von Salim Dara, Benin
Meine Eltern konnten beide lesen und schreiben. Das war etwas Besonderes. Wir lebten im Norden von Benin, in einer Stadt namens Djougou. Ich war so gut in der Schule, dass die Regierung mich gefördert hat. Mit 12 Jahren schickte man mich aufs Gymnasium. Seitdem war ich weg von zu Hause. Danach bekam ich ein Stipendium für ein Universitätsstudium. Ich studierte Mathematik und Physik. Die Studienbedingungen waren sehr schwer. Am schlimmsten war, dass wir keine neuen Gedanken denken durften.
Viele Studenten kamen in Berührung mit der Idee des Kommunismus, die uns faszinierte. Wir schrieben Flugblätter und trafen uns, um uns über eine gerechte Gesellschaft auszutauschen. Wir hatten kaum Geld für unseren Lebensunterhalt, es gab nicht genügend Lehrbücher und nur vier Busse für uns 800 Studenten, mit denen wir jeden Morgen zum Campus fahren mussten, der 15 Kilometer außerhalb der Stadt lag. Sie waren immer heillos überfüllt. Wer nicht rechtzeitig zum Unterricht kam, wurde suspendiert. Eines Morgens hatte ein Student einen tödlichen Unfall, weil er in letzter Sekunde noch auf den Bus aufspringen wollte und dabei überfahren wurde.
Wir beschlossen daraufhin, einen Streik auszurufen, um bessere Bedingungen zu erhalten. Die Polizei verhaftete mich mit 32 weiteren Kommilitonen. Wir hätten widerrufen können, aber wir taten es nicht. Wir hatten nichts Unrechtes getan. Wir kamen alle ins Gefängnis, ohne Gerichtsverhandlung. Wir wurden mit 150 Menschen in einem Raum eingepfercht, der für 50 Menschen ausgelegt war. Tagsüber durften wir uns für einige Stunden im Innenhof aufhalten.
Nach drei Tagen bekamen wir „politischen Gefangenen“ nichts mehr zu essen. Ein Mitgefangener gab mir verschimmelte, stinkende Essensreste. „Iss“, sagte er, „oder du überlebst nicht.“ Ich aß. Dann habe ich begonnen, Körbe zu flechten und sie zu verkaufen. Damit konnte ich mir ein wenig Geld verdienen.
Im Gefängnis habe ich gelernt, dass Mitgefühl eine Überlebenskraft ist. Ich habe das wenige Essen, das ich mir irgendwann kaufen konnte, immer mit anderen geteilt. Ich schloss Freundschaft mit einem Priester, auch ein politischer Gefangener wie ich. Wir sprachen über das Universum, über Gerechtigkeit und Wahrheit; das hat mir geholfen, mein Herz rein zu halten.
Eines Tages — ich war seit drei Jahren im Gefängnis — kam eine weiße Frau ans Tor und wollte einen Korb von mir kaufen. Sie fragte mich, warum ich im Gefängnis war. Ich erzählte ihr meine Geschichte und sie wollte auch die Namen meiner Mitstudenten haben. Sie hat dann alle unsere Namen an Amnesty International weitergegeben. Ohne diese Unterstützung wären wir nie freigekommen. Zwei Jahre später war der internationale Druck so groß, dass die Regierung uns freigelassen hat. Viele Menschen haben dabei mitgeholfen, Menschen, die ich persönlich nie kennengelernt habe. Es gab zum Beispiel eine Frau aus England, Patricia Palmer, die mir Mut gemacht und mich auch nach meiner Entlassung lange begleitet hat. Sie starb, bevor ich sie besuchen konnte. Ich bin ihr und allen anderen sehr dankbar. Es gibt so viele gute Menschen auf der Welt. Es muss doch möglich sein, dass wir gemeinsam eine bessere Zukunft aufbauen.
