„Dieser Krieg war seit Langem absehbar. Man hätte ihn verhindern können, wenn man es politisch gewollt hätte.“ Das schreibt Erich Vad in dem Ende 2022 von der Parmenides Stiftung herausgegebenen kleinen Band „Perspektiven nach dem Ukrainekrieg “ (1). Er versammelt sechs Beiträge von namhaften Autoren, welche sich aus Diskussionen ableiten, die im Rahmen der Stiftung geführt wurden. Sie verfolgen das „gemeinsame Ziel, die Debatte zu versachlichen und der Konflikteskalation eine besonnene Politik entgegenzusetzen, die den Frieden nachhaltig sichert und eine tragfähige neue Sicherheitsarchitektur schafft“ (2).
Erich Vad ist nun nicht gerade eine russische Propaganda-Stimme. Er ist Mitglied der CDU, Brigadegeneral a.D. und war von 2000 bis 2013 Berater für Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Angela Merkel und Mitglied des Bundessicherheitsrates. Sein Beitrag ragt aus den anderen Beiträgen des Parmenides-Bändchens hervor. Er zeigt darin das, was Julian Nida-Rümelin in seinem Beitrag fordert: eine ethisch fundierte Realpolitik der Friedenssicherung, für die er eine „philosophische Perspektive“ beisteuern will.
Natürlich gibt Julian Nida-Rümelin wie alle anderen Autoren des Bandes den Disclaimer, dass es sich bei der russischen „Spezialoperation“ um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelt, der gegen das allgemeine Gewaltverbot verstößt, das in Artikel 2 IV der UN-Charta festgeschrieben wurde (3). Der klarstellende Hinweis löst freilich nichts, sondern zeigt nur an, dass es sich um ein wirkliches Problem handelt, das nicht einfach mit Rückgriff auf eine Rechtsordnung zu lösen ist.
„Philosophische Perspektive“
Aus „philosophischer Perspektive“ geht es hier um das Verhältnis von Recht und Politik. Recht ist zunächst gesetztes oder positives Recht im Gegensatz etwa zum Naturrecht. Es muss anerkannt und durchgesetzt werden. Dabei geht es in der Regel nicht um die Richtigkeit der Norm — alle betonen ihren Willen zu Frieden und Gerechtigkeit —, strittig ist vielmehr die Anwendung der Norm, also die Frage, ob ein vorliegender Fall unter die normative Regel subsumiert werden kann, soll oder muss. Und hier können politische Bedenken eine Rolle spielen, die die Anerkennung eines Urteils und insbesondere einer Verurteilung verhindern.
Die USA erkennen zum Beispiel den Internationalen Gerichtshof in Den Haag nicht an, der doch das Rechtssprechungsorgan der Vereinten Nationen sein soll. Man kann es ihnen kaum verdenken, denn sie hätten wohl Urteile zu erwarten, die ihnen nicht gefallen. Und so sind auch — wie sonst — die Vereinten Nationen eine politische Versammlung, die um politische Interessen ringt — und nicht um Recht. Mit UNO-Mandat sind militärische Aktionen rechtens, ohne nicht?! Die Erteilung oder Verweigerung eines Mandats ist keine Feststellung eines Rechtstitels, sondern „nur“ das Ergebnis der Aushandlung politischer Interessen.
Nehmen wir das Beispiel der deutschen Beteiligung am Kosovokrieg, der — freundlich formuliert — nicht durchs Völkerrecht gedeckt war und jedenfalls gegen das Gewaltverbot der UN-Charta verstoßen hat, zu dem sich natürlich die Bundesrepublik Deutschland bekannt hat und bekennt. In der Erklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder am 24. März 1999 heißt es: „Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen.“ Gerhard Schröder hat inzwischen klargestellt, dass es sich — natürlich — um einen völkerrechtswidrigen Angriff gehandelt hat, der aber den Akteuren angesichts der menschenrechtlichen Situation im Kosovo erforderlich schien (4, 5).
