlich
Ließe ich von meinen alten Überzeugungen ab, setzte ich damit nicht nur meinen Komfort aufs Spiel. Ich riskiere, zum Gespött der anderen zu werden. Ich riskiere vielleicht auch meinen Job, vielleicht sogar mein Leben. Also bleibt mir nichts, als das abzuqualifizieren, was die alte Ordnung stört. Verschwörungstheorien, esoterisches Geschwätz, Quantengeschwurbel — was nicht sein darf, das kann nicht sein.
Wie jemand, dem gerade eine schwere Krankheit diagnostiziert wurde, wehre ich mich gegen die Diagnose. Unmöglich! Das glaube ich nicht! Mit aller Kraft und voller Wut lehne ich mich gegen das Unfassbare auf, so, wie es der Mensch immer getan hat, wenn er mit etwas wesentlich Neuem konfrontiert wurde. Die Erde ist eine Kugel, Sklaven sind Menschen, Kinder haben Empfindungen und Frauen sind den Männern gleichgestellt — lächerlich! Gefährlich geradezu! Bevor sie als offensichtliche Wahrheiten akzeptiert wurden, wurde jede unserer großen Neuerungen zunächst verfolgt und bekämpft. Und so kann auch ich mir heute nicht sicher sein, dass nicht ich es bin, die man in Zukunft für ihre Einfalt und Engstirnigkeit belächeln wird.
Unsichtbare Brücke
In einer Zeit, in der eine Welt aus den Fugen gerät und eine ganze Zivilisation den Boden unter ihren Füssen verliert, haben wir die Wahl zwischen zwei Alternativen: uns an das wackelnde Gerüst eines ausbeuterischen, materialistisch orientierten Systems zu klammern und riskieren, mit den Trümmern nach unten zu stürzen, oder vollkommen neue Wege zu beschreiten. Niemand kann uns sagen, wie das geht. Es gibt keine Garantie, keine andere Sicherheit als die, dass die Dinge dabei sind, sich grundlegend zu verändern.
Alles, was wir tun können, ist zu akzeptieren, durcheinandergeschüttelt zu werden und uns so leicht wie möglich zu machen, um uns nicht in die Tiefe ziehen zu lassen. Dazu müssen wir uns von dem trennen, was uns schwer macht: unsere Meckerei und Lästerei, unsere Schwarzmalerei und Besserwisserei, unsere Opferhaltung und unsere Unnachgiebigkeit, unsere Weigerung, uns für Neues zu öffnen, auch wenn wir es noch nicht verstehen.
So können wir die unsichtbare Brücke betreten zwischen einer Welt, deren Institutionen und Verwaltungsapparate sämtlich von Interessenskonflikten, Machtgier und Gewinnsucht unterwandert sind, und einer gerechten, harmonischen, gesunden Welt, die wir nur erahnen und nicht fassen können. Es ist eine Welt der subtilen Verbindungen, ein unendlich fein gesponnenes Netzwerk, in dem die Informationen ungehindert von einem zum anderen fließen.
Diese Welt wird von dem Bewusstsein bestimmt, dass jede sich manifestierende Form im Grunde Information ist. Hier ist offensichtlich, was wir seit Langem erforscht haben: Es ist der Geist, der der Materie Form gibt. Es ist eine umgekehrte Welt. Sie ist hier, direkt vor unseren Augen. Wir müssen nur unsere Antennen ausfahren und uns auf sie einstellen, wie bei einem Radiosender: Jedem Einzelnen bleibt überlassen, welche Frequenz er wählt.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Dazu mehr in Kerstin Chavent: Die Waffen niederlegen. Die Botschaft der Krebszellen verstehen, Scorpio 2019
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