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Neues aus der Anstalt

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Das Coronavirus macht die Welt ein wenig verrückter — und das ist gut so.

Selbst ein fachfremder Bundesgesundheitsminister kann sich die wenigen Zahlen, die für ein sachliches Bild von dem Gefahrenpotenzial des Coronavirus notwendig sind, von der Weltgesundheitsorganisation und dem Robert-Koch-Institut herunterladen und auswerten.

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Eigene Darstellung des Autors (1).

Auch wenn man nach Ansicht von Virenforschern bekannte Grippeviren und das Coronavirus nicht in einen Topf werfen darf, wird das mangelnde Gefahrenpotenzial der Epidemie anhand der Darstellung ziemlich deutlich. Vernünftig und wahrscheinlich vollkommen ausreichend wäre es gewesen, die Risikogruppe der Bevölkerung über 70 Jahren und mit Vorerkrankungen der Atemwege für einen geeigneten Schutz zu sensibilisieren. Vollkommen übertriebene Maßnahmen, welche fast das gesamte öffentliche Leben lahmlegen, verringern das Vertrauen in Politik und Medien, die das geringe Gefahrenpotenzial weiter aufbauschen. Und das ist gut so.

Chronologie der verrückten Ereignisse

Die aktuellen Entscheidungen erinnern an Ereignisse in der Vergangenheit, bei denen man den Eindruck bekommen kann, die Welt sei verrückt geworden. Ich bin Jahrgang 1968. In meinem Leben ist die Welt bisher nur einmal vernünftiger geworden, jedenfalls schien es für eine kurze Zeit so. Das war am 09. November 1989, als in Berlin die Mauer fiel. Die Abrüstungen, die nach dem Ende des Kalten Krieges in Ost und West stattfanden, machten der Menschheit Hoffnung, dass sich nun eine Zeit des Friedens anschließen würde. Mit dem Eingreifen der USA und einer Koalition von weiteren Staaten — darunter auch Deutschland als Geldgeber — in einen lokalen Konflikt zwischen dem diktatorisch regierten Irak und der absoluten Monarchie Kuwait Anfang 1991 wurden diese Hoffnungen wieder begraben.

Statt vernünftiger zu werden, wurde die Welt danach immer verrückter: der völkerrechtswidrige Krieg gegen Serbien 1999, dessen deutsche Beteiligung durch eine ehemalige Friedenspartei mit beschlossen wurde; der Anschlag vom 11. September 2001 und der völkerrechtswidrige Krieg gegen Afghanistan bereits drei Wochen später; die Hartz-Gesetzgebung und die Verschlechterung der rechtlichen Stellung von Arbeitslosen durch eine sozialdemokratisch geführte Regierung ab 2002; der auf nachgewiesenen Kriegslügen beruhende, völkerrechtswidrige Krieg gegen den Irak 2003; die Finanzkrise ab 2007 ohne große Folgen für die Finanzindustrie; die Griechenland- und Eurokrise ab 2010 mit drastischen Folgen für den griechischen Sozialstaat und hohen Bürgschaften für die Steuerzahler in den restlichen Euroländern; das völkerrechtswidrige Eingreifen westlicher Staaten in den Syrienkonflikt ab 2011; der Sturz der demokratisch gewählten Regierung in der Ukraine mit westlicher Unterstützung 2014; die Pegida-Bewegung in Dresden ab 2015 und das Aufkommen der rechtsgerichteten AfD auf dem Rücken von Kriegsflüchtlingen — und nun das Coronavirus.

Es mag paradox klingen, doch erst durch die Bewusstwerdung unserer Verrücktheit haben wir eine Chance, die Irrationalität unserer Annahme, wir würden generell vernünftig denken und handeln, zu erkennen.

Erst dann sind wir in der Lage, unsere Gesellschaftsordnung nicht mehr als die bestmögliche, sondern als Grund für die massiven Gefahren zu erkennen, mit denen wir uns konfrontiert sehen.

Es ist Zeit für mehr Vernunft

Keine Frage, wir leben in Zeiten großer Veränderungen, die durch ein Anwachsen der Erdbevölkerung und eine globalisierte, neoliberale Wirtschaftsordnung ausgelöst werden. Die vollkommen übertriebenen Reaktionen auf die Ausbreitung des Coronavirus sind neben dem Klimawandel, einer immer größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich sowie weltweit steigenden Rüstungsausgaben und militärischen Konflikten nur ein weiterer Hinweis darauf, dass unsere Gesellschaft unfähig ist, diesen Veränderungen entsprechend zu begegnen.

