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Das mußefreie Leben

Das mußefreie Leben

Im Eifer der ununterbrochenen Selbstoptimierung versperren wir den Zugang zu unserem inneren Ruhepol und damit auch zu unserer kreativen Schöpferkraft.

Das Ideal der Effizienz

Effizient zu sein bedeutet einfach, hochwirksam zu sein. Wer möchte nicht wirkungsvoll kommunizieren und machtvoll handeln? Vermeiden Sie also zuerst unproduktiven Müßiggang und Leerlauf, denn Arbeitslosigkeit ist die „Schmiede des Teufels“.

Wenn Menschen unausgelastet sind, beginnen sie ganz automatisch, sinnfreien Gedanken und Handlungen nachzugehen sowie Tagträume zu pflegen. Unterbeschäftigung führt oft zu Lethargie und Antriebslosigkeit, in schweren Fällen kann dies Depression, Alkohol- und Drogenmissbrauch verursachen oder sogar in die Kriminalität führen. Die Würde oder auch der Wert des Menschen leitet sich aus seinem Tätigsein ab. Nur wer beständig arbeitet, kann die Früchte der Freiheit ernten.

Beobachten Sie einmal, wie viel Zeit Menschen, die gerade aus dem Urlaub zurückgekommen sind, mit der Nacherzählung ihrer Reise, inklusive der Präsentation von Fotos, Videofilmen et cetera verbringen. Sentimentalität ist eine ungeheuerliche Zeitverschwendung! Die meisten verbringen ihre Urlaubszeit nur mit faul in der Sonne rumliegen sowie mit ermüdenden und ungesunden Party-Exzessen. Was wurde damit gewonnen? Richtig: rein gar nichts.

Machen Sie lieber den perfekt organisierten Urlaub mit Fitnessprogrammen im 15-Minuten-Takt: Jazztanz, Yoga, Lauftraining, Gymnastik und Ähnliches. Dafür brauchen Sie zum Glück keine Kamera, und zu erzählen gibt es auch nicht viel. Es reicht doch, dass Sie wieder fit für die Arbeit werden und Ihren Mitmenschen einen Überblick über Ihre Leistungen bei der Erholung geben können. Seien Sie ein Vorbild für Effizienz, damit sind Sie quasi schon vollbeschäftigt, ein Leben lang.

Loblied auf die Leistungsgesellschaft

Natürlich kommt der Produktivitätszuwachs der letzten hundert Jahre nicht von ungefähr. Gerade der Einsatz von Maschinen, Robotern und Computern hat die Arbeitsgesellschaft enorm vorangebracht, indem unter anderem viele neue Arbeitsbereiche entstanden sind. Wir sollten den Erfindern und Entwicklern dieser neuen Technologien dankbar sein, denn nicht nur, dass die vielen neuen Produkte zu mehr Beschäftigung geführt haben, nein: Das Arbeitsleben ist dadurch vielfältiger und spannender geworden. Je komplexer die Wirtschaft wird, desto mehr Spezialisten werden gebraucht.

Aber auch zusätzliche Verwaltungsebenen und weitere Überwachungs- und Steuerungsgremien bewirken mehr Beschäftigung. Der Bereich „Neue Medien“ ist die perfekte Plattform, um letztlich unendliches Wachstum und Erwerbstätigkeit zu generieren. Es gibt sogar Menschen, die sich als Berufsspieler in Computer Games betätigen. Computerspiele werden neuerdings auch als Sportdisziplin angesehen — so wie Schach auch ein Sport ist.

In jeder Disziplin gibt es Profisportler, Trainer, Kader, Vereine und so weiter und so fort. Da werden jede Menge Sponsorengelder und Werbeeinnahmen ausgeschüttet, was wiederum die Maschine am Laufen hält. Arbeit gibt es also ohne Ende, denn irgendwo winkt immer ein freundliches Kapital für die zweite Maus, die den Käse bekommt.

