Wer sich auf den Weg nach einer Antwort auf die Frage macht, wo Frieden beginnt, kann zahllose Zitate zu diesem Thema finden, so zum Beispiel: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Die meisten von uns werden diesem Satz im Stillen mit einem Seufzer zustimmen. Und in chaotischen, verwirrenden, emotional aufgeladenen Zeiten wie diesen kann der „böse Nachbar“ auch der Arbeitskollege sein, dem man jeden Tag begegnet und der mit seiner politischen Meinung nicht hinter dem Berg hält — und die der eigenen leider diametral entgegensteht.
Es finden sich aber auch Zitate wie dieses von Francesco Petrarca, einem italienischen Dichter aus dem 14. Jahrhundert:
„Fünf große Feinde des Friedens wohnen in uns: nämlich Habgier, Ehrgeiz, Neid, Wut und Stolz. Wenn diese Feinde vertrieben werden könnten, würden wir zweifellos ewigen Frieden genießen.“
Oder eines von Ernst Ferstl, einem österreichischen Lehrer und Schriftsteller, geboren 1955:
„Wer mit sich selber in Frieden lebt, kommt nicht in Versuchung, anderen den Krieg zu erklären.“
Die letzten Jahre haben für mich einen gewaltigen, oft schmerzhaften Aufwachprozess dargestellt und ich habe mich intensiv mit Themen auseinandergesetzt wie Massenpsychologie, Nudging, Manipulation, mit BlackRock, dem WEF, der WHO und diversen sogenannten „Verschwörungstheorien“. Parallel dazu aber auch — noch intensiver als die Jahre davor — mit mir selber und meinem Anteil und meiner Verantwortung an dem, was um uns herum passiert. Getreu dem Satz „Das Leben ist schön — von einfach war nie die Rede“ musste ich mich der bitteren, aber hilfreichen Erkenntnis stellen, dass kein Weg daran vorbeiführt, zuallererst bei uns selber anzufangen, wenn etwas Gutes in Gang kommen soll. So regt sich bei mir beim ersten Zitat heute ein Unbehagen und ich fühle viel mehr Wahrheit in den beiden anderen Zitaten. Wie also können wir Frieden erreichen? Wo beginnt er?
Es ist ein unschätzbar wertvolles, wichtiges Zeichen, für den Frieden auf die Straße zu gehen und nicht müde zu werden, das Thema Frieden, wo immer es geht, anzusprechen: im Bekanntenkreis, in den sozialen Netzwerken, mit Aufklebern, Sprüchen auf T-Shirts, mit Postkartenaktionen, mit Leserbriefen, mit Schreiben an Politiker. Wir dürfen uns — meiner Ansicht nach — aber dabei eines genau anschauen, und das ist unsere Motivation für dieses Handeln. Denn seien wir einmal ganz ehrlich: Nur wenige von uns waren in den letzten Jahrzehnten für Frieden auf der Straße — und das, obwohl es überall auf der Welt immer und durchgehend kriegerische Auseinandersetzungen gab und gibt. So kann man bei Statista nachlesen, dass es seit dem Zweiten Weltkrieg einen permanenten Anstieg an Kriegen und Bürgerkriegen gab mit einem Höhepunkt von 53 Konflikten im Jahr 1991. Diese gingen bis zum Jahr 2010 zurück auf 31 Konflikte und sind dann wieder angestiegen — im Jahr 2015 hatten wir bereits 54 kriegerische Konflikte. Und ich war weder 1991 noch 2015 für Frieden auf der Straße ...
Auch die Zahl der Todesopfer ist unfassbar traurig und erschreckend: So wurden im Jahr 1995 circa 800.000 Menschen in kriegerischen Auseinandersetzungen durch ihre Mitmenschen getötet und auch da waren wohl nur wenige von uns zu diesem Thema aktiv — ich auf jeden Fall nicht.
Nun ist es eine vollkommen verständliche gesunde Einstellung, sich nicht für alles Leid auf der Welt verantwortlich zu fühlen und sich auch aus reinem Selbstschutz nicht permanent mit all dem Elend zu beschäftigen, das auf dieser Erde passiert. Wir dürfen uns jedoch die Frage stellen, warum das Thema Frieden für uns plötzlich eine so existenzielle Bedeutung bekommen hat. Die Antwort scheint logisch — gäbe es einen Atomkrieg, wäre das das Ende der Welt.
Aber vielleicht ist es viel profaner — würde der momentan drohende Krieg uns und unsere Liebsten doch tatsächlich direkt selbst betreffen, anders als all die anderen Konflikte, die für uns meist weit entfernte Phänomene der Zeitgeschichte sind.
Ist es nicht so, dass uns der Frieden momentan so wichtig erscheint wegen einer plötzlich erwachten Urangst vor eigenem entsetzlichem Elend und Tod?
Dies ist natürlich absolut legitim und verständlich. Wir sollten uns dessen aber sehr bewusst sein — sonst besteht aus meiner Sicht die Gefahr, dass wir von diesem Gefühl der Angst getrieben etwas ganz Essenzielles außer Acht lassen: Dass nämlich der Frieden nicht in der Ukraine, in Brüssel oder Washington, sondern in jedem von uns beginnt — und dann bei unserem Umgang mit unserem vermeintlich bösen Nachbarn weitergeht. Wir sollten uns bei all unserem Tun, unseren Aktionen für den Frieden sehr genau bewusst machen, aus welcher Haltung heraus wir handeln.
