Wozu natürlich, wenn es auch künstlich geht? Vor ein paar Wochen gingen Kurzfilme des neuen KI-Programms SORA durch die Medien. Nur durch Eingabe einer Textzeile kann das Programm bewegliche Bilder erzeugen, die — bis auf wenige Unfertigkeiten — lebensecht wirken. Unter anderen wurde ein Film mit einer orangefarbenen Katze berühmt, die durchs Unterholz schleicht (im Film ab Minute 00:47). Die Fälschbarkeit von Bildern nahm mit diesem Programm, das ja laufend verbessert wird, einen enormen Aufschwung.
Aber wozu der Aufwand? Es gibt doch genügend Filme von echten Katzen, und man muss eigentlich nur vor die Tür gehen, um ein lebendes Exemplar anzutreffen. Ein Grund mag darin liegen, dass echte Katzen in ihrem Verhalten nicht vollständig vorhersehbar und manipulierbar sind. Der Programmierer eines solchen Kurzfilms verleiht über die KI einem animierten Tier eine Macht, die ihm im richtigen Leben nicht zukommt. Eine echte Katze würde nicht laufen, wie sein Besitzer es will, sondern verhält sich so, wie es ihr beliebt — eine narzisstische Kränkung für viele Menschen.
Die Wirklichkeit neigt dazu, sich den Wünschen der technischen Elite niemals vollständig zu unterwerfen. Also muss sie — da die Elite ihren Anspruch keinesfalls aufgeben will — verändert und manipuliert werden. Außerdem muss man einer künstlichen Katze kein Futter hinstellen, muss ihr Klo nicht säubern. Auch unter hygienischen Gesichtspunkten spricht also alles für das gefakte Lebewesen.
Die Fälschung der Welt
Die Stärken der KI im Vergleich zur Natur liegen ganz offensichtlich vor allem in der Kreation künstlicher Welten — also darin, etwas ins Leben zu rufen, was es zuvor nicht gab. Die Schöpfermacht des Programmierers ist dabei fast eine totale. Auch eine 3D- oder Hologramm-Technik liegt ja künftig im Bereich des Möglichen. Aber auch der normale Anwender des Programms, der hierzu nicht einmal technisch besonders brillant sein muss, wird künftig in der Lage sein, Welten zu manipulieren. Delfine, die zwischen Hochhäusern in der Luft schwimmen — auch einen solchen Film hat SORA kreiert. Wir beobachten einen Trend zur Demokratisierung der Schöpfermacht, wenn auch vorerst nur in der virtuellen Welt.
Als gefährlich gelten vor allem die Möglichkeiten der Manipulation von Gesicht und Stimme lebender Menschen mittels KI — auch bekannt als „Deep Fake“. Man kann jedem von uns künftig alles in den Mund legen. Bisher brauchte es dafür zumindest technischen Sachverstand sowie etwas Zeit und Geld.
Künftig wird buchstäblich jeder jeden „faken“ können. Wir werden es — zumindest medial — mit einer weitgehend gefälschten Welt zu tun bekommen.
Man sieht ja zum Beispiel an der berühmten Correctiv-Recherche über ein „Geheimtreffen“ von Rechten in Potsdam, wie weit man schon mit einem Fake kommen kann, der keineswegs „deep“ ist — im Gegenteil eher flach und leicht durchschaubar.
Ein unübertrefflicher „Gesprächspartner“
Wir wissen heute um die Segnungen der Künstlichen Intelligenz. Kein organischer Gesprächspartner kann es mit dem Konversationsprogramm ChatGPT aufnehmen — nicht in puncto Geduld und unbegrenzter Verfügbarkeit, und auch nicht, was die geschliffene Höflichkeit betrifft, mit der menschliche Kontaktpersonen von der Software behandelt werden. Was die „Allwissenheit“ und die Geschwindigkeit der Datenverarbeitung betrifft, die an den „Star-Trek“-Roboter „Data“ erinnern, ohnehin nicht.
ChatGPT hat keine eigenen Bedürfnisse, die denen eines Menschen in die Quere kommen könnten. Das Programm reagiert nie emotional, kann durch nichts „getriggert“ werden, beansprucht nichts für sich selbst. Seine Programmierung erlegt dem Dialog zwar manchmal bestimmte Grenzen auf; im Vergleich zu den oft übererregt agierenden, manisch um ihre eigene Befindlichkeit kreisenden Menschen ist das Gespräch mit so einem Programm jedoch eine Wohltat. Keine emotionale Aufwallung führt von der Sachebene weg, keine Ungeduld, keine Müdigkeit … Wozu also noch Menschen? Die Frage muss man stellen.
