Stellen wir uns vor: Ein Trupp Bewaffneter, die uns frühmorgens aus dem Bett klingeln. Ein Kreditinstitut, das uns von heute auf morgen die Konten sperrt. Eine Behörde, die damit droht, uns unsere Kinder zu nehmen. Familienmitglieder, die alleine sterben müssen. Kranke, die nicht behandelt werden können. Erste Hilfe, die nicht geleistet werden darf. Parkbänke, auf die man sich nicht setzen darf. Lieder, die nicht gesungen werden dürfen. Protest, der verboten wird.
Es ist heute offensichtlich, dass in der Coronapolitik viele Fehler begangen wurden. Einige der Verantwortlichen haben begonnen, sich aus dem Rampenlicht zurückzuziehen. Informationen sind öffentlich geworden, die die Impfkampagne nicht nur als unnütz, sondern als hochgefährlich enthüllen. Dennoch hält ein Großteil der Bevölkerung an einem Narrativ fest, das unüberschaubar großen Schaden angerichtet hat. Die meisten Menschen in Europa denken immer noch, totalitäre Systeme könnten nur anderswo existieren oder gehörten der Vergangenheit an.
Allein diejenigen, die Kritik an der aktuellen Corona-, Ukraine- oder Klimapolitik äußern, bekommen das zu spüren, von dem wir uns wünschten, es möge nie wieder geschehen. Nur wer eine Sache kritisch beleuchtet, hat genug Abstand, um auch die Zusammenhänge zu erkennen. Wer konform mit der vorgegebenen Meinung geht, sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Er hangelt sich von Vorschrift zu Vorschrift und klammert sich an eine trügerische Sicherheit, die ihn glauben macht, die Dinge seien in Ordnung so.
Die gute Sache
Mattias Desmet, Professor für klinische Psychologie an der Universität Gent, ist mit „Die Psychologie des Totalitarismus“ ein Werk gelungen, das Geschichte schreibt. Er zeichnet die Erzählung nach, die dazu geführt hat, dass ein Großteil der Menschen sich heute von einem Narrativ einfangen lässt, das sie ihre Freiheit, ihre Würde und möglicherweise ihr Leben kostet.
Wie kann es sein, dass wir uns keine achtzig Jahre nach den totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts auf der Schwelle zur totalen Überwachung befinden? Wie ist es möglich, dass eine breite Mehrheit weiter an der Überzeugung festhält, es werde zu ihrem Besten gehandelt?
Es ist der Glaube an die „gute Sache“, der den Brennstoff für die Massenbewegungen der Inquisition, des Terrors der Französischen Revolution, von Stalinismus und Nationalsozialismus geliefert hat. Eine Mehrheit war davon überzeugt, richtig zu handeln und sich dem Kollektiv nützlich zu machen.
Das Erstaunlichste ist, dass sich auch die Opfer — so beschrieb es der SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann bei seinem Prozess —, darum bemühten, für einen möglichst reibungslosen Ablauf ihrer eigenen Vernichtung zu sorgen. Die aus Juden bestehenden Judenräte bekamen genau so viel Verantwortung, dass sie glaubten, an etwas Sinnvollem mitzuwirken. Denn, so Eichmann, wenn man etwas nicht gerne tut, dann leidet die Sache darunter.
Die Überzeugung, etwas „Gutes“ zu tun, kann die Massen dazu bringen, an den schlimmsten Verbrechen mitzuwirken. Die Welt muss vom Bösen, von Ungeziefer, von Aristokraten befreit werden. Die Coronaimpfung schützt Leben. Der Krieg gegen Russland schützt die Demokratie. Der Kampf gegen den Klimawandel ist die Bedingung für das Überleben auf diesem Planeten. Wer da nicht mitzieht, ist asozial, kriminell, unmenschlich, eine Gefahr für die Gemeinschaft, und muss ausgeschaltet werden. Die Vernichtung Andersdenkender gehört sozusagen zum guten Ton.
Am Anfang war die Psyche
Im Gegensatz zur Diktatur, so Hannah Ahrendt, ist die Essenz totalitärer Systeme psychologischen Ursprungs. Sie bedürfen neben der Bereitschaft, persönliche Interessen und Sichtweisen blind dem Kollektiv zu opfern, einer radikalen Intoleranz gegenüber dissidenten Stimmen, einer paranoiden Denunziantenmentalität, die dafür sorgt, dass die staatliche Kontrolle bis ins Innerste des Privatlebens vordringt, einer Empfänglichkeit für absurde Indoktrination und Propaganda, dem Befolgen einer Logik, die alle ethischen Grenzen überschreitet, des Verlustes jeglicher Diversität und Kreativität und einer Selbstdestruktivität, die dazu führt, dass totalitäre Systeme sich am Ende immer selbst aufheben.