Beständig entstehen neue Geschäftsmodelle, die unter anderem auf Crowdfunding-Webseiten vorgestellt und sogar schon während der Entstehung beworben werden. Der Konsument wird zum Mitproduzent, und ist schließlich Prosument! Die Grenzen lösen sich langsam auf und verschwinden — freiwillige Produktbesprechungen werden zu Werbetexten, die sogar Anleitung und Hilfestellung geben. Bedenken Sie nur mal, wie flexibel, kreativ und lernfähig man heute sein muss, um konkurrenzfähig zu bleiben. Um den Anforderungen der heutigen Leistungsgesellschaft zu genügen, sind ganze Industrien der Selbstoptimierung entstanden.

Der Transhumanismus zeigt, wohin die Reise geht. Wer nicht mithalten kann und durch Überforderung krank wird, bleibt dennoch ein nützliches Mitglied der Gesellschaft, denn er beschäftigt Ärzte, Therapeuten, Heilpraktiker und andere.

Das ist im Einzelfall sicherlich tragisch, aber gesamtgesellschaftlich entsteht dadurch kein Nachteil.

Die Leistungsgesellschaft braucht den Wettbewerb, so wie die Fische das Wasser brauchen. Bringen Sie Leistungsvergleiche, so oft es geht, in Ihr Privatleben, zum Beispiel indem Sie alles Mögliche in Ihrer Umgebung taxieren und ausführlich bewerten. Teilen Sie Ihre Erfahrungen öffentlich mit, und Sie sind schneller als gedacht „Influencer“. Leistungsvergleiche kann man überall und jederzeit anstellen, zum Beispiel indem Sie bei Wanderungen, oder auf Radtouren Ihre Mitmenschen sportlich herausfordern. Ergreifen Sie jede Möglichkeit, um Leistungsfähigkeit auszustellen.

Auch private Gespräche sind eine hervorragende Gelegenheit, um einen Leistungsvergleich zu starten. Lassen Sie ihre Mitmenschen spüren, dass Sie mindestens einen Schritt voraus sind. Sie sollten permanent darauf achten, dass Sie am Ende irgendwie recht behalten oder zumindest die Oberhand gewonnen haben.

Nutzen Sie alle Optionen, psychologische Tricks, verbale Übergriffe, hinkende Vergleiche oder unfaire Einschüchterungen, um den Spaß zu vergrößern. Der beständige Konkurrenzkampf produziert in Wahrheit Ansporn und Motivation. Mehr Wettbewerb führt am Ende des Tages immer zu Innovation und Fortschritt, und damit auch zu mehr Wachstum. Das ist so einfach und so offensichtlich, dass man sich wundern muss, warum dies immer wieder angezweifelt wird.

Faulheit und Müßiggang verhindern

Alle großen Weltreligionen loben Arbeit als eine Art von Gottesdienst. Menschen vom Müßiggang abzuhalten und in irgendeine Form der Beschäftigung zu treiben, ist folglich eine lobenswerte Sache. Martin Luther erfand das Wort „Beruf“, welches er aus der Idee der (göttlichen) „Berufung“ ableitete. Mit der Entwicklung der protestantischen Arbeitsethik wurde den Menschen eine neue Freiheit und Verantwortung gegeben, selbst diese individuelle Berufung zu finden, um damit wirksam in der Welt zu sein. Natürlich geht es dabei nicht zuerst darum, Reichtum und Wohlstand zu erlangen, sondern darum, sich selbst einzubringen und damit ein glücklicheres Arbeiten hervorzubringen.

Vielleicht brauchen wir einfach nur mehr Kreativität, um eine universelle Vollbeschäftigung zu erreichen? Ich kenne beispielsweise Menschen, die absichtlich Müll in Parks und Landschaften hinterlassen, um so das zuständige Personal oder Horden von freiwilligen Helfern zu beschäftigen, eben diesen Unrat zu beseitigen. Wenn sich niemand darum kümmert, dann haben die Menschen immerhin etwas, über das sie sich aufregen können. Sie entdecken den Handlungsbedarf und kommen dadurch bald selbst in Aktion. Hilfe zur Selbsthilfe. Auch wenn Umweltverschmutzung zu Recht kritisch gesehen wird, bleibt diese langfristig doch eine ausgezeichnete Chance für das große Ziel der Vollbeschäftigung. Bedenken Sie nur mal, wie viele Voll- und Teilzeit-Aktivisten auf abertausenden Aktionsplattformen und Nachrichtenportalen in die aktuelle KLIMA-Debatte involviert sind!