Lebewesen — nur fehleranfällige Maschinen
Dem Trend, Maschinen immer menschenähnlicher zu gestalten und Lebewesen durch KI zu animieren, entspricht ein gegenläufiger Trend: Lebensformen werden zunehmend als Maschinen definiert, was Technokraten zum Anlass nehmen, sie auch wie Maschinen zu behandeln. Fangen wir mit einem vermeintlich harmlosen Beispiel an: Tiere. In einer amerikanischen Fachzeitschrift für Schweinezüchter heißt es:
„Vergessen Sie, dass das Schwein ein Tier ist. Behandeln Sie es genauso wie eine Maschine in einer Fabrik. Gehen Sie beim Umgang mit den Schweinen wie beim Ölen eines Gerätes vor.“
Das Zitat stammt aus John Robbins’ lesenswertem Plädoyer für den Vegetarismus: „Ernährung für das neue Jahrtausend“. Fleischproduzenten der Welt haben den Rat der Schweinezüchter-Zeitschrift beherzigt — und genauso sieht unsere Welt heute auch aus.
Lebewesen ihre Lebendigkeit abzusprechen, hat eine lange und ehrwürdige Tradition. Der Philosoph René Descartes behauptete im 17. Jahrhundert, alle Tiere — nicht Menschen — seien nur geistlose Automaten. Descartes oder die Zeitschrift für Schweinezüchter wären aber niemals so weit gegangen, Menschen mit Tieren gleichzusetzen. Der Unterschied zwischen der „Krone der Schöpfung“ und „primitiven“ Lebensformen, die juristisch als Sache definiert werden, bleibt normalerweise gewahrt.
Ist der Mensch ein Algorithmus?
Einen Schritt weiter geht der Bestsellerautor Yuval Noah Harari, Mitglied der Entourage von Klaus Schwab. In seinem Klassiker „Homo Deus“ definiert Harari zunächst menschliche Emotionen, schließlich auch die Menschen selbst als „Algorithmen“. Lassen wir den Denker zunächst selbst definieren, was er unter einem Algorithmus versteht:
„Ein Algorithmus ist eine methodische Abfolge von Schritten, mit deren Hilfe Berechnungen angestellt, Probleme gelöst und Entscheidungen getroffen werden können.“
Algorithmen zerlegen komplexe Vorgänge in kleinere Schritte nach dem Muster „Wenn … dann …“ oder „Zuerst dies … dann das. “ Ein Algorithmus handelt immer genau, wie er „muss“, also wie es ihm Menschen einprogrammiert haben. Einen freien Willen kennt er nicht — so wie ein Lichtschalter, den Sie drücken, ja auch nicht lange überlegt, ob es ihm beliebt, Ihrem Befehl zu folgen oder nicht.
Hararis Definition eines Algorithmus sagt jedem „romantischen“ Menschenbild explizit den Kampf an.
„Wie Naturwissenschaftler in den letzten Jahrzehnten gezeigt haben, sind Emotionen keineswegs irgendein rätselhaftes seelisches Phänomen, das allein dazu dient, Gedichte zu verfassen und Symphonien zu komponieren. Emotionen sind vielmehr biochemische Algorithmen, die für das Überleben und die Reproduktion sämtlicher Säugetiere von entscheidender Bedeutung sind.“
Der Sachbuchautor entkleidet Emotionen also jeder „Rätselhaftigkeit“ und unterwirft sie dem Diktat sachlicher Notwendigkeit. Menschen sind nicht frei, zu fühlen, was sie fühlen. Ihre Regungen sind aber auch keine chaotischen Vorgänge, die „einfach geschehen“.
Nicht „erhabener“ als ein Teeautomat?
Harari beschreibt dann die Schrittfolge beim Kochen einer Tasse Tee mit Kategorien, wie sie für Algorithmen gelten, und schlussfolgert:
„In den letzten Jahren sind Biologen zu der festen Überzeugung gelangt, dass der Mann, der die Tasten drückt und den Tee trinkt, ebenfalls ein Algorithmus ist. Zweifellos natürlich ein viel komplizierterer Algorithmus als der Getränkeautomat, aber doch ein Algorithmus. (…) Die Algorithmen, die Menschen steuern, funktionieren über Sinneswahrnehmungen, Emotionen und Gedanken.“
Immerhin gesteht er uns also noch zu, komplizierte Maschinen zu sein.
