„Es gibt Dinge, die unmöglich zu wissen sind,
aber es ist unmöglich, diese Dinge zu wissen“ — Arthur Bloch.
Als eine besonders erfolgreiche Intervention von „Public Health“ beruht die Technik des Brunnenbohrens auf einem mindestens 200 Jahre alten Prinzip: dem Ansaugen von Wasser in einem dünnen Rohr. Bis in die 1950er-Jahre wurden handbetriebene Rohrpumpen auch in Industrieländern benutzt, vor allem zur Trinkwasserversorgung von Haushalten im ländlichen Raum. Zunehmend ging man dort aber dazu über, Trinkwasser nur noch aus wenigen kontrollierten, sicheren Tiefbohrungen zu beziehen und die Bevölkerung von dort durch Leitungssysteme zu versorgen.
In Weltregionen, die man früher „Kolonien“, „Dritte Welt“, „unterentwickelte-“ oder „Entwicklungs-“Länder nannte, wurden aber weiterhin die Schwengel-Pumpen zur Wasserversorgung bevorzugt. Denn diese Handpumpen können schnell, unkompliziert und preiswert angelegt werden. Da das Wasser bei Schwengelpumpen geringer Bohrtiefe Infektionserreger übertragen kann, wurde so tief gebohrt, wie man mit einer Handpumpe Wasser eben noch heben konnte (1). Bei 50 bis 80 Metern Bohrtiefe erhielt man so kristallklares und keimfreies Wasser.
In den Programmen, die sich die Behörden „im Norden“ ausdachten, setzte man für die Menschen „im Süden“ auf die Verbesserung einer einfachen Technik, die in industrialisierten Ländern längst verlassen wurde. Denn „schnell und billig“ war ökonomisch deutlich interessanter als „langfristig und nachhaltig“.
Die Anlage der durch eine Betonplatte gesicherten Hand-Pumpanlage galt für alle Beteiligten als unmittelbar sichtbarer Erfolg. Und auch die Belastung von Frauen konnte vermindert werden. Denn sie mussten nicht mehr, wie vorher, Wasser aus einem weit entfernten Fluss mühsam auf dem Kopf nach Hause balancieren.
Die bisherigen traditionellen, Schilf-bewachsenen Regenwassersammelteiche zur Trinkwasserversorgung mussten nicht mehr wie tausende von Jahren zuvor aufwendig gepflegt werden. Man konnte jetzt scheinbar Nützlicheres mit ihnen anfangen: Fische darin mästen und züchten, sie trocken legen oder als Müllgrube verwenden (2).
Mit reichlich verfügbarem Wasser und mit der Lieferung von Kunstdünger und Pestiziden starteten weltweit „grüne Revolutionen“. So glaubte man, nicht nur die Durchfallerkrankungen, sondern auch die Hungersnöte erfolgreich bekämpft zu haben.
In Wüsten- oder Steppenregionen, durch die früher die Nomaden vorbeizogen, konnten jetzt immer mehr Menschen siedeln, ihre Hütten errichten oder auch Beton verbauen. Damit entwickelte sich zwar eine Abwasserproblematik, die aber durch das Graben von Latrinen oder durch Ableitungen nach „irgendwohin“ gut beherrschbar zu sein schien.
Folglich waren Geldgeber und Zielgruppen gleichermaßen begeistert von diesen kleinen Interventionen in scheinbar stabile geologische Zusammenhänge. Erst viele Jahrzehnte später bemerkte man dann völlig überrascht, dass sich die Zusammenhänge als komplex und eigen-dynamisch erwiesen.
Die für die Bevölkerungsgesundheit verantwortlichen Public-Health-Ärzte verhielten sich so wie ihre klinisch tätigen Kollegen: Sie schauten auf kurzfristige Heilungsergebnisse bei den „anderen“, den „Behandelten“. Sie überbewerten dabei die Möglichkeiten technischer Eingriffe, die sie bei sich selbst nicht anwendeten. Ökologische, soziale, kulturelle und geologische Zusammenhänge und Wechselwirkungen hatten für sie meist keine Bedeutung (3).
