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Gemeinsam weiterkommen

Gemeinsam weiterkommen

Besinnen wir uns auf die heilende Wirkung von Verbindung, damit das Trennende nicht immer weiter Raum greift.

Isolation, Einsamkeit, Trennung — wir leben immer vereinzelter. Immer mehr Menschen ziehen es vor, Netflix-Serien zu schauen und ihre Abende vorm Bildschirm zu verbringen, als sich mit Freunden zu treffen. Der zunehmende Rückzug in die eigene Blase bereitet uns darauf vor, was bereits in den kommenden Jahren umgesetzt werden soll: Eingesperrt in 15-Minuten-Städten, isoliert in Homeoffice und Homeschooling, von Drohnen mit dem beliefert, was wir zum Leben brauchen, lassen wir die Wirklichkeit zugunsten einer virtuellen Realität hinter uns und geben uns damit zufrieden, Haus oder Wohnbox immer weniger zu verlassen.

Lange schon wissen viele von uns nicht mehr, mit wem sie Tür an Tür leben. Von Anfang an werden wir darauf vorbereitet, möglichst viele Verbindungen zu kappen. Fast jedes dritte Kind in Deutschland kommt per Kaiserschnitt zur Welt und durchläuft nicht den natürlichen Trennungsprozess durch den Geburtskanal. Früh wird die Mutter-Kind-Beziehung, die erste und wichtigste Bindung, die ein Mensch in seinem Leben erfährt, durch die Gepflogenheiten eines zunehmend von Technik bestimmten Lebens unterbrochen.

Etwa 75 Prozent der Mütter fangen in Deutschland mit dem Stillen an. Im sechsten Lebensmonat stillen nur noch etwa 20 Prozent der Mütter ihre Babys (1). Bereits vor ihrem dritten Lebensjahr werden über 35 Prozent der Kinder in Tageseinrichtungen untergebracht (2). Trotz steigender Betreuungszahlen ist der Bedarf noch nicht gedeckt. Längst reicht ein Verdiener nicht mehr aus, um eine Familie zu ernähren. Jede fünfte Familie in Deutschland ist alleinerziehend. 80 Prozent der Alleinerziehenden sind Mütter, die sich als Geringverdienerinnen durchschlagen müssen und nur wenig Zeit für ihre Kinder aufbringen können (3).

In vielen Familien wird nicht gemeinsam gegessen. Es gibt nur wenige Gelegenheiten, in denen Gemeinschaft gepflegt wird. Das Smartphone ersetzt Familie und Freunde. Zusammen spielende Kinder sind im Straßenbild eine Seltenheit.

Ob im öffentlichen oder im privaten Raum: Allerorts dominieren über Bildschirme gebeugte Köpfe. Gemeinsame Räume werden kaum entwickelt und bestimmte Menschengruppen immer unsichtbarer. Kinder werden in Kinderzimmer und Krippen abgeschoben, Kranke in Krankenhäuser und Alte in Altenheime.

Seit den Corona-Lockdowns ist es noch normaler geworden, uns zu isolieren und von anderen abzuschneiden. Gesichter verschwinden hinter Masken, und Menschen in Spezialeinrichtungen. Gleichzeitig kommen Themen wie Narzissmus und toxische Beziehungen in Mode und bestätigen, was uns seit Jahrtausenden eingetrichtert wird: Der Mensch ist des Menschen Wolf, von Anfang an schlecht, eine mehr oder weniger defekte Maschine, die nur durch den Fortschritt der Technik noch zu etwas nutze ist.

Der Krebs der Gesellschaft

Gleichzeitig werden wir immer kränker. Immer sichtbarer wird, wie schwer die Isolation auf uns lastet. Trennung macht krank. Wenn die Verbindungen gekappt sind, wenn es nicht mehr zwischen uns fließt, dann entsteht Ungleichgewicht. Auf der einen Seite bildet sich ein Zuviel, auf der anderen ein Zuwenig. Blasen entstehen, Tumoren gleich, die es verlernt haben, mit ihrer Umgebung zu kommunizieren. Etwas hat sich vom Ganzen abgespalten und beginnt, nach eigenen Regeln zu funktionieren.

Die Informationen werden nicht mehr weitergegeben, die notwendig sind, damit das Ganze reibungslos funktioniert und immer wieder in ein neues Gleichgewicht finden kann. Unsere Antwort darauf ist, die Verbindungen noch mehr zu unterbrechen. Anstatt Bedingungen dafür zu schaffen, dass die Dinge wieder in den Fluss kommen, fahren wir schweres Geschütz auf und ziehen in den Krieg. Was wir uns damit antun, das sehen wir: Krebs ist dabei, zur Todesursache Nummer eins zu avancieren.

