Wer hat, muss sich und anderen auch mal etwas gönnen können. Als wohl reichster Deutscher mit einem geschätzten Vermögen von 37 Milliarden Euro hat Lidl-Gründer Dieter Schwarz allerhand. Bei 78 Lenzen überbrückt sich die Restlaufzeit so ganz unbeschwert. Und für jene, denen es nicht so gut geht, bleibt auch noch was hängen. Zum Beispiel die Technische Universität München (TUM). Die kann sich bei einem Jahresetat von unter 1,5 Milliarden Euro bloß mit Ach und Krach und den Spenden barmherziger Kümmerer in den Chefetagen von Konzern-Deutschland über Wasser halten. Da tut jeder Euro extra bitter not.
Aber Dieter Schwarz hilft gerne. Kurz vor Weihnachten machte die Nachricht die Runde, seine nach ihm benannte Stiftung werde der TUM 20 neue Professuren „schenken“. Das ist wahrhaft generös und in dieser Größenordnung noch nie dagewesen. Beobachter taxieren das Volumen des Engagements auf einen dreistelligen Millionenbetrag. Selbstredend gibt es das schöne Geld nicht nach dem Prinzip Gießkanne. Es fließt dahin, wo das Darben am größten ist: in die Betriebswirtschaftslehre (BWL), namentlich die „TUM School of Management“. Die muss sich bisher mit kümmerlichen 35 Lehrstühlen bescheiden, demnächst sind es mit einem Mal 55.
TUM goes Heilbronn
Die Zuwendung landet nicht in Gänze in München. Am Standort werden lediglich sieben neue Lehrstühle angesiedelt. Die restlichen entstehen auf dem „Bildungscampus Heilbronn“, wo zum kommenden Wintersemester ein noch zu gründender TUM-Ableger seine Lehrtätigkeit aufnehmen soll. Heilbronn ist Schwarz' Geburtsstadt und nicht weit entfernt liegt der Unternehmens- und Stiftungssitz Neckarsulm. Der Realisierung des Projekts sind die Beteiligten am 19. Dezember durch Unterzeichnung eines gemeinsamen „Eckpunktepapiers“ nähergekommen. Das sieht für den Forschungs- und Lehrbetrieb die Schwerpunkte „Digitale Technologien“, „Globalisierung“ und „Entrepreneurship“ vor. Ein besonderer Focus werde auf „mittelständische Unternehmen“ und „familiengeführte Hightech-Firmen“ gelegt, teilte ein TUM-Sprecher mit. „Diese prägen die deutsche Wirtschaft und der Großraum Heilbronn ist ein Musterbeispiel hierfür.“
Ein Musterbeispiel ist allen voran Dieter Schwarz selbst. Der hat auch mal ganz klein angefangen, 1973 mit seinem ersten Discounter in Ludwigshafen. Heute thront der „König von Heilbronn“ über Europas größtem Handelskonzern: mit weltweit über 10.000 Lidl-Filialen und 1.200 Kaufland-Läden, bei einem Jahresumsatz von 90 Milliarden Euro. Die Schwarz-Gruppe reicht die Einnahmen allerdings nur weiter, nach oben an den Mehrheitseigner (99,9 Prozent), die Dieter-Schwarz-Stiftung, die als „gemeinnützige“ gGmbH als das reine Gewissen über allem steht. Insbesondere hat sie sich der Förderung von Wissenschaft, Forschung, Kunst, Kultur und Bildung verschrieben, denn, so Schwarz, „Bildung ist unser wichtigster Rohstoff“.
Nazis in der Vitrine
Allerdings mangelt es daran in der Republik, findet der Multimilliardär und er meint auch, dass es mehr Wertschätzung für Bildung braucht und viel wichtiger noch: mehr Wertschöpfung. Das lebt der Mann vor. Wikipedia hält über ihn fest, dass er 1999 mit seinem Rückzug aus der Unternehmensleitung seine Firmenanteile „steuersparend“ auf die frisch gegründete Stiftung übertrug. Über die heißt es in der Selbstdarstellung: „Denn dort, wo Gesellschaft und Wirtschaft Anforderungen stellen, die staatliche Organe oder Anbieter nicht oder nicht ausreichend erfüllen können, beginnt das Wirken der Stiftung.“ Das zeugt von echtem Edelmut: Wozu dem Staat Geld überlassen, das der sowieso nur verplempert – für Dinge wie „Soziales“ etwa oder „Bildung“… Am besten ist es doch immer noch bei denen aufgehoben, die es erwirtschaftet haben und wissen, wo es am nötigsten gebraucht wird beziehungsweise, wer es sich wirklich verdient hat.