Es erfordert Mut zu erkennen, wie viele der Voraussetzungen heute erfüllt sind. Die besondere Lage, in der wir uns aktuell befinden, fordert ihn uns ab. Auf der Schwelle zum totalen Krieg stehen wir vor der alles entscheidenden Frage, ob wir weiter mit dem Strom schwimmen und riskieren, letztlich alles zu verlieren, was uns als Menschen ausmacht, oder ob wir aus dem immer reißender werdenden Strom aussteigen und uns auf das besinnen, was wir eigentlich sind. Bleiben wir unempfänglich für das, was auf dem Spiel steht, oder wagen wir es, an die grundsätzlichen Fragen des Lebens heranzutreten?
Fehlgeleitete Unsicherheit
Zu den tiefsten Ängsten des Menschen gehört es, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Integration ist für uns überlebenswichtig. Isolation bedeutet letztendlich immer Tod. Entsprechend dreht sich unser ganzes Leben um die Frage, wie wir auf die anderen wirken. Was denken sie von uns? Anders als bei Tieren ist unsere Dazugehörigkeit von Unsicherheit geprägt, und unsere Kommunikation von Unklarheiten, Missverständnissen und Zweifeln. Im Gegensatz zu einem Jungtier weiß ein Menschenkind nie ganz genau, was die Mutter tatsächlich von ihm will. So sind wir stets auf der Suche danach, was genau wir tun müssen, um geliebt und anerkannt zu werden.
Doch unsere Bemühungen, die Regeln eindeutig und schlüssig zu machen, sind zum Scheitern verurteilt. Denn die Wörter der menschlichen Sprache haben nie eine definitive Bedeutung und sind immer kontextabhängig. So bleibt unser Bedürfnis nach Sicherheit stets unerfüllt. Beim erwachsenen Menschen kann dies zu einer Art Dauerbereitschaft für Vorgaben und Anweisungen führen. Wie muss ich mich verhalten, um dazuzugehören?
Wie weit wir bereit sind zu gehen, immer striktere Regulierungen zu akzeptieren, wird aktuell mit der Coronakrise, der MeToo-Bewegung, dem Black-Lives-Matter-Diskurs oder der Klimadebatte deutlich. Parallel sorgt ein ständig wachsender Verwaltungsapparat dafür, dass immer weniger Raum für subjektive Entscheidungen bleibt. So lassen wir uns politisch korrekt immer mehr in die Enge treiben, in die Arme von totalitären Führern, die vorgeben, die Fakten auf ihrer Seite zu haben, um uns von der Unsicherheit zu befreien.
Hypnotisiert
Damit Massenbildung im großen Maßstab stattfinden kann, braucht es vier Bedingungen. Diese Bedingungen, so Mattias Desmet, waren vor der Entstehung des Nationalsozialismus und des Stalinismus erfüllt, und sie sind es auch heute: der Zustand allgemeiner Einsamkeit und sozialer Isolation, ein Mangel an Sinngebung im Leben, das Vorhandensein von viel frei flottierender Angst und psychischem Unbehagen in der Bevölkerung und viel ungebundene Frustration und Aggression.
Wenn auf diesem Boden eine suggestive Erzählung verbreitet wird, die ein Objekt der Angst benennt — die Juden im Nationalsozialismus, die Aristokraten im Stalinismus, die Impfgegner während der Coronakrise — dann ist die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Bevölkerung in eine Art Rausch verfällt. Was man denkt, spielt keine Rolle mehr, entscheidend ist, dass man es zusammen denkt. Die Masse glaubt nicht an eine Erzählung, weil sie wahr ist, sondern weil sie ein neues Gefühl der Verbundenheit erzeugt.
Die Coronazeit hat es gezeigt: Je absurder die Maßnahmen sind und je mehr sie einem abverlangen, desto enthusiastischer folgen die Massen.
