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Der innere General

Der innere General

Entscheiden wir selbst, wer unser Innenleben beherrscht.

Los jetzt, mach schon. Trödel nicht so. Beeil dich. Die Blumen kannst du dir später angucken. Wer hat das nicht zu hören bekommen, als er Kind war? Kaum werden wir in diese Welt hineingeboren, müssen und sollen wir und dürfen nicht. In aller Regel halten uns unsere Eltern, Erzieher und Lehrer von Anfang an dazu an, so zu funktionieren, wie es ihnen im Moment am besten passt.

Dabei wird uns nicht vermittelt, was für wunderbare, einzigartige und perfekte Wesen wir sind. Aus uns soll einmal etwas werden – so als wenn wir es nicht schon sind. Wir werden zurechtgezupft und gebogen – so als müsste man an einer Blume erst herumziehen, damit sie sich ordentlich entfaltet.

Mit eiserner Hand verbogen

Heul nicht, übertreib nicht, das bildest du dir doch nur ein. Halt den Mund. Nur wenige haben zu hören bekommen, dass sie goldrichtig sind, so, wie sie sind. Kaum jemand hat als Kind gelernt, seine Gefühle zu erkennen und frei auszuleben und seine ganz besonderen Talente ungehindert zu entfalten.

Die meisten von uns haben gelernt zu funktionieren. Sie mussten etwas dafür tun, um das Gefühl zu haben, geliebt zu werden.

Von Anfang an war nichts im Leben umsonst. Wir mussten spuren, gute Noten nach Hause bringen, Mama trösten und durften Papa nicht stören. Sei stark, sei lieb, sei still, sei gut. Auch viele von denen, die keine Grenzen mit auf den Weg bekommen haben, sollten doch vor allem eines: die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Eltern erfüllen.

Von einer Generation zur nächsten

Seit vielen Generationen sind wir als Gesellschaft nicht darauf vorbereitet, uns selbst so anzunehmen, wie wir sind. Wir haben nicht gelernt, unsere eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu erkennen und zu achten. Die meisten von uns mögen sich selbst nicht leiden.

Vielen fällt es schwer, sich mit ihren Schwächen zu akzeptieren. Damit man das nicht sieht, manipulieren, unterdrücken und verurteilen wir andere für das, was wir uns im Grunde selbst vorwerfen. So konnte die Welt zu dem werden, was sie ist: ein Ort der Zerstörung und der unterbrochenen Verbindungen.

Wir sind uns selbst entweder nicht genug oder zu viel und ziehen streng mit uns ins Gericht. So gehen wir ins Leben hinaus und bekommen Kinder, denen wir nur das weitergeben können, was wir selbst gelernt haben. Selbstliebe und Selbstverantwortung gehören meistens nicht dazu.

Nicht aus der Reihe tanzen

Das kriegerische letzte Jahrhundert hat den Menschen vor allem dazu erzogen, ohne Aufzumucken in Reihen aufzumarschieren, uns in Schützengräben zu hocken und an Fließbändern einzureihen.

Dieses Jahrhundert erzieht uns vor allem dazu, gute Konsumenten zu bleiben. So schneidet man uns immer wieder auf das rechte Maß zurück, so wie es unsere Gesellschaft eben gerade braucht.

Als Erwachsene brauchen wir niemanden mehr, der uns an die Kandare nimmt. Wir tun es selbst. So kann dich ja keiner mögen. Ich hab dir gleich gesagt, dass das nichts wird. Was bist du doch für eine Null, zischt uns der General in uns zu. Mit gewienerten Stiefeln und streng zugeknöpft hat er es sich in uns gemütlich gemacht und führt uns mit eiserner Hand an. Jedes Mal, wenn wir versuchen, aus der Reihe zu tanzen oder etwas anders zu machen, pfeift er uns zurück.

Du glaubst doch wohl nicht, dass das klappt. Wenn das so einfach wäre, dann würden das ja wohl alle tun. Los jetzt, an die Arbeit. Forsch redet uns der General ein, dass wir nur dank ihm in Sicherheit sind. Er achtet gewissenhaft darauf, dass wir uns richtig benehmen, genug investieren und ordentlich die Ellbogen ausfahren. Und so quälen wir uns mit verkniffenen Mienen, verspannten Schultern und zusammengebissenen Zähnen durch unser Leben und wagen es nicht, seinem Befehl zu widersprechen.

Im Spiegel der anderen

Meistens merken wir es nicht einmal, wer da in uns wütet. Schließlich sind wir ja auch von Anfang an darauf trainiert, dass in unserem inneren Reich Strenge, Härte und Kälte herrschen. Was in uns los ist, spüren wir oft erst dann, wenn uns eine andere Person – der Lebenspartner zum Beispiel, der Chef oder der Nachbar – respektlos behandelt. Dann steigen wir auf die Barrikaden. So etwas lassen wir uns nicht gefallen!

Was wir in uns nicht sehen können, erkennen wir an unserem uns spiegelnden Gegenüber. Ihm werfen wir dann vor die Füße, was wir uns nicht trauen, unserem inneren General zu sagen.

Währenddessen feuert der uns an: Unerhört! Lass dir das nicht gefallen. Geh zum Angriff über! So hofft er, dass wir nicht merken, dass der eigentliche Übeltäter er selbst ist. Schließlich hat sich schon immer der Dritte gefreut, wenn zwei sich streiten. Dem General sind alle Mittel recht, seine Tarnung intakt zu halten und uns zu Diensten zu machen.

Aus dem Dienst entlassen

Um aus diesem Kreislauf auszubrechen, gibt es einen Weg: Anstatt die Säbel zu wetzen und gegen den, der uns berührt, in den Krieg zu ziehen, können wir uns dem General in uns zuwenden: Weißt du General, ich durchschaue dein Spiel. Ich erkenne, dass du in Wirklichkeit nur deine eigene Macht stärken willst, um mich weiter herumzukommandieren. Du brauchst mich ja, um zu überleben. Doch ich brauche dich nicht. Ich will Frieden und keinen Krieg. Du bist entlassen.

Da wird der General ganz blass. Er kann ja nicht existieren ohne einen Auftrag. Wenn ich ihm seine Mission entziehe und ihm seine Medaillen abnehme, dann steht er plötzlich ganz nackt da. Er kann noch so viel herumschreien und von Opfern, Tätern und Rettern erzählen. Ich glaube ihm nicht mehr. Denn ich habe beschlossen, in meinem inneren Reich Frieden und Harmonie herrschen zu lassen.

Ich bin der Souverän. In meiner Innenwelt habe ich das Zepter in der Hand. Ich führe die Regie. Ich habe die Macht, die Darsteller in meinem inneren Theater hinter den Kulissen zu lassen oder auf die Bühne zu rufen. Und so rufe ich die nach vorne, die mir angenehm sind: das innere Kind etwa, die gute Fee, die weise Frau, den gutherzigen Ritter. Mit ihnen macht das Leben viel mehr Spaß als mit dem blöden General. Der kann in Zukunft Kartoffeln schälen.


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