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Der Weckruf

Der Weckruf

Edward Snowden warnte schon lange vor einem digitalen Finanzfaschismus.

„Ich traf die Vorbereitungen eines Mannes, der damit rechnet, zu sterben.“

Zuletzt arbeitete Snowden auf der Hawaii-Insel Oahu. Sein Arbeitgeber war die NSA. Snowden hatte eine privilegierte Stellung inne: Schätzungsweise nur einige Dutzend Menschen weltweit hatten derart weitreichenden Einblick in die Strukturen und Informationen der vielleicht fortschrittlichsten staatlichen Geheimdienstbehörde der Welt.

Über mehrere Jahre hatte Snowden das System der Überwachung durch die US-Regierung studiert, in allen seinen Facetten. So sammelte die NSA etwa die Kommunikationsdaten aller Erdenbürger, derer sie habhaft werden konnte.

An den Computern in der Hauptzentrale in Maryland brauchte man nur einen Namen einzutippen, um alles über eine Zielperson zu erfahren: jede E-Mail, jedes Telefonat, jeder Eintrag in sozialen Netzwerken, jede SMS … Es war in einigen Fällen sogar möglich, Aufzeichnungen von Internetsitzungen wiederzugeben, als wäre der Bildschirm des Opfers mit der Kamera aufgenommen worden.

NSA-Mitarbeiter konnten sich auch in Echtzeit über bestimmte Aktivitäten ausgewählter Personen benachrichtigen lassen. Dabei konnte es sich um einen Ingenieur auf Indonesien handeln, genauso aber auch um einen Minister in Europa oder einen Bundesrichter in Amerika.

Das ist nur ein Beispiel für die vielen Erkenntnisse, über die Snowden die Öffentlichkeit informieren wollte. Um Journalisten die komplizierte Materie vermitteln zu können, musste er ein Treffen auf neutralem Boden vorbereiten. Snowden schrieb in seiner 2019 veröffentlichten Autobiografie:

„Ich traf die Vorbereitungen eines Mannes, der damit rechnet, zu sterben. Ich räumte meine Bankkonten ab, steckte Bargeld in eine alte stählerne Munitionskiste, damit (meine Lebensgefährtin) Lindsay es finden und die Regierung es nicht beschlagnahmen konnte“ (1).

Auf die Weitergabe eines einzigen geheimen Dokuments — und Edward Snowden wollte tausende weitergeben — drohten in den USA bis zu 10 Jahre Gefängnis. Und daneben gab und gibt es die Todesstrafe.

Mit Bargeld gelang die Flucht

Bevor Snowden sich auf den Weg machte, meldete er der NSA einen medizinischen Notfall. Er gab an, einen epileptischen Anfall erlitten zu haben. Seiner Freundin Lindsay Mills dagegen hinterließ er sein Smartphone und einen Zettel:

„Muss beruflich weg. Ich liebe Dich.“

Mit vier Laptops im Gepäck, einer Spezialantenne und einem Zauberwürfel verließ er das Haus:

„Dann fuhr ich zum Flughafen und kaufte ein Ticket für den nächsten Flug nach Tokio, das ich bar bezahlte. In Tokio kaufte ich ein weiteres Ticket, das ich ebenfalls bar bezahlte, und traf am 20. Mai (2013) in Hongkong ein, der Stadt, in der die Welt mir zum ersten Mal begegnen würde“ (2).

Hätte Snowden mit Kreditkarte bezahlen müssen oder gar mit dem Smartphone, wäre er spätestens in Tokio gestellt worden. Und nach Sichtung seines verdächtigen Gepäcks verhaftet worden. Hier zeigen sich bereits die Gefahren der Entwicklung hin in eine bargeldlose Welt. Es braucht gar kein staatlich verordnetes Bargeldverbot; es reicht bereits, wenn private Unternehmen wie Fluggesellschaften beginnen, Bargeld als Zahlungsmittel auszuschließen.

In Sicherheit bei Flüchtlingen in Hongkong

Bald nachdem The Guardian am 5. Juni 2013 den ersten Bericht von Glenn Greenwald veröffentlichte, wurde Snowdens Aufenthaltsort in Hongkong bekannt. Unzählige Pressevertreter drängten sich vor seinem Hotel. Da war es der Menschenrechtsanwalt Robert Tibbo, der Snowden durch einen Nebenausgang hinausschleuste, um ihn in der spärlichen Wohnung warmherziger Flüchtlinge zu verstecken. Auch hier triumphierte Bargeld:

„Mein Angebot, sie für ihre zusätzlichen Ausgaben zu entschädigen, wiesen sie so vehement zurück, dass ich das Geld heimlich in ihrem Zimmer deponieren musste. (...). Ich kann nicht in Worte fassen, was es mir bedeutete, so viel von Menschen zu bekommen, die selbst so wenig hatten (...)“ (3).

