Neulich war ich zum Mittagessen in einer eleganten Altbauwohnung im Zentrum von Montpellier eingeladen. Um den Tisch herum saßen Leute, die im wissenschaftlichen, kulturellen und künstlerischen Bereich tätig sind. Gebildete, belesene, vernünftige Menschen. Etwas schleppend sprang das Gespräch von einem mondänen Thema zum nächsten, bis es bei der Lage der Welt ankam.
Nachdem er sich bei der Vorspeise zur kathartischen Wirkung von Horrorfilmen geäußert hatte, prophezeite mein Sitznachbar beim Hauptgang den bevorstehenden Weltuntergang. Es ist zu spät. Da der Mensch von Grund auf schlecht sei, geschieht ihm das ganz recht. Jede andere Vision sei unrealistisch und man müsse den Mut haben, dem ins Auge zu blicken.
Beim Käse ging es darum, dass er sich am Vorabend seines siebzigsten Geburtstages dazu entschlossen hatte, das Rauchen ganz und das Trinken teilweise einzustellen. Das von ihm angekündigte „Zuspät“ siedelte er deutlich nach seiner eigenen Lebenszeit an. Beim Dessert wurde mir klar: Bei Menschen, die die Lebensmitte überschritten haben und mit vollem Bauch den Weltuntergang prophezeien, stimmt etwas nicht.
Ich höre in dieser Haltung einen menschenverachtenden Zynismus mitklingen, der den Jüngeren nicht nur den Müll, sondern auch die unmögliche Bürde hinterlässt, eine Lösung finden zu müssen, ohne ihnen eine Chance zu geben. Der Schokoladenkuchen erhielt sein Sahnehäubchen, als jemand hinzufügte, dass er hoffe, beim Spektakel des Untergangs mit dabei sein zu können. In diesem Moment entschied ich mich, die Titanic zu verlassen. Ich schwamm an Land und dachte nach.
Ästhetisierung des Untergangs
Ich fragte mich, ob diese Menschen auch so sprechen würden, wenn sie nicht gerade mit runden Bäuchen in einer eleganten Altbauwohnung sitzen, sondern hungernd, durstend und von der Sonne verbrannt in einem wackligen Boot auf hoher See. Oder in einer zerbombten Stadt, blutend und mit zerschossenen Gliedmaßen, umgeben von den Überresten ihrer Nachbarn. Im Meteoritenregen, am Rande eines glühenden Lavafeldes oder eines klaffenden Abgrundes.
Die Idee des Untergangs mag jenen abenteuerlich oder sogar ästhetisch erscheinen, die nicht selbst betroffen sind. Der Gedanke an eine globale Katharsis, eine planetare Grundreinigung mag verlockend sein: Nichts bleibt mehr übrig von der Schlechtigkeit der Menschen. Wie in einem gigantischen Feuerwerk sollen Gier, Gewalt, Missgunst, Eifersucht, Ignoranz, Neid und Hass noch einmal aufflammen und dann auf ewig verschwinden.
Damit gemeint sind die anderen. Man selbst ist ja gar nicht so schlecht. Großzügig bringt man einen guten Tropfen mit, ordentlich angezogen betreibt man gepflegte Konversation und sticht denen, die am Tisch anderer Meinung sind, nicht die Anlegegabel in den Rücken. Kaum jemand, der von der Unausweichlichkeit des Untergangs spricht, hält sich selbst für einen schlechten Menschen und niemand bezeichnet sich selbst als Manipulator, Vergewaltiger, Ausbeuter und Zerstörer.
Das Alte mit allen Mitteln am Leben halten
Ich höre aus der lapidar dahingeworfenen Untergangsprognose vor allem eines heraus: die Verbitterung darüber, etwas Wesentliches im Leben nicht zu erkennen. Um den Frust zu ertragen, werden diejenigen, die von Hoffnung sprechen, als naive Träumer abgekanzelt. Anstatt neugierig zu werden und hinter den Mauern alter Überzeugungen hervorzukommen, werden die, die von grundsätzlichem Wandel und von Paradigmenwechsel reden als realitätsgestörte Esoteriker belächelt.
Denn wenn an den Grundfesten des Systems gerüttelt wird, das ja nach eigener Aussage verantwortlich für den Untergang ist, dann wird genau dieses System mit Zähnen und Klauen verteidigt. Verschwörungstheoretiker heißen jene, die aufzeigen, wie verdorben es ist und von welcher Schwärze seine Drahtzieher sind. Man will nicht glauben, dass Terrorakte und Kriege erfunden und ganze Völker gezielt vernichtet werden, vor allem aber, dass man selbst manipuliert wird. Pseudowissenschaftler werden jene genannt, die multinationale Unternehmen und Industrien, einschließlich die der Medizin, als Lebensvernichtungsmaschinerien entlarven und neue Perspektiven aufzeigen, in deren Zentrum die Energie des kreativen Geistes steht.
Den Irrtum erkennen
Es sind die Gleichen, die von der Schlechtigkeit der Menschen überzeugt sind und doch nicht wahrhaben wollen, zu was einige wenige in der Lage sind. Denn wenn das stimmt, was am Rande enthüllt wird, dann zeigt der Finger auch auf sie. Dann können sie sich nicht mehr hinter einem vermeintlichen Realitätsbewusstsein verstecken, sondern müssten sich eingestehen: Ja, ich habe mich geirrt. Ich habe mich täuschen lassen. Ich habe tatsächlich geglaubt, dass das Leben geschützt wird und muss nun erkennen, dass es nicht so ist.
Nichts ist so schwer, wie sich einen Irrtum einzugestehen, um Vergebung für sein Verhalten zu bitten und eine andere Richtung einzuschlagen. Die meisten ziehen es vor zu sterben, als sich diese Blöße zu geben. Und so gehen sie letztlich nicht an den Ereignissen, sondern an ihrer eigenen Sturheit zugrunde. Hier ist des Pudels Kern. Mephistopheles, das Teuflische, das angeprangerte Schlechte, verbirgt sich in unserer eigenen Verschlossenheit, die uns in Dunkelheit gefangen hält.
Das Hindernis überwinden
In der biblischen Weltanschauung verkörpert Satan die Macht, die Gott davon zu überzeugen sucht, dass die Menschen schlecht sind. Sein Name bedeutet Hindernis: Er legt es darauf an, dass das Licht nicht hindurchscheint und dass die Menschen sich seiner Anklage entsprechend verhalten. Das ist sein Trick. Doch er verliert seine Macht in dem Moment, in dem wir seine Strategie durchschauen. Er kann nichts mehr ausrichten, wenn wir unsere Sturheit überwinden und uns öffnen, wenn wir uns nicht mehr gegenseitig beschuldigen und verdammen und wieder an das Gute in uns glauben.
Mit diesem Gedanken bin ich nach dem Kaffee gegangen, hinaus auf die Straße, unter die Menschen, die dort waren. Ich habe sie angesehen und wusste: Sie alle haben einen Kern aus Licht, ganz gleich, wie sie sich gerade verhalten. Ohne dieses Licht wären sie nicht am Leben. Ich kann sie nicht dazu überreden, das so zu sehen. Doch ich kann ihnen sagen, dass ich an dieses Licht glaube.
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