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Ich werde Gott doch nicht alles sagen

Ich werde Gott doch nicht alles sagen

Aus dem Innersten: Nicht nur die Katze möchte zurück auf Gottes Thron.

Ich werde Gott nicht alles sagen … Um Gottes willen, wozu auch? Um mir himmlischen Ärger einzufangen? Außerdem gibt es ja noch so etwas wie eine Privatsphäre. Was ich ihm schon seit Längerem verschweige, ist die Tatsache, dass ich seine Propaganda-Parole „Gott sieht alles!“ für ausgemachten Blödsinn halte. Seine Reaktion? Null! Überhaupt bleiben meine wesentlichen Fragen bisher unbeantwortet: Wieso hat er unsere Spezies aus dem Weltverständnis genommen? Warum ist die menschliche Rasse mit so viel Dummheit glasiert worden, dass sie seine Schöpfung nicht zu respektieren vermag? Die Entschuldigung, dass jeder einzelne Mensch von ihm mit genügend Empathie ausgestattet wurde, weshalb eine solche Verwerfung der göttlichen Ordnung eigentlich unmöglich schien, lasse ich nicht gelten, das hätte er wissen müssen. Was wiederum den Verdacht nahelegt, dass Gott entgegen der allgemeinen Annahme doch nicht allmächtig oder allwissend ist. Ich würde ihm das natürlich nie unter die Nase reiben.

Neulich fand ich im Internet ein Foto, auf dem eine spärlich bewachsene Wüstenlandschaft zu sehen ist. Im Vordergrund liegen zwei kreisrunde Monolithen in der Sonne und lachen sich schlapp beim Betrachten der endlosen Weite. Das kommt dem göttlichen Humor schon sehr nahe, jedenfalls klingt das steinerne Gelächter in mir noch nach. Es erfrischt mich, da ist kein Unterton enthalten.

Apropos Humor: Auf wie viel Geduld oder Verständnis darf man hoffen, wenn man dem Herrn im Überschwang einen Witz erzählt, über den wir Erdenbürger uns am liebsten totlachen möchten? Den hier zum Beispiel: Ein Hund, eine Ziege und eine Katze treten vor Gott und bitten um Einlass ins Himmelreich. „Nun gut“, sagt Gott zum Hund, „was hast du Gutes getan in deinem Leben?“ Der Hund erwidert mit treuherzigem Augenaufschlag: „Ich war meinem Menschen immer treu und habe ihm sogar einmal das Leben gerettet.“ Gott nickt anerkennend und weist Petrus an, die Pforte zu öffnen. „Und du, liebe Ziege, was hast du Gutes getan?“ „Ich habe mit meinem Menschen auf einem Berg gelebt und ihn jahrelang ausreichend mit Milch und Käse versorgt. Mäh!“ Gott tätschelt der Ziege den Kopf und gibt Petrus erneut Anweisung. „Und nun zu dir, süßes Kätzchen, erzähl.“ Die Katze schaut Gott fauchend an und zischt: „DU SITZT AUF MEINEM THRON!“

Die alten Ägypter hätten das verstanden, dort wurden Katzen als Göttinnen verehrt, ob aber Gott darüber lachen könnte? Ich weiß nicht.

Und solange ich es nicht weiß, werde ich diesen Witz auf keinen Fall in himmlische Sphären tragen. Sein Zorn kann bekanntlich unermesslich sein, am Ende müssen noch alle Katzen der Welt darunter leiden … Mit Liebe, als deren Erfinder Gott sich gerne feiern lässt, hätte das wenig zu tun.

