Lieber Herr Kurz,
demnächst treten Sie Ihren Dienst als „Global Strategist“ für den Silicon-Valley-Milliardär Peter Thiel an. Der Milliardär aus dem Silicon Valley ist nicht nur Mitgründer von PayPal, sondern auch der Überwachungsfirma Palantir Technologies und erfolgreicher Investor von Hunderten Start-ups sowie Facebook und SpaceX.
„Global Strategist“ — Was ist das?
Gratulation zum neuen Job, Herr Ex-Bundeskanzler. Ihr Gelöbnis, das Sie zum Amtsantritt leisten und mit dem Sie versprechen mussten, der Republik Österreich und dem österreichischen Volk treu zu dienen, wird Sie als „Global Strategist“ nicht mehr belasten. Natürlich kenne ich Ihre „Job Description“ nicht, ich habe keine Ahnung, was ein globaler Stratege überhaupt macht, aber vielleicht helfen Ihnen 10 Statements Ihres neuen Chefs, Peter Thiel, als ein „Code of Conduct“, um mögliche Fehler beim Start zu vermeiden.
Lesen Sie zunächst einmal, was Ihr neuer Arbeitgeber von Politikern hält:
1. „Leute, die sich selbst verkaufen, sind Politiker.“
Schließlich ist Silicon Valley eine vollkommen andere Welt als der Ballhausplatz in Wien. Ein Zitat aus Peter Thiels Buch „Zero to One: Wie Innovation unsere Gesellschaft rettet“: „Und Leute, die sich selbst verkaufen, sind Politiker“ (1).
Glaubt Peter Thiel, dass man Politiker kaufen kann? Thiel weiter: „Mit einem Jahresgehalt von 300.000 Dollar verhält sich ein CEO eher wie ein Politiker und weniger wie ein Unternehmensgründer. Ein hohes Gehalt ist ein Anreiz, sich am Status quo und am Gehalt festzuklammern, statt an der konsequenten Aufdeckung und Beseitigung von Schwächen zu arbeiten“ (2). Falls Ihr Gehalt, Herr Kurz, höher als 300.000 Dollar ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Peter Thiel Sie nicht als Manager, sondern weiterhin als Politiker sieht. Und was er von dieser Berufsgruppe hält ... siehe oben!
2. „Die meisten Menschen glauben x – doch das Gegenteil ist der Fall.“
Peter Thiel berichtet in seinem Buch, dass er in Vorstellungsgesprächen den Bewerbern gern folgende Frage stellt: „Welche Ihrer Überzeugungen würden nur wenige Menschen mit Ihnen teilen?“ (3)
Gratulation, Herr Kurz, denn offensichtlich haben Sie darauf mit der laut Herrn Thiel einzig richtigen Antwort geantwortet: „Die meisten Menschen glauben x, doch das Gegenteil ist der Fall.“
Herr Thiel erläutert es ein paar Seiten weiter wie folgt: „Auf die Querdenker-Frage [sic!] würde ich folgende Antwort geben: Wenn jeder der vielen Hundert Haushalte Indiens so lebt, wie die Menschen in den westlichen Industrienationen es heute tun, wäre das Ergebnis eine Katastrophe für die Umwelt“ (4).
Glaubt Thiel, dass in Indien „die Umwelt“ — was immer er damit meint — einen höheren Wert hat als die Menschen? Zwei Drittel der Menschen in Indien leben in Armut: 68,8 Prozent der indischen Bevölkerung müssen mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag auskommen. 1,4 Millionen Kinder sterben in Indien jedes Jahr vor ihrem fünften Geburtstag.
3. „Marktwirtschaft und Kapitalismus sind Gegensätze.“
Peter Thiel hält Marktwirtschaft und Kapitalismus nicht für identische oder zumindest ähnliche Begriffe, sondern betrachtet sie als Gegensätze. Er beschreibt seine Geschäftsphilosophie wie folgt: „In Wirklichkeit ist Kapitalismus aber das Gegenteil von Wettbewerb. Kapitalismus basiert auf der Akkumulation von Kapital, doch im perfekten Wettbewerb fallen sämtliche Gewinne dem Konkurrenzkampf zum Opfer“ (5).
