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Ein dritter Maidan?

Ein dritter Maidan?

Wie Saakaschwili in Kiew seine Proteste organisiert.

Seit Tagen stehen vor dem ukrainischen Parlament, der Werchowna Rada, Protest-Zelte. Am 17. Oktober kamen 4.000 Anhänger von Michail Saakaschwili und Julia Timoschenko sowie „Veteranen“ der „Antiterroristischen Operation“ in der Ost-Ukraine vor das ukrainische Parlament und forderten außerordentliche Maßnahmen gegen die Korruption im Land. So soll ein Anti-Korruptions-Gericht eingerichtet und die Immunität der Abgeordneten aufgehoben werden, um Verfahren gegen korrupte Politiker zu ermöglichen.

Für den Abend des 25. Oktober hat Saakaschwili zu einer neuen Protestaktion vor der Werchowna Rada aufgerufen. Der ehemalige georgische Präsident und spätere Gouverneur von Odessa hat angekündigt, selbst in einem der Zelte vor der Werchowna Rada zu übernachten. Er forderte andere Oppositionspolitiker auf, seinem Beispiel zu folgen.

Ein dritter Maidan?

In den Medien ist schon von einem „dritten Maidan“ die Rede. Doch beteiligen sich an den jetzigen Protesten nur ein paar Tausend Menschen und nicht 100.000 wie zu Zeiten der Maidan-Demonstrationen 2004 und 2013.

Für die aktuellen Proteste vor der Werchowna Rada gibt es auch keine große internationale Aufmerksamkeit. Es kommen kein John McCain und keine Victoria Nuland angereist. In westlichen Regierungen und Chefredaktionen sagt man sich wohl: Warum im Informationskrieg mit Russland Wladimir Putin unnötig Argumente zu den Problemen in der „demokratischen Ukraine“ an die Hand geben?

Die großen deutschen Medien berichteten wohl darüber, als Saakaschwili, dem der ukrainische Präsident Poroschenko im Juli die Staatsbürgerschaft entzog, Mitte September 2017 in Begleitung von Gefolgsleuten und Journalisten illegal die polnisch-ukrainische Grenze überquerte. Denn das passte in das seit Jahren gepflegte Bild vom mutigen Kämpfer gegen die Korruption. Dieser Kampf begann am 22. November 2003, als Saakaschwili mit Rosen in der Hand das Parlament von Georgien stürmte und den bis dahin von deutschen Politikern hochverehrten Präsidenten Eduard Schewardnadse aus dem Amt jagte.

Und heute? Gibt es denn keinen Haftbefehl gegen Saakaschwili in seiner Heimat Georgien wegen Korruption? Hat Saakaschwili nicht im Jahr 2007 in Georgien, als Zehntausende gegen ihn demonstrierten, den Ausnahmezustand verhängt, weil die Demonstrationen angeblich von Russland gelenkt würden? Gab Saakaschwili nicht im August 2008 den Befehl, die seit 1992 abtrünnige Provinz Südossetien mit Raketen anzugreifen?

Über all das berichten die großen deutschen Medien nicht. Denn heute hat der ehemalige Gouverneur von Odessa den lebendigen Beweis zu erbringen, dass es in der Ukraine – einem seit 2014 mit der EU assoziierten Land – Demokratie gibt, dass man gegen die Macht demonstrieren und sie wegen Korruption angreifen kann.

Was steckt hinter dem „dritten Maidan“?

Nach Meinung des früheren Rada-Abgeordneten und Oppositionspolitikers im russischen Exil, Wladimir Oleinik , nichts. Der Politiker meint, Saakaschwili werde mit seinen Protestaktionen vor der Rada keinen Erfolg haben. Saakaschwili, Timoschenko und Poroschenko, das seien alles „Pferdchen aus dem Washingtoner Pferdestall“. Die US-Regierung habe Saakaschwili einfach erlaubt „ein bisschen Skandal zu machen“.

Warum nur „ein bisschen Skandal“? Weil sowohl „die Macht als auch die Opposition Angst haben“, dass eine neuer Maidan „nicht nur die jetzige Macht sondern auch die Opposition zu Staub zermahlt“, meint Ruslan Bortnik, Direktor des Kiewer Instituts für Analyse und Managment-Politik. Die Macht und die Opposition versuchten sich nur gegenseitig „Angst zu machen und Stärke zu zeigen“. Aber keine der beiden Seiten werde „aufs Ganze“ gehen. Das sei auch der Grund, warum die Oppositionsführer Julia Timoschenko und Andrej Sadowyj (der Bürgermeister von Lviv) auf dem Protestzeltlager vor der Rada nicht mehr auftreten.

Und was ist mit der Bevölkerung? Obwohl die Popularität von Präsident Petro Poroschenko sehr niedrig ist und die Stimmung in der Ukraine schlecht, sind die Ukrainer zu großen Protesten nicht bereit. Die Enttäuschung über die nicht eingehaltenen Versprechungen der Maidan-Revolten von 2004 und 2013 sitzt tief.

Ohne Moos nix los

Menschen in der Ukraine für Protestaktionen zu mobilisieren ist schwer. So gehen die Organisatoren vermehrt dazu über, Demonstranten für stunden- und tageweise Einsätze zu bezahlen, eine Praxis, die es schon seit Jahren gibt. Über den aktuellen Einkauf von Demonstranten berichtete das ukrainische Internetportal Vesti Ukraine.

Man wirbt ganz offen über das Internet. Einer der Organisatoren, Wlad Bratenko, schreibt: „Am 18. Oktober wird eine Massowka (Gruppe von Statisten) gebraucht. Arbeit an frischer Luft! Wir arbeiten drei Stunden. Bezahlung 100 Griwna.“

Pro Tag kann man 100 Griwna (3,19 Euro) verdienen. Das ist bei einem durchschnittlichen Einkommen in der Ukraine von 6.000 Griwna (192 Euro) schon Geld, für das es sich lohnt in der Kälte zu stehen. Wer eine Flagge hält, bekommt 140 Griwna. Ehemalige Soldaten und Freiwillige, die in der Ost-Ukraine im Kriegseinsatz waren, bekommen 50 Dollar die Stunde.

Gegenüber dem Internetportal Vesti Ukraine berichtet der 23-jährige Sergej aus dem westukrainischen Gebiet Winniza: „Die Fahrt mit dem Autobus war umsonst. Man zahlt uns täglich. Man hat uns drei Tage versprochen, deshalb werden wir uns der Reihe nach abwechseln, damit wir uns waschen gehen können. Man hat uns dafür extra eine Wohnung angemietet.“

Bald auch in Deutschland „marktkonformes Demonstrieren“?

Natürlich kann man über den ehemaligen Gouverneur von Odessa mit seinen verrückten Aktionen lachen. Doch ist Deutschland so weit von der Ukraine entfernt? Vielleicht finden sich bei fortschreitender Verarmung auch in Deutschland bald Menschen, die bereit sind, gegen Geld bei Demonstrationen mitzumachen.


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