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Muten wir uns zu!

Muten wir uns zu!

Eine Autorin zieht als „Einfrau-Demo“ durch die Lande. Ihre Aktionsform? Fragen stellen, anstatt fruchtlose Appelle an andere zu richten.

„Gehst du noch zu Demos?“, wurde ich unlängst gefragt. „Nein, ich bin die Demo, das sollte reichen. Nächster Termin: jetzt. ‚FRAGEN statt APPELLE‘, so lautet der nicht geschriebene Text auf meinem nicht vorhandenen Transparent. Lies mal.“

„Echt, du bist eine Zumutung! Weißt du das?“, parierte mein Gegenüber und fragte nicht weiter.

Ich fasste das als Erfolgsmeldung auf; ich mute mich zu, das schien gelandet. Ich bin eine Zumutung, eine Demo ohne Anmeldung, ohne Öffentlichkeit. Was so übrigens nicht stimmt: Den größten Teil meines Lebens bringe ich im öffentlichen Raum zu, in Kontakt mit anderen Menschen. Von Rückzug ins Private kann nicht die Rede sein, derlei Floskeln sitze ich nicht mehr auf. Obgleich sie immer noch ihre toxischen Nachwirkungen entfalten und ich mich konzentrieren muss, um mich nicht zu rechtfertigen für etwas, das mein allererstes Menschenrecht ist: Privatsphäre.

Ich bin die längst überfällige Einfrau-Demo für gelingendes Miteinander und Gleichwürdigkeit. Ich vermute, dass wir viele sind.

Medial sind wir schlecht zu verwerten. Klug eingefädelt, das ist Teil der Sache.

Untergrund

Die Entwertung meiner Stimme hat mich in den Untergrund getrieben. Dort, im fruchtbaren Humus, muss ich anerkennen, was ist. Meine eigene Ohnmacht, ihre Wurzeln und Auswüchse, die Angriffe auf meine Integrität von einem menschengemachten System, das mich zu einem Objekt macht und die damit einhergehende Entrechtung, meine Angst vor den kalten, selbstgerechten Blicken der Mitglieder der Sekte „Guter neuer Mensch“, deren geschlossenes Weltbild mich schaudern lässt. Meine Fassungslosigkeit angesichts der um sich greifenden Angstpsychose vor Unterwanderungen aller Art, meine Furcht vor ungebremster Kriegslüsternheit, meine Empörung angesichts eines Genozids, der in Deutschland nicht so genannt werden darf.

Ich werde dieses Bild von einem interaktiven Pflegeroboter mit Kindchenschema nicht los. Eine vielversprechende Hoffnung, den Pflegenotstand zu lösen, wird beworben. Die niedlichen Modelle in weiblicher und männlicher Ausführung können Medikamente verteilen, Mahlzeiten reichen, die psychische Betreuung übernehmen und Kosten sparen.

Ja, es ist möglich, Menschen durch Maschinen zu ersetzen und Beziehung zu simulieren.

Dass ich in der Wahnvorstellung anderer leben muss, lernte ich bereits als Kind; mein Überlebensabitur absolvierte ich während der Coronajahre. Dass ich mit dem „Muss“ nicht leben will, aber gezwungen bin, es zu tun, schmerzt mich ungemein.

Anerkennen, was ist. Den eigenen Schmerz anerkennen, ihn nicht umlenken, das ist die Tat der Stunde. Ablenkungen gibt es genug, Politik, Wirtschaft, Preise, überhaupt alle anderen, die anders denken als ich. Schwer zu widerstehen? Die Kräfte schwinden?

Ein schlichtes „Nein“ genügt. Anerkennen was ist.

Mir graut es vor euch. Das Grauen anerkennen.

Einfrau-Demo

Auf meiner täglichen Einfrau-Demo treffe ich Gleichgesinnte aller Art.

Wir erkennen uns am Tun und lassen uns in unserer Ruhe das tun, was getan werden muss: Humus produzieren. Diese dunkle, wohlriechende Krume, die unsere Gemeinschaft so dringend braucht, wenn es wirklich ernst gemeint ist mit der Saat, die aufgehen soll. Ich meine es ernst.