Ideologische Konflikte helfen Menschen dauerhaft in Prozesse einzubinden, die zwar manchmal auch zu Kriegen führen, aber immerhin den beteiligten Akteuren das Gefühl geben, sich für eine „gute Sache“ zu engagieren. Beurteilen Sie Ideologien und ideologische Konflikte danach, wie viel Beschäftigung damit hergestellt werden kann.

Es reicht nämlich nicht, dass Sie selbst in Ihrem Leben den Müßiggang konsequent vermeiden — Sie sollten auch bemüht sein, möglichst viel Aktionismus in Ihrer Umgebung zu stiften, zum Beispiel indem Sie Ihre Mitmenschen mit beunruhigenden Nachrichten konfrontieren, um diese aus der Reserve locken.

Lösen Sie etwas aus, das viele Menschen mitreißt und beteiligt, denn Menschen wollen immer eine Aufgabe, an der sie sich bewähren können.

Beschäftigung abonnieren und herstellen

Betätigen Sie sich ausführlich in Sozialen Netzwerken und beginnen Sie dort so viele Projekte und Initiativen wie möglich. Damit können Sie Ihre Existenz in Richtung Unendlichkeit erweitern! Manche Ihrer Engagements werden zum Selbstläufer und bringen im Weiteren Reaktionen und Rückfragen hervor, die wiederum neue Handlungen von Ihnen erfordern. Permanente Kreisläufe aus Aktion und Reaktion zu kreieren ist das Geheimnis von Beschäftigung.

Jedes Troll-Posting im Internet, das viele Reaktionen erhält, beweist eindrücklich die Sehnsucht der Antwortenden, die Welt in Ordnung bringen zu wollen. Machen Sie sich diese Energie zunutze: Indem Sie sich dumm stellen, provozieren Sie vielfältige Reaktionen! Das eine oder andere Mal erspart Ihnen diese Methode die Mühe selbst nachzudenken, und manche der Reaktionen sind geeignet, die Denkweise der Mitmenschen zu erkennen. Besonders heftige und emotionale Reaktionen können natürlich leicht als Schwäche des Absenders gedeutet werden, und so gewinnen Sie umgehend wieder die Oberhand.

Gerade vage Schuldzuweisungen, grundloses Beleidigt-Sein oder auch kaum nachvollziehbare persönliche Verletzungen, die Sie im Gespräch dramatisch ausstellen, sind kommunikationspsychologisch gesehen Gold wert. Denn solche Kommunikationsmuster bringen Ihr Gegenüber automatisch in die Defensive und zwingen zu unmittelbaren Reaktionen. Kurz: Das Appellieren an die Schuldgefühle funktioniert fast immer. Das hat schließlich eine lange Tradition — siehe Erbsünde, Ablasshandel — wir sind also kulturbedingt daran gewöhnt.

Schon in der Schule erzeugen schlechte Zensuren das berechtigte Schuldgefühl.

Bringen Sie andere dazu, sich mit Ihnen und Ihrem Anliegen auseinandersetzen zu müssen. Achten Sie dabei stets auf die Überforderung Ihres Gegenübers, beispielsweise durch die Masse Ihrer Ausführungen, durch geheimnisvolle Verknüpfungen Ihrer Aussagen, durch die opulente Verwendung von Fachbegriffen sowie durch Verweise auf (anerkannte) Experten und Referenzen.

Auch wenn Ihr Gegenüber spricht, können Sie mit absurden Zwischenfragen oder mit plötzlichen grotesken Interventionen sowie mit einer irritierenden Körpersprache das Maß der Unsicherheit ihres Gegenübers vergrößern. Finden Sie die leicht verwundbaren Punkte Ihrer Mitmenschen und platzieren Sie dort eine starke Reizung. Es geht darum, permanente Kreisläufe aus Aktion und Reaktion zu erschaffen.