Wie eben die TU München. In der fraglichen Medienmitteilung wird die Uni ausschweifend gerühmt. Bei den einschlägigen Rankings gehöre sie regelmäßig zur Spitze, verfüge über die wichtigsten internationalen Akkreditierungen und glänze durch „großes Engagement in Ethik und Nachhaltigkeit“. Sehr richtig: Da wäre zum Beispiel ihr Einsatz für den Weltfrieden. Schließlich gehört sie jenen 22 deutschen Hochschulen, die seit dem Jahr 2000 insgeheim Rüstungsforschung für das US-Pentagon betrieben haben. Und dann ist da noch die Traditionspflege: Obwohl schon lange tot, hält die Uni das Andenken von vier Nazis hoch, die in der Ahnengalerie auch heute noch als „Ehrensenator“ oder mit einem Doktor ehrenhalber renommieren.
Industrie übernimmt
Ihr größtes Verdienst ist aber zweifellos dies: „Die TUM handelt als unternehmerische Universität, die Talente fördert und Mehrwert für die Gesellschaft schafft.“ Beispielhaft sei hier die Airbus Group genannt, auch eine Gesellschaft, eine auf Aktien und eine Europäische dazu (SE). Für sie unterhält die Uni den „EADS-Stiftungslehrstuhl für Hubschraubertechnologie“ und lässt sich das vom weltweit zweitgrößten Rüstungskonzern bei einer Laufzeit von acht Jahren mit fast fünf Millionen Euro honorieren. Offiziell endet der Kontrakt 2018, aber das muss nichts bedeuten. Stiftungsprofessuren werden in aller Regel weitergeführt, bei gleichbleibendem Forschungsfeld, unveränderter inhaltlicher Ausrichtung und damit ganz nach dem Gusto und den Bedürfnissen des Anschubfinanziers. Der einzige Unterschied: Die Hochschule erledigt all das auf eigene Rechnung.
Nach Recherchen von Hochschulwatch.de, eines Gemeinschaftsprojekts von Transparency International Deutschland (TI), dem studentischen Dachverband fzs und der tageszeitung (taz), hat die Zahl der durch die Industrie finanzierten Stiftungslehrstühle in jüngeren Jahren stark zugelegt, auf inzwischen über 1.000. Die jährlichen Ausgaben dafür beliefen sich 115 Millionen Euro. Dominierend seien Kooperationen in den Wirtschaftswissenschaften und den anwendungsbezogenen MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Unter dem Punkt „Kritik“ ist zu lesen: Unternehmen finanzierten „Forschung in für sie relevanten Bereichen und binden damit indirekt auch zukünftige spezialisierte Arbeitnehmer an sich“. So könnten „Wechselverhältnisse und Interessenkonflikte entstehen, die im Sinne von Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft kritisch gesehen werden“.
Deutsche Bank bestimmt
Ja, ja, da war mal was: Zum Beispiel 2011, da hatte der Berliner Politologe und Sozialaktivist Peter Grottian die Inhalte eines „Sponsoren- und Kooperationsvertrags“ zwischen der Deutschen Bank, der Humboldt-Universität (HU) und der (TU) Berlin öffentlich gemacht. Die Vereinbarung räumte dem Kreditinstitut umfassende Gestaltungs- und Mitbestimmungsrechte bis hin zur Besetzung von Professuren und Veröffentlichung von Forschungsergebnissen sowie ein gesondertes Werberecht an den beiden Unis ein.
Und 2016 wurde die Offenlegung eines Vertrags zwischen der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der Boehringer-Ingelheim-Stiftung gerichtlich durchgesetzt. Im Rahmen ihres bis 2023 projektierten und 150 Millionen Euro schweren Engagements sollte das Konzernanhängsel bei praktisch allem mitmischen dürfen: Personalentscheidungen, Finanz- und Organisationsfragen. Die JGU hatte sich gar dazu verpflichtet, ihre Briefbögen und alle Arten von Veröffentlichungen mit dem Zusatz „gefördert durch die Boehringer-Ingelheim-Stiftung“ zu versehen. So trat die Uni jahrelang quasi ganz offiziell im Namen eines Pharmaunternehmens in Erscheinung.