Unbestreitbar führ(t)en die USA im 20. und 21. Jahrhundert völkerrechtswidrige Kriege, Militär- und Gewaltaktionen durch: Vietnam/Kambodscha, Irakkrieg, Libyen, Afghanistan … Die Liste ist lang, sehr lang, insbesondere wenn militärische und geheimdienstliche Aktivitäten einbezogen werden, die sich als Spezialoperationen tarnen (Kuba, Nicaragua, Grenada, Panama, Iran und so weiter). Auch Deutschland hat sich daran zum Teil aktiv beteiligt, zum Beispiel im Kosovo und in Afghanistan, und die völkerrechtswidrigen Aktivitäten der NATO-Verbündeten toleriert und keineswegs sanktioniert. Der Völkerrechtler Matthias Kumm schreibt dazu:
„Die vielen im Kalten Krieg und in der Zeit nach dem 11. September von den USA initiierten und mithilfe von Geheimdiensten durchgeführten Regime-Change-Operationen sind (…) genauso völkerrechtswidrig wie die öffentlich propagierten militärischen Feldzüge mit dem Ziel, ein tyrannisches Regime zu beseitigen und Demokratie und Menschenrechtsschutz zu bringen. Ein prinzipiell völkerstrafrechtlich verbotener und strafbarer Angriffskrieg bleibt ein solcher, auch wenn er im Namen der Demokratie und Menschenrechte geführt wird“ (6).
Natürlich lassen sich Verbrechen moralisch nicht dadurch relativieren, dass auf die Verbrechen anderer verwiesen wird. Und doch ist es ein guter Ratschlag, aus dem Glashaus nicht mit Steinen zu werfen. Und es gilt natürlich auch umgekehrt, dass die eigenen Untaten nicht mit Hinweis auf die anderer beiseite zu schieben sind.
Das Ziel solcher Vergleiche darf nicht sein, die neuen Angriffskriege damit zu rechtfertigen, dass es alte gab (7). Aber solch vergleichende Gegenüberstellung zeigt doch, dass es nicht nur für die andere Seite Gründe gibt, sich über das positive Völkerrecht und den Gewaltverzicht hinwegzusetzen, zum Beispiel weil man gerade eine friedliche Koexistenz in Gefahr sieht.
Politik, man mag das mit Julian Nida-Rümelin „Realpolitik“ nennen, hat die Interessen der anderen Handelnden zu berücksichtigen und mit den eigenen Interessen zum Ausgleich zu bringen. Das gelingt nur, wenn man eine strittige Sache aus der Perspektive des Anderen zu betrachten gewillt ist. Angst kann man nur nehmen, wenn man sie ernst nimmt, auch wenn man sie selbst nicht teilt. Arachnophobie wird man nicht heilen, indem man sich über sie lustig macht oder sie noch anheizt, indem man Spinnen züchtet und den mit einer Spinnenphobie Geplagten damit quält.
Wenn wir auf den Ukrainekrieg blicken, dann gilt es, zwei Interessen miteinander abzugleichen: die Sicherheitsinteressen der Staaten, die ehemals dem sowjetischen Einflussbereich unterlagen, also der baltischen Staaten, Polen und insbesondere der Ukraine, die sich durch Russland als Erbe der Sowjetunion bedroht fühlen. Die baltischen Staaten und Polen strebten daher eine NATO-Mitgliedschaft an. Und andererseits die Russlands, das die NATO-Osterweiterung mit vormaligen Verbündeten „ohne Proteste und Sanktionen akzeptiert“, aber nun bei der Ukraine eine rote Linie gezogen hat.
George F. Kennan, alles andere als ein Russlandfreund und einer der Architekten der Containment-Politik, hielt die Osterweiterung der NATO — insbesondere die Integration der baltischen Staaten — für den „verhängnisvollsten Fehler der amerikanischen Politik in der Ära nach dem Kalten Krieg“ (8). Eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ist für Russland nicht mehr akzeptabel.
