Man weiß immer noch nicht recht, was sich da wie aus dem Nichts in den letzten Monaten aufgebaut hat. Und es gibt tausend Haltungen: die einen kämpfen, die anderen resignieren. Manche laufen mit, einige dagegen. Man informiert, man schweigt, man protestiert und resigniert. Die einen gehen auf die Straße, die anderen ziehen sich zurück. Man ist wütend, ängstlich, verwirrt, besorgt und alles auf einmal.
Aber niemand weiß, wie lange das geht. Wird ein Elend daraus? Oder ist es bloß ein kurzer Schock? Wird es besser werden oder schlimmer? Niemand weiß es, aber alle haben Hoffnungen und Ängste gleichzeitig, eine explosive Mischung. In dieser Lage kann ein vielzitierter Satz des amerikanischen Theologen und Philosophen Reinhold Niebuhr weiterhelfen:
„Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
Ich glaube, dass die Krise zu den Dingen gehört, die wir nicht ändern können. Hunderttausende Professoren, Ärzte, Bürger und Menschen wie du und ich haben es versucht — mit Briefen, Analysen, Petitionen, Demonstrationen und allen möglichen Mitteln. Es hat nichts gebracht oder fast nichts.
Eine übermächtige Maschine hat sich in Gang gesetzt, die ihr Ziel jetzt unerbittlich verfolgt. Für alle Beteiligten gibt es kein Zurück. Der Schaden ist da, die Dominosteine fallen. Wir haben keine andere Wahl, als dies anzunehmen und, wenn möglich, gelassen zu bleiben. Denn dann können wir die Dinge erkennen, die wir tatsächlich ändern können. Damit sind wir bei einem existenziellen Thema, unserer Wahrnehmung.
Sag mir, wohin du deine Aufmerksamkeit lenkst, und ich sage dir, wer du bist (Ortega y Gasset).
Was wir nämlich ändern können, und hier sind wir beim zweiten Punkt von Niebuhrs Kurzgebet, ist unsere Wahrnehmung der Krise. Sie offenbart bereits in ihrer Frühphase eine echte Renaissance der Menschlichkeit — nicht bei allen, aber bei vielen, und vor allem bei immer mehr Menschen.
Wer sich in den letzten Monaten im kritischen Segment der Gesellschaft bewegt hat, konnte eine erstaunliche Beobachtung machen: Man trifft Freunde, die man noch nicht gekannt hat! Es ist einzigartig, wie leicht sich menschliche Nähe entwickelt — als ob sie schon immer da gewesen wäre. Es ist einmalig, wie schnell sich Menschen zur Zusammenarbeit finden.
Natürlich erhofft man sich, dass dieses Wunder wächst. Dass immer mehr Menschen erkennen, wie diese Krise Türen öffnet, an denen wir Jahrzehnte gerüttelt haben. Wie etwas zusammenwächst, was schon immer zusammengehörte: der Mensch und sein Mitmensch. Es ist kein Kollektivismus, der sich da manifestiert. Es ist der paradoxe Grundsatz, dass der Mensch nur dann zur Gemeinschaft fähig ist, wenn er sich selbst sein kann.
Quellen und Anmerkungen:
Der Autor ist Herausgeber des Informationsportals corona-transition.org mit einem täglichen Newsletter sowie der Vierteljahreszeitschrift Zeitpunkt. Die aktuelle Ausgabe „Zur Lage des Menschen“ befasst sich mit der psychischen Situation des Individuums.
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