Sklaverei — Verletzung der Menschenrechte?
Die Menschenrechtserklärung war der juristische Ausdruck der französischen bürgerlichen Gesellschaft, die Sklavenhaltung und — handel als profitable Erwerbsquelle betrachtete. Ihre Prinzipien konnten sich nicht von dieser ihrer ökonomischen und sozialen Grundlage lösen. Auch vier Jahre nach Verabschiedung der Menschenrechtserklärung erkannten alle Kräfte der Französischen Revolution die Sklaverei uneingeschränkt an und kämpften für ihren Fortbestand. Jürgen Osterhammel drückt es mit größtmöglicher Verschwommenheit anders aus:
„Während der ersten Jahre der Revolution spielte die Sklavenfrage nur eine untergeordnete Rolle und wurde niemals zum wahren Testfall der neuen Menschenrechtsrhetorik“ (1).
Die Sklavenfrage spielte eine „untergeordnete Rolle“, weil die Sklaverei eine unbezweifelte, herausragende ökonomische Rolle für die französische Bourgeoisie und ihre revolutionären Vertreter spielte. Sie konnte nicht zum „Testfall der Menschenrechtsrhetorik“ werden, weil Sklaverei und Sklavenhandel selbst zu den Menschenrechten der Revolution gehörten. Parlament und Regierung hatten kein Interesse, die Universalität der Menschenrechte zu „testen“, weil sie gar nicht von universalen Werten ausgingen. Der Gesetzgeber bewies das durch seine Praxis (2).
Es war eben nur eine bürgerliche Revolution, mit der die bürgerlichen Eigentümer, inklusive der Profiteure der Sklavenökonomie, ihre eigenen Freiheiten gegenüber dem Monarchen ausdehnen wollten. Zu diesen Freiheiten gehörte auch die freie Verfügung über das Eigentum an Sklaven.
Um diese „dunkle“ Seite der Menschenrechte wegzuretuschieren, braucht es Erfindungsreichtum. Über den verfügen Professoren und Doktoren in besonderem Maße.
Lücke in der Menschenrechtserklärung?
Die fehlende Abschaffung der Sklaverei war eine „Lücke“ der Menschenrechtserklärung, meint Prof. Jean Tulard (3), laut Le Monde der beste Spezialist der napoleonischen Geschichte. Die Lücke besteht nur in der Fantasie von Tulard. Zwischen den Artikeln blieb nichts offen. Die Nicht-Erwähnung der Sklaverei bedeutete nur, dass die Menschenrechtler ihr Weiterbestehen für selbstverständlich hielten.
Die Menschenrechtserklärung blieb in Bezug auf die Sklaverei auch nicht „stumm“, wie Prof. Christian Delacampagne meint (4). Sie begrüßte sie laut unter dem Titel „Recht auf Eigentum“.
Die Sklaven werden von Menschenrechten zwar „ausdrücklich ausgenommen“ (5), da sie keine französischen Staatsbürger waren, die Menschenrechtserklärung erhob aber ausdrücklich das Eigentum zum Menschenrecht, auch das der Sklavenhalter.
Der SPIEGEL behauptet: „Die französische Menschenrechtserklärung war (...) nicht auf Sklaven gemünzt“ (6). Richtig, sie war auf die Menschenrechte der Bourgeoisie gemünzt, zu der an herausragender Stelle Sklavenhalter und -händler gehörten.
Übertretung von Prinzipien?
Prof. Alfred Cobban stellt fest: „Die Menschenrechtserklärung war ein wenig schwer mit der Sklaverei zu versöhnen, aber die konstituierende Versammlung schluckte heldenhaft die Prinzipien hinunter“ (7). Die Erklärung war leicht mit der Sklaverei zu „versöhnen“. Die in der Nationalversammlung zahlreich vertretenen Sklavenhalter und Profiteure der Sklaverei mussten keine Prinzipien „hinunterschlucken“, als sie der Menschenrechtserklärung zustimmten. Ihr Eigentum an Sklaven gehörte ja zu den „natürlichen, unveräußerlichen und geheiligten Menschenrechten“.
Selbst die Professoren Walter Markov und Albert Soboul sprechen in Bezug auf die französische Sklaverei von „übertretenen Grundsätzen“ (8), Soboul von einer „Übertretung der Prinzipien“ (9) und von „sich daraus (aus der Menschenrechtserklärung) natürlicherweise ergebenden Konsequenzen“ (10), die übertreten wurden.
Die damalige französische Bourgeoisie, in sie eingeschlossen zahlreiche Profiteure der Sklavenwirtschaft, formulierte mit den Prinzipien der Menschenrechtserklärung ihre privaten besonderen Interessen als allgemeine Menschheitsinteressen. Die sich aus dem geheiligten Menschenrecht des Eigentums „natürlicherweise ergebende Konsequenz“ war die Sklaverei, nicht die Abschaffung der Sklaverei.
