Die Ursache des Übels
Alle Entwicklungen, wie sie oben beschrieben und so oder so ähnlich ja schon häufig diskutiert wurden, sind nur Symptome. Deshalb bewirken auch die wohlgemeintesten Debatten über eben jene Phänomene nichts, da sie sich eben um die Auswirkungen drehen, nicht um die Ursache des Übels: das Bewerten von Kunst nach den Maßstäben des Börsenhandels.
Verlage, Plattenfirmen, Konzertveranstalter, Galerien, Museen — alle sind eifrig bemüht, das System zu bedienen und Gewinn zu erwirtschaften. Es bleibt ihnen ja auch scheinbar nichts anderes übrig, denn jeder muss etwas essen, seine Miete oder Energiekosten zahlen und viele haben etliche Bedürfnisse darüber hinaus, die bedient werden wollen.
Aber funktioniert das? Ja, wenn man damit einverstanden ist, dass Kunst eine Ware ist wie das neueste elektronische Spielgerät, das man wegwerfen oder austauschen kann, sobald ein schickeres, noch spektakuläreres den Markt „bereichert“. Dies führt dann eben dazu, dass Verlage, Plattenfirmen oder Galerien kaum mehr junge Künstler in Ruhe und mit Augenmaß aufbauen, um eine kontinuierliche Entwicklung und ein dauerhaft hohes Niveau zu sichern, den Künstlern die Möglichkeit zu geben, nicht nur pekuniär, sondern auch inhaltlich, emotional von ihrer Kunst leben zu können, Erfüllung zu finden, da sie sich vertiefen können, anstatt ständig an der Außenwirkung arbeiten zu müssen.
Nein, heute schießen Verlage, Plattenfirmen und Galerien Raketen hoch, deren Verglühen schon kaum jemand bemerkt, weil man ja längst zur nächsten schaut, um ja keine Verdienstmöglichkeit zu verpassen.
So gibt es dann Fälle, da Verlage zugesicherte Absprachen mit Autoren nicht einhalten, weil es sich plötzlich nicht „rechnet“. Bühneninszenierungen ähneln häufig kleinen oder großen Materialschlachten, da man das Vertrauen in die Substanz der Werke verlernt hat und Konzertveranstalter glauben, sie dürften dem Publikum nur vorsetzen, was dieses ohnehin schon kennt — wobei ich noch nie verstanden habe, warum man das Publikum so oft für dümmer hält, als es eigentlich ist. Oder die Veranstalter glauben, durch aufgeblasene, sinnentlehrte Spektakel niedrigste Sensationsinstinkte ansprechen zu müssen.
Wenn man mit all diesem einverstanden ist, ja dann funktioniert es, Kunst als Ware und Musik als Markt zu betrachten.
Jenseits von Gewinn-Verlust-Rechnungen
Doch für ernsthaft künstlerisch arbeitende und sensible Kreative ist das eine Katastrophe. Der Maler Günter Firit (1947 bis 2010) ist innerlich daran zerbrochen (1). 1986 aus der DDR ausgereist in den „Freien Westen“ hoffte er nichts mehr, als endlich frei von ideologischen Zwängen und kulturpolitischen Vorgaben, wie sie in der DDR allgegenwärtig und erdrückend die Kunstlandschaft durchzogen, arbeiten zu können. Bald erkannte er, dass die Zwänge nicht weniger waren, sondern nur anders geartet: Der ideologische Druck wurde ersetzt durch den Druck des Mammon. Galerien wollten, dass gemalt wird, „was sich verkauft“, ansonsten konnte ein Maler noch so gut und in Fachkreisen anerkannt sein, er hatte keine Chance auf dem „Markt“. Oft schilderte er mir und gemeinsamen Freunden seine Verzweiflung diesbezüglich und er ist nicht der einzige Künstler, der unter dieser jede Kreativität erstickenden Gleichmachung von Kunst mit Konsumobjekten leidet.
Wenn man davon ausgeht, dass Kunst ein sublimierter Ausdruck unseres Seins, unseres Lebensgefühls, unserer Weltsicht ist, Ausdruck derjenigen Ebenen unseres Lebens, die sich eben nicht in Zahlen und herkömmlichen Wertmaßstäben messen lassen, wenn man daran glaubt, dass Kunst die Menschen im Innersten berühren, in Kontakt mit sich selbst bringen und nicht nur berieseln oder schockieren soll, dass Kunst einen Wert an sich bekommt durch ihre Qualität, jenseits von Gewinn-Verlust-Rechnungen, und dass ihr Gewinn eben genau in dieser Tatsache liegt, dann sieht man, dass es nicht funktioniert und dass Deutschland seine Jahrhunderte alte Kunst- und Musiktradition gerade mit großem Schwung zugrunde richtet.
