Noch einmal möchte ich mit diesen Poesienoten die Wichtigkeit der Zeitzeugen in den Vordergrund rücken. Wenn sie, so wie Salomea Genin (siehe Manova-Interview vom 22. April 23), imstande sind, differenziert und selbstkritisch auf ihr Leben zurückzublicken, können wir, wenn wir offen für ihre Weisheit sind, unendlich viel von ihnen lernen.
Leider hören wir, gerade in unseren Gefilden, den alten Weisen viel zu wenig zu. Das fängt schon in der Familie an. Gerade neulich wieder traf ich eine Tochter mit ihrer wohl leicht dementen und verwirrten Mutter. Die Mutter konnte keinen Satz aussprechen, ohne dass die Tochter ihr bevormundend und sie infantilisierend dazwischenfunkte — ich schämte mich fremd und durfte dabei lernen, dass auch ich mich immer wieder, mit meiner eigenen Mutter, in Geduld üben muss.
Zurück zu Salomea Genin, die weit davon entfernt ist, dement zu sein. Ich bin nachhaltig von ihr beeindruckt, und deshalb möchte ich hier ein kleines Gedankenstück von ihr veröffentlichen und es ein wenig kommentieren. Sie sagt dazu, es reime sich nicht und sei nicht wirklich ein Gedicht, viel mehr spiegele es einen Zustand ihres Inneren wider.
Das von keinem gewollte Kind in mir weint verzweifelt.
Ich, die erwachsene Frau, bemühe mich vergeblich, das Kind anzunehmen.
Ich warte auf den Anruf, der mir sagt: Du bist in Ordnung.
Aber auch wenn er käme, weiß ich, nur die starke, geben könnende Frau ist gemeint.
Das verzweifelte, wärmebedürftige Kind in mir darf sich nicht zeigen.
Laugh and the world laughs with you, cry and you cry alone.
Ich erlaube mir, zu Salomeas Gedankenstück hinzuzufügen, dass in meinen Augen „nicht angenommen werden“ die Ursache vieler Probleme ist. Selbstredend wurde nicht jedes Kind derart abgelehnt wie in ihrem Fall: Sie sollte abgetrieben werden und wurde zudem in eine denkbar ungünstige Lebenssituation geboren, um dann auch noch dafür verantwortlich gemacht zu werden. Was ich mit „nicht angenommen“ meine, ist eigentlich viel einfacher, aber in der Konsequenz ebenso schwierig.
Warum fällt es vielen von uns so schwer, die Eigenschaften des eigenen Kindes einfach wertzuschätzen und uns nebst den notwendigen Schutz bietenden Grenzen einzulassen auf das neue Wesen, die neue Schwingung, die neue Materie?
Mir ist klar, dass eine derartige Grundsatzdiskussion den Rahmen unserer Poesienoten völlig sprengen würde, und natürlich kann und will ich hier keine in einer Platitüde endende Antwort geben. Vermuten aber darf ich, dass ein bedingungslos liebender, achtsamer, kreativer, humorvoller und respektvoller Umgang mit den eigenen Kindern der Menschheit viel Leid ersparen würde. Leid, das sich durch die Menschheitsgeschichte zieht und eben leider meist verbunden ist mit dogmatischen Vorstellungen und Gedanken.
Ich möchte zum Schluss dir, liebe Salomea Genin, ein Gedicht widmen, das ich einst für Coco Schumann schrieb: „Ghettoswinger“. Coco war ein sehr bescheidener und, wie er selbst sagte, eher unpolitischer Jazzmusiker und Gitarrist. Sein Leben ist ein weiteres wichtiges Zeitzeugnis, wird mehrfach beschrieben, kann und soll unbedingt im Internet nachgeschlagen werden.
Liebe Leserinnen und Leser, die Zukunft und unsere Kinder sind unendlich wichtig, aber von der Vergangenheit können wir nach wie vor so viel lernen.
Danke für eure Aufmerksamkeit — wir hoffen weiterhin auf noch mehr Follower und Unterstützer.
Peace and Love.
Eure Alexa
Ghettoswinger
Für Coco Schumann
Ghettoswinger zeig mir deinen Tanz
dann zeig ich dir wie du hier überleben kannst.
Der Tanzsaal der ist leer und die Erinnerung ist schwer
so schwer dass blind man wär um nicht zu sehen
es gibt gar keinen Weg daran vorbei zu gehen.
Ghettoswinger spiele mir dein Lied
dann zeig ich dir wie du dem Grauen nicht erliegst.
Auch singen lass ich dich denn singen das macht frei
und dich hätt ich da gern dabei.
Die Musik hast du gewählt zum Leben
das Überleben das hat sie dir dann gegeben.
Der Walzer ist so laut
dass die Schreie derer die sie in die Kammer zwingen
leise im Parkett verklingen.
Der Walzer führt sie nun hinaus
heilig soll es sein das Land
so zumindest ist die Hoffnung
am Ende des Weges Hand in Hand.
Ghettoswinger sprich laut mit uns
auf deine Weise und mit deiner Gunst.
Vergessen wollen wir nicht
und leben ganz in deinem Sinne
nur wenn wir vergeben wird Frieden uns gelingen
und du du kannst in Frieden weiter swingen.
MANOVA: Im Gespräch: „Den falschen Göttern folgen“ (Salomea Genin und Alexa Rodrian)
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