Auch Prof. Luciano Canfora sieht einen „Gegensatz zwischen dem universellen — und deshalb ausgesprochen lästigen — Geltungsanspruch der Prinzipien von 1789 und der realen Machtausübung der nunmehr — in der Zeit Napoleons I. — herrschenden Klasse, die nicht bereit war, sich diesen Prinzipien länger zu unterwerfen“ (11).
„Nicht länger unterwerfen“?
Zu keinem Zeitpunkt sollten die „Prinzipien“ Freiheit und Gleichheit einem Anspruch folgen, für alle Menschen zu gelten, der Geltungsanspruch beschränkte sich auf das Bürgertum im Verhältnis zur Feudalaristokratie.
Die französische Bourgeoisie hat sich auch in der Zeit der Jakobinerherrschaft Robespierres nie der Freiheit und Gleichheit als einem universellen Prinzip verschrieben. Die Koalitions- und Streikfreiheit der Lohnsklaven zum Beispiel wurde auch von Maximilien de Robespierre nicht anerkannt. Sie galt als Verstoß gegen das Menschenrecht auf — unternehmerische — Freiheit und stand unter Strafe.
Die Menschenrechtserklärung schützte vor allem das Eigentum. „Ein wesentliches Element von Freiheit und Sicherheit (…) ist das Eigentum, von dem die Erklärung in den höchsten Tönen spricht — „unverletzlich“, „unverjährbar“, „heilig“ — ... (12) und damit eben auch das unverletztliche, heilige Eigentum an Sklaven.
Verstöße gegen Werte und Selbstkorrektur?
Prof. Heinrich August Winkler erklärt:
„Sie (die Geschichte des Westens) ist auch eine Geschichte von brutalen Verstößen gegen die eigenen Werte und der Fähigkeit zur Selbstkorrektur“ (13).
Die Sklaverei war weder ein „brutaler Verstoß“ gegen die Werte der englischen und der amerikani-schen noch gegen die der Französischen Revolution. Brutal war allerdings der Verstoß gegen die eigenen Werte, der in der Abschaffung der Sklaverei durch jakobinische Terroristen bestand. Diese Selbstkorrektur war nützlich für den Sieg im Krieg gegen das konterrevolutionäre England und die europäischen Feudalmächte, den die Schreckensherrschaft 1794 errang. Die Fähigkeit zur Selbstkorrektur bewies die Französische Revolution weiterhin, in dem sie unter Napoleon die Sklaverei wieder einführte und damit zu ihren wirklichen Werten zurückkehrte.
Um Ursprünge und Tradition der heutigen Werteordnung zu vertuschen, ist man bemüht, einen Widerspruch der Sklaverei zur Menschenrechtserklärung zu erfinden, muss Winkler die Geschichte fälschen.
Sklaverei und Menschenrechte — Paradoxie?
Prof. Ziebura meint, dass die Menschenrechtserklärung „widersprüchlich“ ausgefallen sei, da sie mit dem „Anspruch auf universale Gültigkeit“ aufgetreten sei, aber die „Sklaverei auf Druck der Kolonen (der Siedler) beibehalten“ habe (14). Die Sklaverei wurde nicht nur auf Druck der Pflanzer beibehalten, sondern auf Druck der französischen Bourgeoisie insgesamt (15). Deren Interessen wurden politisch von den Jakobinern vertreten, bis diese sich, um den Sieg der Konterrevolution zu verhindern, sich zu einer Änderung ihrer Taktik gezwungen sahen Das änderte jedoch nichts daran, dass die Sklaverei zur Menschenrechtserklärung des Eigentums nicht im Widerspruch stand, sondern sie verwirklichte.
Auch Dr. Oliver Gliech spricht kopfschüttelnd von einer „paradoxen Situation“ (16), weil er einen universellen Freiheitsanspruch in die Menschenrechtserklärung hineinträumt, der im Widerspruch zur Sklaverei stehe. Paradox bedeutet „in sich widersprüchlich“.
Ebenso steht für Prof. Albert Wirz die Sklaverei „in Widerspruch (...) zu den bürgerlichen Freiheitsvorstellungen, die (…) in den bürgerlichen Revolutionen zu Menschenrechten erklärt wurden“ (17). Die Menschenrechte traten jedoch, wie die Praxis ihrer Schöpfer zeigt, als Menschen-rechte nur für bürgerliche Eigentümer ins Leben.
Spiegel-Redakteur Rainer Traub stellt richtigerweise fest, dass es damals nicht üblich war, zwischen Menschenrechten und der Verteidigung der Sklaverei einen Widerspruch zu sehen.
Paradox allein wäre es gewesen, wenn die bürgerlichen Revolutionäre für die Abschaffung der Sklaverei eingetreten wären. Dr. Thomas Darnstädt führt das Beispiel der USA an:
„Der Autor der ameri-kanischen Menschenrechtserklärung (Thomas Jefferson) hielt als typischer Plantagenbesitzer seiner Generation Sklaven. Nur wenige Zeitgenossen sahen darin einen Widerspruch“ (18).
