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Ein ungeliebter Waffenbruder

Ein ungeliebter Waffenbruder

Obwohl er harsche Kritik an Israel übte, wird der türkische Präsident Erdoğan vom Westen mit Samthandschuhen angefasst. Der mögliche Grund: Man braucht ihn noch.

Am Freitag, den 18. Oktober 2024, war der US-amerikanische Präsident Joe Biden in Berlin, um sich vom deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier das große Bundesverdienstkreuz umhängen zu lassen. Dies geschah wohl in Würdigung der Leistung bei der Sprengung deutscher Infrastruktur, mit dem Ziel, den Niedergang der deutschen Wirtschaft im großen Maßstab zu beschleunigen. Anschließend stand ein Treffen zwischen Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem Programm, wobei Biden diesen laut Tagesschau „mit Lob geradezu überschüttete“. Lob wofür? Für das brave Abnicken aller US-amerikanischen Zumutungen und Forderungen, mochten sie für Deutschland auch noch so gefährlich sein, wie der Beschluss zur Stationierung von US-amerikanischen Waffensystemen, die weit nach Russland hinreichen? Mehr Demütigung geht nicht.

In den 19 Stunden, die Bidens Besuch in Berlin dauerte, dürften der deutsche Bundeskanzler und die beiden hinzugeeilten europäischen Staatsführer, der französische Präsident Emmanuel Macron sowie der britische Premierminister Keir Starmer, über die weiteren US-Planungen bezüglich Ukraine- und Nahostkrieg in Kenntnis gesetzt worden sein, insbesondere wie nach einem voraussichtlichen Wahlsieg von Donald Trump zu verfahren sei. Allerdings dürften sich entgegen anderslautenden Bekundungen die Wege der auswärtigen US-Politik unter Trump oder Kamala Harris nicht allzu grundsätzlich unterscheiden.

So oder so: Die USA werden die Ukraine aussteuern und sie hinsichtlich militärischer und finanzieller Unterstützung zur Sache der Europäer erklären.

Hier könnte Vorbild sein, wie die USA mit Libyen nach der Ermordung von Muammar al-Gaddafi verfuhren. Libyen könnte auch anderweitig als Blaupause dienen, nämlich insofern, dass heute im westlichen Teil Libyens das NATO-Land Türkei eine beherrschende militärische und wirtschaftliche Rolle spielt.

Erdogan: Freund der Palästinenser und NATO-Partner

Und schon sind wir im Nahen Osten und bei der Rolle des NATO-Partners Türkei. Es ist sicher kein Zufall, dass sich schon einen Tag nach dem Besuch des Noch-US-Präsidenten Biden der deutsche Bundeskanzler auf den Weg nach Istanbul zu einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Erdogan machte. Als Bote der USA sollte er wohl beim türkischen NATO-Partner für deren Strategievorstellungen werben.

Präsident Erdogan fällt seit Beginn des Gaza-Krieges durch seine Unterstützung der Palästinenser und seine harsche Kritik am völkermordenden Vorgehen Israels im Gazastreifen auf.

Bemerkenswert dabei ist, dass seine Aussagen kaum auf westliche Kritik stoßen; selbst beim jüngsten Treffen am 19. Oktober 2024 stellten sich Scholz und Erdogan in freundlicher Eintracht den Fotografen. Schon verwunderlich, weiß man doch, wie sensibel sonst vom Westen auf jede noch so vorsichtig geäußerte Missbilligung am gewalttätigen Vorgehen Israels reagiert wird. Erdogan darf Israel einen Terrorstaat nennen und die Hamas als Befreiungsorganisation betiteln, der er sein Beileid über die Tötung ihres Anführers, Jahya Sinwar, ausspricht. Ausgerechnet Sinwar, der im Westen als „Terrorist“ etikettiert und für den Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 verantwortlich gemacht wird. Erdogan darf das. Vielleicht, weil ihm noch eine spezielle Rolle im Nahostkonflikt zugedacht ist?

Bei den Gesprächen mit dem türkischen Präsidenten dürfte für Olaf Scholz insbesondere die Flüchtlingsproblematik im Mittelpunkt gestanden haben. Dieses in Deutschland gerade heiß diskutierte Thema wird noch einmal einen kräftigen Schub durch den gegenwärtigen Nahostkrieg erhalten, der eine verzweifelte arabischen Bevölkerung zurücklässt, deren Wirtschaft zerstört und deren Häuser von Israel in unbewohnbare Wüsten gebombt wurden. Die Türkei könnte sich als Pufferstaat betätigen — so wie sie es schon während des Syrienkriegs getan hat.