Nach der Meinung von Peter Thiel gibt es also zwei Arten von Unternehmen: jene, die Konkurrenz erfolgreich ausgeschaltet haben, wie Microsoft, Amazon, Apple, Facebook/Meta, Google/Alphabet, und die notorischen „Loser“, die sich dem Wettbewerb in der Realwirtschaft stellen.
Wer das verstanden hat, begreift auch, warum die Quasimonopolisten der Plattformökonomie, die selbst nichts herstellen, sondern nur vermitteln, dank der Coronapandemie ihre Gewinne während der C-Krise massiv ausbauen konnten.
Corona hat die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, technologischen und rechtlichen Umfeldbedingungen quasi über Nacht radikal auf den Kopf gestellt und große Teile der Realwirtschaft durch mehrere Lockdowns, die nichts anderes sind als Berufsverbote für den Mittelstand, ins Corona-Koma geschickt.
4. „Wettbewerb ist etwas für Verlierer.“
„Wenn Sie ein Unternehmer sind, der ein Unternehmen gründet, sollten Sie immer darauf abzielen, ein Monopol zu erreichen und Wettbewerb zu vermeiden. Deshalb ist Wettbewerb etwas für Verlierer“ (6).
Für Peter Thiel ist Wettbewerb in erster Linie eine Ideologie, die ihn von der Abschöpfung der Monopolgewinne abhält: „Wettbewerb ist vielmehr in erster Linie eine Ideologie – die Ideologie, die unsere gesamte Gesellschaft durchdringt und unser Denken verzerrt. Wir predigen den Wettbewerb, glauben an seine Notwendigkeit und leben nach seinen Geboten. Wir sind in ihm gefangen, denn je mehr wir konkurrieren, umso weniger verdienen wir dabei“ (7).
Auf Seite 27 bringt Peter Thiel es auf den Punkt: „Ihr Unternehmen kann eine Menge Werte schaffen, ohne selbst wertvoll zu sein. Wertschöpfung allein reicht nicht aus – Sie müssen einen Teil des geschaffenen Wertes auch abschöpfen.“
Fazit: Es geht ums Verdienen. Nicht der Wert des Erzeugnisses, der „Customer Value“ eines Produktes oder Dienstleistung ist der Key Performance Indicator (KPI, Leistungskennzahl). Für Peter Thiel ist es der abschöpfbare „Shareholder Value“ in Form des Gewinns.
5. „Monopolisten erzählen Märchen, um sich selbst zu schützen.“
„Monopolisten erzählen Märchen, um sich selbst zu schützen. Sie wissen, dass sie mit Prahlereien über ihre Monopolstellung nur die Aufmerksamkeit der Wettbewerbshüter auf sich ziehen. Da sie ein Interesse daran haben, auch weiter ungestört Gewinne abzuschöpfen, tun sie alles, um ihre Monopolstellung zu verbergen“ (8).
In einem Punkt hat Herr Thiel recht: Märchenerzählen für Monopolisten war noch nie so einfach wie heute — wenn man das nötige Kleingeld dafür hat.
Edward Bernays, einer der Begründer des organisierten Märchenerzählens, heute als Storytelling, Propaganda oder Public Relations bezeichnet: „Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element der demokratischen Gesellschaft. Diejenigen, die diesen unsichtbaren Mechanismus der Gesellschaft manipulieren, bilden eine unsichtbare Regierung, die die wahre herrschende Macht unseres Landes ist. Wir werden regiert, unser Geist wird geformt, unser Geschmack geformt, unsere Ideen vorgeschlagen, größtenteils von Menschen, von denen wir noch nie gehört haben“ (9).
6. „Die besten Start-Ups erinnern ein wenig an Sekten.“
Wenn Sie in einem Start-up für Peter Thiel arbeiten, bedenken Sie bitte: „Die besten Start-ups erinnern ein wenig an Sekten. Der größte Unterschied ist, dass sich Sekten mit ihrem Fanatismus im Irrtum befinden. Die Mitarbeiter eines erfolgreichen Start-ups sind jedoch fanatisch hinter einer Sache her, die der Rest der Welt nicht erkennen kann. (…) Machen Sie sich keine Sorgen, wenn konventionelle Standesvertreter Ihr Unternehmen nicht verstehen. Freuen Sie sich lieber, wenn Sie als Sekte bezeichnet werden“ (10).