In England, den USA und Frankreich standen Menschenrechtserklärungen und Sklaverei nicht im Widerspruch zueinander. Die Sklaverei diente ja der Verwirklichung des Menschenrechts auf Eigentum, auch wenn die französische Verfassung von 1791 und die Verfassung der USA die Sklaverei nur indirekt zum Verfassungsgrundsatz (19) erklärten.
Sklaverei menschenwürdig?
„Die Menschenwürde als Essenz des Unverfügbaren, an das nicht einmal der Souverän kommt, weil es einer vorrechtlichen Instanz entspricht, steckt so in allen Freiheiten der Menschenrechtserklärung von 1789, wie sie auch im Kern aller einzelnen Grundrechte steckt“ (20).
Wenn die Menschenwürde in allen Freiheiten der Menschenrechtserklärung als „unverfügbar“ steckt, steckt sie auch in der Freiheit des Eigentums an Sklaven. DER SPIEGEL lässt sich dazu hinreißen, unausgesprochen die Sklaverei als Ausdruck der Menschenwürde zu bewerten. Wir können also beruhigt sein, dass die Werte von 1789 auch noch heute gelten:
„Die Menschenrechtserklärung der französischen Nationalversammlung von 1789 bildet den Kern des deutschen Grundgesetzes“ (21).
Die Sklaverei muss also noch heute fortbestehen, wenn auch in anderer Form. Und sie tut es in Form der indirekten Sklaverei der Lohnarbeit, die die direkte Sklaverei ablöste.
Sich heute auf die Werte der französischen Menschenrechtserklärung berufen, bedeutet aber auch, ohne es zuzugeben, die damalige Sklaverei als Menschenrecht zu akzeptieren. Schließlich war sie ein Produkt des unantastbaren Privateigentums.
Menschenrechtserklärung — Freiheit des einzelnen
Der Staatsrechtler Prof. Michael Stolleis rühmt die Menschenrechtserklärung als „liberal, weil es kein anderes Ziel staatlicher Machtanstrengung mehr geben sollte als die eine: die Freiheit des einzelnen“ (22). Was für eine pompöse, aufgeblasene Falschmeldung. Bis zur Abschaffung der Sklaverei als Kriegsmaßnahme (23) gab es kein anderes Ziel staatlicher Machtanstrengung in Frankreich, als die „Freiheit des einzelnen“ Sklavenhalters und -händlers zu schützen.
Mit dem Einzelnen war auf keinen Fall der einzelnen Sklave gemeint. Weil sie sich von der „Freiheit des Einzelnen“ in der Menschenrechtserklärung angesprochen fühlten, tauften französische Kaufleute ihre Sklavenschiffe auf die Namen Liberté, Égalité und Fraternité (24). In den Zwischendecks der Freiheitsschiffe lagerten angekettet Afrikaner, die in der Karibik anderen „Einzelnen“ zum Verkauf angeboten wurden. Sklavenhändler konnten nichts anderes als freiheitlich, als Liberale sein.
Beschönigung der Menschenrechte — Rechtfertigung des Privateigentums
In zahlreichen wolkigen Variationen verkünden ideologische Vertreter der bürgerlichen Revolution, dass deren Menschenrechte und Sklaverei im Widerspruch gestanden hätten. Das kann nur mit dem Interesse zusammenhängen, das Privateigentum, das sich an der Sklaverei mästete, in ein möglichst rosiges Licht zu tauchen, damit es für alle Zeiten als „universales Menschenrecht“ weiter bestehen kann.
Die Erklärungen der Menschenrechte sollen, unangefochten durch die Praxis derjenigen, die sie verabschiedeten, auf ihren Begriffswolken Freiheit, Menschenwürde und so weiter hoch über der grausamen Realität der Sklaverei schweben, mit der sie angeblich nichts zu schaffen haben. Die Geschichte der bürgerlichen Revolution spielt sich aber nicht im Himmel geheiligter Prinzipien ab, sondern auf dem Boden des Privateigentums, das nicht nur die Sklaverei, sondern auch die damalige Lohnarbeit mit Blut tränkte.
Es zeigt sich, „dass alle bisherige Geschichte die Geschichte von Klassenkämpfen war, dass diese einander bekämpfenden Klassen jedes Mal Erzeugnisse sind der Produktions- und Verkehrsverhältnisse, mit einem Wort der ökonomischen Verhältnisse ihrer Epoche; dass also die jedesmalige ökonomische Struktur der Gesellschaft die reale Grundlage bildet, aus der der gesamte Überbau der rechtlichen und politischen Einrichtungen sowie der religiösen, philosophischen und sonstigen Vorstellungsweise eines jeden geschichtlichen Zeitabschnitts in letzter Instanz zu erklären sind“ (25).
Quellen und Anmerkungen:
Die vollständigen Quellenangaben können dem Buch entnommen werden.
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