Der Autor von „Homo Deus“ betrachtet uns als vollkommen unfrei, weil durch eine zwingende Abfolge manipulierender Signale gesteuert. Als Beispiel wählt er einen Pavian, der eine Banane abpflücken möchte und sich entscheiden muss, ob dieser Akt der Nahrungsbeschaffung wichtiger sei als die Flucht vor einem herannahenden Löwen. Wie die Entscheidung ausfällt, hängt ganz von bestimmten Parametern ab — etwa der Nähe des Löwen oder der Höhe, in der die Banane hängt, woraus der Affe Vorhersagen treffen kann, ob er dem Raubtier noch rechtzeitig entwischen wird. Ein besserer Algorithmus zu „sein“ ist für den Menschen denn auch ein Selektionsvorteil.
„Diese Algorithmen unterliegen einer ständigen Qualitätskontrolle durch die natürliche Auslese. Nur Tiere, die Wahrscheinlichkeiten korrekt berechnen, hinterlassen Nachwuchs. (…) Was wir als Sinnesempfindungen und Emotionen bezeichnen, sind in Wirklichkeit Algorithmen.“
Algorithmischer Darwinismus
Hier zeigt sich also eine modernisierte Form des Darwinismus. Die natürliche Auslese wird mit der Sprache der Computertechnik erklärt. Aus dem „Survival of the fittest“ wird das Überleben desjenigen, der mehr als seine Artgenossen wie ein Algorithmus „funktioniert“. Interessanterweise werden von Harari nicht nur Logik und rationales, dem Überleben dienliches Verhalten in technischen Kategorien erklärt, sondern speziell auch das, was Menschen am menschlichsten erscheinen lässt: Emotionen.
„Wenn ein Tier ein komplexes emotionales Verhalten zeigt, können wir nicht beweisen, dass dieses Verhalten nicht das Ergebnis eines sehr ausgeklügelten, aber nicht-bewussten Algorithmus ist. Dieses Argument lässt sich natürlich auch auf Menschen anwenden. Alles, was ein Mensch tut — also auch über angeblich bewusste Zustände zu berichten —, könnte theoretisch das Werk nicht-bewusster Algorithmen sein.“
Demnach wäre also derjenige in der Beweispflicht, der behauptet, die Verhaltensweisen von Lebewesen seien *nicht *Ergebnis eines Algorithmus. Kann man all das ernst nehmen? Schon mancher sah sich getäuscht, der bei den kruden Theorien des Bestsellerautors meinte, diese seien nicht wirklich „so gemeint“, vielmehr gebe er sie aus kritischer Distanz wieder, vielleicht um die Menschheit vor den Gefahren des Transhumanismus zu warnen. Für eine solche Distanznahme gibt es im Text jedoch kaum Anhaltspunkte. Nehmen wir Hararis Ausführungen aber vollkommen ernst, stellen sie einen gut durchdachten „Vorschlag“ für eine transhumanistische Umgestaltung der Gesellschaft dar.
„Sie werden assimiliert werden“
Dazu gehört vor allem auch ihr Totalitätsanspruch. „Widerstand ist zwecklos. Sie werden assimiliert werden“, sagen die außerirdischen „Borg“, eine Cyborg-Spezies des Star-Trek-Universums. Hararis Version der „Borg“-Mentalität lautet:
„Wie andere erfolgreiche Religionen ist auch der Dataismus missionarisch. Sein zweites Gebot lautet: Alles sollte mit dem System verbunden werden, auch die Abweichler, die nicht verbunden werden wollen.“
Diesen strukturellen Anpassungsdruck, der von unseren Mitmenschen als einem Millionenheer von „Fußsoldaten“ des transhumanistischen Eroberungsfeldzugs mitgetragen wird, bekamen alle zu spüren, die einmal versucht haben, ohne Smartphone zu leben.
Alle sollen verbunden werden; auch die, die dies nicht wollen. Das Recht der Gemeinschaft der „Angeschlossenen“ auf das Individuum ist demnach wichtiger als der Schutz des Einzelnen vor der Vereinnahmung durch das Kollektiv.