Die Türkei und die Palästinenser

Israel will um jeden Preis, und damit dem Interesse der USA dienend, den Iran als Schutzmacht der Palästinenser ausschalten. Damit würden nicht nur die Palästinenser geschwächt, sondern insbesondere auch der Libanon eindeutig der iranischen Einflusszone entzogen. Der Westen bemüht sich, Strategien zu entwickeln, die das weitere militärische Erstarken von Hamas und Hisbollah nach einem Waffenstillstand verhindern.

Doch wer könnte das militärische und politische Machtvakuum auffüllen, wenn sich der Iran wirklich verdrängen ließe? Nicht nur in den westlichen Ländern dürfte wenig Interesse daran bestehen, in das Abenteuer eines asymmetrischen Kriegs mit palästinensischen und anderen regionalen Akteuren verstrickt zu werden, während PLO-Führer Abbas bis unter die Haarwurzeln diskreditiert ist. Hier böte sich wieder einmal die Türkei an, für den Westen in die Bresche zu springen, natürlich gegen entsprechende Gegenleistungen. Erdogan, einerseits profiliert als aufrechter Kämpfer für die entrechteten Palästinenser, andererseits NATO-Partner: Bellen für die Palästinenser — beißen für die NATO!

Welche Rolle ist der Türkei zugedacht?

Ein weitergehendes Engagement in Nahost dürfte sich die Türkei teuer bezahlen lassen, mit Waffenlieferungen, aber auch mit größerem geostrategischem Einfluss — als bedeutende Mittelmacht mit Führungsanspruch in der islamischen Welt. Dies im Sinne einer Renaissance des Osmanischen Reiches, das über Jahrhunderte bis zum Ende des Ersten Weltkriegs die Vorherrschaft in der Nahostregion ausübte.

Können solche Pläne aufgehen oder spiegeln sie nicht die weitgehende Hilflosigkeit wider angesichts der Sackgasse, in der sich die westliche Nahostpolitik befindet? Weder ist der Krieg gegen die Hamas noch der gegen die Hisbollah beendet oder gar gewonnen, sondern ganz im Gegenteil haben Leid und Elend noch mehr Wut und Widerstandswillen nicht nur in der arabischen Welt hervorgerufen. Der Pakt zwischen dem Iran, Russland und auch China scheint zu stehen. Russland wird niemals bereit sein, seine Militärstützpunkte in Syrien aufzugeben, und braucht, um Präsident Assad gegen den westlichen Willen an der Macht zu halten, Irans Hilfe. Der Iran selbst dürfte mit seinen starken Verbündeten Russland und das auf sein Öl angewiesene China zwar zu bekämpfen, nicht aber zu bezwingen sein.

Daneben bleibt die Frage offen, inwieweit die Türkei bereit ist, ihr angespanntes Verhältnis zu Russland weiter zu belasten. Die Stärke der Erdogan-Politik ist es ja gerade, sich nicht eindeutig einer Seite zuzuneigen, sondern die Beziehungen zu beiden Seiten zum eigenen Vorteil zu nutzen.

Fraglich ist auch, ob arabische Länder wie Saudi-Arabien, Katar oder die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bereit sind, in der islamischen Welt die Vormachtstellung eines neuen türkischen Sultans zu akzeptieren. Die arabischen Erdölstaaten verfolgen ihre eigenen regionalen Ambitionen, vielleicht sogar im Schulterschluss mit dem Iran. Die Türkei als islamischer NATO-Joker in arabischen Ländern? Zweifel sind erlaubt.

Das Politgebaren des Westens ist der Versuch, einen Zeitsprung in die Vergangenheit als letzte Rettung ihres hegemonialen Weltanspruchs zu wagen.

Krieg gegen Iran — Untergang Israels

Das große Ziel der USA war es, den Einfluss ihres Widersachers Iran in Syrien und dem Libanon zu beenden. Der Versuch, in Syrien den mit Russland und dem Iran verbündeten Präsidenten Assad zu stürzen, ist gescheitert, während im Libanon die vom Iran unterstützte Hisbollah immer stärker wurde. Schlechte Karten für Israel, laut Robert Kennedy Jr. der „US-Flugzeugträger“ in Nahost.