Die Monroe-Doktrin
Versetzen wir uns in die Lage Russlands, wird das sofort verständlich. Der Hinweis, dass man es keinem souveränen Land verbieten könne, der NATO beizutreten, trägt aus zwei Gründen nicht. Erich Vad sagt sehr klar:
„Es gab und gibt kein Souveränitätsrecht eines Landes auf NATO-Mitgliedschaft“ (9).
Zum anderen fordert uns Julian Nida-Rümelin zu einem Gedankenexperiment auf: Man stelle sich vor, Kanada oder, vermutlich etwas plausibler, Mexiko würden die Aufnahme in die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) planen, also die Nachfolgeorganisation des Warschauer Pakts, oder alternativ eine militärische Allianz mit China. Das alles mit dem Hinweis, dass es jedem souveränen Land freisteht, sich in militärischen Bündnissen zu organisieren.
Wie würden die USA reagieren? Wie würden sie auf acht Jahre gigantische Aufrüstung Kanadas/Mexikos durch Russen oder Chinesen reagieren oder auf die Tatsache, dass Russland beziehungsweise China jede Verhandlung darüber ablehnt — so wie im Dezember 2021/Januar 2022 die USA auf die drängenden Initiativen Russlands?
Die USA würden vermutlich eine rote Linie ziehen und bei deren Überschreiten militärisch eingreifen — ohne, mit welchem Recht auch, die UNO zu konsultieren.
Jedenfalls würde das der Monroe-Doktrin entsprechen, der mehr oder weniger alle Präsidenten der USA des 20. und 21. Jahrhunderts gefolgt sind. Sie geht auf eine Rede des US-Präsidenten James Monroe vom 23. Dezember 1823 zurück und besagt — sehr vereinfacht — „Amerika den Amerikanern“ und meint damit Nord- und Südamerika gleichermaßen. Keiner nichtamerikanischen Macht dürfe Einfluss auf den nord-, mittel- und südamerikanischen Kontinent erlaubt werden (10).
Erich Vad stellt nun klar, dass „die Schwarzmeerregion für die Russen und ihre Schwarzmeerflotte so wichtig (ist) wie die Karibik oder die Region um Panama für die USA. So wichtig wie das südchinesische Meer und Taiwan für China. So wichtig wie die Schutzzone der Türkei, die sie völkerrechtswidrig gegenüber den Kurden etabliert haben. Vor diesem Hintergrund und aus strategischen Gründen können die Russen da auch nicht raus“. Das zu ignorieren führt in den Krieg.
Wenn Erich Vad also davon spricht, dass der Krieg „seit Langem absehbar“ war und man ihn leicht hätte „verhindern können, wenn man es politisch gewollt hätte“, dann hat er diese offensichtlichen Interessen im Blick. Erich Vad ist damit auf gleicher Linie wie Klaus von Dohnanyi, der ebenfalls überzeugt ist, dass der Krieg einfach und unkompliziert hätte verhindert werden können.
Warum wurde nicht verhindert, was hätte verhindert werden können?
Wenn er politisch hätte verhindert werden können, warum wurde er dann nicht verhindert? Eine mögliche Antwort ist, weil man es nicht wollte. Russlands Forderung, über die Zukunft der Ukraine verbindliche Vereinbarungen zu treffen — kein NATO-Beitritt, keine Atomwaffen —, wurden von den USA ignoriert. Im Gegenteil hat man auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2022 die Einladung zur NATO aus 2007 ausdrücklich wiederholt (11).
Hier liegt vielleicht auch eine Schwäche des Perspektiven-Bändchens, die sich aus der dort vorgegebenen Fragerichtung ergibt, nämlich Perspektiven nach dem Ukrainekrieg in den Blick zu nehmen. Julian Nida-Rümelin zitiert in der Einleitung Henry Kissinger, der sich kritisch zu den strategischen Kriegszielen äußert:
„Wir stehen am Rande eines Krieges mit Russland und China in Fragen, die wir zum Teil selbst verursacht haben, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie das Ganze enden wird und wozu es führen soll“ (12).