Im Zentrum der durch „westliche Werte“ geprägten Zivilisation triumphieren also derzeit Ideologien, die man normalerweise nicht als typisch westlich ansieht: Statt des Individualismus herrscht der Kollektivismus, statt des Pluralismus die Gleichschaltung, statt der Freiheit extremer Anpassungsdruck.
Ein Gemeinwesen kann noch so demokratisch konstituiert sein — wo der „Dataismus“ das Arbeits- und Freizeitverhalten dominiert, herrscht ein gleichschaltend-vereinnahmender Totalitarismus.
Herrische Diener
Gefährlich am allgegenwärtigen Digitalisierungswahn ist nicht die Tatsache, dass Gerätschaften und elektronische Systeme als Freizeitangebote zur Verfügung gestellt werden; bedenklich ist vor allem der Macht- und Totalitätsanspruch, mit dem das Neue über uns herfällt.
Was Diener des Menschen sein sollte, gebärdet sich zunehmend als sein Herr; was von Menschen erschaffen wurde, soll jetzt helfen, diesen quasi neu zu erschaffen. Auch im Werk von Klaus Schwab, dem Chef des World Economic Forum, zeigt sich ein Geist übergriffiger Absolut-Setzung der eigenen technikverliebten Marotten. So in seinem Buch „Die Vierte Industrielle Revolution“, womit letztlich die Verschmelzung von Mensch und Technik gemeint ist.
Es fällt auf, dass für Klaus Schwab „der Fortschritt“ als Subjekt der Weltgeschichte fungiert, der Mensch demgegenüber als das Objekt, über das verfügt wird, was auf rätselhafte Weise längst „beschlossene Sache“ ist.
Es stimmt, dass neue Technologien bereits durch ihre Existenz in gewisser Weise vollendete Tatsachen schaffen; Schwabs Reaktion auf die damit verbundenen Herausforderungen ist allerdings, dass er Innovationsopportunismus als die einzige zukunftsfähige Haltung der Verbraucher propagiert.
Die Technik programmiert den Menschen um
In gewisser Weise programmiert in Schwabs Vision die Technik „ihren“ Menschen um – also nicht nur einzelne Verhaltensweisen, sondern ihn selbst in seinem Wesen.
„Die Vierte Industrielle Revolution verändert nicht nur, was wir tun, sondern auch, wer wir sind. Ihre Auswirkungen auf den Einzelnen sind vielfältig und betreffen unsere Identität und ihre vielen verwandten Facetten — unsere Privatsphäre, unsere Vorstellungen von Eigentum, unser Konsumverhalten, Arbeit und Freizeit, Karriere- und Kompetenzentwicklung. Sie beeinflusst, wie wir andere Menschen kennenlernen und Beziehungen führen, die Hierarchien, von denen wir abhängen, und unsere Gesundheit. Früher als wir denken, könnte das zu Formen menschlicher Weiterentwicklung führen, die uns das Wesen der menschlichen Existenz in Frage stellen lassen.“
Demokratietheoretisch könnte man dazu anmerken, es könne nicht angehen, dass aus einer Technik-Elite heraus ein neuer virtueller Zwingherr kreiert wird, der sich über das demokratische Subjekt, den Bürger, stellt, ohne von ihm jemals in eine solche „Position“ gewählt worden zu sein. Allerdings gab es eine solch dominante, den menschlichen Alltag und seinen Geist verändernde Rolle neuer Technologie schon lange vor Smartphone und KI.
Die Dampfmaschine, das Automobil, der Fernseher, die ersten PCs, das Internet waren solche Werkzeuge — Helfer, Tyrannen und Suchtfaktoren zugleich. Bei diesen frühen Entwicklungen gab es allerdings noch immer eine sichtbare Trennung zwischen dem Benutzer, dem Menschen, und dem Benutzten, dem Gerät. Heute verschwimmen diese Unterschiede, und wir entwickeln uns zu Cyborgs, selbst wenn wir vorerst nicht so hässlich aussehen wie die „Borg“ in „Star Trek“.