So wurde beim Brunnenbohren verdrängt, dass sich mit der Zeit sowohl die Installation, als auch ihre Umgebung veränderten, wenn auch sehr, sehr langsam.
Beispiel: Bangladesch und West-Bengalen
Die Arsenvergiftungen in Bangladesch durch Bohrbrunnenwasser wurden über Jahrzehnte ausgiebig und detailliert erforscht. Sie beschreiben eine massive, bleibende und nicht umkehrbare Katastrophe (4, 5).
Im Rahmen internationaler Programme der „Entwicklungshilfe“ wurden unter anderem in Bangladesch Durchfallerkrankungen und Cholera als die wesentlichen Probleme erkannt, die zu hoher Kindersterblichkeit führten. Die Lösung bestand in der Versorgung der Landbevölkerung mit Schwengelpumpen von 50 bis 80 m Bohrtiefe. Sobald reines Wasser aus den Rohren floss, sank die Zahl der Magen-Darm-Infektionen und auch die damit verbundene Sterblichkeit.
Das geförderte, klare Grundwasser war unbelastet von Schadstoffen. Keimverseuchtes Oberflächenwasser wurde in Flüsse abgeleitet, aus denen nicht mehr getrunken wurde. Die Cholera schien besiegt zu sein. Beteiligte Organisationen, Nutzer und verantwortliche Behörden freuten sich gemeinsam über einen großen Entwicklungsfortschritt.
Im Laufe der folgenden Jahrzehnte stieg jedoch im weiterhin keimfreien Trinkwasser vieler Rohrbrunnen der Arsengehalt an. Dieses neue Gesundheitsproblem fiel einzelnen Wissenschaftlern etwa dreißig Jahre nach den ersten Brunnenbohrungen auf.
Von den beteiligten Organisationen, unter anderem von UNICEF, und örtlichen Behörden wurden die Zusammenhänge jedoch zunächst vehement bestritten. Bis es nicht mehr gelangt, es zu verdrängen.
Rahaman S et al: Arsenkontamination in der Lebensmittelkette in Bangladesch: Ein Überblick über Gesundheitsgefahren, sozioökonomische Auswirkungen und Folgen, Hygiene and Environmental Health Advances 2022, Quelle: ars.els-cdn.com
Warum?
Der Grund für die zunächst fehlende, und dann unbemerkt schleichende Vergiftung lag darin, dass Arsen als chemisches Element in vielen Erdschichten in fester gebundener Form vorkommt. Die Ebenen am Fuß des Himalajas weisen in tieferen Lagen besonders viel Pyrit (Eisen-Schwefel-Kies) und Arsen-Pyrit auf. Diese Mineralien sind harmlos, solange nicht als Folge äußerer Eingriffe aus ihnen Arsen durch Gesteins-Verwitterung oder chemische Prozesse herausgelöst wird.
Genau das geschah und geschieht in den Rohrbrunnen in Bangladesch: Weil Wasser durch die Brunnen so leicht verfügbar war und ist, stieg der Verbrauch allein in Bangladesch in den letzten zwanzig Jahren um mehr als 60 Prozent an.
Bei exzessiver Nutzung, besonders in der Trockenzeit, sinkt aber der Wasserstand auch in tieferen Gesteinsschichten. Dann kamen und kommen arsenhaltige Kiesel mit Luft in Berührung. Anschließend werden sie in der Regenzeit wieder geflutet, wobei Metall-Ionen gelöst werden. Einsickernde chemische Produkte wie Dünger, Pestizide und toxische Abfälle sowie die Besiedelung mit Eisenoxid-zersetzenden Bakterien beschleunigen chemische Prozesse.
Das so allmählich mit Arsen verunreinigte Brunnenwasser wurde und wird aber nicht nur getrunken, sondern dient zugleich der Bewässerung der Reisfelder und anderer Nutzflächen.