Das ist aus meiner Sicht eine optimistische oder doch jedenfalls gutgläubige Unterstellung. Nida-Rümelin nämlich entwirft fünf „Szenarien nach dem Krieg“, die alle davon ausgehen, dass sich der Ukrainekonflikt mit der Bewältigung des russischen Angriffskriegs auflösen ließe.
Für ein anderes Szenario, das beiläufig erwähnt wird, steht Zbigniew Brzeziński. Brzeziński war der langjährige Sicherheitsberater mehrerer US-Präsidenten. Er hat zum Beispiel in seinem Buch „The Grand Chessboard: American Primacy and Its Geostrategic Imperatives“ von 1997 (13) die klare Strategie vertreten, Russland als Weltmacht verschwinden zu lassen und die American Primacy zu sichern. Zu diesem Zweck soll Russland auf allen Ebenen geschwächt und in den politisch-wirtschaftlichen Konkurs gestürzt werden.
Folgt man diesen Ideen, dann geht es gerade darum, Russland durch einen ressourcenraubenden Krieg zu schwächen und einen Regime-Change zu erzwingen. Man konnte tatsächlich nicht überrascht sein, dass Russland so reagiert, wie die USA im Falle Kanadas oder Mexikos reagiert hätten und bei Kuba, Grenada, Panama, Chile und so weiter reagiert haben. Die am Minsker Abkommen Beteiligten, der französische Präsident François Hollande und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, haben inzwischen sogar öffentlich eingeräumt, dass mit Minsk II der Konflikt nicht beseitigt, sondern vor allem Zeit gewonnen werden sollte, die Ukraine aufzurüsten. 2014 wäre sie einer Invasion Russlands beinahe schutzlos ausgeliefert gewesen.
„Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“
Mit Blick darauf erschien am 5. Dezember 2014 auf Zeit Online ein Appell für eine andere Russlandpolitik: „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ Neben allerlei Prominenten aus Wirtschaft und Kultur unterzeichneten den Appell auch Roman Herzog, Gerhard Schröder, Lothar de Maizière, Hans-Jochen Vogel, Eberhard Diepgen und natürlich Horst Teltschik und Antje Vollmer, die zu den Initiatoren gehörten. Man warnte vor „einer drohenden Gewaltspirale“: „Bei Amerikanern, Europäern und Russen ist der Leitgedanke, Krieg aus ihrem Verhältnis dauerhaft zu verbannen, verloren gegangen. Anders ist die für Russland bedrohlich wirkende Ausdehnung des Westens nach Osten ohne gleichzeitige Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau, wie auch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Putin, nicht zu erklären.“
Man appellierte an die Bundesregierung, die Entspannungspolitik der Annäherung fortzusetzen.
„Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer. Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen. (…) Einbinden statt ausschließen muss das Leitmotiv deutscher Politiker sein.“
Nicht nur die Politik muss besonnen reagieren.
„Wir appellieren an die Medien, ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachzukommen als bisher. Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen. Jeder außenpolitisch versierte Journalist wird die Furcht der Russen verstehen, seit NATO-Mitglieder 2008 Georgien und die Ukraine einluden, Mitglieder im Bündnis zu werden.“
Acht Jahre später ist von Entspannung und Annäherung nichts mehr zu spüren. Und die fast einheitliche Medienfront hetzt die Öffentlichkeit zur kriegerischen Eskalation. Eric Vad sieht mit Blick auf die mediale Auf- und Vorbereitung der kriegerischen Auseinandersetzung durchaus Ähnlichkeiten mit unrühmlichen Zeiten deutscher Geschichte: 1914 zum Beispiel bejahte ein Großteil der bürgerlichen Mitte und der Intellektuellen die kaiserliche Kriegspolitik. Die Erben schauten danach leicht beschämt zu Boden, um nun von der Politik härtere Maßnahmen und immer mehr, immer „schwerere“ Waffenlieferungen zu fordern (14).