Unsere Freilassung wurde damals von der Regierung dazu benutzt, ihr Image aufzupolieren. Die Amnestie wurde durch alle Medien bekannt gemacht. Alle im Land kannten unsere Namen. Wir wussten aber noch von nichts. Dann kamen sie um Mitternacht, weckten uns und sagten, ihr seid frei. Auch mein Freund, der Priester, wurde begnadigt. Wir traten vor das Gefängnistor und wurden dort von einer großen Menschenmenge begrüßt. Wir wussten nicht, wie uns geschah. Nach einem kurzen Besuch bei meinen Eltern kehrte ich zurück an die Universität, um mein Studium fortzusetzen. Doch wenige Monate später wurde an der Universität wieder zu einem Streik aufgerufen. Ich hatte damit nichts zu tun, aber natürlich verdächtigte man mich. Ich musste fliehen, denn ich wollte auf keinen Fall zurück ins Gefängnis.
Ein Priester, Vater N’Zamuja, versteckte mich auf seiner Farm. Neun Jahre blieb ich dort. Durch die Erfahrung im Gefängnis war meine Leidenschaft geweckt, gute Nahrung anzubauen. Ich lernte alles, was ich dafür brauchte, und baute ein ökologisches Zentrum auf. Ich hatte viel zu tun, musste Geld verdienen, um meine Familie zu versorgen, und nebenher das Zentrum aufbauen. Ich hatte meine Frau noch im Gefängnis kennengelernt. Sie kam auch aus Djougou. Einmal war sie mit einer Frau mitgekommen, die meine Körbe kaufen wollte. Und danach kam sie alle zwei Wochen, brachte mir frisches Obst, und wir konnten uns für ein paar Minuten unterhalten. Sie gehört auch zu meinen Retterinnen.
Vor acht Jahren starb der König von Djougou. Ich war sein traditioneller Nachfolger und bekannt für meine Führungskraft. Doch ich wollte nicht König werden und sträubte mich, die Rolle anzunehmen, denn es ist eine große Verantwortung auf Lebenszeit. Schließlich aber willigte ich ein. Ich dachte mir, ich kann die Tradition doch nutzen, um meine Stadt in eine gerechte Zukunft zu führen. Als König habe ich die Aufgabe, Menschen in ihren Fragen und Nöten zu begleiten, Konflikte zu lösen und neue Ideen einzubringen. Ich bin König der Innenstadt, in der ca. 80.000 Einwohner leben. Es gibt natürlich staatliche Behörden, wie die Stadtverwaltung; die Menschen aber lieben den König. Könige gehören zur traditionellen afrikanischen Art der sozialen Organisation.
Ein König verwaltet sein Land nicht, er hört den Menschen zu. Unser Land muss sich befreien von der Konkurrenz und dem Druck des Kapitalismus.
Wir müssen wieder in die Lage kommen, unsere eigene Nahrung anzubauen, unser Land Stück für Stück zurückzuerobern, das wir an die internationalen Konzerne verloren haben, die dort Früchte für den Export anbauen und dabei unsere Natur ruinieren.
Ich baue jetzt auch in der Nähe von Djougou eine Farm auf, mit der ich zeigen will, wie eine dezentrale Autonomie in Nahrung, Wasser und Energie zunächst an einem Ort, aber dann auch im ganzen Land, gelingen könnte. Ich konnte mit der Hilfe zweier privater Sponsoren das Land dafür kaufen. Ich brauche natürlich Geld, um die Pläne zu verwirklichen, wie meine Stadt nachhaltig gestaltet werden könnte. Aber mehr noch als Geld brauche ich ein internationales Netzwerk. Ich habe hier auf dem Treffen „Defend the Sacred“ viele Menschen getroffen, die den gleichen Traum träumen wie ich. Es ist der Traum von einer gerechten Welt, in der alle genug zu essen haben. Das bestärkt mich, es weiter zu versuchen.
Salim Dara (mitte) während eines Podiumsgesprächs zum Thema „Die Wunden der Kolonialisierung Afrikas heilen“
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