Der Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 mit vielen israelischen Opfern und der Geiselnahme von über zweihundert Israelis dient seitdem Israel als Vorwand, im Gaza-Streifen Tabula rasa zu machen und sich mittels brachialer, völkerrechtsverachtender Gewalttaten der palästinensischen Bevölkerung zu entledigen — ob durch Bomben, Hunger oder Vertreibung. Die brutalen Militäreinsätze fanden Ausweitung in das Westjordanland, den Libanon und sogar nach Syrien. Auf palästinensischer Seite brachten sich der Jemen und Widerstandsgruppen im Irak ins militärische Spiel.

Obwohl es Israel gelang, die palästinensische Hamas und die libanesische Hisbollah insbesondere durch die Pager-Explosionen und die Ermordung ihrer Führungspersönlichkeiten zu schwächen, scheint ein Ende des Krieges nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil versucht Israel, das nicht nur militärisch keine durchschlagenden Erfolge vorzuweisen hat, sondern inzwischen auch wirtschaftlich extrem angeschlagen ist, Iran und damit auch die USA in den Krieg hineinzuziehen, auch wenn dies einen nicht mehr zu kontrollierenden Flächenbrand in Nahost auslösen würde. Es ist glaubwürdig, dass dies die USA unter Biden zu verhindern wünschen, könnte doch allein Irans Schließung der Meeresenge von Hormus, durch die ein Großteil des in der Region geförderten Erdöls geschleust wird, die Welt in eine Wirtschaftskrise unvorhersehbaren Ausmaßes stürzen.

Zeigen sich die Westmächte bei der Waffenproduktion und Finanzhilfe für Ukraine und Israel jetzt bereits an ihre Grenzen gebracht, dürfte sie die Aufnahme von direkten Kriegshandlungen mit einem starken Gegner wie dem Iran, der auch Russland und China zu seinen Unterstützern zählt, überfordern.

Für das kleine Israel würde so ein Krieg vermutlich das Ende bedeuten, hat sich doch gerade gezeigt, wie löchrig der israelische Iron Dome und wie beschränkt Israels Schutzmöglichkeiten sind.

Ist ein Waffenstillstand die Lösung?

Israel wäre gut beraten, in dieser Situation den Tod des Hamas-Führers Jahya Sinwar als ausreichenden „Sieg“ über die Hamas zu erklären und Waffenstillstandsverhandlungen anzustreben. Auch wenn Benjamin Netanjahu bisher darauf setzte, dass Donald Trump neuer US-Präsident wird und ihn bedingungslos unterstützt, ist dieser Krieg für Israel nicht zu gewinnen.

Die Frage ist, ob überhaupt noch auf einen Waffenstillstand gesetzt werden kann, nach all den vom Westen als „Selbstverteidigung“ gerechtfertigten israelischen Kriegsverbrechen gegen Frauen und Kinder in Gaza, die sich vor den Augen einer entsetzten Weltöffentlichkeit abspielten, sowie den Zerstörungs- und Bombenorgien, die sich nun auch auf den Libanon erstrecken. Waffenstillstand würde bedeuten, man käme auf einen Zustand vor dem 7. Oktober 2023 zurück. Was hieße dies für die Palästinenser? Im Gazastreifen wären sie weiter in ihr nun aus Ruinen bestehendes Freiluftgefängnis eingesperrt, im Westjordanland und Ostjerusalem mit Gewalt bedroht und zum Verlassen ihrer angestammten Gebiete gedrängt.

Die „Internationale Gemeinschaft“ würde wie immer die Errichtung eines Palästinenserstaates fordern, den Israel mit der Unterstützung der USA niemals zulassen wird — und von dem auch niemand weiß, wie er nach allem, was seit dem 7. Oktober 2023 geschehen ist, überhaupt funktionieren könnte. Ein palästinensischer Staat im Westjordanland und im Gazastreifen kann auch keine Lösung für das Flüchtlingsproblem sein: Wohin sollen all die vielen Palästinenser, die sich noch immer in Lagern im Libanon und in Syrien aufhalten und die darauf hoffen, eines Tages in ihre Heimat zurückkehren zu können?

Könnte die Lösung nicht eher in einem neu zu schaffenden Staat Isratine, ein ehemals von Muammar al-Gaddafi geprägter Begriff, liegen, in dem mit gleichen Rechten und Pflichten alle Staatsbürger, gleich welcher Religion oder ideologischer Ausrichtung, in Frieden zusammenleben? Auch wenn dies utopisch klingt, ist ein Umdenken angesichts der bisherigen Nahostpolitik, mit der wir nun am Rand des Armageddon stehen, dringend nötig.


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