Kann es hilfreich für den Frieden sein, wenn wir angstgetrieben, verzweifelt, aus dem Gefühl der Hilflosigkeit heraus agieren? Oder können wir vielleicht die Angst, die Not und Verzweiflung zum Anlass nehmen, uns diesen für uns so oft kaum zu ertragenden Gefühlen zuzuwenden und lernen, sie anzunehmen und angemessen mit ihnen umzugehen, um uns nicht länger zu ihrem Spielball machen zu lassen?
Ich bin fest überzeugt, dass wir dem Frieden auf der Welt nur näher kommen werden, wenn wir uns auf den Weg machen, Frieden in uns zu finden. Ich zitiere den spirituellen Lehrer Eckart Tolle, der sagt:
„Öffne Deine Augen und sieh die Angst, die Verzweiflung, die Gier und die Gewalt, die alles durchdringen. Sieh die abscheuliche Grausamkeit und das Leid auf einer unvorstellbaren Skala, die Menschen einander zugefügt haben und weiterhin zufügen. Du musst dies nicht verurteilen. Beobachte es. Das ist Wahnsinn. Das ist Unbewusstheit. Vor allem, vergiss nicht, Deinen eigenen Verstand zu beobachten. Suche die Wurzel dieses Wahnsinns dort.“
Das Aufwachen aus der Unbewusstheit beinhaltet zunächst einmal die Erkenntnis, dass wir uns selber beim Denken zuschauen können. Dabei dürfen wir feststellen, dass unsere Gedanken oft weder die Wirklichkeit abbilden, noch wahr sind.
Werden wir von Angst und Verzweiflung beherrscht, ohne uns dessen bewusst zu sein, handeln wir aus diesen Gefühlen heraus — und oft wird aus dem damit verbundenen Gefühl der Ohnmacht Wut: Wir würden am liebsten unsere ignoranten Mitmenschen, die offensichtlich immer noch nicht die Dramatik unserer Lage erkennen wollen, aus ihren Häusern auf die Straße zerren, damit sie mit uns demonstrieren. Wir möchten sie schütteln und anschreien, damit sie aufwachen — ob das der Weg zum Frieden sein kann, mag bezweifelt werden.
Ich gehe davon aus, dass nur wenige Menschen mit dem Begriff des dysregulierten Nervensystems etwas anfangen können — obwohl es sehr wahrscheinlich ist, dass sehr viele von uns davon betroffen sind.
Hier kommt das Thema Entwicklungs-, Bindungs- und transgenerationales Trauma ins Spiel — ein Thema, das erfreulicherweise mehr und mehr ins Blickfeld gerät und dessen individuelle und gesellschaftliche Aufarbeitung und Heilung aus meiner Sicht einer der wichtigsten Schlüssel für eine friedlichere Welt ist. Siehe hierzu meine drei Texte bei Manova.
Wenn es uns gelingen kann, uns unserer oft uralten Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit und Wut bewusst zu werden, sie anzunehmen, sie aber nicht das Ruder übernehmen lassen, sondern mit einem bewussten, friedlichen Geist in Gespräche und auf die Straße gehen, leben wir den Frieden, den wir uns so sehr wünschen.
Wenn unser innerer Friede nicht länger davon abhängt, dass wir Hunderttausende überzeugen können, mit uns auf die Straße zu gehen, wenn wir uns ganz allein mit einem Schild an den Straßenrand stellen, nicht aus Angst und Verzweiflung und voller nicht zu erfüllender Hoffnung, sondern im tiefen Bewusstsein, hiermit ein Zeichen für den Frieden zu setzen, losgelöst von dem verzweifelten Wunsch, viele mögen es uns gleich tun — dann, genau dann können wir ein Leuchtturm sein, ein Stern in der Dunkelheit, ein wärmendes Feuer in einer oft so kalten Welt.
Strafen wir das zu Beginn zitierte Sprichwort Lügen: Akzeptieren wir, dass unser Nachbar keine Verantwortung für unseren inneren Frieden trägt und dass es uns weiter und weiter vom Frieden wegführt, wenn wir unsere Mitmenschen ändern wollen, um unsere unerwünschten Gefühle nicht mehr fühlen zu müssen. Dies bedeutet keinesfalls, jedes von Menschen verursachte Leid zu akzeptieren, ganz im Gegenteil — wir können uns jedoch für bewusstes Handeln entscheiden und uns bei allem, was wir tun, die Frage stellen: „Was für ein Mensch möchte ich in dieser Situation sein?“
Vor einigen Tagen, als ich angefangen habe, diesen Text zu schreiben, lag bei einer Lieferung, die ich bekommen hatte, eine Postkarte dabei. Auf dieser stand das folgende Zitat:
„Die Kriege in uns selbst verursachen die Kriege im Außen. Das bedeutet aber auch: Der Frieden in uns selbst verursacht den Frieden im Außen.“
Machen wir uns auf den Weg — für ein menschlicheres Miteinander und eine friedlichere Welt!
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