Die gesundheitlichen Folgen
Wasserlösliche Arsen-Moleküle wirken wie Zellgifte, zunächst in der Haut, dann aber allmählich auch in Gehirn, Herz, Immunsystem und Nieren. Arsen ersetzt in Eiweißmolekülen das Element Phosphor und stört damit ihre Funktion. Die veränderten Proteine werden zwar sofort abgebaut und das Arsen damit auch wieder ausgeschieden, aber durch Zellfunktionsstörungen werden schließlich die Organe beeinträchtigt. Unter anderem kann sich auch Krebs entwickeln.
Allein in Bangladesch sind mehr als 70 Millionen Menschen von erhöhten Arsenkonzentrationen betroffen, und bei über vier Millionen von ihnen ist die Belastung so hoch, dass schwere, behandlungspflichtige Erkrankungen auftreten, wie zum Beispiel Amputationen von Gliedmaßen bei Hautkrebs. Die Gesundheitsdienste in dem ohnehin armen Land sind damit völlig überfordert.
Oft fordern Patienten unter starkem Leidensdruck bei den Ärzten Behandlungen ein, die nicht möglich sind, was das Problem zusätzlich noch verschlimmert. Denn die verursachende Substanz Arsen ist bei Auftreten von Krankheitszeichen ausgeschwemmt. Häufig nachgefragte „Behandlungen“ mit Medikamenten, die helfen, Schwermetalle auszuscheiden, sogenannte Chelat-Komplexe, nützen deshalb nichts. Auch die oft angebotenen „Naturheilpräparate“ sind nicht nur wirkungslos, sondern zudem gefährlich, da sie in diesen Regionen oft mit Schwermetallen, Arsen und Pestiziden belastet sind. Hinzu kommt, dass Placebo-Präparate, gemeint sind „Beruhigungsmittel“, die Situation der Betroffenen verschlechtern. Denn sie behindern die Fähigkeit, die eigene Lage zu verstehen und nach selbstbestimmten Wegen aus ihrer Krise zu suchen.
Die WHO hält Konzentrationen über 10 Mikrogramm Arsen pro Liter für sehr gefährlich. In Indien und in Bangladesch wurde, um das Problem schnell zu lösen, der gesetzlich erlaubte Grenzwert auf 50 Mikrogramm pro Liter heraufgesetzt. Die Arsenkonzentrationen liegen aber örtlich deutlich höher, und sie steigen kontinuierlich weiter an.
Internationale Organisationen, unter anderem die UNICEF, die das neue Gesundheitsproblem verursachten, versuchten, es zuerst zu ignorieren oder abzustreiten. Als sie es dann nach einigen Jahren des Widerstandes doch akzeptierten mussten, lehnten sie jede Verantwortung ab. Denn Jahrzehnte zuvor habe man nach dem damals besten Stand des Wissens gehandelt. Niemand habe Arsenvergiftungen vorhersehen können.
Den Betroffenen bot man nun billige Haushaltsgeräte an: zum Beispiel übereinander gestapelte mit Sand gefüllte Tongefäße, die Arsenverbindungen aus dem Wasser herausfiltern sollten. Sie wurden aber kaum angenommen, denn der Aufwand des Wasserfilterns war zu groß, besonders für ohnehin überlastete Frauen verarmter Bevölkerungsschichten. Außerdem siedelten in den Ersatzanlagen, wenn sie nicht ständig gereinigt wurden, Bakterien. Die Zahl der Durchfallerkrankungen drohte also wieder zuzunehmen.
Die Rückkehr zu der traditionellen Trinkwasseraufbereitung in Naturteichen, sogenannten Ponds, die über Jahrtausende örtlich sehr erfolgreich betrieben worden waren, ist inzwischen nicht mehr möglich. Sie waren zerstört worden, vollgemüllt, eingeebnet oder mit Pestiziden oder Dünger belastet (6, 7).