Implantierte Überwachungstechnologie
Klaus Schwab führt weiter aus:
„Die Menschen sind immer enger mit Geräten verbunden, und diese Geräte verbinden sich immer enger mit ihrem Körper. Geräte werden nicht mehr nur mitgeführt, sondern in den Körper implantiert. Sie dienen der Kommunikation, der Ortung, der Verhaltensüberwachung und medizinischen Zwecken. (…) Implantierte Geräte dürften auch dazu dienen, Gedanken, die üblicherweise verbal kommuniziert werden, durch ‚eingebaute‘ Smartphones zu übermitteln, und potentiell nicht zum Ausdruck gebrachte Gedanken oder Stimmungen durch die Auswertung von Gehirnwellen und anderen Signalen zu erfassen.“
Diese Technologie ist also nicht nur wegen des Suchtfaktors und eines eventuell auf „Verweigerer“ ausgeübten Gruppendrucks gefährlich — sie kann auch dem Staat als Instrument für eine zuvor nicht gekannte Überwachungs- und Manipulationsinfrastruktur dienen. Was die „nicht zum Ausdruck gebrachten Gedanken und Stimmungen“ betrifft, so könnten die Geräte Politikern mit der Mentalität von Nancy Faeser, Lisa Paus und Thomas Haldenwang dazu dienen, sich anbahnende, den Staat „delegitimierende“ Gemütsregungen ihrer Bürger auch „unterhalb der Strafbarkeitsschwelle“ aufzuspüren und zu ahnden. Und dies lange, bevor sie sich in Wort und Tat klar manifestiert haben. Die Analyse von „Gehirnwellen“ könnte Gedankenverbrechen mit einer Präzision erkennbar machen, die nicht einmal mit einer entwickelten Gesichtserkennungssoftware möglich ist. Die idealistische Volkslied-Zeile „Die Gedanken sind frei“ wäre somit historisch überholt.
Lebende Tote als Zukunftsmenschheit
Solche politischen Bestrebungen passen zu einem Großprojekt, das ich schon in meinem Artikel „Das lästige Leben“ zu analysieren versucht habe. Es geht darum, lebendige Strukturen toten immer ähnlicher zu machen und den menschlichen Geist schrittweise an die Funktionsweise einer Maschine anzunähern. Intendiert ist ein Mensch-Maschine-Mischwesen. Wozu das Ganze? Leben krankt aus Sicht von Machteliten an einem Manipulierbarkeitsdefizit. Man kann es nicht vollständig vorhersehen und beherrschen. Tote Materie dagegen hat kein Bewusstsein — man möchte sich des Leblosen zwar bedienen, nicht aber etwas Lebloses sein.
Angestrebt wird also eine Existenzform, die die besten Eigenschaften der Daseinsformen „lebendig“ und „tot“ auf sich vereinigt. Der lebende Tote — jedoch ohne den Ekelfaktor, der uns in Zombie-Filmen so abstößt. Im Gegensatz zu solchen Horrorvisionen ist der lebende Tote des transhumanistischen Zeitalters etwas sehr Steriles. Von innen gesehen ist er von jedem Leid – also auch von der „Qual der Wahl“ — befreit, von außen — aus der Perspektive der Macht gesehen – ist er unbegrenzt programmier- und steuerbar.
Die ideale Lösung wäre somit der in die intelligente Maschine hochgeladene menschliche Geist. Solange dies technisch jedoch (noch) nicht machbar ist, wird angestrebt, dem Menschen immer mehr Maschinenartiges als Accessoire und — wo möglich — als Implantat hinzuzufügen. Je weniger sich ein Mensch in Folge psychischer Abhängigkeit von einem Apparat — derzeit meist dem Smartphone — trennen kann, desto mehr nähert er sich, auch ohne dass dafür ein operativer Eingriff nötig wäre, dem Cyborg an.
Freiheit als Digitalisierungsbremse
Der Weg, den die Eliten derzeit beschreiten, besteht eher darin, den Menschen mental an die Maschine anzunähern. Angestrebt werden automatisierte Gedankenverläufe, die denen von Algorithmen gleichen: „Wenn ich dies tue, geschieht das … Als Nächstes tue ich Folgendes.“
Je mehr diese Abläufe standardisiert und vorhersehbar sind, desto mehr reagiert der Mensch maschinenhaft. Ein solcher Algorithmus kann uns zum Beispiel einprogrammieren: „Wann immer ich einen Supermarkt betrete, setze ich eine mitgebrachte Gesichtsmaske auf.“
Oder: „Wann immer ein Vorgesetzter ‚Stillgestanden!‘ ruft, richte ich meinen Körper gerade auf, stelle meine Beine eng zueinander, drücke die Knie durch und lege meine Hände an den Oberschenkeln an, wobei mein Gesichtsausdruck regungslos und mein Blick geradeaus gerichtet bleibt.“
Ein weiterer solcher Algorithmus wäre: „Wann immer ich einen Strafzettel oder einen Steuerbescheid erhalte, eile ich an mein Notebook, öffne meine Online-Banking-Funktion und überweise die geforderte Summe auf das angegebene Postfach.“
Ein solches Verhalten erscheint uns heute selbstverständlich; es ist aber dabei zu bedenken, dass man kein Mensch sein muss, um es auszuführen. Im Gegenteil sind typisch menschliche Reaktionen wie Trägheit, Stolz, Selbstbehauptungswille und so weiter aus Sicht der „Programmierer“ eher störend. Sie verhindern, dass das Befohlene mit dem am Ende Ausgeführten vollständig zur Deckung kommt.