In einem sehr lesenswerten Interview mit Emma spricht Erich Vad sogar von einer „weitgehenden Gleichschaltung der Medien“:
„Militärische Fachleute — die wissen, was unter den Geheimdiensten läuft, wie es vor Ort aussieht und was Krieg wirklich bedeutet — werden weitestgehend aus dem Diskurs ausgeschlossen. Sie passen nicht zur medialen Meinungsbildung. Wir erleben weitgehend eine Gleichschaltung der Medien, wie ich sie so in der Bundesrepublik noch nie erlebt habe. Das ist pure Meinungsmache. Und zwar nicht im staatlichen Auftrag, wie es aus totalitären Regimen bekannt ist, sondern aus reiner Selbstermächtigung.“
Insbesondere fehlt ihm jedes Verständnis für „die Mutation der Grünen von einer pazifistischen zu einer Kriegspartei“:
„Ich selbst kenne keinen Grünen, der überhaupt auch nur den Militärdienst geleistet hätte. Anton Hofreiter ist für mich das beste Beispiel dieser Doppelmoral. Antje Vollmer hingegen, die ich zu den ‚ursprünglichen‘ Grünen zählen würde, nennt die Dinge beim Namen. Und dass eine einzige Partei so viel politischen Einfluss hat, dass sie uns in einen Krieg manövrieren kann, das ist schon sehr bedenklich.“
Antje Vollmer spricht in ihrem Beitrag denn auch von den „heutigen Grünen“ als „Menschenrechts-Bellizisten“, die „in vermeintlich idealistischer Absicht“ in den Krieg führen. Sie sieht insbesondere „zwischen den Generationen einen scharfen Bruch“.
Die Bereitschaft zum Krieg hat irreale Züge. „Wir haben eine bekanntermaßen nicht einsatzbereite Armee“ (15). Das hört sich nicht schön an — vor allem bei einem Verteidigungsetat von jährlich deutlich fast 50 Milliarden Euro (16). Vor allem aber war und ist — so Erich Vad — die „Wehrmotivation, die im Falle des Ukrainekrieges auch von früheren deutschen Wehrdienstverweigerern bejubelt wird, in Deutschland faktisch nicht vorhanden“ (17). Sie ist nach Umfragen bei grün-linken Wählern am niedrigsten. Kämpfen sollen dann doch die anderen.
Ich glaube, dass unsere Freiheit weder am Hindukusch noch vom ASOW-Bataillon in der Ostukraine verteidigt wird — und schon gar nicht von woken Prenzlauer-Berg-Krabbelgruppen-Vätern oder -Müttern.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „Perspektiven der Realpolitik“ im Rhetorik Forum Nürnberg.
Quellen und Anmerkungen:
(1) „Perspektiven nach dem Ukraine-Krieg, Europa auf dem Weg zu einer neuen Friedensordnung?“ Herausgegeben von der Parmenides Stiftung, 2022, Seite 64.
(2) Julian Nida-Rümelin, Einführung, in: „Perspektiven“, am angegebenen Ort, Seite 12.
(3) Das darf man wohl mal als gesetzt unterstellen. Obgleich es auch da durchaus Interpretationsspielraum gibt. Die USA haben mehrere Interventionen mit dem Hilfsersuchen beteiligter Staaten begründet, zum Beispiel Korea, Vietnam oder Libanon; vergleichbare Begründungen werden beim anderen Lager nicht akzeptiert. Russland kommt nach eigener Darstellung den sich als unabhängig erklärten Donbass-Provinzen zu Hilfe, die seit acht Jahren bei Bruch des Minsker Abkommens unter dem Beschuss durch die ukrainische Armee leiden. Ohne hier Partei ergreifen zu wollen, zeigt das doch an, wie kompliziert die Dinge liegen.
(4) Natürlich kann man darüber streiten, ob das gerechtfertigt war — vermutlich beruhte der Krieg wie so oft auf Lügen. Aber das ist hier gar nicht entscheidend. Vielmehr kommt es auf das Selbstverständnis der Handelnden an, die sich — Völkerrecht hin oder her — verpflichtet fühlen, etwas zu tun.