Wir könnten uns ja einmal fragen, was in unserer Situation vernünftig wäre. Was würde eine globale Gesellschaft unternehmen, um angemessen auf die Gefahren zu reagieren, mit denen wir uns konfrontiert sehen? Was sind ihre Leitsätze? Es folgt ein Formulierungsversuch:

In einer Welt mit beschränkten Ressourcen und einem Ökosystem, das aus dem Gleichgewicht gerät, darf die Maximierung des materiellen Wohlstands nicht mehr an vorderster Stelle stehen, sondern die Bewahrung der Ökosphäre.

In einer Welt, in der Kriegsgegner mittels Atomwaffen die Lebensgrundlage unserer gesamten Spezies auslöschen können, bedarf es an Deeskalation und Abrüstung.

In einer Welt mit globalen Problemen braucht es mehr Kooperation und mehr global gültige Regelungen anstatt nationaler Alleingänge.

In einer Welt, in der die Unterschiede zwischen Arm und Reich immer größer werden, brauchen wir mehr Demokratie, mehr soziale Gerechtigkeit und Ausgleich statt Lobbyismus, Neoliberalismus und Ausgrenzung.

Eine Welt, die sich den globalen Herausforderungen stellt, darf nicht von Angst regiert werden — Angst vor Arbeitslosigkeit, vor Armut und gesellschaftlichem Abstieg, Angst vor einem Terroranschlag, Angst vor Massenvernichtungswaffen, Angst vor Flüchtlingen und Ausländern, Angst vor Krankheiten, Angst vor dem Klimawandel, Angst vor struktureller Gewalt durch den Staat. Angst lähmt und sorgt für Stillstand.

Für eine Wendung hin zur Vernunft ist es von absoluter Wichtigkeit zu erkennen, dass wir nicht nur als einzelne, sondern auch als Gruppe vornehmlich triebgesteuert reagieren und entscheiden.

Angst ist eine sehr mächtige instinktive Reaktion. Wir empfinden sie immer dann, wenn wir das Risiko eines bisher fremden Phänomens nicht einschätzen können. Mal ist die Angst vollkommen irrational, weil das Risiko faktisch vollkommen vernachlässigbar ist. Fremdenangst ist ein gutes Beispiel dafür. Mal fehlt sie, weil wir die Tragweite des Risikos mit unseren Sinnen kaum erfassen können, wie beispielsweise beim Klimawandel. Mal wird die Angst von der Politik bewusst geschürt, wie die Angst vor Terror, um völkerrechtswidrige militärische Eingriffe zu rechtfertigen. Mal wird die Politik von ihr überrannt. Damit sind wir beim Coronavirus angelangt und den kopflosen, panikartigen und übertriebenen Reaktionen von der Regierung und Teilen der Bevölkerung.

Die Ausbreitung des Coronavirus ist ein weiteres Beispiel dafür, dass weder wir noch unsere Regierungen vernünftig denken und handeln. Unsere Instinkte mögen uns mehr als Jahrmillionen vor dem Aussterben bewahrt haben. In einer Welt, in der unsere kulturellen Errungenschaften unser Leben und unsere Lebensgrundlagen bedrohen, ist es jedoch absolut notwendig, dass wir uns nicht weiter von unseren Instinkten leiten lassen — weder gezielt gesteuert, noch kopflos wie in der augenblicklichen Situation.

Es braucht daher mehr solcher Vorfälle wie die Reaktion auf die Ausbreitung des Coronavirus. Die Verrücktheit unseres Denken und Handelns muss uns bewusst werden, damit wir endlich unser unvernünftiges Verhalten erkennen. Auch der Letzte von uns muss erkennen, dass unsere Gesellschaftsordnung die Probleme, mit denen wir uns herumschlagen, nicht lösen kann, sondern dafür verantwortlich ist.

Und es braucht Mut. Mut zu erkennen, dass sich unsere Welt derzeit in dem wohl extremsten Wandel seit Beginn der Menschheitsgeschichte befindet, sowie Mut, sich aus Gründen der Vernunft gegen eine träge Mehrheit zu stellen, die aus Angst vor Veränderung und vor einem Verlust ihres materiellen Wohlstands eine degenerative Politik unterstützt.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Die Dunkelziffer bei den Coronafällen basiert auf der Information, dass bei 80 Prozent der Infizierten die Krankheit milde verläuft, normale Symptome einer Erkältung aufweist und in der Regel nur in begründeten Verdachtsfällen auf Corona getestet wird.


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Albrecht Müller, Begründer der NachDenkSeiten, gilt als „umstritten“. Aber wer in der derzeitigen Medienlandschaft von allen gemocht wird, hat etwas falsch gemacht. Exklusivauszug aus „Umstritten: Ein journalistisches Gütesiegel“.