Vom 2. bis 5. Juni hat die Ukraine ihre lang angekündigte Gegenoffensive gestartet. An sieben Frontabschnitten hat die ukrainische Armee versucht, mit insgesamt fünf Brigaden vorzudringen und die russische Seite zurückzudrängen. Angaben des russischen Verteidigungsministeriums zufolge ist sie dabei auf ganzer Linie gescheitert. Der Verteidigungsminister Schoigu erklärte am 5. Juni:
„In den letzten drei Tagen der Kampfhandlungen haben die Streitkräfte der Ukraine in allen Richtungen insgesamt 3.715 Soldaten, 52 Panzer, 207 gepanzerte Kampffahrzeuge, 134 Fahrzeuge, 5 Flugzeuge, 2 Hubschrauber, 48 Feldartilleriegeschütze und 53 unbemannte Luftfahrzeuge verloren.“
Bei der Gegenoffensive wurden auch acht Leopardpanzer zerstört, die Deutschland an die Ukraine geliefert hatte. Nach nur 3 Tagen endete die Gegenoffensive mit hohen ukrainischen Verlusten und ohne jeden Erfolg.
Die Gegenoffensive erfolgte wohl eher aus politischen Gründen als aus militärischen. Der Anteil ausgebildeter und erfahrener Soldaten ist mittlerweile in der Minderzahl, es überwiegen die frisch eingezogenen, jungen Männer, die kaum mehr als eine Grundausbildung erhalten haben. Auch Ausstattung fehlt an allen Ecken und Enden.
Dennoch startete die Ukraine in der Nacht zum 6. Juni einen neuen Angriff in dem Gebiet der Stadt Nowaja Kachowka. Es kam zu heftigen Kämpfen, bei denen auch Artillerie zum Einsatz kam. Dabei wurde der Staudamm des Wasserkraftwerks Kachowka, der den Dnjepr zu einem großen Stausee aufstaut, gesprengt. 11 der 28 Wassersegmente sind zerstört worden, sodass das Wasser seitdem unkontrolliert flussabwärts fließt. Das Kraftwerk ist vollkommen vernichtet, und es besteht die Gefahr, dass sich die Situation des Dammes in den kommenden Tagen weiter verschlechtert. Schon am Abend des 6. Juni war der Wasserstand des Dnjepr bei dem Atomkraftwerk Saporoschje um 2,5 Meter gesunken. Die russischen Behörden auf der linken Seite des Dnjepr gehen davon aus, dass der Wasserspiegel des Flusses um bis zu 12 Meter ansteigen könne, bevor er dann innerhalb von drei Tagen wieder absinkt.
Daher wurde umgehend mit der Evakuierung der betroffenen Gebiete begonnen, das sind auf russischer Seite 14 Dörfer mit insgesamt 22.000 Menschen. Schon am Nachmittag des 6. Juni waren 900 Menschen von der linken Seite des Flusses evakuiert worden. Notunterkünfte stünden zur Genüge zur Verfügung, erklärte der Bürgermeister von Nowaja Kachowka, Wladimir Leontijew. Doch auch die 40.000 Einwohner umfassende Stadt Cherson könnte durch die Überflutung unbewohnbar werden. Der Dnjepr stellt momentan die Grenze zwischen der ukrainischen und der russischen Seite dar. Wie viele Menschen auf der ukrainischen Seite betroffen sind, ist noch unklar. Zudem gelangten 150 Tonnen Öl in den Fluss, sodass sich zu der Überflutung noch eine Umweltkatastrophe abzeichnet.
Reflexhaft wiesen die Ukraine und der Westen Russland die Schuld an der Zerstörung des Staudammes zu. Die ukrainische Regierung bezeichnete Russland als einen „terroristischen Staat“. Michail Podoljak, einflussreicher Berater des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, gab Russland die Schuld und sagte, Russland habe „die größte Umweltkatastrophe in Europa seit Jahrzehnten“ verursacht. Bundeskanzler Olaf Scholz warf Russland vor, in dem Krieg immer mehr auch zivile Ziele anzugreifen. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nahm den Vorfall als Beweis für die Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit Russlands und sagte: „Dies ist eine ungeheuerliche Tat, die einmal mehr die Brutalität von Russlands Krieg in der Ukraine demonstriert.“ Der britische Außenminister James Cleverly sprach gar von einem „Kriegsverbrechen“.
Russland wiederum weist die Schuld weit von sich, und beschuldigt die Ukraine. Diese hätte mit ihrer Artillerie auf den Staudamm geschossen und ihn dabei zerstört. Wladimir Leontjew erklärte, dass der Staudamm bei Angriffen der Ukraine zerstört worden sei. Die Vorwürfe, die russische Armee habe den Staudamm zerstört, wies er als haltlos zurück. Auch der Sprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, erklärte:
„Wir erklären offiziell: Hier handelt es sich eindeutig um eine vorsätzliche Sabotage der ukrainischen Seite, die im Auftrag Kiews, des Kiewer Regimes, geplant und durchgeführt wurde. Und das Kiewer Regime sollte die volle Verantwortung für alle Konsequenzen tragen.“
Er führte aus, dass die Sabotage eindeutig darauf gerichtet sei, der Krim das Wasser zu entziehen; die Krim bezieht ihr Trinkwasser nämlich aus dem Stausee beim Wasserkraftwerk Kachowka. Die Versorgung der Halbinsel war erst im vergangenen Jahr wiederhergestellt worden, nachdem die russischen Soldaten den Staudamm und das Kraftwerk erobert hatten. Die ukrainische Regierung hatte der Krim seit ihrer Abspaltung von der Ukraine im Jahr 2014 das Trinkwasser abgestellt — bis Russland 2022 die Versorgung nach acht Jahren wiederherstellte.