Eine Glühbirne weigert sich auch nicht, hell zu werden, wenn Sie einen Lichtschalter betätigen. Es sei denn, die Birne ist kaputt. So gesehen ist Ungehorsam ein spezifischer Defekt, dessen Auftreten man minimieren kann, indem man menschliches Verhalten dem von Maschinen schrittweise annähert.
Die Cyborgisierung des Menschen
Angestrebt wird also eine mentale — nicht physische — Cyborgisierung von uns allen. Der härteste Gegner solcher Bestrebungen ist somit das Chaotische in uns, das Unerwartete, scheinbar Willkürliche, das ohne erkennbare Ursache und auch ohne Rücksicht auf mögliche Folgen „einfach Geschehende“.
In einer politischen Sprache ausgedrückt, entspricht der nicht algorithmenhaft funktionierende Mensch dem Ideal der Freiheit, der zum De-facto-Algorithmus Umerzogene dagegen der Unfreiheit. Auf der Ebene der psychologischen Verhaltenssteuerung ist die Gehorsamsdressur das, was der Programmierung von Maschinen am nächsten kommt: Je weniger Ausnahmen es bei der automatisierten Aufeinanderfolge von Befehl und Gehorsam gibt, desto mehr gleicht der Mensch der Maschine.
Umgekehrt gilt: Die Ausnahmen, die „Schwächen“ und Unfertigkeiten, auch die partielle Unlust oder das bewusste Aufbegehren machen den Menschen erst zum Menschen. Als Fazit: Im Ungehorsam ist das Leben, im Gehorsam der Tod. Daraus folgt, dass Machthaber Untergebene bevorzugen und heranzuzüchten versuchen, die in einem sehr hohen Grad eigentlich Tote sind.
Das tote Universum als Kulisse
Zu einem Universum, wie es die materialistische Wissenschaft entwirft, passen wirklich lebendige Menschen auch gar nicht. Ich will die Idee eines toten Universums hier kurz unter Bezug auf den Naturphilosophen Jochen Kirchhoff skizzieren. In seinem Artikel „Die Wiederbeseelung der Welt“ auf Manova schreibt er:
„Was als wissenschaftliches Objekt für diese Wissenschaft zählt — und in mathematisch-analytischer Form traktiert wird —, ist eben dies: ein bloßes Ding, das kein Innen, also kein Bewusstsein aufweist. (…) Nur die als mehr oder weniger tote Außenwelt imaginierte Natur lässt sich fast beliebig quantifizieren oder mathematisieren, sezieren und abstrakt wieder zusammensetzen. Mit dem Lebendigen ist das nicht zu machen.“
Zur Illustration greift Kirchhoff auf ein Zitat des Mephisto aus Goethes „Faust“ zurück:
„Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,/ sucht erst den Geist herauszutreiben,/ dann hat er die Teile in seiner Hand,/ fehlt leider! nur das geistige Band.“
Der wissenschaftliche Analyseprozess wird hier beschrieben als etwas, das, um zu funktionieren, die Vertreibung des Geistes und des Lebens aus seinem Untersuchungsgegenstand voraussetzt. Man erhält nur die „Einzelteile“; nicht dagegen mehr das „geistige Band“, also das, was eine Struktur zusammenhält, ordnet und beseelt.