Das FBI hinter Lindsay Mills

Den Grund für Snowdens Fortbleiben erfuhr seine Lebensgefährtin erst, als sein Gesicht auf jedem Fernsehkanal erschien. Sie hatte sich daheim, wo Beamte ihre Wohnung auf den Kopf stellten, nicht mehr wohlgefühlt und war zu einer Freundin gezogen. Deren Mutter Eileen war in der Kommunalpolitik tätig und beriet Lindsay Mills, wie sie sich nun zu verhalten habe:

„Wir fuhren zur nächsten Filiale, und auf Eileens Geheiß hob ich mein ganzes Geld ab, für den Fall, dass das FBI meine Konten sperren würde. (...). Der Filialleiter wollte wissen, wofür ich so viel Bargeld brauchte, und ich sagte: ‚Zum Leben.‘“

Die NSA weiß, was Sie im Laden kaufen

Wer mit Karte oder Handy einkauft, der gibt seinen Aufenthaltsort preis. Und daneben Informationen über seinen Lebensrhythmus — ersichtlich aus dem Zeitstempel, wann eine Zahlung gebucht wurde —, über seine Vorlieben — in welchen Geschäften man eingekauft hat —, ob man sparsam ist oder verschwenderisch — erkennbar an der Höhe der Zahlungen. Solche Metadaten machen einen berechenbarer.

Es geht aber noch weiter. Wenn der Kassenbeleg für die erworbenen Waren nicht von Hand geschrieben oder von einem isolierten Kassensystem gedruckt wird, kann der Geheimdienst möglicherweise auch nachvollziehen, was Sie denn eigentlich genau gekauft haben. Bei großen Handelsketten werden die verkauften Produkte sicher in Echtzeit an die Zentrale gemeldet, damit zum Beispiel rechtzeitig Nachbestellungen getätigt werden können. Was man über Sie herausfinden kann, wenn sich die NSA hier einhackt, beschreibt Snowden knapp in seiner Biografie:

„(...) wäre es für die Regierung eine Kleinigkeit, herauszufinden, dass Du dieses Buch liest. Zumindest wäre es nicht schwierig, herauszubekommen, dass Du es besitzt, (...) als gebundene Ausgabe online erworben oder in einem richtigen Geschäft mit Kreditkarte gekauft hast“ (4).

Alle diese interessanten Aussagen können Sie nachlesen in Snowdens Autobiografie „Permanent Record“. Die Lektüre ist ihre Zeit auf jeden Fall wert. Sie bekommen das Buch für Bargeld in jedem Buchgeschäft. Nennen Sie Ihrem Buchhändler einfach die ISBN-Nummer, siehe unter Quellen.

Wie bezahlt Edward Snowden heute in Russland?

Auf Seite 243 seiner Biografie schreibt Snowden, dass er und seine Freundin bereits in Amerika alles bar bezahlten. Und wie handhabt er es in seinem russischen Exil? Gegenüber dem staatlichen Fernsehsender France24 sagte er 2019:

„Ich benutze nie Kreditkarten. (...). Und natürlich wissen wir, dass es all diese Stellen gibt, die diese Datenbanken nach Details über unser Privatleben durchforsten, und es sieht so aus, als wäre das kein guter Deal, stattdessen bezahle ich die Dinge bar.“

Hier können Sie ihn selbst hören:

Die weltweite Einführung der Digitalwährung

Die Europäische Zentralbank und die EU-Kommission arbeiten aktuell an dem Konzept der Digitalwährung. Und neben ihr die Notenbanken von nicht weniger als 87 Ländern.

Einige kleine Karibikinseln haben bereits eine elektronische Währung parallel zu Bargeld eingeführt. In anderen Weltteilen gibt es diese Neuerung bisher nur in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas. Dort muss jeder Händler Zahlungen in der neuen E-Naira akzeptieren. Wer ein Smartphone und eine Handynummer hat, kann sie nutzen, eine elektronische Geldbörse auf sein Telefon herunterladen und damit bezahlen.

Wem seine Privatsphäre heilig ist, muss allerdings Abstriche machen. Denn der Weg zur SIM-Karte führt durch das NIN-Registrierungszentrum. Die NIN ist eine nationale Identifikationsnummer. Ohne die geht es nicht. Im Antragsverfahren sind eine Menge Daten preiszugeben. Abdrücke von allen zehn Fingern werden verlangt. Wer die Prozedur dann endlich überstanden hat, kann die E-Naira innerhalb der bestehenden Schranken nutzen: Es gilt das tägliche Transaktionslimit von 50.000 NGN (etwa 110 Euro). Ohne dem Staat über die NIN-Registrierung hinaus noch weitere Zugeständnisse zu machen, darf ein Bürger 300.000 NGN (circa 675 Euro) im elektronischen Geldbeutel verwahren.

