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In der Falle

In der Falle

Die Corona-Krise hat bei vielen große Hoffnungen entfacht, aber mal ehrlich: Wir sind total am Arsch.

Woher dieser Mut kam? Schwer zu sagen. Eventuell ist es so ein irrationaler Affekt, der sich bei zu langer Quarantäne einstellt. Nüchtern betrachtet gibt es da keine Hoffnung; einen heilsamen Schock, von dem vermutlich bei dieser These ausgegangen wird, gibt es distanziert betrachtet nicht. Schon gar nicht als kollektives Einvernehmen. Er existiert bestenfalls bei Individuen, wenn sich der erste Herzinfarkt einstellt und man nun ahnt, dass man von jetzt ab besser auf sich achten muss. Aber selbst da ist der Schock nicht garantiert heilsam.

Als wir sesshaft wurden

Die Geschichte der Menschheit ist, anders als Hegel und sein Geschichtsverständnis es künden, eine Geschichte des Niedergangs. Nicht des Menschen selbst freilich — aber seines Umfeldes. Er machte sich von Anfang an die Welt untertan. Dass diese Sentenz in die Bibel floss, war übrigens nur logisch. So verliehen sich die Menschen ein transzendentes Gebot, konnten sie zum Himmel zeigen und sagen, der da oben wolle es nun mal auf diese Weise.

So waren die Menschen von Anfang an? Eigentlich stimmt das nicht. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari beziffert den Beginn des Niedergangs mit einem Ereignis. Es ist zeitlich nicht ganz eindeutig zu erfassen, es ist mehr ein Prozess als ein Ereignis: Die Sesshaftwerdung. Als der Mensch begann, nicht mehr jagen, sammeln und weiterziehen zu wollen, als er Getreideanbau entdeckte, war die Entwicklung angeschoben. Von da an nahm er Einfluss auf seine Umwelt.

Übrigens unter Inkaufnahme gravierender Nachteile. Die Kalorienzufuhr sank, die Getreideunverträglichkeit belastete die Verdauung und die festen Lebensmittelpunkte wurden zu Brutstätten von Krankheiten. Die Jäger und Sammler aus der Zeit davor kannten das noch nicht.

Die Sesshaftwerdung bestimmte von da an, wie sich die Menschheit entwickelte. Sie spezialisierte sich, benötigte Priester, Militärs, Fachleute für die Nahrungsgewinnung. Man erfand Erleichterungen, wuchs unter nach wie vor schlechteren Bedingungen als im Nomadentum, beutete Natur und Tier aus, vermehrte sich immer noch weiter. Und ehe wir uns versahen, fuhren wir mit Automobilen auf asphaltierten Straßen zur Arbeit an einem Flachbildschirm, luden Mobiltelefone auf und flogen zur Erholung um die halbe Welt.

Natürlich hat die Industrialisierung in den letzten Augenblicken unserer menschlichen Existenz dem Abenteuer nochmal einen Schub gegeben. Denn so schnell wuchsen wir noch nie.

Das letzte Aufbäumen der industriellen Zivilisation?

Für Harari gestaltet sich unser Dilemma nun so, dass wir als eigentlich nomadisch angelegte Wesen in ein Lebensmodell geraten sind, das Konsequenzen zeitigt, die wir kaum steuern können. Wir sind dieser Art zu leben ausgeliefert.

Als entfremdetes Tier haben wir den Bezug zu unserer Umwelt verloren und uns selbst zur Krone der Schöpfung oder Evolution ernannt, was unseren Anspruch, die Welt auszubeuten und uns als natürliche Kreatur abzuheben, legitimierte.

Die Kollapsologen, die sich besonders in Frankreich als Bewegung formieren und die den Zivilisationszusammenbruch nicht nur erwarten, sondern ihn sich auch erwünschen, sehen das Grunddilemma der Menschheit wie der israelische Autor in der Sesshaftwerdung. Für sie ist klar, dass wir nicht auf dem technologischen Stand von heute verweilen können: Wir werden verzichten müssen. Und das ganz massiv. Städte müssen schrumpfen, Strom eingeteilt werden. Und eine Alternative zu fossilen Brennstoffen? Gibt es in Zukunft so wenig wie die daran hängende Individualmobilität.