Hochschultrojaner
Na und? Das war immerhin ein Beitrag zur Ehrlichkeit. Die Hochschulen müssten auf der Stelle dichtmachen, wäre da nicht die Geberlaune von Volkswagen, Bosch und Bayer. Wo der Staat immer weniger rausrückt, muss doch wer in die Bresche springen. Genau darum geht es doch beim allgemeinen Hochschulkürzen: Freiräume schaffen fürs freie Unternehmertum. Und da kann sich die TUM durchaus sehen lassen. 2016 hat sie über 300 Millionen Euro ihres Haushaltes über Drittmittel finanziert, allein 100 Millionen Euro steuerten die gewerbliche Wirtschaft und private Stifter bei. Hochschulwatch.de führt aktuell 20 Stiftungsprofessuren für die Uni mit angeschlossenem Klinikum auf. Und im TUM-Hochschulrat, der wie ein Konzernaufsichtsrat über allem und alle wacht, sitzen Vertreter von BMW, Altana und Siemens. Die verstehen ihr Geschäft.
Es kommt noch besser. Derlei Kooperationen krempeln den Laden komplett und nachhaltig um. Quasi im freien Spiel der Kräfte machen sich die Hochschulen von unnötigem Ballast frei, also von allem, was unter Geistes-, Gesellschafts-, und Sozial- und Kulturwissenschaften läuft. Ein Stiftungslehrstuhl wird nämlich nach Ablauf der Fremdfinanzierung nur weitergeführt, wenn dafür ein bestehender Lehrstuhl nicht nachbesetzt wird. Die taz hat den Mechanismus einmal als „Hochschultrojaner“ bezeichnet und festgestellt: „Das trifft oft sogenannte Orchideenfächer, die den Unis wenig Studierende und so gut wie keine Drittmittel bringen.“
Lidl-Berufsschule
Rektoren agieren heute längst wie Unternehmer und das Konzept der Modernisierer lautet auch genauso: „unternehmerische Hochschule“. Und wo die Gesetze von Angebot und Nachfrage herrschen, gibt es halt Gewinner und Verlierer. Laut taz haben sich zwischen 2005 und 2015 die privaten Hochschulzuwendungen auf 7,4 Milliarden Euro mehr als verdoppelt, womit die Unis jeden dritten Euro selber einnehmen würden. Dabei stecken private Stifter fast siebenmal so viel Geld in die Wirtschafts-, Ingenieurs- und Naturwissenschaften wie in Geistes- und Sozialwissenschaften. Hochschulwatch.de konstatiert, dass 65 Prozent aller Stiftungsprofessuren eine Fortsetzung finden. Es sollte also nicht mehr allzu lange dauern, bis der ganze kritische und schöngeistige Firlefanz vom Lehrplan verschwindet.
Es gibt Leute, denen die Entwicklung nicht behagt. Elke Hahn von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Bayern hält die Dimension und die Einseitigkeit der Vorgänge um die TU München für „verdächtig“ und wittert ein „Einkaufen in die Universität“. Arne Semsrott von Hochschulwatch.de glaubt, der „Wettbewerb der Hochschulen um Gelder von Dritten ist politisch gewollt“. Laut Verena Osgyan von der Grünen-Fraktion im Münchner Landtag drohe eine „erhebliche Unwucht im wissenschaftlichen Gefüge“. Es könne nicht angehen, „dass sich wirtschaftsnahe Stiftungen Privatprofessoren an öffentlichen Hochschulen halten“.
Warum denn nicht? Meint auch Bayerns CSU-Staatsregierung und pries den Deal als „Ausweis von Leistungsfähigkeit“, der „höchste Anerkennung“ verdiene. Die Lehr- und Forschungsinhalte verblieben beim künftigen Lehrstuhlinhaber. Richtig, und der heißt Dieter Schwarz. Um auf Nummer sicher zu gehen, belässt er es dann auch nicht bei einer Anschubfinanzierung. Er will seine Profs gleich bis zur Emeritierung bezahlen. Voll d'accord! Wer für den Aufbau seiner hauseigenen Nachwuchskaderschmiede so aus dem Vollen schöpft, dem gebührt auch die volle Kontrolle. Zumal: Ist ja alles nur gut gemeint.
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