Man beschäftigt sich seither mit einer geologischen Kartierung des Untergrundes, großräumigen Bodenanalysen und chemischen Untersuchungen des Wassers. Über 200 Meter tiefe Bohrungen zu Grundwasserleitern wären in Regionen, in denen die arsenhaltigen Kiesel nicht vorkommen, möglich, aber sie erforderten dann die Anlage eines weiträumigen, teuren Wasserleitungssystems. Das scheint auch UNICEF zu teuer zu sein. Deshalb setzt man auf Tiefbohrungen an den Stellen kontaminierter oberflächlicher Brunnen und schreibt stolz: „Sauberes Wasser — dank UNICEF“.
Foto: Screenshot Unicef
Man habe bereits 2.000 neue Tiefbrunnen von 250 Metern Tiefe gebohrt. Das klingt überzeugend. Allein bei einer Zählung im Jahr 2000 wurden 11 Millionen registriert, von denen damals die Hälfte Arsenkonzentrationen von über 50 Mikrogramm Arsen aufwiesen. Heute, 24 Jahre später, wird die Situation noch ungünstiger geworden sein. Hinzu kommt, dass mittlerweile auch die Böden und die Nahrungsketten kontaminiert sind, und dass davon nur in Bangladesch mindestens 35 bis 77 Millionen Menschen betroffen sind — ohne Westbengalen und Nepal (8).
UNICEF schreibt auf seiner Website am 26. Februar 2024, man „kläre die Bevölkerung auf“. Ein Bekenntnis zur eigenen Verantwortung als einer der Verursacher der Misere fand ich ebenso wenig wie eine Beschreibung der Zusammenhänge, die zu der Vergiftung führten. Ganz so, als sei das Problem schicksalhaft vom Himmel gefallen.
Erstaunlicherweise erwähnt UNICEF auch nicht das offensichtliche Risiko des Durchbohrens oberflächlicher, arsenhaltiger Grundwasserleiter auf dem Weg zu tiefen, bisher noch arsenfreien Schichten. Könnte es dabei nicht zur Kommunikation zwischen den Wasserströmen kommen, und so bisher arsenfreie tiefe Wasserläufe, viele Jahrzehnte später, nicht auch kontaminiert werden?
Irren ist menschlich. Lernen auch.
Bei der Arsenvergiftung handelt es sich um eine der weitreichendsten vom Menschen verursachten Katastrophen. Kurzfristig erfolgreiche Interventionen verursachten einen GAU. Das neue Problem erwies sich langfristig um ein Vielfaches größer als das, was früher behoben werden sollte.
Eine zielorientierte, technisch-mechanische „Bekämpfung“-Strategie kann inzwischen nicht mehr gelingen. Denn die Zusammenhänge entwickeln sich inzwischen hochkomplex und eigen-dynamisch. Man müsste also zu einem Management nicht „beherrschbarer“ Probleme übergehen und dabei alle Facetten der sozialen und ökologischen Entwicklung und ihre Wechselwirkungen einbeziehen.
Man müsste innehalten. Den entstandenen Schaden betrauern und sich entschuldigen. Man müsste aus schrecklichen Fehlern lernen und radikal neu denken.
Stattdessen wird in den meisten Broschüren der „Entwicklungszusammenarbeit“ (Beispiel GiZ, siehe Links GIZ unter den Quellen am Ende des Artikels) beschrieben, wie man sich „stetig verbessere“, indem man von Erfolgen lerne („lessons learned from successes“ oder von „best practice“). Dagegen: Aus Fehlern lernen? Fehlanzeige.
Das ist umso erstaunlicher, weil inzwischen bekannt ist, dass auch in bestimmten Regionen Afrikas, unter anderem in Ghana und in Burkina Faso, Bohrbrunnen in ähnlicher Weise belastet sind (9). Hohe Konzentrationen von Arsen finden sich auch im Trinkwasser indischer Regionen wie West-Bengalen oder in Nepal, China, Mongolei, Kambodscha, Vietnam, in einigen Regionen Kanadas, der USA und in Argentinien (siehe Links „British Groundwater Survey“ (BGS) unter den Quellen am Ende des Artikels).
