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Der Stone des Anstoßes

Der Stone des Anstoßes

Der Regisseur Oliver Stone hielt den USA immer wieder einen wenig schmeichelhaften Spiegel vor — gerade dies zeigt aber die Fähigkeit des Landes zur Erneuerung durch Selbstreflexion.

„Sie haben mir nicht gesagt, dass wir die ganze Welt überwachen, Corbyn“, beklagt sich Edward Snowden (gespielt von Joseph Gordon-Levitt) bei seinem Chef bei der NSA, Corbyn O’Brian (Rhys Ifans). Der antwortet mit einer Generalrechtfertigung für das Welt-Überwachungsprogramm der US-Geheimdienste:

„Wie sollen wir einen möglichen Atomkrieg abwenden — Terrorangriffe, Cyberangriffe —, ohne auf der ganzen Welt Informationen zu sammeln?“

Und als Snowden Einwände erhebt: „Die meisten katalogisieren ihr Leben ja sowieso schon für die Öffentlichkeit.“ Auf Facebook zum Beispiel, wo User ihre intimsten Lebensdetails freiwillig zur Bespitzelung freigeben. Schließlich sagt Corbyn den für unsere Epoche so grundlegenden Satz:

„Den meisten geht’s nicht um Freiheit. Die wollen Sicherheit. Das ist ein einfacher Deal. Wenn man das neueste Spielzeug haben will und ein sicheres Leben, zahlt man den Preis dafür.“

Der Dialog aus Oliver Stones Film „Snowden“ ist fiktiv. Er zeigt aber, wie brisant das Material und wie kritisch der Ansatz ist, den der Meisterregisseur hier wählt. Edward Snowden, der im Juni 2013 mit seinen Enthüllungen an die Öffentlichkeit trat, gilt in der Heimat noch immer vielen als Verräter. Dem im russischen Exil Lebenden könnte die Todesstrafe drohen, sollte er jemals zurückkehren. Auch Donald Trump übrigens nannte Snowden einen Verräter.

Man sollte nicht der Illusion verfallen, dass einem etablierten Regisseur wie Stone für sein Projekt alle Türen offenstanden. Amerikanische Studios lehnten sein Drehbuch ab, große Teile des Films mussten deshalb in den Münchner Bavaria Studios gedreht werden. Der Starttermin von „Snowden“ wurde mehrfach verschoben, das Werk kam mit einer Verspätung von rund einem Dreivierteljahr in die Kinos.

„Immer siegt die Angstkultur“

Diese Empfindlichkeiten zeigen nur, dass der Regisseur einen Nerv getroffen hatte. Stone vermittelt in „Snowden“ das Bild eines Landes, das bis zur Lächerlichkeit selbstverliebt ist. „Glauben Sie, dass die USA das großartigste Land der Welt sind?“, werden Stellenbewerber bei der CIA per Lügendetektortest gefragt. Und nur „Ja“ ist die korrekte Antwort.

Dabei ist es ein Land in Angst, das sich seinen Schneid („Home of the Brave“) Stück für Stück von einer aggressiven Sicherheitspropaganda abkaufen lässt. „Immer siegt die Angstkultur“, sagt ein Kollege Snowdens im Film.

Immer würdelosere Vorgänge werden von den Behörden veranlasst. In einer Szene betrachten Snowden und ein Kollege feixend, wie sich eine Frau vor der Kamera auszieht, natürlich ohne zu wissen, dass sie bespitzelt wird. „Die Richter sagen zu allem Ja und Amen“, freut sich der Kollege. Das heißt, es gab schon in den 2000er-Jahren keine funktionstüchtige Kontrollinstanz mehr.

Und auch die Unterwerfungsbereitschaft der Bevölkerung wird am Beispiel von Snowdens Freundin Lindsay Mills (dargestellt von Shailene Woodley) verdeutlicht. Als die vielleicht erste Zivilperson, die teilweise von der Bespitzelung wusste, sagt Lindsay zu Edward: „Ich habe nichts zu verbergen.“ Und der: „Jeder hat was zu verbergen.“

Wir merken heute, wie der Sicherheitswahn auch auf Europa übergreift und sich mit jedem Terroranschlag, der irgendwo auf der Welt stattfindet, verstärkt. Über Jahre wurde uns Sicherheit von den Medien als das Thema Nummer eins aufgeschwatzt, wurden wir massiv und zielgerichtet mit Angstwellen überschwemmt. Dies ist seit dem Filmstart von „Snowden“ noch einmal deutlich schlimmer geworden. „Die Pandemie“, Putin, der die freie Welt bedroht, der herannahende Klimakollaps, Überfremdung durch gewalttätige muslimische Einwanderer ... Die letzten Jahre ließen uns nicht einmal kurze Pausen zwischen den verschiedenen Angstmomenten.