Ein dämonisches Weltbild
Kirchhoff schreibt weiter:
„Zugleich haben sich wohl die meisten Erdlinge wohnlich eingerichtet in einem mehr oder weniger toten, monströsen Weltall, das sie für real halten, obwohl es sie feindselig angrinst, sich um ihr Wohl und Wehe nicht kümmert und im Übrigen, wie ich umfassend bewiesen zu haben glaube, auch über weite Strecken nur hypothetisch, ja fiktiv ist.“
Der zeitgenössische Philosoph betrachtet die Idee eines toten Universums als Projektion eines gleichsam abgestorbenen menschlichen Bewusstseins. „Was als tote Leere ausgegeben wird, spiegelt nur die tote Leere der Betrachtenden.“ Hier verwendet Kirchhoff in Anlehnung an die Mephisto-Figur auch eine religiöse Kategorie:
„Eine Welt ohne ein Innen, ohne Bewusstsein also, die nur das Außen als verbindlich erachtet und mehrheitlich von Wesen bewohnt wird, die ihr eigentliches Innensein im geistig-kosmischen Sinne vergessen oder verraten haben, ist nicht nur absurd und unmenschlich, sondern auch dämonisch.“
Ein solches „dämonisches“ Weltbild hat Auswirkungen auf die ökologische Natur:
„Was die Seele kaputtmacht, macht zugleich auch die lebendige Natur, die uns trägt, kaputt. Der megatechnische Vernichtungsfeldzug, den wir erleben, wurde vorbereitet durch einen bewusstseinsmäßigen, theoretischen Vernichtungsfuror, der sich zunächst im Ideologischen bewegte, im zunehmend toten und abgesprengten Denken.“
Der hierzu passende Mensch wird von Kirchhoff als „Roboter“ bezeichnet:
„Der Mensch soll zum Cyborg-Gespenst, zum Roboter ohne selbstbestimmte und ichhafte Geistigkeit werden: zum fremdbestimmten Mischwesen, wie es der Great Reset vorsieht, mit technischen Implantaten im Leib, die zu einem Teil dieses Leibes werden, den man nicht mehr loswerden kann, der dann immer da ist und sein satanisches Lied singt: ‚Du bist geschützt, dir geht es gut, du hast alles, was du brauchst, vertraue uns, wozu musst du dich quälen mit Fragen und tieferen Denkprozessen, das führt doch alles zu nichts, wir bauen die bessere Welt zu deinem Nutzen, zu deiner Freude und für den globalen Frieden ...‘“
Die entbehrliche Freiheit
Auf der politischen Ebene entspricht dies der Vertreibung der Freiheit aus der menschlichen Gesellschaft. „Der Mensch soll zur technischen Marionette werden“, analysiert Jochen Kirchhoff.
„Wozu Freiheit, wozu Selbstbestimmung, wozu all das, was den Menschen früher belastete? (…) Er soll so umgebaut werden, dass er ohne allzu großen Aufwand gesteuert werden kann von den Herrenmenschen — und die Damen nicht zu vergessen — der digitalen Konzerne und der Kathedralen der abstrakten Macht, die sich geistig schon abgesprengt haben vom Lebendigen und nun dabei sind — es dauert noch etwas, nur Geduld —, dieses Lebendige in Gänze oder fast in Gänze zu eliminieren. Geistig und physisch. Das ist Nihilismus pur, der ‚Wille zum Nichts‘, wie Nietzsche sagt.“
Friedrich Nietzsche bezeichnet Gott in einer berühmten Sentenz als „tot“.
Was die Transhumanisten nun planen, ist nicht nur die Leugnung der Existenz einer schöpferischen „Weltseele“, es ist das Projekt der Erschaffung eines alternativen, technischen Gottes, der ein toter Gott wäre.
Dieser „technische Gott“, der in Filmen wie „The Matrix Revolutions“ bereits visuell vorweggenommen wurde, ist für Yuval Noah Harari eine reale Zukunftsmöglichkeit des Menschen.