Möglicherweise geht das Risiko bei Bohrbrunnen nicht nur von Arsen aus. Wie in vielen anderen Ländern, in denen sich die Wasserversorgung der Dorfbevölkerung auf Schwengelpumpen gründet, erkranken in Tansania immer mehr Menschen an Bluthochdruck.
Handpumpe Tansania, Fotos: Helmut Jäger 2024
Typische Schwengelpumpe, Foto: Helmut Jäger, 2024
In einer 2023 veröffentlichten Erhebung des tansanischen Gesundheitsministeriums wurden 11 Prozent der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren als hypertensiv eingestuft (10). Die Prävalenz von Bluthochdruck nimmt mit dem Alter je nach Region zu, von 3 Prozent bei Frauen im Alter von 15 bis 19 Jahren auf 31 Prozent im Alter von 45 bis 49 Jahren. Die Ursachen dafür sind bisher nicht untersucht worden. Eine Hypothese könnte sein, dass Nierenschädigungen durch unterschiedliche Metall-Ionen, insbesondere Mangan, für die Entstehung von Hochdruck verantwortlich sein könnten (11, 12).
Staatliche Behörden und Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit müssten also eigentlich das Wasser aller von ihnen angelegten 50-80-Meter-Bohrbrunnen auf Metall-Ionen testen, spätestens wenn sie bereits Jahrzehnte alt sind. Gegebenenfalls müssten alternative Wasserversorgungs-Konzepte entwickelt werden: Wasserleitungssysteme oder wieder eine Renaturierung traditioneller, mit Schilf bewachsener Teiche.
Man müsste die ökologischen und ökonomischen Zusammenhänge im Rahmen nachhaltiger Regionalentwicklung berücksichtigen. Und sich natürlich auch intensiv um die Betroffenen kümmern, deren Lebenssituation und Gesundheit durch Maßnahmen der „Entwicklungs“-Zusammenarbeit verschlechtert wurden.
Entwicklung wohin?
Um aus gescheiterten Interventionen in eigen-dynamischen Systemen zu lernen, müsste man Komplexität wahrnehmen und verstehen (6, 7, 13). Prozesse in lebenden Systemen, die durch viele Einflussfaktoren oder auch den Zufall beeinflusst werden, lassen sich nur begrenzt in Zielgeraden und Planungszyklen festschreiben. Eine eindeutige Beschreibung von Kausalzusammenhängen zwischen Ursachen und Wirkungen führt in komplexen Systemen in die Irre, da lebende Beziehungsgeflechte durch Zufälle und noch unbekannte Wirkzusammenhänge beeinflusst werden und sich verändern.
Interventionen sind statisch, meist einfach. Sie bringen kurzfristige Erträge. Die Umgebung, in die sie einwirken, verändert sich aber, wenn auch sehr langsam. In Wachstums- und gewinnorientierten Strategien wird die Wahrscheinlichkeit seltener Risiken, Nicht-Wissen und langfristiger Wechselwirkungen meist ignoriert (14).
Im Umgang mit Systemen ist es, ähnlich wie bei der Immunsystem- und Hirnentwicklung eines Neugeborenen, wichtiger, schützende, sichere Rahmenbedingungen für Gedeihen und natürliches Wachsen zu schaffen, als spezifisch und gezielt in eigen-dynamische Entwicklungsprozesse einzugreifen.
Die Idee der „Entwicklung“ gehört zu der neoliberal-kapitalistischen Vorstellung, dass mechanische Interventionen in komplexe Zusammenhänge Probleme beseitigen, die Wachstum behinderten. Der Begriff „development“ (under-developed, developing countries) geht zurück auf den US-Präsidenten Harry S. Truman, der 1949 eine neue internationale Strategie forderte, die sich sowohl von der alten „kolonialen Zivilisierungs-Mission“ als auch von den sozialistischen „Befreiungsbewegungen“ abgrenzen sollte: „Das Wachstum der Produktion ist der Schlüssel für Wohlstand und Frieden“.