Regisseur am Puls der Geschichte

Rein kommerziell betrachtet hatte Oliver Stone scheinbar auf das falsche Pferd gesetzt, denn sein handwerklich wie immer glänzend gemachter Film floppte an den Kinokassen. In jedem Fall tat es aber gut, den alten Kämpfer ungebrochen zu finden, denn etliche von Stones neueren Filmen erweckten den Eindruck, der Meister sei altersmilde geworden.

In „World Trade Center“ zeigte sich der Regisseur, der in der Vergangenheit auch schon mal als „Verschwörungs-Quacksalber“ bezeichnet wurde, lammfromm. Er erzählte Privatgeschichten über Menschen, die unter den Trümmern der Zwillingstürme gerettet wurden und ließ keinerlei Zweifel an der offiziellen Version über „Nine Eleven“ durchblicken. Auch „Wall Street — Geld schläft nicht“ (2010) gab sich recht zahm, bedenkt man, dass das Werk kurz nach der Finanzkrise von 2008 konzipiert wurde und der Nachfolger des bissigen „Wall Street“-Films von 1987 mit Michael Douglas war. Dem entstammten so epochale Zitate wie „Gier ist gut“.

Leben und Werk des 1946 geborenen New Yorkers sind eng miteinander verzahnt. „Wall Street“ verarbeitete einige Erfahrungen von Oliver Stones Vater, der Broker an der Börse gewesen war und — als er sich verzockt hatte — Bankrott machte. Zwischen Frühjahr 1967 und Herbst 1968 diente Stone als Freiwilliger in Vietnam und erhielt für seine Fronteinsätze mehrere Tapferkeitsmedaillen. Der spätere Parade-Linke war in seiner Jugend überaus konservativ:

„Ich glaubte an das John-Wayne-Bild von Amerika. Mein Vater war Republikaner, und er brachte mir bei, dass das ein guter Krieg sei, weil die Kommunisten böse Kerle seien.“

Die traumatisierenden Kampfhandlungen flossen später in Stones berühmte Kriegsfilme „Platoon“ (1986) und „Geboren am 4. Juli“ (1989) ein. Überhaupt schien der werdende Großregisseur die Begabung zu haben, wie „Forrest Gump“ immer genau am Brennpunkt historischer Ereignisse aufzutauchen. Er mischte in Berkeley bei der Studentenrevolte mit und wurde bald darauf an der mexikanisch-amerikanischen Grenze wegen Marihuana-Besitzes verhaftet.

Ein Mann mit vielen „Seelen in der Brust“

Seinen ersten Oscar erhielt Oliver Stone für das Drehbuch zum Film „12 Uhr nachts – Midnight Express“ (1978). Nach dem ebenfalls Oscar-gekrönten „Platoon“ folgten unter anderem „The Doors“ (1991), in dem er eigene Drogenerfahrungen verarbeitete, „JFK“ (1991) und „Nixon“ (1995) — Filme, die sich intensiv mit den Wunden der US-amerikanischen Gesellschaft auseinandersetzten. Gerade „JFK“, ein mit Kevin Costner besetztes Gerichtsdrama, das glaubwürdige Zweifel am offiziellen „Narrativ“ zum Präsidentenmord schürte, brachten dem Regisseur den Ruf eines unbequemen Künstlers ein. Dabei wählte Stone eine Bildsprache, die durch schnelle Schnitte, dokumentarische Einblendungen und andere Regie-Kunststücke modern und aufregend wirkte.

Oliver Stone galt in den 90ern als einer der Großen im internationalen Filmbusiness, ein Mann mit untrüglichem Gespür für „heiße Eisen“. Einige weniger gelungene Werke, wie beispielsweise die Filmbiografien über Alexander den Großen und George W. Bush, konnten diesen Ruf nicht gänzlich zunichtemachen.