Nichts existiert mehr außerhalb des Lichtkreises der vorherrschenden Doktrin. Alls, was aus dem Kreis herausfällt, verschwindet in der Dunkelheit. Beleuchtet werden das Coronavirus, die Coronaopfer und die Coronamaßnahmen. Auf die Kollateralschäden fällt kein Licht. Es spielt keine oder kaum eine Rolle, wie viele Menschen aufgrund der Maßnahmen Schaden nehmen oder sterben.
Der Prozess gleicht einer Hypnose. Doch im Unterschied zur klassischen Hypnose ist beim Phänomen der Massenbildung auch der Hypnotiseur mental ergriffen. Der Aufmerksamkeitsbereich des Lenkers ist dabei meist noch verengter als der der Masse. Denn er glaubt in der Regel fanatisch an die ideologische Grundlage der Erzählung, welche die Masse beherrscht. Um es mit Goethes Worten zu sagen: Er glaubt zu schieben, doch er wird geschoben.
Vom toten Universum ...
Einer der großen Verdienste des Buches von Mattias Desmet ist es, keine Feindbilder zu zeichnen, und dem Einzelnen damit seine Möglichkeiten aufzuzeigen. Denn wie die Massenbildung ist auch das Verschwörungsdenken darauf ausgerichtet, den Menschen klein zu halten. Eine Elite trägt die Schuld an den herrschenden Zuständen. Doch es sind im Grunde genommen nicht „die da oben“, die die Massen lenken und die Geschehnisse bestimmen. Es ist eine Ideologie.
Nicht Geldsucht und Sadismus kennzeichnen die Lenker der Masse, sondern eine ideologische Getriebenheit: Die Realität muss und wird der Ideologie angepasst werden. Der totalitäre Führer glaubt so fanatisch an seine Ideologie, dass er es für gerechtfertigt erachtet, unbegrenzt zu manipulieren, zu lügen und zu betrügen, um sie zu verwirklichen. Geld und Macht sind nur Zwischenziele. Das Endziel ist die Verwirklichung einer ideologischen Fiktion, die die Eliminierung ganzer Bevölkerungsgruppen rechtfertigt.
Die Ideologie, so Desmet, die der aktuellen Massenhypnose zugrunde liegt, ist das mechanistische Weltbild, das sich seit der Aufklärung verbreitet hat. Demnach beginnt alles mit einem Urknall, der die Maschine des Universums in Bewegung versetzt. Über eine Reihe mechanistischer Effekte wurden zunächst verschiedene anorganische Elemente und schließlich auch Lebewesen erzeugt. Nach diesem Denken ist die Welt ein toter mechanistischer Prozess, eine Kettenreaktion von Zusammenstößen von Elementarteilchen, die sich ohne Zweck und Ziel endlos fortsetzt.
Irgendwo auf der Strecke wurden unabsichtlich das Leben und der Mensch hervorgebracht. In diesem Denken sind Mensch und Welt Maschinen, die als solche beliebig manipuliert werden können. Ist die Maschine gestört, wird sie repariert. Ultimatives Ziel ist es, den Tod auszuschalten. Der Mensch braucht nichts weiter zu tun, als sich entsprechend programmieren zu lassen. Ohne sich als moralisches und ethisches Wesen in Frage stellen zu müssen, kommt er in den Genuss eines maximal bequemen Lebens, dessen Rechnung er erst später bezahlen muss.
... zur totalen Kontrolle
Es ist dieses Denken, das dazu geführt hat, die gesamte Gesellschaft in ein Internet of Bodies zu verwandeln. Nach dem transhumanistischen Ideal wird die Verschmelzung des Menschen mit der Maschine als unvermeidliche Notwendigkeit angesehen. Um die Klimaprobleme unter Kontrolle zu bekommen, müssen wir auf Fleisch aus dem 3-D-Drucker, Elektroautos und eine Online-Gesellschaft umsteigen. Um uns vor dem Coronavirus zu schützen, müssen wir unsere natürliche Immunität durch eine mit mRNA-Impfstoffen erzeugte künstliche Immunität ersetzen.
Nur durch die digitale Überwachung der menschlichen Körper durch einen technokratischen Staat können wir die Probleme der Zukunft meistern. Es gibt keine Alternative. Wer die technologische Lösung nicht mitträgt, ist naiv und unwissenschaftlich. Totalitarismus und Technokratie profilieren sich als Inbegriff von Ratio und Wissenschaftlichkeit. Das technokratische Paradies wird die Bevölkerung glücklich und gesund machen — oder doch zumindest die größte Chance dafür bieten.