Das Buch „Wie alles zusammenbrechen kann“ von Pablo Servigne und Raphaël Stevens wurde bereits 2015 zum Bestseller in Frankreich. Beide Autoren sind Kollapsologen der ersten Stunde. Servigne ist sich sicher, dass wir derzeit das letzte Aufbäumen der industriellen Zivilisation erleben. Die Zukunft wird eine andere sein. Sie wird nicht mal auf den Fundamenten des heutigen Systems entstehen — jedenfalls nach kollapsologischer Lesart.

Der Pessimismus der Bewegung scheint mir aber zu optimistisch zu sein. Er geht nämlich davon aus, dass Schocksituationen in einen heilsamen Prozess münden. Dass das zwangsläufig so sein muss, ist aber weder bewiesen noch bestätigt es sich aus der historischen Warte heraus. Ein Zusammenbruch rückt vielleicht in greifbare Nähe, wenn Versorgungslagen gefährdet sind. Aber das scheint momentan nicht das Grundproblem zu sein. Diese Welt könnte 12 Milliarden Menschen ernähren — das hat Jean Ziegler uns schon vor Jahren erläutert.

Eventuell ist der Ansatz der Franzosen einfach nur ein eitler Eskapismus, eine neue Form jenes Weltrevolutionsgedankens, den die alten Sozialisten pflegten und den sie wie Christen als fernen Fixpunkt eines späteren Weltgerichts vor sich herschoben. Wenn man glaubt, braucht man ganz offenbar entrückte Szenarien, auf die man hinwirken kann, ohne ihnen jedoch zu nahe zu kommen.

Der Kollaps kommt — aber anders als die Kollapsologen meinen

Natürlich kommt eine Art Kollaps. Nur glaube ich nicht, dass er sich so radikal vollzieht, wie es die Kollapsologen glauben. Er wird nicht alles abbrechen, neu ausrichten und der Welt ein gänzlich neues, ein bescheideneres System aufdrücken. Der Kollaps kommt im System. Und er kommt großkotzig und rücksichtslos. Denn er ist systemimmanent. Wir werden erleben, wie sich unsere Städte immer mehr in dreckige Moloche verwandeln, in gespaltene Klassengesellschaften; die öffentliche Hand verwaist weiter, der Verkehr wird die Straßen weiter füllen und die Luft verpesten, der Klimawandel uns zusetzen.

Der Kollaps kommt nicht und sagt: „Jetzt macht alles anders!“ Er wird kommen und gar nichts sagen. Denn er steckt fest im Weitermachen. Das System lässt keinen Ausweg, wir werden einfach schlechterdings so weitermachen und uns zugrunde richten. Das System kennt keine Nischen, wir sind am Arsch. Sich mit weniger bescheiden: Das ist weder menschlich noch systemisch. Wir werden uns an den Dreck gewöhnen, an die klimatischen Extreme, an die dunklen und engen Städte. Freundliche Gesichter werden wir nur noch aus der Werbung kennen. Nicht aus dem Alltag. Und eine unzuverlässige Verwaltung wird die Dinge mehr schlecht als recht regeln.

Die Postdemokratie geht gestärkt aus diesem Szenario hervor. Das politische Primat baut weiter ab, Konzerne stellen Regeln auf. Wir kennen das heute schon — in Zukunft wird das noch exzessiver praktiziert.

Der Kollaps wird letztlich weniger mit dem Klima als mit dem Versagen der Politik zu tun haben.

Woher viele Menschen die Hoffnung nehmen, jetzt auf irgendeine Verbesserung zu setzen: Ich weiß es nicht. Ich kann mir die Zukunft mittlerweile nur noch dunkel denken. Menschen kommen darin als Datenströme vor, ganz im Sinne Hararis, der in Aussicht stellt, dass der Mensch von Morgen seinen ganzen Alltag datenrelevant überwacht und auf dieser Grundlage Menschsein als Big Data ausrichtet — was immer Menschsein dann noch bedeuten mag. Mit unserer Art zu denken und zu fühlen wird das dann vermutlich nur noch wenig zu tun haben.

Hoffnung ist wichtig. Auch wenn man keinen Grund hat, etwas zu erhoffen: Sie gibt dennoch Kraft und Zuversicht und macht, dass man nicht aufgibt. In dem Sinne ist es gut, dass gehofft wird. Nur eine Hoffnung für diese Hoffnung: Ich befürchte, da sieht es echt schlecht aus. Das vernunftbegabte Wesen sitzt in der Falle. Und daher glaube ich persönlich, Corona hin oder her, dass der Klimawandel und der Finanzkapitalismus nicht mehr zu ändern sind.


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