Künstlerisch fruchtbar war dabei die Tatsache, dass der „Linke“ Oliver Stone einen konservativen, ja reaktionären Persönlichkeitsanteil quasi im Schatten trug — bedingt durch entsprechende biografische Durchgangsstadien, zum Beispiel als Soldat und Patriot.

Dies erleichterte ihm wohl die Einfühlung in jene Filmfiguren, die der europäische Zuschauer eher als die „Bösen“ empfinden würde. Ein Drehbuchautor führt dauernd Dialoge zwischen verschiedenen Instanzen seiner Persönlichkeit, er dramatisiert innere Konflikte. Es macht die Faszination Stones aus, dass er eher vielschichtig als eindeutig dem Guten und Korrekten zugewandt ist. Der Regisseur verteidigte die Scientology-Sekte 1997 gegen deren angebliche Verfolgung durch die Regierung Helmut Kohl. Er zeichnete ein freundliches Bild von Fidel Castro in seinem Doku-Porträt „Comandante“ (2003).

Aus heutiger Sicht besonders faszinierend ist Stones verfilmtes Langzeit-Interview mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Darin wirbt er um Verständnis für die Haltung seines Interviewpartners und wendet sich gegen einen sich hochschaukelnden neuen Kalten Krieg.

Die Nähe, die er zu Putin in verschiedenen Situationen seines Arbeitsalltags herzustellen wusste, ist ein Wert für sich in Zeiten, in denen sich selbst hochrangige westliche Politiker etwas darauf zugutehalten, den russischen Präsidenten nicht zu verstehen. Nicht alles, was wir von Putin hören, wird auf jeden sympathisch wirken. Einige Aussagen halten jedoch gerade den NATO-Ländern einen nicht immer schmeichelhaften Spiegel vor. So sagt Putin in einem Interview im Auto zu Stone:

„Zu versuchen, seine Verbündeten auszuspionieren – wenn man sie wirklich als Verbündete betrachtet und nicht als Vasallen – ist einfach unanständig, weil es Vertrauen unterminiert. Und am Ende fügt es der eigenen nationalen Sicherheit Schaden zu.“

Auf dem Weg in den „gutmütigen Faschismus“

Stone bleibt unbequem, ein „Stone des Anstoßes“ auch für diejenigen, die mit seiner politischen Grundhaltung eigentlich sympathisieren. Eine gewisse Unberechenbarkeit, was die Filmstoffe und die mit ihnen transportierten politischen Botschaften betrifft, macht den Regisseur nachhaltig spannend.

2021 kehrte er mit der Doku-Serie „JFK – Destiny Betrayed“ zum Thema seines berühmten Films mit Kevin Costner zurück und scheute sich nicht, auf dem Höhepunkt der medialen Hetzjagd gegen „Verschwörungstheoretiker“ eben dies auszubreiten: eine Verschwörungstheorie — wie immer sehr gut recherchiert und belegt. Sein jüngster Dokumentarfilm „Nuclear“ von 2022 ist eigentlich ein filmisches Pamphlet für den weiteren Einsatz von Kernenergie. Nicht diese, sondern die infolge der Verbrennung von Kohle drohende Erderwärmung sei wirklich gefährlich. Damit schafft es Oliver Stone, einerseits wie die Grünen, andererseits wie deren „härtester Gegner“ in Deutschland, Julian Reichelt, zu klingen.

Der Regisseur provoziert mit der Abfolge seiner Filme abwechselnd seine klassischen Widersacher, das konservative US-Establishment, und das etablierte links-grüne Klientel, das ihn wegen seiner frühen Filme zu ihrem Helden erkor.

„Ich sehe meine Filme vor allem als Dramen über Individuen in persönlichen Kämpfen, und ich sehe mich selber zuerst als Dramatiker, dann erst als politischen Filmemacher“, äußerte er in einem Interview.

