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Feindliche Geschwister

Feindliche Geschwister

Sind Demokratie und Marktwirtschaft gemeinsam zu haben? Teil 5/5.

Die eingangs geäußerte Vorstellung, dass Demokratie und Marktwirtschaft ein untrennbares Zwillingspaar sind, hat sich nach der Untersuchung der Grundlagen von Markt und Demokratie und dem speziellen Vergleich der Wohnsituationen in Wien und Dresden als falsch erwiesen. Tatsächlich sind hier Demokratie und Marktwirtschaft unversöhnliche Gegenspieler und schließen sich gegenseitig aus.

Das marktwirtschaftliche System ist mit den Interessen der übergroßen Mehrheit nicht vereinbar. Es beruht auf Gewalt, Unterdrückung und der Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen. Der Zwang zu unendlichem Wirtschaftswachstum führt dazu, dass menschliche Grundbedürfnisse wie Wohnen, Bildung, Wasserversorgung und Ernährung zu Waren werden. Karl Polanyi bezeichnete diesen Vorgang als „große Transformation“, in deren Folge die Wirtschaft nicht mehr der Gesellschaft dient, sondern die Gesellschaft der Diener der Wirtschaft ist.

In den fünf Teilen dieser Serie wurde deutlich, dass wir gegenwärtig nur in einer gefilterten Demokratie leben. Und solange wir die derzeitige Wirtschaftsform beibehalten, wird sich hieran nichts ändern.

Um eine ungefilterte Demokratie zu ermöglichen, führt also kein Weg daran vorbei, das Verhältnis umzukehren und die Wirtschaft in die Gesellschaft einzubetten. In einer solchen Demokratie könnte jeder Einzelne seine Persönlichkeit unabhängig von Rasse, Vermögen oder sonstigen strukturell repressiven Motiven frei entfalten. Die Menschenwürde würde dann für einen Großteil der Menschen unserer Erde nicht nur auf dem Papier existieren, sondern wäre Realität. Das aus der Menschenwürde abgeleitete Recht jedes Einzelnen auf politische Teilhabe würde eine radikale, ungefilterte Demokratie in allen Teilen der Gesellschaft, unter anderem am Arbeitsplatz und in der Schule, ermöglichen. Doch dazu braucht es vor allem folgendes:

Eine Gesellschaft, deren Recht auf Selbstbestimmung gewahrt ist. Die Gesellschaft muss politisch so konstituiert sein, dass sie Entscheidungen, die sie selbst betreffen, auch selbst fällen kann. Dazu gehört, dass der Jugend das freie Denken und die freie Entfaltung der Persönlichkeit nicht bereits in der Schule abtrainiert wird. Auch der reduzierte Kontakt mit Verdummungsangeboten wie social media, Doku-Soaps oder BRAVO ist ein Anfang. Nebenbei kann hier jeder bei sich selbst beginnen. Außerdem müssen gesetzliche Regelungen her, die die arbeitende Bevölkerung entlasten und die Verwaltung nicht durch träge Bürokratieautomaten erschweren. Ein gesetzlicher Rahmen ist nowendig, der die Durchsetzung des größtmöglichen Wohls aller zulässt.

Und es braucht eine traumafreie Gesellschaft, in der jeder Einzelne bereit ist, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und inneren Frieden zu finden. Nur dann kann wirkliche Demokratie entstehen, weil wir — befreit von unseren Traumata — gar nicht erst das Bedürfnis haben, über andere Macht ausüben zu wollen. So könnten wir uns auch gegen jegliche Autorität wehren, die uns Unrecht tut. Wir müssen die Liebe zu uns selbst entdecken und können dann mit der richtigen Mischung aus Verstand und Herzlichkeit kleine basisdemokratische, nicht profitorientierte Projekte aufbauen und uns mit anderen Menschen und deren Projekten solidarisieren.

In diesem Sinne möchte ich mit einem Zitat (1) des großen Humanisten Erich Fromm (1900 bis 1980) schließen:

„Die Einrichtung eines Systems, das eine Garantie dafür bietet, daß die Grundbedürfnisse aller befriedigt werden, bedeutet, daß herrschende Klassen verschwinden müssen. Der Mensch darf nicht mehr unter ‚Zoobedingungen‘ leben, das heißt, seine volle Freiheit muß wieder hergestellt werden, und die ausbeuterische Herrschaft in all ihren Formen muß verschwinden.“


Quellen und Anmerkungen:

(1) Fromm, Erich: Anatomie der menschlichen Destruktivität, Hamburg, 2015


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