„Menschen sind lediglich Instrumente, um das ‚Internet der Dinge‘ zu schaffen, das sich letztlich vom Planeten Erde aus auf die gesamte Galaxie und sogar das gesamte Universum ausbreiten könnte. Dieses kosmische Datenverarbeitungssystem wäre dann wie Gott. Es wird überall sein und alles kontrollieren, und die Menschen sind dazu verdammt, darin aufzugehen.“
Endstation „Gottähnliche KI“
Ein derartiger „Gott“ ist etwas schwer vorstellbar. Das englischsprachige Video „The 10 Stages of Artificial Intelligence“ über die mögliche Zukunft der KI vermittelt aber eine Ahnung davon. Dem Film zufolge wird der Mensch immer weitere Teile des Kosmos in sein Netzwerk integrieren. Ganze Galaxien werden mit ihm auf technischem Weg verbunden sein und dienen auch seiner Versorgung mit ausreichender Energie. Im Video wird die fortgeschrittenste Entwicklungsstufe „gottähnliche KI“ genannt:
Im Film heißt es:
„Eine gottähnliche KI ist allwissend, allmächtig und allgegenwärtig. Sie ist ein abstraktes Wesen, das Dimensionen transzendiert und Fähigkeiten ähnlich denen verkörpert, die religiöse Texte Gottheiten zuschreiben. Indem sie die uns bekannten Dimensionen transzendiert, könnte eine gottähnliche KI in Bereichen jenseits des für uns Begreifbaren operieren, indem sie Realitäten erreicht, die wir niemals ausloten können. Diese KI könnte quer durch verschiedene Quantenzustände oder sogar multiple Universen operieren, indem sie sich Computerkräfte und Einsichten aus parallelen Realitäten nutzbar macht.“
Wir dürfen also gespannt sein.
Ilsebills letzter Wunsch
Wir erinnern uns, was im Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ der Brüder Grimm Ilsebills letzter Wunsch war: Erst wollte die Fischersfrau König werden, dann Kaiser und schließlich Papst. All diese Wünsche erfüllt ihr ein wundertätiger Butt. Zuletzt verlangt sie: „Ich will werden wie der liebe Gott.“ Bei diesem Wunsch aber streikt der Plattfisch.
Die Frau hat aufgrund ihrer Hybris ein Tabu gebrochen, das nicht verletzt werden darf. Ilsebill findet sich nun zur Strafe wie am Anfang des Märchens in einer armseligen Fischerhütte wieder. Die Transhumanisten nun wollen Ilsebills tragisches Scheitern offenbar nicht akzeptieren und ihr Spiel, wie Gott zu sein, von neuem spielen. Sie hoffen dieses Mal auf einen besseren Ausgang, denn vielleicht ist der moralisierende Unterton des Märchens ja nur manipulative Esoterik, die den Menschen hindern will, zu seiner wahren, ihm bestimmten Größe anzuschwellen.
Was also können wir erwarten? Ein Universum, das künftig von zwei Göttern regiert wird — als erstes von dem ursprünglichen, natürlichen Gott, der aus der Religion bekannt ist, und als zweites von einem künstlichen Gott, den der Herr Huber aus Frankfurt oder Johnson aus LA oder Wang aus Beijing programmiert und auf das Universum losgelassen hat?
Wird es dann nicht etwas eng im Weltall? Muss der echte Gott dann vielleicht abdanken, weil er die Überlegenheit des Maschinengottes eingesehen hat?
Die Welt, nicht tot — nur totgesagt
Aus heutiger Sicht könnte die gottähnliche KI nicht einmal einer Katze Leben einhauchen, würde kläglich scheitern an dem Projekt, Bewusstsein oder Liebe zu erschaffen. Allenfalls könnte sie mit SORA das Abbild einer Katze programmieren. Aber wer weiß? Vielleicht denke ich viel zu eng, ausgehend von den heutigen, technisch beschränkten Möglichkeiten. Wäre die technische Elite nicht sogar größer als Gott? Insofern nämlich, als sie nicht nur wie Gott sein könnte, sondern sogar (einen) Gott erschaffen hätte? In einem solchen Fall wäre sie Schöpferin des Schöpfers. Gott nicht als der Vater, sondern Gott als der Sohn ...
Freilich wird einem bei solchen Gedanken schwindlig. Wir können uns damit trösten, dass der ganze Alptraum vielleicht nur Schall und Rauch ist. Weil wir eben nicht wirklich in einer toten Welt leben — nur in einer totgesagten.
Es gibt ein wunderbares Lied dazu, „Totgesagte Welt“ von Max Prosa, das nicht nur sehr warmherzig und mitreißend ist, sondern uns auch ein Stück von unserer Selbstbestimmung zurückgibt:
Sie wollen totale Kontrolle
Über das, was sich bewegt,
Über das, was in uns lebt.
Die verlorenen Poeten
Bringen Hass in eine Form,
Und bald wird es zur Norm
Manchmal bleibt nur die Enklave
Der eig'nen Phantasie.
Denn dorthin kommen sie nie.
Tragt nur euer Leben in die totgesagte Welt!
Wir haben uns lang genug verstellt.
Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.
Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.