Nach den Hanauer Morden eines Terroristen mit rechtem Hintergrund ist das erste die Trauer und Solidarität mit allen Betroffenen. Neben den Hinterbliebenen sind das alle, die nun mehr Angst haben, sich in der Öffentlichkeit dieses Landes zu bewegen. Das werden immer mehr Menschen. Es erinnert an die Weimarer Zeit, als die Kommunisten die Rote Hilfe Deutschland gründeten, auch um sich nach Angriffen unter anderem auf Demonstrationen besser zu schützen. Wenn man sich in der Republik zu Beginn der 1920er Jahre umblickt, fallen einem zum heutigen Geschehen – also 100 Jahre später – Parallelen auf, die eine Mahnung sein müssen.
Karl Marx schrieb dazu 1852 diese Beobachtung auf:
„Hegel bemerkt (...), daß alle großen weltgeschichtlichen Thatsachen und Personen sich so zu sagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce“ (1).
Das mit der Farce passt zu der Tatsache von inzwischen über 270 Morden aus dem Lager der Rechten nicht. Aber was ist mit dem Spruch, den man immer wieder beschwörend hört, Berlin sei nicht Weimar?
Die Welt vom 21. Februar 2020 berichtet in einem Artikel zum rassistischen Terrorangriff in Hanau in der Szene über das ideologische Umfeld, bei dem sich der Rassist bedient habe. Der Bericht zitiert aus dem Begründungstext des Massenmörders Anders Breivik, mit dem er seine Massaker zu legitimieren versucht. Die Kritik der Nazis und damit auch die von Anders Breivik richtet sich unter anderem gegen den von ihnen so genannten „Kulturmarxismus“. Er sei hauptsächlich von Georg Lukacs und Erich Fromm verbreitet worden.
Die Kritik wendet sich ebenso gegen eine sogenannte „Umwertung aller Werte“ durch den Feminismus, in dessen Kontext „die moderne Frau (...) Ergebnis einer revolutionären Weltverschwörung“ sei. Die Wurzel allen Übels sei die Ideologie von Friedrich Engels und Karl Marx. Auch der Mörder von Christchurch in Neuseeland hatte seine Erklärungen in diesen Zusammenhang gestellt:
„Von dort kommen Breivik oder der Mörder von Christchurch auf die Idee, die westliche Frau werde absichtlich auf einen solchen Pfad geführt – denn Emanzipation bedeute, dass Frauen weniger Kinder bekommen, und genau dies sei das Ziel der geheimen Mächte beziehungsweise der Islamisten, die angeblich den Westen demografisch überwältigen wollen. Der Mörder von Christchurch beginnt sein ‚Manifest‘ mit den Worten ‚Die Geburtenrate. Die Geburtenrate.‘“ (2).
Auch Hitler hatte seine Gedankengebäude gegen den Marxismus entwickelt, als er von einer seiner Ansicht nach jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung fabulierte.
Er gewann den Industrieclub in Düsseldorf in einer zweistündigen Rede am 27. Januar 1932 unter anderem mit diesem Ziel:
„Und wenn man uns unsere Unduldsamkeit vorwirft, so bekennen wir uns stolz zu ihr – ja, wir haben den unerbittlichen Entschluß gefaßt, den Marxismus bis zur letzten Wurzel in Deutschland auszurotten“ (3).
Das verfehlte seine Wirkung nicht: Der Unternehmer Jost Henkel äußerte in einem Gespräch mit Charles W. Thayer nach dem Krieg:
„Ob wir heute anders sind, als wir 1933 waren? Ich glaube nicht, dass wir jemals so schlecht waren, wie Sie meinen. (...) Wir waren nicht für die Nazis, sondern gegen die Kommunisten. Von den Dutzenden von Parteien, die vor 1933 im Reichstag saßen, gab es nur eine hundertprozentig antikommunistische Partei, und das war die Nazipartei. Als uns Hitler 1932 erklärte, daß er mit den Kommunisten aufräumen würde, entschlossen wir uns, ihn zu unterstützen. Wir stellten uns vor, dass wir dem kleinen Komödianten die Giftzähne ziehen könnten. Unglücklicherweise war er nicht ganz so komisch. (...) Aber das war kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Schließlich begehen auch amerikanische Geschäftsleute gelegentlich Irrtümer“ (4).