Apropos Liebe: Darüber lässt der Herr den Apostel Paulus Auskunft geben, der in seinen Briefen an die Korinther das Hohelied der Liebe singt. Dort vergleicht er die menschlichen Qualitäten mit der göttlichen Liebe: „Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte: wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts.“

Habe ich das richtig verstanden? Unser aufgeblasenes, von Eitelkeit durchtränktes Gedöns hier auf Erden entpuppt sich letztlich als NICHTS? Demnach haben wir nichts in der Hand, unterwegs nicht und auch nicht am Ende unserer Reise. „Die Liebe ist langmütig“, heißt es bei Paulus weiter, „die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach.“ „Gott ist tot!“, schreit Nietzsche dazwischen. „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unseren Messern verblutet.“

Nietzsches gebrüllte Anklage ist in Wahrheit eine aus tiefstem Herzen empfundene Liebeserklärung an das Leben, an den Geist des Lebens, an den heiligen Geist. Oder nicht? Das würde ich Gott gerne fragen. Da er aber auf arrogante Weise schweigt (Ohottogott, sag ihm das nur nicht!), halte ich mich an Friedrich Schiller, der hat Antwort genug: „Die Natur ist ein unendlich geteilter Gott.“ Und schon hören wir Nietzsche wieder schreien: „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet!“

Rainer Maria Rilke hält dagegen. Dem Dichter ging es darum, Gott zu entmenschlichen, ihn aus der Gerüchteküche zu befreien, wo ihm tausend Etiketten angeheftet wurden. Für Rilke ist Gott der Atem des Universums, der alles durchdringt und in jedem Moment unmittelbar erlebbar ist. Kennt Gott Rilke? Weiß er um die Traurigkeit eines Poeten, kümmert er sich um diese Leute oder hat er Besseres zu tun? Wie zum Beispiel eine aus der Balance geratene Galaxie wieder einzugliedern in den kosmischen Reigen oder dergleichen.

Da frage ich mich, ob ich meine kleinen Verfehlungen, Zweifel und Sorgen tatsächlich bei ihm abladen darf, wie im Matthäus-Evangelium empfohlen: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch erquicken!“ Schon mal was von falschen Versprechungen gehört? Auf keinen Fall gestehe ich die Mordgedanken, die mich mehr und mehr zu quälen beginnen. Wenn Gott wüsste, wie viele seelenlose Gestalten des globalen Polit-Packs ich umzubringen beabsichtige, könnte er auf den Gedanken kommen, dass ich ihm ins Handwerk pfuschen möchte. Würde ich gerne, passiert ja nichts in der Richtung.

Ich bin auf dem Weg zum Einwohnermeldeamt, meinen Pass abholen. Die Menschen, denen ich begegne, tragen ihre Körper durch die Zeit, mehr passiert nicht. Es sei denn, ihre Energien verknoten sich ohne ihr Wissen zum Desaster.

Auf diese Weise entstehen Kriege, und die Kriege unserer Epoche schlagen anders zu als noch zu Nietzsches Zeiten. Aber auch ohne Desaster: Für unser aller Abgang ist gesorgt. Wir dünnen alle aus — wir alle schwinden, schrumpfen, verblassen.

„Leben ist ein riesiges Verlieren“, schreibt der englische Autor Martin Amis (Pfeil der Zeit). „Wir alle verlieren, verlieren die Mutter, den Vater, die Jugend, die Haare, die Zähne, die Freunde, die Liebhaber, die Form, den Verstand. Legen wir das Leben ad acta. Lasst uns was anderes versuchen …“ Warum tut Gott uns das an? Ist doch hundsgemein, oder nicht? Allerdings werde ich den Teufel tun, ihm das zu sagen.

Himmel, was war das denn!? Über mir ein Kreis besorgter Gesichter. Ich muss gestolpert sein. Rechts von mir steht ein Gelenkbus der Hamburger Verkehrsbetriebe quer und in Reichweite. „Da haben Sie verdammtes Glück gehabt“, sagt der Mann, der mir aufhilft. Wie bringt man Glück mit Verdammnis in Verbindung? Ich klopfe den Dreck von der Hose, bedanke mich und gehe zitternden Schrittes auf die andere Straßenseite, während der Bus wieder in die Spur kommt. Ich hingegen bleibe stehen, lass mich von der Sonne blenden und suche krampfhaft nach einer Anrede, finde aber keine. „Es gibt etwas, dass ich DIR schon immer sagen wollte“, murmel ich schließlich verlegen, „danke, dass du bei mir bist.“ War das so schwer, Fleck? Dass ich mir bei dieser Begegnung fast das Herz verbrannt hätte, sage ich ihm nicht, ist Privatsache.


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