Präsident John F. Kennedy präzisierte dann am 20. Januar 1961: „... wenn eine freie Gesellschaft der Masse der Armen nicht helfen kann, kann sie die kleine Zahl der Reichen nicht retten.“ Er schuf Freiwilligenprogramme wie Peace Core und Expertendienste wie USAID, denen unmittelbar darauf unter anderen der deutsche Entwicklungsdienst und die GAVI/GTZ/GIZ folgten. Und so nahmen auch die Brunnen-Bohrprogramme Fahrt auf.
Nur wenige widersprachen damals wie der Theologe und Philosoph Ivan Illich, der Entwicklungspolitik eine fremdbestimmte „Modernisierung der Armut“ nannte und sie für gefährlicher hielt als die koloniale Missionierung (15).
Typisch für die „Entwicklungshilfe“ — später Entwicklungszusammenarbeit genannt — war und ist, dass „abrechenbare“ Projekte durchgeführt werden. Also Interventionen, die enden, wenn das Budget verbraucht ist. Die Projektleitungen arbeiten für starke, internationale Auftraggeber, die sie bezahlen und denen gegenüber sie sich rechtfertigen müssen. Die Interessen der schwachen Dorfbevölkerungen sind demgegenüber nachrangig. Wurde das Projekt durchgeführt, das heißt „ist der Brunnen gebohrt“, wird ein Bericht mit Indikatoren der Zielerreichung verfasst — möglichst als leuchtendes Beispiel für andere. Dann wird man bezahlt und reist ins nächste Projekt weiter.
Die Entwicklungszusammenarbeit (EWZ) bietet so örtlichen Zielgruppen „einfache“ Lösungen, die sich für die Herkunftsländer der „Hilfe“ zu lohnen scheinen, die aber in vermögenden Ländern niemals realisiert würden.
Die Projektplanung der EWZ beruhte und beruht auf verschiedenen Varianten der „zielorientierten Projektplanung“, eine Methode, deren Anwendung in kapitalistischen Industriegesellschaften absurd wäre. Denn dort ist die Realität komplex. In Entwicklungsländern dagegen ist sie sehr einfach, weil von Interessen geprägt: Man definiert ein Problem und denkt es sich dann als beseitigt: Schon hat man das Ziel. Dann müssen nur noch der Weg zwischen Problem und Ziel definiert und die Indikatoren für die Zielerreichung beschrieben werden.
Mit der Zeit erwuchsen aus Zielorientierter Projektplanung (ZOPP) immer kompliziertere Planungssysteme, die nur noch mit Hochleistungsrechnern zu bewältigen sind (siehe Links GiZ). Aber auch dann bleibt es letztlich immer noch bei dem alten Konzept der „Problembeseitigung“. Also die Rechtfertigung für ein Projekt, das ein Problem bekämpft.
Ist das Problem verschwunden, sind weitere Überlegungen überflüssig. Langfristige Begleituntersuchungen werden meist eingespart, und „Verantwortung“ oder „Haftung bei Fehlern“ sind in der EWZ Fremdwörter.
Viele ehemalige Experten fordern deshalb, die EWZ ersatzlos aufzulösen. Zugunsten fairer Wirtschaftsvereinbarungen, um Staaten dabei zu unterstützen, über sich und ihr Land selbst zu bestimmen (siehe Bonner Aufruf).
Am 22. März ist Weltwassertag. Es ist wichtig, dass Medien es nicht dabei bewenden lassen, stets nur auf den neuesten Wahnsinn in der Welt zu reagieren, sondern selbst in das Agieren kommen. Deshalb setzen wir zusammen mit einer Reihe von weiteren Medienportalen selbst ein Thema auf die Agenda. Die beteiligten Medienpartner, bei denen in der Woche vom 18. bis 24. März im Rahmen des #Wasserspezial Beiträge zu finden sein werden, sind derzeit:
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Quellen und Anmerkungen:
(1) Tulchinsky, Theodore: John Snow, Cholera, the Broad Street Pump; Waterborne Diseases Then and Now, Case Studies in Public Health 2018 : 77-99 .