Liegt nicht das Große in der Kunst genau darin, dass sie in uns Ebenen berührt, die frei sind von Gier und Besitzdenken, in denen es um das pure Sein geht?
Was aber ist nun zu tun? Ich weiß es nicht.
Wenn wir Künstler es schafften, unsere Kunst unabhängig von den „Zwängen des Marktes“ zu machen, wäre dies der richtige Schritt, doch selbst bei den bescheidensten Ansprüchen: Essen muss man und wohnen auch. Es scheint also, als gäbe es keine Chance, etwas zu ändern. Es scheint so, aber ich glaube es noch nicht.
Möglicherweise hat man uns so lange gelehrt, nur in den Mustern dieses marktorientierten Systems zu denken, dass wir es erst wieder lernen müssen, andere Modelle denken zu können. Im Kommunismus hieß es in einem Propaganda-Lied: „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht“ und solche Texte betrachten wir heute zu Recht kopfschüttelnd, doch vergessen wir dabei, dass sich in Wahrheit in diesem Punkt nicht viel geändert hat außer der Tatsache, dass „Die Partei“ durch „Der Markt“ ersetzt wurde.
Das Mäzenatentum ist hierzulande nach den beiden Weltkriegen de facto tot.
Das bedingungslose Grundeinkommen ist noch Vision und umstritten. Es würde, in seiner besten Form, tatsächlich jedem Menschen erlauben, sich weitgehend frei von existenziellen Zwängen kreativ zu verwirklichen. Und es hülfe gegen den Mangel durch Überfluss, in dem wir momentan leben, einen Mangel an Besinnung auf menschliche Werte, Tugenden und Kreativität durch die Doktrin von der ständigen Steigerung materiellen Überflusses. Allerdings müsste dazu die Praxis dem Namen gerecht werden und es müsste wirklich bedingungslos sein, in jeglicher Hinsicht. Ob so etwas von der derzeitigen politischen Elite gewünscht ist, darf zumindest kritisch hinterfragt werden.
Wie schnell werden aus Grundrechten Privilegien! Wie schnell also könnte auch ein Grundeinkommen nur noch für bestimmte Menschen „bedingungslos“ sein. Wie leicht ist es, Gesetze und Regeln zu ändern oder zu manipulieren und eine Auswahl zu treffen, sei diese nun orientiert an Impfstatus, politischer Konformität, Konsumverhalten, Hautfarbe, sexueller Orientierung oder anderer willkürlicher Kriterien. Jene, die von dem System der Manipulation und Markthörigkeit profitieren, werden sich auch in diesem Punkt so lange wie möglich weigern, Menschen vom permanenten Druck, Geld zu verdienen, zu befreien. Sie würden ja genau eben diese ihre Machtposition gefährden, wären die Bürger plötzlich mündig und unabhängig.
Es kann also für die gegenwärtige Situation keine Lösung sein, nur darauf zu warten und zu hoffen, ob es denn auch funktioniert. So bleibt uns nur, nach alternativen, auch individuellen Ansätzen zu suchen.
Eine neue Kreativität ist zunächst gefragt, die nicht nur auf das Erfinden von Wort, Klang und Bild gerichtet ist, sondern darauf, wie es möglich ist, heute unabhängig von den Zwängen eines kunstfeindlichen Systems schaffen zu können. Es gibt Vorstöße, wie den Musikverlag 4‘33“, der sich bewusst gegen eine marktorientierte Verlagspolitik entschieden hat und dies seit Jahren mit großer Konsequenz durchhält. (2) Dennoch: Auch Kunstschaffende können nicht nur von Luft und Liebe leben.
Vielleicht gelingt es uns, gemeinsam, neue Ideen zu entwickeln, wie wir ohne Marktzwänge künstlerisch arbeiten können und trotzdem finanziell überleben? Lasst uns gemeinsam darüber nachdenken. Lasst uns nicht sagen, es ginge nicht. Ein völlig neuer Ansatz ist nötig und dass dieser zunächst undenkbar scheint, ist implizit, sonst hätten wir ihn ja längst gedacht.
Also: Fassen wir Mut!
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Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.firit.de/
(2) https://www.verlag433.de/
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