Leben Sie schneller

Geschwindigkeit ist seit den frühen Tagen der Menschheit Ausdruck und Kennzeichen von Macht. Damals konnte nur jemand, der ein oder mehrere Pferde besaß, ein größeres Gebiet kontrollieren. Dies ist im übertragenen Sinne bis heute gültig. Aber Geschwindigkeit und Reichweite sind noch so viel mehr: Schnelligkeit stiftet ein Lebensgefühl von Vitalität. Sprechen Sie schneller, laufen Sie schneller, fahren Sie schneller! Sie werden sehen, das bringt Lebendigkeit und Freude in Ihr Leben. Schon die Futuristen haben den Fortschritt und die Beschleunigung verehrt:

„Wir erklären, daß sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit.“ — aus dem „Futuristischen Manifest“, 1909.

Auch wenn Sie mal keine Hektik haben, tun sie trotzdem immer so, als ob Sie auf der Flucht sind. Eilige Menschen werden immer als vielbeschäftigt, gefragt und erfolgreich angesehen.

Geschwind leben heißt erfolgreich sein. Denken Sie immer an das Zukünftige, an das, was demnächst ansteht, so entfliehen Sie dem zumeist langweiligen „Hier und Jetzt“. Lesen Sie schneller, denken Sie schneller und entscheiden Sie rasch. Jedem Anfang wohnt sein Ende inne — denken Sie also immer sofort auf das absehbare Ende hin, und am besten auch gleich darüber hinaus. Halten Sie sich nicht mit langsamen Menschen und trägen Prozessen auf — Entschleunigung ist etwas für Verlierer, die auf dem Standstreifen den nächsten Stau erwarten! Leben Sie auf der Überholspur!

Harren Sie in Gesprächen nicht mühsam auf das Ende einer Frage oder Aussage, sondern hauen Sie gleich nach dem ersten Stichwort, welches das Thema kennzeichnet, irgendeine Assoziation oder Standard-Sichtweise gewisser Experten raus. Ihr Gegenüber wird daran sofort Ihre Kompetenz und Ihre kommunikative Kraft erkennen. Zur Geschwindigkeit gehören Flexibilität und Dynamik, deshalb sollten Sie alle Konzepte, die Sie anstreben, im Prozess der Umsetzung immer wieder spontan umgestalten. Das ist der Grund, warum erfolgreiche Unternehmen so häufig Umstrukturierungen vornehmen. Stellen Sie sicher, dass die Dynamik der Planungsebene stets höher ist als die auf der Umsetzungsebene.

Nicht denken, sondern einfach machen

Wer lange überlegt, geht schließlich fehl. Behalten Sie einfach nur Ihr ungefähres Ziel im Hinterkopf und legen Sie sofort beherzt los. Was kann schon schiefgehen? Die Götter lächeln mit dem Wagemutigen! Wer die Angst zum Berater nimmt, macht das Zaudern zum Herrn. Träumen Sie nicht Ihr Leben, sondern leben Sie Ihren Traum! Je dreister Sie so tun, als ob Sie bereits Ihr Ziel erreicht hätten, umso eher kommen Sie dort an.

Wenn Sie endlich dort sind, gehen sie gleich weiter zum nächsten Ziel. Was immer Sie in Ihrem Leben noch vorhaben: Fangen Sie gleich damit an. Wenn Sie Ihr Ziel nicht erreichen können, erschaffen Sie einfach eine Fälschung. Es gibt immer Möglichkeiten, Illusionen zu erschaffen, denn die Welt möchte belogen werden.

Es gibt mehr mögliche Geschäftsmodelle als Menschen auf diesem Planeten. Nichts treibt Menschen so stark an wie Angst. Bewirken Sie mit subtilen Verunsicherungen bei ihren Mitmenschen Angst und Panik und bieten Sie sich dann selbst als Problemlösung an.

Geben Sie sich selbst den Nimbus, wichtig und gefragt zu sein. Versuchen Sie stets das scheinbar Unmögliche! Wenn Sie nur fest genug daran glauben und mit eisernem Willen hart daran arbeiten, dann kann es schließlich doch wahr werden.

Träumen Sie sich selbst in das Beschäftigungs-Paradies, wo alle Engagements mit goldenen Fleißkärtchen belohnt werden!

„Nur die Menschen, die für die Philosophie Zeit haben, sind frei von Unruhe. Sie allein leben“
― Seneca.


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