Turbokrebs bei immer jüngeren Menschen, chronische Erkrankungen ab Kindesalter, Herzinfarkte bei Babys — in aller Offensichtlichkeit macht uns das Leben, das wir gewählt haben, krank. Wenn wir individuell und kollektiv gesund werden wollen, dann müssen wir etwas ändern. Wir müssen den Mut fassen hinzuschauen, was die zunehmende Trennung in uns bewirkt. So können wir erkennen, wie wichtig das Verbindende für unser Leben ist.

Fürs Leben lernen

Trennung macht krank. Verbindung heilt. Es kann Leben retten, wenn wir uns gegenseitig zuhören und dazu ermutigen, das auszusprechen, was uns am Herzen liegt, über die Leber gelaufen ist, auf den Schultern lastet, in den Rücken schießt oder die Luft zum Atmen nimmt. Nichts, so die Psychotherapeutin Verena König, wirkt heilender als ein „Ich sehe dich. Ich glaube dir. Ich bin bei dir“ (4).

Diese Kraft gilt es zu aktivieren. In Zeiten des grundlegenden Wandels, wie wir sie gerade erleben, können wir uns zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden: entweder alleine untergehen oder gemeinsam vorankommen. Wer sich für die zweite Lösung entscheidet, hat viel vor sich. Wir müssen in gewisser Weise wieder in die Schule zurück. Nicht in eine Schule, in der wir in Klassen eingeteilt und benotet werden, in der unsere Einzigartigkeit und unsere besonderen Talente unterdrückt und wir zu Einzelkämpfern ausgebildet werden, sondern eine Schule, in der wir lernen, uns miteinander auszutauschen, zu teilen und in Frieden zusammenzuleben.

Wir brauchen eine Schule, in der wir nicht gegeneinander ausgespielt werden und uns unsere kostbare Lebenszeit stehlen lassen, sondern eine Schule, in der wir lernen, was gleichermaßen dem Einzelnen und dem Kollektiv dienlich ist. Denn eines bedingt das andere. Beide wirken zusammen und befruchten sich gegenseitig.

Wie geht Frieden? Wie schaffen wir es, Gemeinschaften zu bilden, in denen niemand den anderen bevormundet, dominiert, ausbeutet oder bekämpft? Wie kann es uns gelingen, einander nicht zu beurteilen und abzuwerten, sondern uns ohne Vorbehalte zuzuhören, ausreden zu lassen und wohlwollend zu begegnen? Wie schaffen wir es, an der Beziehung zu arbeiten und nicht an der Erziehung des anderen? Wie vermeiden wir Vorurteile und Projektionen? Wie schaffen wir die Basis dafür, einander wirklich zu begegnen und gemeinsame Sache zu machen?

Jahr der Schlange

Die Zeit ist reif. In den vergangenen Jahren sind viele von uns in sich gegangen und haben in sich für mehr Klarheit gesorgt. Wir haben erfahren, was wir nicht wollen. Nun geht es daran, das aufzubauen, was wir wollen. Der Moment ist gekommen, in dem wir unsere Energien nicht mehr von Katastrophenmeldungen absaugen lassen, sondern uns auf das besinnen, was uns in den vergangenen Jahrtausenden regelrecht abtrainiert wurde: unsere Schöpferkraft.

In der chinesischen Kultur hat am 29. Januar das Jahr der Schlange begonnen. Die Schlange wird mit Weisheit, Intuition und Anpassungsfähigkeit assoziiert und symbolisiert die Transformation und Erneuerung des Menschen. Im aktuellen Zyklus ist die Schlange dem Element Holz zugeordnet, das wiederum Wachstum, Stabilität und Kreativität symbolisiert. Schlange und Holz schaffen gemeinsam ein Jahr, das von persönlicher Entwicklung, langfristigem Denken und der Fähigkeit geprägt ist, Möglichkeiten zu erkennen und zu nutzen (5).

Die Schlange ist dabei, sich zu häuten. Es ist ein anstrengender Prozess, nicht immer schön anzusehen. Doch um diese Haut müssen wir uns nicht mehr kümmern. Sie wird verschwinden. Wenn die alte Haut geht, sind wir darunter nicht nackt. Eine neue Haut hat sich bereits gebildet, die den Körper schützend umhüllt. An dieser neuen Haut gilt es nun zu arbeiten. Hierzu müssen wir nicht das Puder neu erfinden. Es gibt bereits vieles, was wir als Inspiration nutzen und dem wir uns anschließen können.