Diese mechanistische Ideologie ist es, die zu sozialer Isolation, mangelnder Sinngebung, frei flottierender Angst und einem von latenter Frustration und Aggression geprägten Zustand führte. Sie lieferte den Nährboden für die großen und dauerhaften Massenbildungen, die wiederum zur Entstehung totalitärer Staatssysteme führten. So ist Totalitarismus im Grunde das Symptom eines naiven Glaubens an die Allmacht der menschlichen Ratio.
Am Scheideweg
Die Befreiung aus diesem Denken kommt aus der Wissenschaft selbst. Die großen Physiker des 20. Jahrhunderts erkannten, dass die kleinsten Einheiten der Materie keine physikalischen Objekte im gewöhnlichen Sinne des Wortes sind, sondern wirbelnde energetische Systeme, Schwingungsmuster, Informationen, kurz: Ideen. Im Grunde genommen sind die materiellen Manifestationen, die wir wahrnehmen, mentale Phänomene, die auf das Bewusstsein des Forschenden reagieren.
Somit liegt der Endpunkt der Wissenschaft nicht im perfekten rationalen Verständnis und vollkommener Kontrolle über die Wirklichkeit, sondern im Akzeptieren der Grenzen der menschlichen Ratio.
Das Wesen der Dinge, so lehrt es die neue Physik, ist nicht rational erfassbar. Die Wirklichkeit lässt sich nicht auf mechanistische Schemata reduzieren. Die Sicherheit, nach der wir streben und mit der wir uns die Welt zu erklären versuchen, gibt es nicht.
So stehen wir an einem Scheideweg, wie das Kind, das mit der fundamentalen Unsicherheit seiner Existenz konfrontiert wird. Wir können vor der Angst zurückschrecken und den mechanistisch-technokratischen Weg der Zahlen, Statistiken und Fakten bis zum Ende gehen. Oder wir können unserer narzisstischen Angst trotzen und die Unsicherheit akzeptieren, dass das ultimative Wissen sich außerhalb des Menschen befindet. Es schlummert in den Dingen. Der Mensch empfängt es, indem er wie eine Saite auf der Frequenz der Dinge mitschwingt.
Wahrsprechen
Damit gelangen wir zum Kern unserer Existenz: der Fähigkeit, uns in die Dinge hineinzufühlen, die wir erforschen, in unsere eigene Erfahrung, um sie in Worte zu fassen und dem anderen gegenüber auszusprechen. Unsere Zukunft, so Desmet, liegt nicht auf dem mechanistisch-transhumanistischen Pfad, sondern im Begreifen des enormen Einflusses des Psychischen auf das Körperliche.
Es ist das authentische, wahrhaftige Sprechen, das uns aus Massenbildung und Totalitarismus befreien kann. Der Weg in die Freiheit geschieht ohne Gewalt. Er führt über das Überwinden der Rhetorik hin zu einem ehrlichen und aufrichtigen Ausdruck unserer subjektiven Wahrheit. Bleiben wir dran. Geben wir nicht auf. Machen wir weiter. Lassen wir unsere Worte auf möglichst ruhige und respektvolle Weise erklingen, nicht aufdringlich, und immer feinfühlig für die Irritation und Wut, die sie hervorrufen können.
Wenn es zehn bis zwanzig Prozent der Menschen gelingt, auf vernünftige Weise eine alternative Stimme erklingen zu lassen, dann kann es gelingen, dass diese Gruppe die Massenbildung rückgängig macht. Wir können eine alternative Erzählung in Umlauf bringen von einem Universum, das wieder mit Sinn erfüllt ist. So schreiben wir eine neue Geschichte, in der der Verstand aufhört zu schreien und das Murmeln der Dinge des Lebens hörbar wird.
Ein aktuelles Urteil hat ergeben, dass Mattias Desmet sein eigenes Buch nicht mehr als Lehrwerk benutzen darf (2). Doch es ist die Zuversicht, die das letzte Wort hat. Wie alle totalitären Systeme wird auch dieses sich letztlich selbst zerstören. Bis es so weit ist, wissen wir, was wir tun können.
Hier können Sie das Buch bestellen: als Hardcover
Quellen und Anmerkungen:
(1) Mattias Desmet: Die Psychologie des Totalitarismus, Europa Verlag 2023
(2) https://transition-news.org/psychologieprofessor-darf-sein-eigenes-werk-nicht-als-lehrbuch-benutzen
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