Der Bankier Kurt von Schröder äußerte sich im Prozess gegen die IG Farben, die das Giftgas Zyklon B zur Vergasung an den NS-Staat für die industrialisierte Massentötung verkaufte:
„Als die NSDAP am 6. November 1932 einen ersten Rückschlag erlitt und somit also ihren Höhepunkt überschritten hatte, wurde eine Unterstützung durch die deutsche Wirtschaft besonders dringend. Ein gemeinsames Interesse der Wirtschaft bestand in der Angst vor dem Bolschewismus und der Hoffnung, dass die Nationalsozialisten – einmal an der Macht – eine beständige politische und wirtschaftliche Grundlage in Deutschland herstellen würden“ (5).
Die antimarxistische Kontinuität seit Weimar ist eine gefährliche Zeitbombe. Zwar empfängt die AfD bislang nicht in dem Ausmaß, wie es für die NSdAP bekannt ist, Spenden von Millionärs- und Unternehmerseite, aber eine Spende von 7 Millionen als Erbschaft nach dem Tod eines Ingenieurs ist eine der höchsten Zuwendungen an eine Partei in der deutschen Nachkriegsgeschichte, und dubiose Zuwendungen von Firmen aus der Schweiz, die zudem gegen das Parteiengesetz verstoßen, sind als Warnsignal zu verstehen, wohin die Entwicklung aufgrund von gemeinsamen Interessen gehen kann (6).
Die kleine, aber einflussreiche Werte-Union in der CDU geht weiter, als es FDP und CDU in Thüringen bei der Wahl des Kandidaten Kemmerich getan haben, und sie plädiert dafür, dass sich die CDU eine Zusammenarbeit mit der AfD offenhält (7).
Die AfD ist einerseits ein willkommenes Instrument für die neoliberalen und NATO-unterstützenden Parteien, auf ganz rechts zu zeigen und sich dann von diesen Extremisten positiv abzuheben, aber andererseits ist die AfD ein Kind auch des Antikommunismus, des Militarismus mit der Betonung des Stolzes auf die Wehrmacht, die den zweiten Weltkrieg ausgelöst und die dieses Kriegsverbrechen treu bis zur Befreiung durchgezogen hat.
Diese Haltungen finden sich auch in der Mitte des sogenannten bürgerlichen Lagers zwischen Konservativismus und Reaktion (8).
Versuche, eine Zusammenarbeit zu entwickeln und zu institutionalisieren, gibt es immer wieder. Ein wenig bekanntes, aber besonders prominentes und brisantes Beispiel ist Frankenstein bei Kaiserslautern. Dort gab es 2019 Bestrebungen nach einer Fraktionsgemeinschaft von CDU und AfD (9). Auch die Sprache ist in vielen Äußerungen aus der CDU/CSU andockfähig für das rechte Lager, das bis in die Gewaltszene hinein ideologische Elemente übernehmen kann, so etwa die Formulierung des Innenministers Seehofer, die Migrationsfrage sei die Mutter aller Probleme (10). Die Wortwahl ist in ihrer Wirkkraft nicht weit von der Rhetorik des AfD-Antrages von 2018 entfernt, in dem sie einen Untersuchungsausschuss zur Flüchtlingspolitik forderte und dabei von einer sogenannten Umvolkung, also einer absichtsvollen demographischen Umwälzung der Zusammensetzung dessen, was sie Volk nennen, sprechen. Gewalttäter sehen sich dann berufen, dies auch mit Terror zu verhindern (11).
Die gemeinsame Wahl von Thomas Kemmerling im Landtag von Erfurt war zudem mit ein Ergebnis, das viele Konservative, wie in der Geschichte aufgrund des Antikommunismus, mit dem Bild verknüpfen, die Rechten – das reicht bis zum Faschismus – seien als Radikale oder Extremisten ebenso abzulehnen wie die Linken. Man grenzt sich dann gerne von Extremisten jeglicher Couleur ab. Das tut die AfD allerdings in ihrer Propaganda auch (12).