Die Überflutung des linken Ufers des Dnjeprs stellt für Russland auch militärisch eine Herausforderung dar. So hatte Russland schon zuvor seine Soldaten aus dem nördlichen Teil des Gebietes Cherson zurückgezogen, weil ein Dammbruch ihre Versorgungsrouten gefährden würde. Interessant ist auch, dass Kiew seit Anfang Mai die Wasserreservoirs des Stausees mit Wasser füllt. So wurde berichtet, dass der Wasserspiegel zuvor um bis zu 17 Meter angestiegen ist, weil Kiew die Schleusen geöffnet und den See hat volllaufen lassen. Grund dafür könnte sein, dass auf diese Weise der bei einem Bruch des Staudamms entstehende Schaden maximiert werden sollte.
Der Staudamm sowie die Antonowbrücke sind die einzige Möglichkeit, den Dnjepr zu überqueren. Die Ukraine beschießt beide immer wieder, seit sie die Kontrolle darüber verloren hat. Das führte dazu, dass der Staudamm für den Verkehr schon seit Langem gesperrt ist. Die Antonowbrücke wurde zudem schon im November beim Rückzug der russischen Truppen zerstört – nach offizieller westlicher Version von den Russen gesprengt.
Bereits im Oktober vergangenen Jahres sandte der ständige Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen, Wassili Nebensja, einen Brief an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, in dem er davor warnte, dass Kiew plane, das Kraftwerk zu zerstören. Auch die Washington Post hat bereits im Zuge der Gegenoffensive der Ukraine in Charkow im vergangenen Jahr über diese Pläne berichtet. So hätte die Ukraine sogar einen Testangriff mit einem HIMARS-System durchgeführt, der drei Löcher in den Damm gerissen habe.
Auch ein Motiv liefert der damalige Artikel der Washington Post: In diesem wird der Angriff des Staudamms als eine Art letztes Mittel bezeichnet, zu dem die Ukraine greifen könnte, wenn die angekündigte Gegenoffensive gescheitert sei. Angaben des russischen Außenministeriums zufolge ist diese Gegenoffensive gescheitert.
Zudem hat der ukrainische Präsident Wladimir Selenskyj der westlichen Presse seinen Dank für die unterstützende Berichterstattung im Falle der Sprengung des Staudamms ausgesprochen, allerdings schon ungefähr zu dem Zeitpunkt, als der Damm zerstört wurde und noch kaum ein Medium darüber berichtete.
Westliche Medien und Politiker behaupten, die Zerstörung des Dammes stelle einen Vorteil für die russische Seite dar. Das ist aber eher unwahrscheinlich, da dies zu einer Überflutung in der Südukraine führte und dadurch auch russische Infrastruktur und die Bevölkerung betroffen sind. Zudem sind die Überflutungen im russischen Teil aufgrund der Geografie um einiges gravierender als auf der ukrainischen Seite. Darüber hinaus hat Russland seine Verteidigungspositionen an dem linken, niedrigeren Ufer des Flusses eingerichtet; sie sind nun durch die Überflutung nutzlos geworden, weil sie unter Wasser stehen. Da das Wasser aus dem Stausee nun allmählich abfließt, schrumpft dieser zu einem Fluss und wird daher für die Ukraine leichter zu überqueren, um die russische Armee auf der anderen Seite anzugreifen. Auf dieser Seite befindet sich auch das Kernkraftwerk von Saporoschje, das von der Ukraine schon seit Monaten immer wieder beschossen wird. Einen strategischen Vorteil bietet das also nur für die Ukraine.
Der Militäranalyst Michael Kofman erklärte schon vor Monaten, dass eine Sprengung des Dammes Russland militärisch zum Nachteil gereichen würde. Wörtlich sagte er: „[Destroying the dam] would mean Russia essentially blowing its own foot off“ (etwa: Die Zerstörung des Staudamms würde bedeuten, dass sich Russland im Grunde selbst den Fuß abreißt). Auch er erklärte, dass ein Absinken des Wasserpegels hinter dem Damm sowohl die Wasserversorgung der Krim gefährden als auch die Kühlwasserversorgung des Kernkraftwerks Saporoschje unterbrechen könnte, was die Gefahr einer Kernschmelze in dem Kraftwerk mit sich bringt. Die Internationale Atomenergiebehörde überwacht daher die Situation.
Das Wasser des Stausees wird auch genutzt, um den südlichen Teil der Region Cherson zu wässern. Es stellt damit einen integralen Bestandteil der Landwirtschaft in dieser Region dar. Der Süden Chersons ist aber nach wie vor in russischer Hand. Die eigene Landwirtschaft zu sabotieren, verschafft Russland keinerlei Vorteil.
Aus diesen Gründen ist es eher unwahrscheinlich, dass Russland selbst den Damm gesprengt hat.
Obwohl derzeit noch vieles ungeklärt ist, deutet doch einiges darauf hin, dass es die Ukraine war, die den Damm zerstört hat — ein Verzweiflungsschlag nach dem voraussehbaren Scheitern der Gegenoffensive, die ohnehin mehr für die westlichen Geldgeber durchgeführt wurde und auf deren Druck hin erfolgt ist.
Es wäre auch nicht das erste Mal, dass die Ukraine ihre eigene Infrastruktur zerstört, um Russland zu schaden.
Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.
Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.