(5) Bezeichnend ist allerdings, wie sich die Erklärungen ähneln: Schröder spricht — wie Putin im Februar 2022 — nicht von einem Krieg, sondern von einer „Militäraktion“, die „sich nicht gegen das serbische Volk“ richte. Und es wurde zugesagt, die Zivilbevölkerung zu schonen — was, wie die Flächenbombardements zum Beispiel von Belgrad zeigen, dann wohl doch kein maßgebendes Ziel war.
(6) Matthias Kumm, Der Ukrainekrieg und die Zukunft der internationalen Rechtsordnung, in: „Perspektiven“, am angegebenen Ort, Seiten 41 folgende.
(7) Auch die Aufrechnung — so erhellend sie manchmal ist — dient nur der Bodenhaftung gegen allzu selbstgefälliges Schönreden. „Während der Ukrainekrieg tobt“, so Erich Vad, „geht es im jahrelangen jeminitischen Bürgerkrieg im Kern um einen Stellvertreterkrieg zwischen dem machthungrigen Iran und Saudi-Arabien, das von den USA aus geostrategischen Gründen unterstützt wird — trotz seiner diktatorischen Regierung, massiven und systematischen Menschenrechtsverletzungen und mittlerweile über 400.000 toten Zivilisten“ (Eric Vad, Gelernte Lektionen und strategische Perspektiven, in: „Perspektiven“, am angegebenen Ort, Seite 76). Hier ist die Aufregung weniger groß, geschweige denn etwas von einer Mobilisierung zur militärischen Unterstützung zu hören.
(8) Hier auch wieder zitiert Nida-Rümelin, Realpolitik, in: „Perspektiven“, am angegebenen Ort, Seite 117. Siehe auch „Schmale Debattenkultur“.
(9) Erich Vad, Gelernte Lektionen und strategische Perspektiven, in: „Perspektiven“, am angegebenen Ort, Seite 74.
(10) Allerdings wird der Monroe-Doktrin nur in einer der beiden Ausprägungen gefolgt. Sie war Ausdruck der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien von europäischen Kolonialmächten und wollte zwei politische Sphären unterscheiden: Amerika sollte sich ohne Einfluss Europas entwickeln und Europa — wie auch der Rest der Welt — ohne den politischen Einfluss Amerikas. Mit wenigen Phasen aufkeimenden Isolationismus wollten die USA nun — völlig selbstlos, versteht sich — „allen , deren Freiheit von militanten Minderheiten oder durch einen äußeren Druck bedroht ist“, Beistand gewähren.
(11) Wolodymyr Selenskyj am 19. Februar 2022:unter Standing Ovations der Konferenz: „We are told: the door is open. But so far authorized access only. If not all members of the Alliance want to see us or all members of the Alliance do not want to see us, be honest. Open doors are good, but we need open answers, not open questions for years. Isn’t the right to the truth one of our enhanced opportunities? The best time for it is the next summit in Madrid. (…) Provide Ukraine with (…) clear and comprehensive timeframes for joining the Alliance.”
(12) Julian Nida-Rümelin, am angegebenen Ort, Seite 9.
(13) Deutsch bezeichnenderweise erst 2015 unter „Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ veröffentlicht.
(14) Es ist dann auch nicht mehr verwunderlich, dass bereits 2014 der Aufruf nur schwer Gehör fand. Die Süddeutsche Zeitung verweigerte den Abdruck, ARD, ZDF, Deutschlandfunk, FAZ und Spiegel wollten davon keine Kenntnis nehmen. Dagegen war der Vorgänger der SZ 1914 mit Kriegspropaganda sehr aktiv: Alles begann mit einer Lüge II und knüpft nun an diese Tradition durchaus an.
(15) Erich Vad, am angegebenen Ort, Seite 65.
(16) Tatsächlich sind die Ausgaben für militärische Zwecke noch deutlich höher, da auch ein Teil der Mittel im Bereich Forschung und Entwicklung für Militärtechnologie genutzt wird.
(17) Erich Vad, am angegebenen Ort, Seite 69.
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