Willkommen, Herr Kurz. Von der Partei zur Sekte. Ich kann nicht beurteilen, ob das ein Fortschritt ist beziehungsweise wie groß die Unterschiede zwischen Parteien und Sekten sind.
7. „Geld kommt zu Geld.“
„‚Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat‘ heißt es in der Bibel. Albert Einstein hatte dieselbe Erkenntnis, als er den Zinseszins als das achte Weltwunder, die größte Erfindung des menschlichen Geistes und die stärkste Kraft des Universums bezeichnete“ (11).
Also wenn der Zinseszins die stärkste Kraft des Universums sein soll, dann könnte man ins Zweifeln kommen, ob der geniale Albert Einstein die Relativitätstheorie wirklich erfunden hat. Und wenn das Zitat aus der Bibel stimmt, dann könnte man annehmen, dass schon vor mehr als zweitausend Jahren bezahlte „Advertorials“ (redaktionelle Aufmachung einer Werbeanzeige) in der Bibel existierten.
8. „Eine Welt ohne Geheimnisse wäre eine gerechte Welt.“
„Unrecht setzt nämlich voraus, dass sich eine entscheidende moralische Erkenntnis noch nicht durchgesetzt hat: In einer demokratischen Gesellschaft besteht Unrecht nur dann fort, wenn es von den Menschen nicht als solches erkannt wird“ (12).
Als Peter Thiel 2014 sein Buch geschrieben hatte, wusste selbst er vermutlich noch nicht, dass es seit dem März 2020 eine schöne neue Weltordnung geben würde. Professor Dr. Matias Desmet versucht eine Erklärung: „Why do so many still buy in the narrative?“
9. „Manche Geheimnisse sind gefährlicher als andere.“
„Wie Faust zu Wagner sagt:
‚Die wenigen, die was davon erkannt,
Die töricht g´nug ihr volles Herz nicht wahrten,
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreuzigt und verbannt‘“ (13).
Hier kann sich Peter Thiel auf seinen neuen Mitarbeiter hundertprozentig verlassen. Im Hinblick auf Verschwiegenheit kann niemand dem Ex-Kanzler, der vier Lockdowns mitsamt den katastrophalen Folgen in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht zu verantworten hat, das Wasser reichen.
10. „Moral muss man sich leisten können.“
„Das Google-Motto ‚Don´t be evil‘ ist natürlich Teil einer Marketingstrategie, doch es ist auch typisch für ein Unternehmen, das so erfolgreich ist, dass es sich um Moral sorgen kann, ohne die eigene Existenz zu gefährden. In der Wirtschaft ist Geld entweder wichtig oder alles. Monopolisten können es sich leisten, an andere Dinge zu denken als an Geld“ (14).
Fazit
Hier muss ich Peter Thiel recht geben und zugleich widersprechen:
Milliardäre können es sich leisten, an andere Dinge zu denken als an Geld. Sie tun es auch. Aber sie denken dabei nicht daran, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.
Und nun, lieber Herr Kurz, viel Erfolg in Ihrem neuen Job!
Quellen und Anmerkungen:
(1) Thiel et al., 2014, Zero to One: Wie Innovation unsere Gesellschaft rettet, S. 127
(2) Ebenda, S. 113
(3) Ebenda, S. 11
(4) Ebenda, S. 14
(5) Ebenda, S. 28
(6) Thiel, Peter, 2014, Lecture 5: Business Strategy and Monopoly Theory
(7) Thiel et al., 2014, Zero to One: Wie Innovation unsere Gesellschaft rettet, S. 39
(8) Ebenda, S. 30
(9) Bernays, Edward, Propaganda, Desert Books 1928/1955, S.37
(10) Thiel et al., 2014, Zero to One: Wie Innovation unsere Gesellschaft rettet, S. 123
(11) Thiel et al., 2014, Zero to One: Wie Innovation unsere Gesellschaft rettet, S. 83
(12) Ebenda, S. 99
(13) Ebenda, S. 104
(14) Ebenda, S. 35
Hier noch ein kleines Bonus-Kapitel des Autors zum Thema „Investoren versus Unternehmer“:
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