Rainer Maria Rilke
Über die Geduld
Aus den Briefen an einen jungen Dichter (Franz Xaver Kappus)
Auch wenn die Emotionen hochkochen und das Entsetzen über die diktatorischen Maßnahmen zu Recht groß ist, ist es für den Aufwachprozess der Bevölkerung wichtig, dass jeder von uns es schafft, immer wieder in seine Mitte zu kommen. Ganz besonders für diejenigen, die schon hinter die Kulissen blicken.
Jetzt ist wichtig, mutig und klar für das Menschenrecht einzustehen, Sand im Getriebe zu sein, die Manipulationsquellen im eigenen Umfeld zu erkennen, abzustellen und selbst zu denken. Dies geht besser im Stillen als im Lauten. Sich zur Wehr zu setzen, muss nicht immer gleich aussehen. Oft sind es kleine und sanftere Formen, die unsere Mitmenschen zum Nachdenken bringen, sie einladen, die Dinge zu hinterfragen. Bei alldem brauchen wir Geduld — Geduld mit uns selbst und mit unseren Mitmenschen.
Mit dieser inneren Ruhe, die uns durch die Geduld — und das Urvertrauen geschenkt ist, sehen wir klar, sehen hinter die Dinge, erkennen die größeren Zusammenhänge und auch, dass dieses Aufbäumen des Systems ein zur Fratze verzerrter Agonieschrei ist.
Wir sind die, auf die wir gewartet haben. Wir gehen mit der Schöpfung und werden uns unseres schöpferischen Potenzials wieder bewusst. Es gilt das Gesetz der Anziehung. Wollen wir uns aus den Fängen falscher Identifikationen und utilitaristischer Zwänge befreien, geben wir ihnen keinen Raum mehr in unserem Inneren. Geduldig und beharrlich pflegen wir das Pflänzchen des Friedens, der Freiheit, der Selbstverantwortung und Selbstermächtigung in uns, gießen es, reden ihm gut zu und helfen so, dass aus ihm eine aufrechte, kraftvolle und wunderschöne Blume und Pflanze wird. Das, was wir abschaffen wollen, lassen wir einfach links liegen.
Rainer Maria Rilke findet hier sehr wohltuende Worte für diesen Prozess der Rückverbindung zum schöpferischen Potenzial eines jeden im Schoss der gewaltigen kosmischen Rhythmen, denen wir gerade ausgesetzt sind. Er hilft uns, den Blick fürs Ganze zu öffnen, über den Rand dessen hinaus, in das wir medial gehalten werden.
Hans Kremer liest „Über die Geduld“ von Rainer Maria Rilke
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