Commons

Auf der ganzen Welt entstehen sogenannte „Commons“ — Ressourcen, die aus gemeinsamen und selbstorganisierten Prozessen hervorgehen. Der Begriff leitet sich vom lateinischen Wort cum munus ab: gemeinschaftlich. Er grenzt sich vom Tätigsein für einen Markt in Form von Lohnarbeit und staatlichen Aufgaben ab und bezieht sich auf bedürfnisorientierte Prozesse, die gemeinschaftlich durchgeführt werden. Der Commons-Begriff ist wie eine Brille, mit der sichtbar gemacht wird, was meist unsichtbar ist, weil es nicht in die üblichen Wirtschaftsschemata fällt (6).

Es ist die Gruppe selbst, die sich organisiert und reguliert und für eine angemessene Verteilung der Ressourcen sorgt. Ressource kann dabei alles Mögliche sein: Wissen, Lebensmittel, Wohnraum, Gegenstände, Energiequellen, Wasser, Land und vieles mehr. Commons sind eine fundamentale Form des Wirtschaftens, so alt wie die Menschheit. Sie öffnen Raum für Praktiken, die Selbstwirksamkeit, Inklusion und gegenseitige Anerkennung fördern, und helfen durch die gemeinschaftliche Nutzung und Wiederverwendung Ressourcen zu schonen.

Commons-Zentren gibt es überall in Deutschland und auf der ganzen Welt (7). Jeder kann sich einbringen. Die Fragen, die wir uns zu stellen haben, sind: Was habe ich zu geben? Was möchte ich gerne mit anderen teilen? Was möchte ich lernen? Das können wir auch tun, wenn es in unserer Nähe kein Common-Zentrum oder eine andere Gemeinschaft gibt. Wir können sie selber schaffen, dort, wo wir jetzt gerade sind.

Klein anfangen

Ich lebe in einem kleinen Winzerort im Süden Frankreichs, in dem es außer einem Briefkasten und einem Kirchturm nicht viel gibt. Ich wohne gegenüber dem Kirchturm, auf dem Platz des Dorfes, der einmal pro Woche dadurch belebt wird, dass ein Austernwagen aus Bouzigues vorfährt (8). Und ein wenig durch mich. Es liegt mir am Herzen, Räume zu schaffen, in denen Menschen sich treffen und kennenlernen können. Der Platz vorm Haus, meine Garage und mein Garten sind hierfür ideal.

Einmal im Monat kommt ein Foodtruck aus Pézenas. Ich sorge für Tische und Stühle, Wärme und eine schöne Atmosphäre und ermuntere die, die kommen mögen, ihre Musikinstrumente mitzubringen. Manchmal gibt es Konzerte im Garten und manchmal Kino in der Garage. Das war schon so in den 50er Jahren, als ein Bettlaken gespannt wurde und jeder seinen Stuhl mitbrachte.

Heute ist es so einfach wie damals. Man muss es einfach nur machen. Zu verlieren hat man nichts. Dem, was sich daraus vielleicht noch ergibt, sind keine Grenzen gesetzt.

Eine Tauschbörse? Ein Atelier? Ein Café? Ein Literatursalon? Eine Gemeinschaftsküche? Ein Chor? Wenn erst die Menschen zusammenkommen, dann beginnt es zu fließen. Dann werden wir wieder heile. Die Freude kommt zurück — und das Gefühl, Teil eines Ganzen zu sein und zu einer Gemeinschaft dazuzugehören. Wir sind nicht mehr allein. Das Leben bekommt wieder einen Sinn.

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Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/gesunde-ernaehrung/schwangerschaft-und-baby/stillen-in-deutschland.html
(2) https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/zahl-der-kinder-in-der-kindertagesbetreuung-weiter-gestiegen-243104
(3) https://www.buerger-geld.org/news/familie/familienbericht-2025-jede-fuenfte-familie-alleinerziehend-oder-getrennt-mehr-geld/
(4) Verena König: Trauma und Beziehung, Arkana 2024
(5) https://www.deutsche-import-gesellschaft.de/2025-das-jahr-der-schlange/#:~:text=Im%20Jahr%202025%20fällt%20es,reisen%2C%20um%20gemeinsam%20zu%20feiern.
(6) https://commonszentrum.de
(7) https://commonszentrum.de/index.php/in-deutschland/
(8) Kerstin Chavent: Und freitags kommt der Austernwagen, BoD 2019

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