Anerkennen, was ist. Die Gemeinschaft hat vergessen, dass es einen guten Boden für ein gutes Leben braucht. Sie hat entschieden, auf dich, die du so wunderbar Humus aufbaust, zu verzichten. Sie gestattest dir weiterhin, als Objekt deine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Als Ausgleich steht dir etwas Geld zu, damit du konsumieren kannst. Ups, da ist noch ganz schön viel Raum zwischen den Regeln. Nutzen wir ihn!

Anerkennen, was ist. Ganz unten sind wir gelandet, wir Einfrau-Aktivistinnen. In diese simple Tiefe verirrt sich kein Sektenmitglied freiwillig. Wie frei ist das denn! In diesem Raum sammle ich die Kraft für meine täglichen Demos. Hier kann ich in Stille meiner weiblichen Stimme zuhören und all den weiblichen Stimmen meiner Vorderen. Also doch Rückzug ins Private? Jepp! Nennt es, wie ihr wollt. Ich nenne es Hinwendung zu dem, was direkt vor mir steht, liebe Schwestern. Nicht ungeduldig werden! Anerkennen, was ist. Familie, Partner, Arbeit, Nachbarn, Garten, Wetter, Tankstelle ...

Beziehung

„Wir bauen alle an einer großen Skulptur, das Leben braucht dich“, so ähnlich lautet ein Zitat von Sappho in einem Brief an ihre Geliebte. Diese Worte lieh ich mir für das Manuskript meines neuen Romans und wünschte, sie wären von mir. Sind sie nicht. Danke, Sappho!

Auch ich bin voller wunderbarer Sätze, die sich auf das Leben beziehen. Ich leide nicht mehr darunter, nicht gehört zu werden, seit ich mich selber höre.

Schreib ich deshalb kaum noch Artikel für Onlinemagazine? Beziehung besitzt meines Erachtens mehr Tragweite als die Ukraine, Trump, Medienschelte, AfD, Corona, NGOs, marode Brücken, rechts, links, Spaltung hier, Spaltung dort ... Dringend muss über diese Themen berichtet und gestritten werden; ganz wunderbar, dass es Menschen gibt, die ihrem Ruf folgen.

Manche von ihnen werden auf dem Weg zu Leuchttürmen, robust in ihrer Expertise, ätzend in der Analyse, ermutigend in ihrer Stringenz und zuverlässig in ihrem Gewahrsein. Manche werden wider oder mit Willen auf Sockel gehoben, merken es, merken es nicht. All das braucht es. Ich gebe zu bedenken: „Den König machen immer die anderen“ und frage: Seid ihr euch dessen bewusst? Findet ihr eine Antwort auf dies Mechanik?

Beziehung schafft Wirklichkeit. Was wirkt auf mich? Warum dies und jenes und nicht etwas anderes? Keine Sorge, dies wird kein selbsttherapeutisches Zeugnis einer Zauberkünstlerin. Dies ist der Text einer ungeduldigen, auf Krawall gebürsteten Frau, die nichts dafür kann, dass der liebe Gott, der Storch, der große Plan oder was auch immer ihr das passende Pronomen in Form zweier Brüste und einer Vulva schenkte. Brüste, die ich während der Pubertät mit Wut wachsen sah, weil der begehrliche Blick unreifer Männer sie gefangen nahm. Ich lernte nicht nur, meine Brüste zu verstecken, ich lernte, mich gänzlich zu verstecken. In Rollen, Funktionen, Weltanschauungen, Gesinnungskoppeln ... überall Stromzäune. Ich lernte, meine Stimme zu verstellen: sanft auf Ämtern, kindlich in der Autowerkstatt, tief als Geliebte, laut auf der Gesinnungskoppel, selbstsicher auf Lesungen, scharf und klar in politischer Analyse, leise im Wünscheäußern. Ja, und brüllen natürlich. Nun bin ich heiser. Anerkennen, was ist.

Fragen

Meine Stimme pausiert, sie erholt sich, holt im Schweigen ihre Kräfte ein. Danke, liebe Schwestern, dass ihr fragt. Du bist still geworden, schönste Frau, was siehst du? Was denkst du? Wie ist deine Sicht aus deiner Perspektive? Schreib auf, was du denkst!