Apropos, Nigeria war auch das Land, das 2014 einen ganz modernen Personalausweis eingeführt hat. Das erste staatliche Ausweisdokument, auf dem das Symbol von Mastercard blinkte! Kreditkarte inklusive.

Snowdens Warnung

Nehmen wir wieder eine globale Perspektive ein. Edward Snowden erblickt in der Entwicklung des Finanzsystems eine große Gefahr. Er sieht die Absicht, Bargeld zu verdrängen, um es schließlich zu ersetzen und die Kontrolle über jeden Pfennig der Welt zu übernehmen. Edward Snowden warnt eindrücklich davor:

„Eine digitale Zentralbankwährung ist auch keine Übernahme des Konzepts der Kryptowährung auf staatlicher Ebene — zumindest nicht der Kryptowährung, wie sie so ziemlich jeder auf der Welt, der sie verwendet, derzeit versteht.

Stattdessen ist eine digitale Zentralbankwährung eher eine Perversion der Kryptowährung (...) — eine kryptofaschistische Währung, (...) die (...) ausdrücklich dazu bestimmt ist, ihren Nutzern das grundlegende Eigentum an ihrem Geld zu verweigern und den Staat als Vermittler jeder Transaktion einzusetzen“ (Edward Snowden).

Der Staat als Vermittler jeder Transaktion. Der Chef der Deutschen Bank bestätigte dieses Ziel, als er sich 2016 auf dem Weltwirtschaftsforum wie folgt ausdrückte:

„Aber wir machen uns Sorgen um Bargeld, denn ich denke, das sollte entmaterialisiert werden. (...). Und ich denke, die Regierungen wären daran interessiert. (...). Es wäre besser, wenn alles nachvollziehbar wäre“ (5).

In der Gesprächsrunde, in der John Cryan dies sagte, saß auch Christine Lagarde, damals noch Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Als solche stimmte sie in Davos Cryans Prognose zu, dass es in zehn Jahren wahrscheinlich kein Bargeld mehr geben werde. Der IWF ist ein eifriger Förderer der Abkehr vom Bargeld. Und auch ein Kämpfer für das E-Naira-Projekt. Viele Staaten sind beim Internationalen Währungsfonds verschuldet. Nigeria mit unglaublichen sechs Milliarden US-Dollar — man bedenke die niedrigen Staatseinnahmen.

Christine Lagarde befürwortete 2018 in Singapur auf dem Fintech Festival die Einführung digitaler Währungen. Der Eigenschaft von Bargeld, unter der vollen Kontrolle seiner Nutzer zu stehen und ihre Anonymität zu schützen, betrachtete Lagarde sehr kritisch. Sie brachte das zum Ausdruck, als sie auf derselben Veranstaltung sagte:

„Würden die Zentralbanken zu Hilfe eilen und eine völlig anonyme digitale Währung anbieten? Sicherlich nicht. Dies wäre ein Glücksfall für Kriminelle. (...).“

Edward Snowden hätte also das Nachsehen. Kein Entkommen für Whistleblower. Niemand würde in der schönen neuen Welt von Christine Lagarde etwas über die Verbrechen der Regierung oder vergleichbarer Instanzen erfahren. Und damit werden die Hürden für die Läuterung eines Staates größer. Es wird schwieriger, einen neuen Weg einzuschlagen. Möge es nie ein Bargeldverbot geben! Möge die Möglichkeit erhalten bleiben, allerorten bar zu bezahlen!

Dabei ist Ihre Mithilfe gefragt:

  • Setzen Sie sich mit der schleichenden Bargeldabschaffung und ihren Gefahren auseinander. Sie finden zahlreiche aktuelle und investigativ recherchierte Artikel auf Bargeldverbot.info.
  • Verbreiten Sie lesenswerte Berichte in den sozialen Netzwerken oder per E-Mail. Machen Sie andere Menschen darauf aufmerksam.
  • Verteilen Sie Flyer zum Thema.
  • Zahlen Sie nach Möglichkeit jeden Einkauf bar.

Quellen und Anmerkungen:

(1) Permanent Record, ISBN 9783103974829, Frankfurt 2019, Seite 357
(2) Ebd. Seite 361
(3) Ebd. Seite 375
(4) Ebd. Seite 407
(5) Davos 2016 — The Transformation of Finance (ab Minute 14:30)


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