„Man sagt, meine Mittel seien nicht subtil. Aber das ist zuallererst, was wir brauchen: ein Kino, das uns wachrüttelt, unsere Nerven und unser Herz.“

Sicher ist ihm dies gelungen, auch mit dem „Snowden“-Film. Stone glaubt fest an die Integrität seines Filmhelden. „Er scheint völlig ohne ‚Falsch‘ zu sein, irgendwie sogar unschuldig wie ein Kind.“ Der Regisseur sieht Snowden in der Tradition des zivilen Ungehorsams, wie ihn in der US-Geschichte etwa Henry David Thoreau und Martin Luther King verkörpert haben. Wie jeder „echte“ Amerikaner distanziert er sich jedoch nicht vom Patriotismus. Er argumentiert vielmehr, Snowden sei ein wahrer Patriot, und die Leute, die die größte Bespitzelungsaktion der Weltgeschichte losgetreten hätten, seien es nicht. „Wenn ich etwas hasse, dann die Arroganz der Macht.“

Ein unscheinbar wirkender, anfangs sehr angepasster Computer-Nerd ringt sich in einsamer Gewissensentscheidung dazu durch, zu rebellieren und bringt ein Imperium ins Wanken – das ist die Story. „Aber ist es nicht viel überraschender, dass bei der NSA rund 40.000 Leute arbeiten, die wissen, dass sie am Rande oder jenseits der Legalität arbeiten, und keiner sagt was?“, meinte Stone gegenüber dem SPIEGEL.

„Das nenne ich eine richtige Verschwörung. Alle halten das Maul, weil sie ihr Haus abbezahlen und ihren Kindern Alimente zahlen müssen. Das ist wie in Nazi-Deutschland.“

Der alte Haudegen weiß noch auszuteilen, und er ist nicht ungebührlich optimistisch. Snowden konnte zwar Millionen von Menschen inspirieren.

„Aber es wird nichts daran ändern, dass wir uns auf einen Faschismus zubewegen, einen gutmütigen Faschismus, der uns alle durch Konsum einlullt. Der uns ständig manipuliert, der uns mal gezielt Angst einjagt und dann wieder beruhigt, der alle Daten über uns sammelt und uns besser kennt, als wir uns selbst kennen.“

Und wenn sich nichts ändert …

Eine deutliche Warnung. „Snowden“ war vielleicht nicht Stones bester Film. Aber einer, der ihm besonders viel Mut abverlangte, weil er gegen den Strich eines Zeitgeists gebürstet war, der schon wahnhaft dem Sicherheitsdenken zugeneigt ist.

„Als ich in den 80er und 90er Jahren diese kritischen Filme über Amerika gemacht habe, war das Klima liberaler. Das hat sich nach 9/11 schlagartig geändert. Da ging ein Rechtsruck durch Amerika.“

Heute sind sich nicht einmal deutsche Politiker und Medien einig, ob sie Edward Snowden auch wirklich als Helden anerkennen sollten. Der Vorgang erinnert an die Zeitstimmung nach dem Zweiten Weltkrieg, als in der Öffentlichkeit ernsthaft darüber gestritten wurde, ob es Verrat gewesen sei, aus der Armee Adolf Hitlers zu desertieren.

Bis heute zeichnet die Mainstream-Presse ein teilweise negatives Bild des Whistleblowers. Snowden habe sich „schadenfreudig“ über Trump geäußert (STERN), er habe „von Moskau aus Kasse gemacht“ (FAZ), nur weil er mit internationalen Veröffentlichungen seinen Lebensunterhalt sichern wollte.

Das ist bedenklich und gibt dem Schlusswort des Film-Snowden eine traurige Aktualität:

„Am allermeisten fürchte ich mich jetzt davor, dass sich nichts ändert und es während der nächsten Monate und Jahre nur noch schlimmer wird. Und dass dann irgendwann ein neues Staatsoberhaupt gewählt werden wird, das einfach den Schalter umlegt, und die Menschen können dann nichts mehr dagegen tun, weil dann alles steht, das gesamte Gebäude, die schlüsselfertige Tyrannei.“

Leider sind wir diesem Schreckensszenario schon ganz nah, und die Mehrheit der Bevölkerung, auch in Deutschland, ist angesichts noch relativ sanft blasender Stürme ohne zu zögern bereit, ihre Freiheit für das Versprechen von Sicherheit zu opfern. Nur eine Hoffnung lässt Snowden noch gelten:

„Ich glaube, wenn nicht gehandelt wird und sich nichts ändert, werden sich mehr und mehr Menschen auf der ganzen Welt vehement zu Wort melden. Und wenn sie versuchen, uns durch Einschüchterung zur Aufgabe unserer elementaren Menschenrechte zu zwingen, lassen wir uns nicht den Mut nehmen und geben nicht klein bei.“


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