Ja, könnte ich. Nein, ich mag sie nicht, diese kleinen Emoticons unter den Artikeln in vielen neuen Medien. Diese nervösen Daumen, hoch, runter, es lebe der Moment. Wer seine Stimme nutzt, sollte gehört und nicht bewertet werden. Liebe Schwestern, das ist meine Perspektive. Warum brauchen wir diese sonderbaren Daumenbildchen?

Dies ist der Text einer Fragenden. Fragen nerven. Fragen halten auf, bremsen und befördern. Blöd, sie nicht zu stellen. Auf meiner Einfrau-Demo bin ich Expertin für Fragen geworden. Ich sammle Antworten und habe das Wort „Verantwortung“ auf meine Liste der missverstandenen Wörter gesetzt.

„Verantwortung“, ein feminines Substantiv mit dem Präfix „Ver“ — ein schwieriges Präfix.

Feminin ist schon mal gut, aber auf dem Wort liegt ein Schleier, das kann der Duden nicht leugnen. Fragende sind sehr genau in dieser Beziehung. Sie halten es mit der Schlichtheit einer einfachen Antwort, und wenn diese nicht reicht, sind viele kleine Antworten auch gut.

Fragende sind Narren. Die Figur des Narren gehört seit Jahrhunderten zu jedem guten Drama. Drama heißt Handlung. Narren treiben es bunt, Narren treiben das Handeln voran.

Dem neuen, guten Menschen, der von Verantwortung für die Demokratie, die Weltgesundheit, für das Klima spricht, antworte ich mit der Frage: Warum antwortest du nicht auf deine Kinder, deinen Partner, deine Nachbarn, deine Überforderung ...?

Weibliche Stimme

Dies ist der Text einer Närrin, einer törichten Frau, einer Aussteigerin ohne Esel oder ausgebauten Van. Dies ist der Text einer Frau, die sich durch den Ruf nach der weiblichen Stimme provoziert fühlt. Danke, liebe Schwestern, ihr erinnert mich daran, meine Perspektive sichtbar zu machen. Ihr könnt nicht um meine tägliche Einfrau-Demo wissen. Ich vergaß euch mitzunehmen. Hatte ich Angst vor eurer Kritik, vor euren Fragen? Wo sind die Fakten, die Analysen, das Neue?

Bis mein Text den Schreibtisch verlässt und in der Redaktion das Lektorat erreicht, wird er bereits aus der Zeit gefallen sein. Dann sind wir alle ein Stück weiter. Anerkennen, was ist. Fakten sind beständiger. Dafür sind andere zuständig, das ist gut so.

Zeig dich, schönste Frau. War das die Aufforderung? Bitte rede mit uns? Gern tu ich das. Wohingegen ihr nicht mit mir rechnen könnt, ist das kraftlose Ding mit der Rollenfrage. Wir sind in erster Linie Menschen und Beziehungswesen, die auf Resonanz angewiesen sind. Es gibt nicht die eine Beziehung, die zum Mann, die andere zu den Kindern, die nächste zu den Kolleginnen, die zu den Bäumen ... Wir sind Resonanzböden für andere Resonanzböden. Wer jetzt mit der Esoterikkeule um die Ecke kommt, den hau ich auf die Mütze.

Wir stehen am Feuer der Gemeinschaft, und uns ist kalt. Frauenfeuer, Männerfeuer, Gegnerfeuer, Befürworterfeuer — diese viel beschworene Spaltung der Gesellschaft betrachte ich eher als evolutionäre Antwort auf den unerträglichen Schmerz der Beziehungslosigkeit — zu sich selbst, zu den Liebsten, zur Vergangenheit. Wir sind in einer spirituellen Krise gelandet, die unser tiefes inneres Selbst nach Heimat schreien lässt. Schon lange kündigte sie sich an, wir ignorierten die Rufer, und nun haben wir den Salat. Die erprobten Narkotika haben ihre Wirkung verloren, deshalb der Schmerz. Anerkennen, was ist. Anwesend bleiben. Nicht verzagen. Einfrau-Demo wagen.

Meine Stimme als Frau ist zuallererst meine Stimme als Mensch. Das ist mein Angebot am Feuer der Gemeinschaft. Warum wärmt es nicht? Mehr Holz? Mehr Fragen, lautet meine Antwort.


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