„Mach das gleiche Lied doch nochmal aus Sicht eines russischen Fahnenflüchtlings …“, kommentierte jemand bei YouTube. Das habe ich mir vor der Entstehung des Liedes „Ich aus Ukraine kommen“ auch überlegt.
Amy Winehouse hat mal sinngemäß gesagt, dass man nur über Dinge schreiben sollte, die man selbst erlebt hat. Ich versuche diesen Rat halbwegs zu beherzigen. Der wahre Kern der Geschichte im Lied beruht auf einem Sommerurlaubserlebnis in Böhmen 2022. Der tschechische Vermieter der Ferienwohnung hatte in seiner zweiten Ferienwohnung Ukrainer einquartiert. Wir sahen immer nur eine junge Frau, hörten aber durch die Wände auch einen Mann. Nur einmal bekamen wir ihn zu Gesicht, einen jungen, athletischen Typen. In Anbetracht des Ausreiseverbots für wehrfähige Männer fragt man sich, wie ein Mann mit Gardemaß die Ukraine verlassen konnte und warum er sich in Tschechien zu verkriechen scheint. Ich habe mir eine Antwort zu einem Lied zurechtfantasiert.
Ich kenne keinen Russen, der vor der Einberufung geflohen ist. Aber zu Hause im Nachbarblock wohnt jetzt auch ein Ukrainer, den man abends mit freiem Oberkörper Boxübungen machen sieht. Habe ich Partei genommen für die Russen, indem ich über einen ukrainischen Kriegsdienstverweigerer singe? Also zunächst muss man ja sagen, dass ein nicht zu unterschätzender Anteil der Soldaten auf der russischen Seite aus offizieller Sicht des Westens ebenfalls Ukrainer sind, weil sie aus Donezk, Lugansk oder der Krim kommen. Es wäre folgerichtig, wenn Kriegsdienstverweigerer von da in den Westen fliehen. Dass es in der Westukraine jetzt Probleme mit dem Armeepersonal und bei der Mobilmachung gibt, erfahren wir sogar vom polit-medialen Komplex in Deutschland. Es fehlen Männer. Erstens, weil offenbar doch schon viele tot und versehrt sind. Zweitens, weil zu viele keinen Bock auf Krieg und Tod haben und sich der Habhaftwerdung entziehen.
Was halten eigentlich die grünen Lumpenbellizisten von ukrainischen Feiglingen, die die Verteidigung „unserer Werte“ mit der Waffe in der Hand ablehnen und einfach abhauen? Sollten diese sich vielleicht ein Beispiel an Kriegsdienstverweigerern wie Robert Habeck oder Joschka Fischer nehmen, die angesichts der völlig anderen Lage heute sofort ihr Leben an der Front geben würden — wenn sie nicht leider schon zu alt wären?
Sollte man die ukrainischen Flüchtlinge für den guten Zweck einfach an die Front abschieben?
Und außerdem: Wenn der Russe auf dem Schlachtfeld besiegt werden soll, dann entdeckt Olivgrün sie wieder: die toxische Männlichkeit. Dann beklatscht man auch Nationalstolz, Folklore, Heilrufe und Reden über Heimat und Vaterland. Hauptsache, es ist nicht deutsch. Und die kahlköpfigen Ukros — die Herren fürs Grobe — benötigt man eben auch, da die von den grünen Pfaffen geweihten Waffen leider noch nicht so künstlich intelligent sind, dass sie von allein klimaneutral töten. Na, und da muss man auch nicht so genau hinschauen, wen und was die neuen Freunde da so alles verehren und welche Symbole auf ihrer Haut tätowiert sind. Denn schließlich kämpfen sie ja zum Beispiel auch für LGBTQ+-Rechte im Osten.
Apropos: Deutschland muss wieder kriegsfähig werden, und deshalb sollte man sich über sein Geschlecht spätestens zwei Monate vor der Einberufung im Klaren sein — andernfalls ist ein biologischer Mann laut Selbstbestimmungsgesetz ein Mann und also fronttauglich. Jetzt müsste man nur noch regeln, was mit Kindern von schwulen Vätern passiert, wenn beide eingezogen werden, beziehungsweise ob das geht, und wenn ja, welcher Vater dann nicht in den Krieg muss.
Und um den modernen Mann als Familienvater geht es zuvorderst im Lied. Er soll nach dem aktuellen Verständnis für die Familie da sein und nicht im alten Rollenverständnis verharren. Keine Widerrede — weder von mir noch von den vielen anderen Vätern, die das heutzutage so leben und damit die Welt wirklich etwas besser machen. Aber ein zuerst an die Familie denkender Vater findet „Vaterland zum Kotzen“, wenn er diesem zuliebe an die Front und in den Tod gehen soll. Das bringt Sand ins Kriegsgetriebe.
Nicht nur die Abweichung von der Mannesnorm, das Querulantentum und eine starke Familienbindung sind der Mobilmachung hinderlich, sondern auch purer Egoismus und Hedonismus. Im Prinzip alles, was zum Beispiel auch bei der kollektiven Seuchenbekämpfung gestört hat — also wenn jemand trotzdem gefeiert, ausgeschenkt oder demonstriert hat.
Eine individualistische Gesellschaft ist schlecht an die Front zu kriegen, das muss bei den aktuellen deutschen Wiederkriegsfähigmachungsbestrebungen bedacht werden. Wird es auch — muss man halt Ausländer nehmen.
Der Vietnam-Krieg endete, weil die WASPs — also die amerikanische weiße Mittel- und Oberschicht — ihre Söhne nicht hergeben wollten. Und die reichen Ukrainer heutzutage kaufen sich frei, so wird gemunkelt. Wie es in Russland ist, weiß ich nicht.
Jeder, der sich aus noch so unedlen Gründen dem Kriegsdienst entzieht, ist einer weniger, der schießt, und einer weniger, der erschossen werden kann.
„Dieser Krieg macht keinen Sinn“, sagt Igor (Ukrainisch eigentlich: Ihor). Ein lupenreiner Pazifist würde sagen, dass überhaupt kein Krieg Sinn macht. Doch die Ukraine-Partei würde mir entgegnen, dass man ja wohl den Russen die Sinnfrage stellen müsste, weil sie die Ukrainer genötigt haben, ihre Heimat zu verteidigen — was aus ihrer Sicht Sinn macht. Nun — wie sinnvoll die Entscheidung war, lieber gegen eine Supermacht zu kämpfen als trotz Invasion über die Zukunft der sich bereits im Bürgerkrieg befindlichen, restlos zerstrittenen Ukraine zu verhandeln, werden wir sehen — um nicht zu sagen: haben wir bis jetzt gesehen.
Die nächste Frage ist, wie sinnvoll es ist, auf moralinbesoffene Freunde aus dem Wertewesten zu hoffen. So wie es jetzt aussieht, sind hunderttausende Soldaten auf beiden Seiten gestorben, ohne dass sich auch nur der Ansatz einer friedlichen und für Kiew vorteilhaften Lösung ergäbe. Im Gegenteil. Zugegeben: Das Einzige, was den Entscheidern jetzt noch den Sinn retten könnte, wäre ein dritter Weltkrieg. Ich bin ich aus besagten Gründen vorsichtig optimistisch, dass der Westen sein Männerproblem erkennt und es beim Säbelrasseln belassen muss.
Yann Song King: Ich aus Ukraine kommen
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