Es reicht alles in allem nicht, sich gegen Faschisten, gegen die AfD, gegen Rassismus und Gewalt zu wenden, sondern das demokratische Engagement verlangt auch die Kritik an jenen, die das Klima für die Rechte schaffen. „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ (13) – diese Worte von Bertold Brecht sind in mehrfacher Hinsicht zutreffend: Bertold Brecht meinte damit nicht nur die Gefahr, die durch den Geburtskanal das Licht der Welt erblickte und verdunkelte. Sein sprachliches Bild betrifft ebenso den Schoß als Wachstumsquelle für den Faschismus, dazu zählt unter anderem die Verrohung der Sprache, auch die Verharmlosung der Brandbeschleuniger sowie das wiederholte Zusammenwirken mit der Rechten nicht nur in Erfurt, wodurch sie in der sogenannten „Mitte“ der Gesellschaft immer weiter hoffähig gemacht werden sollen.
Man erinnere sich: Nach Halle gewann die AfD in Thüringen mehr Stimmen als die CDU und war damit hinter der LINKEN zweitstärkste Partei. Das ist auch das Ergebnis der Versuche der Antikommunisten, Links und Rechts gleichzusetzen.
Die demokratische Antwort auch und gerade nach Hanau ist konsequent antirassistische Politik, die die Würde des Menschen für alle Angehörigen von Minderheiten schützt und verteidigt, die die Bildung systematisch fördert und auch über die Vorgeschichte des deutschen Faschismus bis 1933 aufklärt, die auch die unsägliche Abschiebepolitik beendet, die Abstiegsängsten durch Sozialpolitik und Tarifrecht entgegenwirkt und die darüber aufklärt, dass Kriege die weltweite Tragödie der Flüchtenden anfeuern.
Das eigene demokratische Profil darf nicht in erster Linie eine Abgrenzung nach rechts sein, sondern es muss eine soziale, humanistische, ökologische und pazifistische Eigenständigkeit aufweisen, die die Menschen dazu animiert, sich für ihre Interessen einzusetzen und nicht gegen andere.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. New York 1852, S. 1 Web-Quelle: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1852/brumaire/kapitel1.htm
(2) Die Welt, 21.02.2020
(3) http://www.tenhumbergreinhard.de/taeter-und-mitlaeufer/dokumente-hitler-adolf/rede-hitlers-vor-dem-industrie-club-in-duesseldorf.html
(4) Charles W. Thayer, Die unruhigen Deutschen, Stuttgart 1958 (Alfred Scherz Verlag) Thayer war als US-Diplomat Landeskommissar der Alliierten Besatzungsmacht für Bayern
(5) https://www.ns-archiv.de/krieg/1933/04-01-1933.php
(6) https://www.lobbycontrol.de/2020/01/illegale-afd-spenden-rote-karte-fuer-meuthen/
+ https://www.stern.de/politik/deutschland/afd--alice-weidel-nach-dubioser-parteienspende-aus-der-schweiz-unter-druck-8442970.html
+ https://www.n-tv.de/politik/Millionaer-vererbt-AfD-gesamtes-Vermoegen-article21575281.html
(7) https://www.welt.de/newsticker/news1/article197505229/AfD-Werteunion-will-Zusammenarbeit-zwischen-CDU-und-AfD-nicht-ausschliessen.html
(8) https://taz.de/Nazi-Kontakte-des-CDU-Mannes-Moeritz/!5650838/
(9) https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/kaiserslautern/Gegen-den-Willen-der-Christdemokraten-Moegliche-Fraktion-aus-CDU-und-AfD-in-Frankenstein-sorgt-fuer-Aerger,afd-cdu-100.html
(10) Spiegel, 06.09.2018
(11) https://www.welt.de/politik/deutschland/article176846055/Asyl-und-Migrationspolitik-AfD-stellt-Antrag-fuer-Untersuchungsausschuss-vor.html
(12) https://www.verfassungsschutz.bayern.de/ueberuns/medien/aktuelle_meldungen/vorstellung-bayerischer-verfassungsschutzbericht-2018/
+ So Alexander Gauland nach Ausschreitung einer Demonstration gegen das Verbot von linksunten indymedia Ende Januar in Leipzig: Es ist überfällig, den Linksextremismus entschlossen zu bekämpfen, Berlin, 28. Januar 2020
(13) https://www.landestheater-niederbayern.de/events/331
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