(2) Langenegger, Otto: Brunnenbau in Entwicklungsländern. Problematik der Technik am Beispiel Äthiopiens. Geographica Helvetica 1979 (1):37-42
(3) Packard, Randall M.: A History of Global Health: Intervention into the lives of other people. Johns Hopkins University Press, 2016
(4) Atkin, Peter: The world’s worst environmental health hazard: arsenic in Bangladesh, Geography Review 2006, 19(4)14-17
(5) Loewenberg, Sam: Bangladesh, arsenic poisoning is a neglected issue. The Lancet 2016, 388(10058):p2336-2337 (Download nach Anmeldung frei) Pdf
(6) Jäger, Helmut: Einfache Intervention — komplexe Katastrophe, Curare 2007; 2/3: 199—206
(7) Jäger, Helmut: Fehler-Management in der Entwicklungszusammenarbeit. Welche Konsequenzen hat die Arsen-Katastrophe u.a. in Bangladesch? Curare 2017, 40(4):329-35 — Management of Errors and Development Cooperation. SSRN 03.05.2018 https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3164042
(8) Rahaman, Shiblur. et al: Arsenic contamination in food chain in Bangladesh: A review on health hazards, socioeconomic impacts and implications, Hygiene and Environmental Health Advances 2022 (2):100004
(9) Bretzler, Anja et al: Groundwater arsenic contamination in Burkina Faso, West Africa: Predicting and verifying regions at risk Science of The Total Environment Volumes 584-585, 15 April 2017, Pages 958-970
(10) THSR: Tansania Health Survey Report 2022, pages 51 pp, https://www.nbs.go.tz/index.php/en/census-surveys/health-statistics/demographic-and-health-survey-dhs/925-the-2022-tanzania-demographic-and-health-survey-and-malaria-indicator-survey10.
(11) Borghese, Michael et al: Individual, Independent, and Joint Associations of Toxic Metals and Manganese on Hypertensive Disorders of Pregnancy: Results from the MIREC Canadian Pregnancy Cohort
(12) Eaves, Lauren et al.: Toxic metal mixtures in private well water and increased risk for preterm birth in North Carolina Environmental Health 2023:22-69, https://doi.org/10.1186/s12940-023-01021-7
(13) Jäger, Helmut: Irren ist menschlich: Sicherheitsingenieur 2012 (8):8-15 https://www.medizinisches-coaching.net/wp-content/uploads/2012/12/SI_08_Jaeger_1.pdf, Belastungsmanagement: Sicherheitsingenieur 2012 (9):8-10 https://www.medizinisches-coaching.net/wp-content/uploads/2012/12/SI_09_Jaeger_2.pdf
(14) Taleb, N.: Statistical consequences of fat tails Stem Academic press 2022 https://arxiv.org/ftp/arxiv/papers/2001/2001.10488.pdf — Der schwarze Schwan (2007), The Precautionary Principle (with Application to the Genetic Modification of Organisms) (2014) www.fooledbyrandomness.com
(15) Paquot, Thierry: Ivan Illich — Denker und Rebell. C.H. Beck, 2017
Links:
UNICEF: https://www.unicef.de/informieren/projekte/asien-4300/bangladesch-19362/
GiZ
- Wasser: https://www.giz.de/expertise/downloads/giz2020_en_Water%20Resource%20Management.pdf
- Capacity Works: https://www.giz.de/akademie/de/html/59747.html
ZOPP: https://web.mit.edu/urbanupgrading/upgrading/issues-tools/tools/ZOPP.html
British Groundwater Survey:
- http://www.bgs.ac.uk/arsenic/
- https://www2.bgs.ac.uk/groundwater/health/arsenic/
Bonner Aufruf: http://www.bonner-aufruf.eu/